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2000 Jahre Kevelaerer Heimat

Teil 11: Von 1875 bis 1878
Kulturkampf | ... und sein Ende 

Logo Kevelaerer HeimatDie Katholiken, die im Zentrum ihr politisches Sprachrohr haben, stehen in der Bedrängnis zusammen wie nie zuvor. Zum Schutz vor dem preußischen Staat geht der Gocher Priester > Arnold Janssen 1875 nach Holland und kauft in Tegelen bei Venlo ein landwirtschaftliches Anwesen, um hier im September sein erstes Missionshaus zu eröffnen. Im gleichen Jahr wird in Geldern eine jüdische Synagoge gebaut.

Derweil beginnen in Kevelaer erste Ausmalungsversuche der > Sakramentskapelle. Der 1875 pensionierte Bürgermeister > Cremeren wird für einige Wochen durch den Beigeordneten Risbroeck vertreten, dann im August durch den Protestanten > Brügelmann ersetzt. Anfang Dezember wird Kevelaers Pastor Caasmann auf Grund des Sperrgesetzes des Landes verwiesen. Der Bischof von Münster, > Johannes Bernhard Brinkmann, flieht nach Holland ins Exil. Im selben Jahr wird auf Schloss Wissen eine > neugotische Kapelle gebaut, eines der schönsten Kirchenbauwerke in Deutschland.

Am 6. Mai 1876 erhält Gelderns Landrat Georg von Eerde von seiner Regierung den Befehl, die im Besitz des Bistums befindlichen Gebäude in Kevelaer zu beschlagnahmen. Während der Landrat mit Hinweis auf seinen Urlaub die Ausführung verzögern will, betritt Kevelaers neuer Bürgermeister Brügelmann am 19. Mai um 10 Uhr das > Priesterhaus und erklärt, die Wohnungen der Geistlichen auftragsgemäß beschlagnahmen zu wollen. Er verlässt für ein paar Minuten das Priesterhaus, um einen Polizisten als Wachmann herbeizuholen. Als er zurückkehrt, sind sämtliche Türen verschlossen.

Sieben Tage später läßt Brügelmann die Türen zum Kloster durch einen auswärtigen Schlosser knacken und sämtliche Bewohner aus ihren Zimmern holen. Sie müssen das Priesterhaus verlassen und finden zunächst in Privatquartieren Unterschlupf, so beispielsweise Pastor > Joseph van Ackeren im Gasthof „Zum weißen Löwen“. Drei Tage später dürfen die Geistlichen ihr persönliches Eigentum aus dem Kloster holen. Mehrere hundert Kevelaerer helfen ihnen dabei.

Die Kevelaerer Bevölkerung, die Wallfahrt und Lebensnerv ihrer Stadt bedroht sieht, stemmt sich gegen die staatliche Okkupation ihres geistigen Zentrums. Am 7. Juni soll ein auswärtiger Schlosser erneut das Kloster und die Marienkirche mit Gewalt öffnen, doch elf beherzte Bürger verhindern das. Bürgermeister Brügelmann informiert die Regierung, dass Kevelaer so leicht nicht einzunehmen sei, die Bürger seien in Aufruhr.

Verständige Kräfte auf Seiten der Regierung und der Bistumsleitung setzen sich durch: Münster überträgt seine Vermögenswerte auf die Kevelaerer Kirchengemeinde St. Antonius, wodurch Beschlagnahme und andere Repressalien gegenstandslos werden.

Am 3. Juli 1876 marschiert im Saarland Militär auf, und Preußen demonstriert mit Macht, wer Herr im Staate ist. Tausende von Pilgern werden umzingelt und viele von ihnen im Härtelwald von > Marpingen verhaftet, wo, so berichten drei Mädchen, die Gottesmutter erschienen ist. - Am 14. August wird Gelderns Landrat Georg Freiherr von Eerde wegen seines Hinhaltens bei der angeordneten Beschlagnahme des Kevelaerer Priesterhauses abgestraft. Er verliert seinen Job. - Anfang Dezember bekommt es Preußen schon wieder mit Marienerscheinungen zu tun. Auf die Vorgänge in Mettenbuch reagiert der Staat diesmal gelassener.

Die katholische Bevölkerung lässt sich weder einschüchtern, noch abhalten. Bürgermeister Brügelmann berichtet 1877 an die Regierung, keine der bisherigen Maßnahmen habe dazu geführt, dass weniger Pilger nach Kevelaer kommen. Es würden sogar mehr. Die 50 Budenbesitzer rund um den Kapellenplatz haben gut zu tun. Und unverbrüchlich stehen die Katholiken zu ihrem Papst. Als Pius IX. im Sommer 1877 sein goldenes Bischofsjubiläum feiert, feiert auch Kervenheim: Der Cäcilien-Kirchenchor von St. Antonius singt mehrstimmige Lieder, Gesänge und die Pius-Hymne „Rex regum“.

Kämpfte Papst Pius IX. noch gegen die „modernen“ Geistesströmungen an, bemüht sich sein 1878 gewählter Nachfolger Leo VIII. um Arrangements mit den neuen Systemen in einer sich radikal verändernden Welt. Schon am Tag seiner Wahl (20. Februar) bietet der neue Papst unter anderem Kaiser Wilhelm I. in einem Brief an, die Beziehungen zwischen Deutschland und dem Heiligen Stuhl wieder zu verbessern.

Bismarck, der den Widerstand und die Stärke der Katholischen Kirche unterschätzt hat, erkennt die Erfolglosigkeit des Kulturkampfes und wird obendrein vom Kaiser bedrängt, den weiteren Verlust des Ansehens der Monarchie unter den Katholiken zu stoppen. Der Reichskanzler kann nun, da der Papst den ersten Schritt getan hat, ohne Gesichtsverlust den Rückzug einleiten und holt aus den überaus geschickt geführten Verhandlungen mit dem Vatikan größtmögliche Zugeständnisse an staatlicher Einflussnahme auf die Ortskirche heraus.

Bis tief in die 1980er-Jahre ringen beide Seiten um Gesetze, die die Kulturkampf-Restriktionen im Deutschen Kaiserreich mildern. Im Mai 1886 erreichen der Papst und der Kanzler, zum Teil gegen heftige Widerstände in eigenen Lägern, mit dem ersten Friedensgesetz den Einstieg in eine neue Gemeinsamkeit, in der der Wiederaufbau der katholischen Kirche in Deutschland gelingen kann - aber in Abhängigkeit vom Staat, wie Bismarck glaubt; denn in Kraft bleiben staatliche Schulaufsicht, Zivilehe, Kanzelparagraph, Jesuitenverbot und (abgeschwächte) Anzeigepflicht bei der Besetzung geistlicher Ämter.

Dass Bismarck wieder einmal die Kraft der Kirche, die sich nicht in Abhängigkeit bringen lässt, unterschätzt, ist der i-Punkt auf Bismarcks größtem innenpolitischen Fehler, dem Kulturkampf.

Aus: Martin Willing, 2000 Jahre Kevelaerer Heimat, KB-Beilage 1999/2000

> NÄCHSTES KAPITEL


Teil 1:
> Von 0 bis 1300 | Wir Gallier | Wie alles anfing
Teil 2:
> Von 1300 bis 1350 | Grundstück verkauft | Erste Zeugnisse für Kevelaer
Teil 3:
> Von 1300 bis 1500 | Hauen und Stechen | Die Grafen und Herzöge des Gelderlands
Teil 4:
> Von 1550 bis 1635 | Freiheitskampf | Die Zeit bis zum Kroaten-Massaker
Teil 5:
> Von 1635 bis 1642 | Mord und Totschlag | Das Chaos vor Entstehung der Wallfahrt
Teil 6:
> Von 1643 bis 1714 | Wir Preußen | Als König Wilhelm kam
Teil 7:
> Von 1715 bis 1805 | Wir Franzosen | Geist der Aufklärung
Teil 8:
> Von 1800 bis 1830 | Napoleons Ende | Die Rückkehr der Preußen
Teil 9:
> Von 1830 bis 1850 | Deutsche Revolution | Neues Selbstbewußtsein der Katholiken
Teil 10:
> Von 1850 bis 1875 | Abschied vom Mittelalter | Auflösung des Kirchenstaats
Teil 11:
> Von 1875 bis 1878 | Kulturkampf | ... und sein Ende 
Teil 12:
> 1879 | Zeitung | Gründung des Kävels Bläche
Teil 13:
> 1880 bis 1881 | Vom Brand bis Wochenmarkt | Zwei Jahre mit großen Veränderungen
Teil 14:
> 1880 bis 1890 | Kaiser Wilhelm | Aufbruchzeiten
Teil 15:
> 1890 bis 1900 | Aufschwung | Kevelaers Wirtschaft boomt
Teil 16:
> 1900 bis 1919 | Das Ende von Preussens Gloria | Kevelaer und der Erste Weltkrieg
Teil 17:
> 1920 bis 1930 | Hilfe aus der Not | Kevelaer am Vorabend des Zweiten Weltkriegs  

© Martin Willing 2012, 2013