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2000 Jahre Kevelaerer Heimat

Teil 8: Von 1800 bis 1830
Napoleons Ende | Die Rückkehr der Preußen

Logo Kevelaerer HeimatDas konfiszierte > Priesterhaus in Kevelaer wird 1806 von der französischen Immobilienverwaltung zum Verkauf angeboten. Der Aachener Bischof kann den Verlust in letzter Minute verhindern und erreicht, dass das Priesterhaus ab 1. Juni 1807 der Kirchengemeinde zurückgegeben wird. 1809 zählt Kevelaer bereits wieder 140.000 Pilger. Ab 1811 dürfen alle traditionellen Wallfahrten wieder ziehen.

Napoleons Stern sinkt. In der Völkerschlacht bei Leipzig (16. - 19. Oktober 1813) wird er vernichtend geschlagen. In Köln erblickt, zwei Monate später, Adolph Kolping das Licht der Welt. Der Wiener Kongress (1814/15) verteilt Europa neu, und das Rheinland mitsamt dem Raum Geldern kommt am 5. April 1815 wieder zu Preußen. Der Jubel der weitgehend katholischen Bevölkerung hält sich in Grenzen, denn von den protestantischen Preußen erwartet sie keine durchgreifende Verbesserung.

Vorbehalte in Kevelaer bauen sich schnell ab, denn die Wallfahrt erlebt in der Folgezeit ihre bisher eindrucksvollste Blüte. Die Oratorianer, von Napoleon aus dem Land getrieben, kehren nicht zurück. An ihre Stelle treten Weltpriester.

Im neu gebildeten Landkreis Geldern (1816) wird Kevelaer auch politisch aufgewertet, indem es zu einer Amtsbürgermeisterei für mehrere Ortschaften gemacht wird, darunter Kevelaer, Kleinkevelaer, Twisteden, Wetten, Keylaer und Vorst.

In den Jahren 1816 und 1817 bricht in Kevelaer wegen Missernten Hungersnot aus. Als Folge einer ökologischen Katastrophe - ein Vulkanausbruch in Indonesien verändert, so nimmt man an, das globale Klima, was zu pausenlosem Regen in unserer Region führt - stehen die Felder unter Wasser. Der Flusslauf der Niers ist nicht mehr zu erkennen. Fehler beim Wasserstauen durch Niersmüller führen zu weiteren Überschwemmungen. Getreide wird knapp und teuer, aus dem ganzen Land fallen Bettler in den Wallfahrtsort ein. Die Behörden versuchen, gegen die „Bettlerplage“ vorzugehen.

Unterdessen treten die Befürchtungen ein, die mit der erneuten Machtübernahme der Preußen in Kevelaer gehegt worden sind. Am 1. August 1816 verfügt die Provinzregierung, dass „übernachtende Wallfahrer“ vom Ortspfarrer oder einem anderen beauftragten Geistlichen geführt werden müssen, und zwar aus „sittlich-religiösen“ und polizeilichen Gründen. Um das Seelenheil der Pilger ist Preußen freilich weniger besorgt; es soll dem katholisch-kultischen „Mummenschanz“ an den Kragen gehen. Sämtliche Pilger sind in Listen zu erfassen, der Pilger-„Anführer“ muss einen besonderen Pass mitführen.

Im Mai 1817 legen die Behörden nach: Nun müssen die Pilger vor Antritt der Wallfahrt daraufhin überprüft werden, ob sie tatsächlich „gewissenhaft“, „ehrlich“ und „sittlich“ eine fromme Reise vorhaben oder ob sie nur „blau machen“ und ihre Berufs- und Arbeitspflichten vernachlässigen wollen. Und sie werden überprüft: Der Bürgermeister von Kevelaer meldet dem Landrat von Geldern, dass im Jahr 1818 von 174 kontrollierten Prozessionen 90 keinen Pass und keine Teilnehmerliste mitgeführt haben. Die Wallfahrtsbehinderungen schlagen durch: 1820 pilgern nur 90.000 Wallfahrer nach Kevelaer, 30.000 weniger als ein Jahr zuvor.

Im Jahr 1821 verabschiedet sich Kevelaer endgültig von seiner Jahrhunderte alten Zugehörigkeit zu Roermond und den Niederländern. Der Wallfahrtsort wird - nach dem Zwischenspiel im „französischen“ Bistum Aachen - dem Bistum Münster zugeteilt. Gleichzeitig ordnet der preußische Staat an, dass in den Kreisen Geldern, Kleve und Moers endlich die hochdeutsche Sprache einzuführen ist. In Kirche und Schule spricht jeder niederländisch. Der Bischof von Münster unterstützt diese Anordnung, indem er seine Geistlichen anweist, in ihren Predigten sich des Hochdeutschen zu bedienen. Das ist leichter „gesagt“ als getan: Mancher Priester beherrscht - außer Latein - nur die niederländische Sprache. Eine detaillierte Befragung ergibt, dass 70 Prozent der Geistlichen über halbwegs ausreichende Sprachkenntnisse verfügen, 30 Prozent sprechen nur Niederländisch. Der Bischof und der Düsseldorfer Regierungspräsident einigen sich auf eine Übergangszeit von acht Jahren.

Aber es rührt sich auch offener Widerstand: Der Straelener Pfarrer Anno Adam Adolph Tilmans verlangt 1827 von seinen Kaplänen und Lehrern, „sich weiterhin nur des Niederländischen zu bedienen“ - und handelt sich einen Besuch von Bischof Droste ein, der ihn wegen seines „konspirativen Wirkens“ ermahnt.

In Geldern gibt Schaffrath ab 1828 das „Geldern´sche Wochenblatt“ heraus, das zur ersten „Kulturkampf“-Zeitung im Kreis Geldern werden wird. Es ist das Jahr, in dem > Wilhelm Polders I. in Kapellen geboren wird, der spätere Gründer der Goldschmiede Polders in Kevelaer.

Aus: Martin Willing, 2000 Jahre Kevelaerer Heimat, KB-Beilage 1999/2000

> NÄCHSTES KAPITEL


Teil 1:
> Von 0 bis 1300 | Wir Gallier | Wie alles anfing
Teil 2:
>
Von 1300 bis 1350 | Grundstück verkauft | Erste Zeugnisse für Kevelaer
Teil 3:
> Von 1300 bis 1500 | Hauen und Stechen | Die Grafen und Herzöge des Gelderlands
Teil 4:
> Von 1550 bis 1635 | Freiheitskampf | Die Zeit bis zum Kroaten-Massaker
Teil 5:
> Von 1635 bis 1642 | Mord und Totschlag | Das Chaos vor Entstehung der Wallfahrt
Teil 6:
> Von 1643 bis 1714 | Wir Preußen | Als König Wilhelm kam
Teil 7:
> Von 1715 bis 1805 | Wir Franzosen | Geist der Aufklärung
Teil 8:
> Von 1800 bis 1830 | Napoleons Ende | Die Rückkehr der Preußen
Teil 9:
> Von 1830 bis 1850 | Deutsche Revolution | Neues Selbstbewußtsein der Katholiken
Teil 10:
> Von 1850 bis 1875 | Abschied vom Mittelalter | Auflösung des Kirchenstaats
Teil 11:
> Von 1875 bis 1878 | Kulturkampf | ... und sein Ende 
Teil 12:
> 1879 | Zeitung | Gründung des Kävels Bläche
Teil 13:
> 1880 bis 1881 | Vom Brand bis Wochenmarkt | Zwei Jahre mit großen Veränderungen
Teil 14:
> 1880 bis 1890 | Kaiser Wilhelm | Aufbruchzeiten
Teil 15:
> 1890 bis 1900 | Aufschwung | Kevelaers Wirtschaft boomt
Teil 16:
> 1900 bis 1919 | Das Ende von Preussens Gloria | Kevelaer und der Erste Weltkrieg
Teil 17:
> 1920 bis 1930 | Hilfe aus der Not | Kevelaer am Vorabend des Zweiten Weltkriegs  

© Martin Willing 2012, 2013