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2000 Jahre Kevelaerer Heimat

Teil 12: 1879
Zeitung | Gründung des Kävels Bläche

Logo Kevelaerer HeimatDas „Geldern’sche Wochenblatt“ aus dem Druckhaus Schaffrath, bereits seit 1828 herausgegeben, ist auf dem Höhepunkt des Kulturkampfs die einzige Stimme der Zentrumsanhänger und Katholiken im Kreis Geldern. Die Informationsbedürfnisse der Kevelaerer kann es nicht befriedigen. Zudem brauchen das aufstrebende Handwerk und die größeren Fabrikationen in der Marienstadt eine ortsnahe Akzidenzdruckerei, in der Geschäftspapiere gut und schnell hergestellt werden. Das Haus Bercker, 1879 in erster Linie eine Buchbinderei, kann und will diesen heimischen Markt für individuelle Drucksachen in vergleichsweise geringer Einzelauflage nicht abdecken.

Der Markt ist reif, als Elisabeth und Joseph Ingmanns Anfang 1879 in Kevelaer eine Druckerei einrichten.

Von Anfang an muss die Idee Pate gestanden haben, der neuen Druckerei einen periodischen Großauftrag zu verschaffen - durch die Herausgabe einer eigenen Zeitung. Beispiele dafür gibt es genug: In weniger als zehn Jahren ist die Zahl katholischer Zeitungen in der Rheinprovinz von ehedem 30 auf 65 gestiegen, die Anzahl der Abonnenten von 70.000 auf 170.000. Die in der Kulturkampf-Not zusammenhaltenden Katholiken verändern die Presselandschaft, indem sie sich ihre eigenen Sprachrohre schaffen.

KB-Titel
Kevelaerer Volksblatt - so sah der Titel unmittelbar nach der Zeitungsgründung aus.

Welche Rolle der Kevelaerer Wallfahrtsrektor, Pastor > Joseph van Ackeren, bei der Gründung des Kävels Bläche im Mai 1879 spielt, ist im Dunklen geblieben. Der enge Schulterschluss der katholischen Bevölkerung mit der Geistlichkeit lässt vermuten, dass van Ackeren in der Gründungsphase beratend und fördernd zur Seite steht, worauf auch der kämpferische Untertitel „Für Thron und Altar“ hindeutet.

Das „Kevelaer’er Volksblatt“ - so schreibt sich der KB-Gründungstitel - erscheint zum ersten Mal am 10. Mai 1879. Herausgeberin ist Elisabeth Ingmanns, während ihr Mann, von Hause aus Handwerker, für die Druckerei zuständig ist. Dass er, wie > Peter Andreas Köster, der Druckerei, Verlag und Zeitung 1881 von Ingmanns kauft, auch als „Redacteur“ fungiert, entspricht allgemeiner Übung im lokalen Zeitungswesen des vorigen Jahrhunderts. Eigener, kreativer Journalismus ist in der Lokalpresse unbekannt. Die Redaktion ist auf Zuträger angewiesen und druckt, von kleineren, selbst geschriebenen Meldungen abgesehen, zugelieferte Texte ab. Liegen keine Lokalnachrichten vor, erscheinen unter der Rubrik „Rheinland und Westfalen“ mit Ortsmarke „Kevelaer“ Hinweise auf das Wetter, polizeiliche Anordnungen oder andere eher allgemeine Nachrichten ohne lokalen Bezug.

Unter „Vermischtes“ wird auch gerne mal ein Witz veröffentlicht:

Baronin: Zeigen Sie mir Ihren feinsten Thermometer.
Optiker: Hier, bitte, das schönste venitianische Glas, das beste Quecksilber.
Baronin: Quecksilber? Silber? Haben Sie denn nicht welche von Queckgold?

Das Kävels Bläche erscheint mittwochs und samstags mit je vier Seiten, wovon schon im Gründungsjahr eine Seite gefüllt ist mit Anzeigen. Die Auftraggeber sind meistens Kevelaerer Handwerker und Geschäftsleute. Aber es finden sich auch zahlreich sogenannte „durchlaufende“ Inserate, die identisch in zahlreichen Zeitungen erscheinen. Dieser Verbund von Lokalblättern sichert die Existenz solcher Lokalzeitungen und ihre Attraktivität für die Leser: Nachrichten aus aller Welt werden zentral erarbeitet, aber dezentral in vielen angeschlossenen Lokalzeitungen verbreitet. So lesen die rund 500 Abonnenten des KB im Gründungsjahr 1879 auf den ersten Seiten alles Wichtige aus der Welt von Papst, Kaiser und Kanzler.

Die Gewichtung der Themen beweist Ausgabe für Ausgabe: Das KB ist eine Kampfzeitung gegen den Bismarck’schen Kulturkampf und für ein Wertesystem, das Kaiser und Papst repräsentieren.

Was das Ehepaar Ingmanns veranlasst, schon nach zwei Jahren ihre Druckerei, den Verlag für Wallfahrtstaschenbücher und die Zeitung „Kevelaerer Volksblatt“ zu verkaufen, ist nicht überliefert. Im Kävels Bläche Nr. 47 vom 11. Juni 1881 erscheint auf der letzten Seite diese kleine Anzeige:

Sagen allen Freunden u.
Bekannten, namentlich aber
den Lesern des „Kevelaerer
Volksblattes“ bei unserer
Uebersiedelung nach Elberfeld
ein herzliches Lebewohl.

Kevelaer, 11. Juni 1881.
Jos. Ingmanns u. Frau.

Der aus Kleve stammende Buchdrucker Peter Andreas Köster führt Haus und Projekte nahtlos weiter, und für die Kevelaerer Leser und Kunden bleibt alles beim Alten. Mit der Ausgabe vom 18. Juni 1881 legt Köster die erste von ihm verantwortete KB-Ausgabe vor. Er ändert weder die inhaltliche Ausrichtung, noch das Layout der Zeitung, das bis zur Jahrhundertwende ohne jede Auffrischung auskommt. Nach wie vor gilt, was Elisabeth Ingmanns als Herausgeberin in der ersten Ausgabe versichert hat:

Das Kevelaerer Volksblatt wird frei von allen Nebenansichten eine entschiedene katholische, gemäßigte Tendenz führen, und wir werden unserem Programm getreu den geschätzten Lesern eine den heutigen Zeitverhältnissen anpassende auf dem Boden des Rechtes und der Wahrheit ruhende Politik in gedrängter, aber durchaus populärer Sprache bringen; es wird ferner unsere heilige Pflicht sein, gegen die Lüge und den Unglauben mit scharfen, gediegenen Aufsätzen zu Felde zu ziehen und für das gute Recht, Moralität und Sitten mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln einzustehen.

Aus: Martin Willing, 2000 Jahre Kevelaerer Heimat, KB-Beilage 1999/2000

> NÄCHSTES KAPITEL


Teil 1:
> Von 0 bis 1300 | Wir Gallier | Wie alles anfing
Teil 2:
> Von 1300 bis 1350 | Grundstück verkauft | Erste Zeugnisse für Kevelaer
Teil 3:
> Von 1300 bis 1500 | Hauen und Stechen | Die Grafen und Herzöge des Gelderlands
Teil 4:
> Von 1550 bis 1635 | Freiheitskampf | Die Zeit bis zum Kroaten-Massaker
Teil 5:
> Von 1635 bis 1642 | Mord und Totschlag | Das Chaos vor Entstehung der Wallfahrt
Teil 6:
> Von 1643 bis 1714 | Wir Preußen | Als König Wilhelm kam
Teil 7:
> Von 1715 bis 1805 | Wir Franzosen | Geist der Aufklärung
Teil 8:
> Von 1800 bis 1830 | Napoleons Ende | Die Rückkehr der Preußen
Teil 9:
> Von 1830 bis 1850 | Deutsche Revolution | Neues Selbstbewußtsein der Katholiken
Teil 10:
> Von 1850 bis 1875 | Abschied vom Mittelalter | Auflösung des Kirchenstaats
Teil 11:
> Von 1875 bis 1878 | Kulturkampf | ... und sein Ende 
Teil 12:
> 1879 | Zeitung | Gründung des Kävels Bläche
Teil 13:
> 1880 bis 1881 | Vom Brand bis Wochenmarkt | Zwei Jahre mit großen Veränderungen
Teil 14:
> 1880 bis 1890 | Kaiser Wilhelm | Aufbruchzeiten
Teil 15:
> 1890 bis 1900 | Aufschwung | Kevelaers Wirtschaft boomt
Teil 16:
> 1900 bis 1919 | Das Ende von Preussens Gloria | Kevelaer und der Erste Weltkrieg
Teil 17:
> 1920 bis 1930 | Hilfe aus der Not | Kevelaer am Vorabend des Zweiten Weltkriegs  

© Martin Willing 2012, 2013