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2000 Jahre Kevelaerer Heimat

Teil 14: 1880 bis 1890
Kaiser Wilhelm | Aufbruchzeiten   

Logo Kevelaerer HeimatIn Deutschland wird 1881 der erste Ortsfernsprechverkehr eingeführt, und mit dem Telefon verändert sich die Welt. Die radikale Industrialisierung Europas mit ihren elenden Brüchen der Sozialstrukturen treibt europäische Familien massenhaft zur Auswanderung in die USA. Die Zeitungen berichten von neu eroberten Kolonien. Die europäischen Nationen wetteifern wie in einer Olympiade um die schnellste und ergiebigste Unterjochung und Versklavung militärisch unterlegener Völker in allen Erdteilen und der wirtschaftlichen Ausbeutung ihrer Länder.

Industrielle Fortschritte und bahnbrechende Erfindungen helfen dabei, das imperialistische Zeitalter, das der Katastrophe des Ersten Weltkriegs vorangeht, anzuheizen. Der mittelalterliche Absolutismus, unter dem die herrschende Klasse bedenkenlos den Nachbarn überfällt, ausraubt und ermordet, erlebt im Imperialismus an der Schwelle zum 20. Jahrhundert seine Modernisierung: Staatsverbrechen der Monarchisten werden nun global begangen.

Kein militärisch schwaches Volk auf dieser Erde ist vor den Besitz ergreifenden Großmächten Europas sicher. Die Deutschen sind zunächst vollauf damit beschäftigt, das 1871 von Bismarck geschaffene Zweite Deutsche Reich zu bejubeln. Spät beteiligt sich auch der Deutsche Kaiser am Wettlauf um die besten Ausbeutungsplätze und lässt, unter anderem, afrikanische Länder versklaven, während in Deutschland, so auch in Kevelaer, Afrika-Vereine gegründet werden, die das schreckliche Schicksal der „armen Neger“ beklagen, das ihnen gottlose Sklavenhändler aus Arabien zufügen.

Anfang Februar 1883 werden in Kevelaer die Arbeiten für den Bau des Turms der heutigen > Basilika vergeben. Die hiesigen Handwerker hören mit Verbitterung die Nachricht, dass „gefährliche Concurrenten, wenigstens für die größeren und kostspieligen Arbeiten, vorhanden“ sind. Besondere Angst hat man vor einem auswärtigen, mitbietenden Unternehmer, der bereits Turmbauerfahrung hat und „im Besitz der theueren Maschinerieen und Gerätschaften ist, die zum Aufziehen sämmtlicher Materialien erforderlich sind“. Die Maurerarbeiten gehen tatsächlich nach auswärts, aber an Einheimische werden Schreiner-, Schlosser- und Schmiedearbeiten vergeben, außerdem die Lieferung der Ziegelsteine, des Kalks und Zements.

Während der Turmbau wächst, wird am 26. Juli - unter starker Beteiligung der Einwohner - das neue > Marienhospital eingeweiht. Die Rohbauarbeiten am Turm der Marienkirche werden bald abgeschlossen. Am 11. September wird auf der Spitze eine Fahne gehisst. Für Wallfahrtsrektor > Joseph van Ackeren, dessen 25-jähriges Ortsjubiläum bevorsteht, sind beide Ereignisse Meilensteine seines Wirkens.

Zur selben Zeit beginnen die Deutschen in Südwestafrika, Kamerun, Togo, Ostafrika, Neuguinea, auf dem Bismarck-Archipel und den Marschallinseln mit bewaffnetem Landraub, um die dortigen Völker und deren Schätze auszuplündern.

In Kervenheim wird im Januar 1884 ein „Suppenverein für arme Schulkinder“ gegründet, und im Februar kehrt Bischof Johann Bernhard Brinkmann aus seinem niederländischen Exil, in das er vor den Repressalien des Kulturkampfes geflohen ist, in die Bistumsstadt Münster zurück. Mit dem eingeleiteten Ende des Kulturkampfes blühen kirchliches Leben und Wallfahrt in bis her nicht gekanntem Ausmaß auf. 1885 wird dem Kevelaerer Rektor das Privileg verliehen, jährlich vier Mal den Päpstlichen Segen zu erteilen. Für das Läuten der neuen Glocken im ebenfalls neuen Turm der Marienkirche an Sonn- und Festtagen stellt Pastor van Ackeren im Mai Hilfskräfte ein.

Am 26. Januar 1885 kommt es, initiiert durch Bürgermeister > Gerhard Leeuw, den Nachfolger des verstorbenen > Wilhelm Brügelmann, zur Gründung einer Freiwilligen Feuerwehr in Kevelaer. Damit wird die Konsequenz aus der Brandkatastrophe von 1881 gezogen. Am 5. Juli 1886 wird in Winnekendonk für die St.-Urbanus-Pfarrkirche der Grundstein gesetzt. In Kevelaer kommt die Diskussion um die Ausschmückung der heutigen Basilika in Gang. Seit der Einweihung am 3. Juli 1864 ist der Innenraum der Marienkirche lediglich weiß-grau verputzt. Joseph van Ackeren nimmt 1887 mit dem Berliner Maler > Friedrich Stummel Kontakt auf. Im selben Jahr gründet > Ernst Otterbeck in Mülheim eine Schuhfabrik. In der Rheinstraße 73 richtet Fritz Iding 1888 eine Zinngießerei für sakrale Kunstgegenstände ein. Es ist das Jahr, in dem in Kevelaer 5.272 Menschen leben.

Kaiser und Papst sind die Leitfiguren der Katholiken in Deutschland im ausgehenden 19. Jahrhundert. Die Bürger übertragen Respekt und Verehrung auf die regionalen und lokalen Repräsentanten, auf Bischof und Pastor, auf Bürgermeister und Polizisten. Obrigkeitsstaatliche Autorität durchwirkt den Alltag und sogar eine so nebensächliche Geschichte wie jene, die sich am 25. Januar 1888 in Kevelaer ereignet:

Die hiesige Polizei verhaftet drei hartnäckige Bettler. In der Zelle krakeelen sie und zünden ihr Bettzeug an. Herbei eilende Polizeibeamte überwältigen und fesseln die Randalierer. Aber dann geschieht etwas, was es nicht geben darf: „Noch auf dem Bürgermeisteramte überfiel der Eine, ein zwar kleiner, aber eisenstarker Mensch, den Gendarmen und warf ihn zu Boden“, berichtet das Kävels Bläche.

In der nächsten Ausgabe wird das Bild vom Beamten, den ein Inhaftierter zu Boden geworfen habe, korrigiert: „In der vor. Nr. unseres Blattes hatten wir mitgetheilt, daß es einem der verhafteten Strolche auf dem Bürgermeister-Amte gelang, im Ringen mit dem Gendarmen diesen zu Boden zu werfen. Diese Notiz bedarf in so weit der Berichtigung, daß nicht der Vagabund den Gendarmen niederwarf, sondern dieser auf ein Knie sank, weil ihm beim Ringen der Säbel unter die Füße kam, und er nun, zumal der Fußboden frisch geglättet war, auf einen Augenblick das Gleichgewicht verlor.“

Kaiser Wilhelm I.Am 9. März 1888 stirbt Kaiser Wilhelm I. (90). Auch Kevelaer richtet eine Trauerfeier aus. Behörden, Kriegervereine, Schulen schicken Abordnungen zum Gottesdienst am 22. März in der Marienkirche. Pastor van Ackeren würdigt den verstorbenen Kaiser. Dann werden in den Schulen weitere Trauerfeiern abgehalten.

Kaiser Wilhelm I.

Am 10. Juni 1888 wird der Kevelaerer Jagdhüter A. Honselaers in der „Grünen Stiege“ tot aufgefunden. Er ist angeschossen und anschließend erschlagen worden - vermutlich von einem Wilddieb, der nie gefasst werden wird. An der Bahnstraße eröffnet am 11. Juni 1888 die Familie Grevers-Sürgers ihr erweitertes Hotel „Zur Brücke“. Vier Tage später stirbt, nach nur wenigen Wochen auf dem Thron, Kaiser Friedrich III. (56) - an Kehlkopfkrebs. Nun wird Wilhelm II. (29) König von Preußen und Deutscher Kaiser.

Mit dieser Majestät („Ich führe Euch in herrliche Zeiten“) wird Deutschland in den Ersten Weltkrieg ziehen.

Aus: Martin Willing, 2000 Jahre Kevelaerer Heimat, KB-Beilage 1999/2000

> NÄCHSTES KAPITEL


Teil 1:
> Von 0 bis 1300 | Wir Gallier | Wie alles anfing
Teil 2:
> Von 1300 bis 1350 | Grundstück verkauft | Erste Zeugnisse für Kevelaer
Teil 3:
> Von 1300 bis 1500 | Hauen und Stechen | Die Grafen und Herzöge des Gelderlands
Teil 4:
> Von 1550 bis 1635 | Freiheitskampf | Die Zeit bis zum Kroaten-Massaker
Teil 5:
> Von 1635 bis 1642 | Mord und Totschlag | Das Chaos vor Entstehung der Wallfahrt
Teil 6:
> Von 1643 bis 1714 | Wir Preußen | Als König Wilhelm kam
Teil 7:
> Von 1715 bis 1805 | Wir Franzosen | Geist der Aufklärung
Teil 8:
> Von 1800 bis 1830 | Napoleons Ende | Die Rückkehr der Preußen
Teil 9:
> Von 1830 bis 1850 | Deutsche Revolution | Neues Selbstbewußtsein der Katholiken
Teil 10:
> Von 1850 bis 1875 | Abschied vom Mittelalter | Auflösung des Kirchenstaats
Teil 11:
> Von 1875 bis 1878 | Kulturkampf | ... und sein Ende 
Teil 12:
> 1879 | Zeitung | Gründung des Kävels Bläche
Teil 13:
> 1880 bis 1881 | Vom Brand bis Wochenmarkt | Zwei Jahre mit großen Veränderungen
Teil 14:
> 1880 bis 1890 | Kaiser Wilhelm | Aufbruchzeiten
Teil 15:
> 1890 bis 1900 | Aufschwung | Kevelaers Wirtschaft boomt
Teil 16:
> 1900 bis 1919 | Das Ende von Preussens Gloria | Kevelaer und der Erste Weltkrieg
Teil 17:
> 1920 bis 1930 | Hilfe aus der Not | Kevelaer am Vorabend des Zweiten Weltkriegs  

© Martin Willing 2012, 2013