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2000 Jahre Kevelaerer Heimat

Teil 5: Von 1635 bis 1642
Mord und Totschlag | Das Chaos vor Entstehung der Wallfahrt

Logo Kevelaerer HeimatDie Besitzer der geldrischen Städte und Dörfer wechseln in den nächsten fünf Jahren so häufig wie bei einem Kriegs-Monopoly. Ende 1637 ist das ganze Oberquartier Geldern für ein paar Monate „feindfrei“, da steht - im August 1638 - Prinz Friedrich Heinrich von Oranien mit seinen Truppen schon wieder vor Geldern. Zusammen mit verbündeten Armeen belagern nun 4.000 Reiter und 17.000 Fußsoldaten die Garnisonsstadt.

Erneut eilt Kardinal Ferdinand, der Bruder von König Philipp IV., mit seinen Soldaten den in Geldern eingeschlossenen Spaniern zu Hilfe. Er beordert auch Truppen des deutschen Kaisers herbei, die von General Lamboy befehligt werden. Geldern, so die Losung, darf nicht in die Hände der protestantischen Generalstaaten fallen.

Die Belagerer werden vertrieben - und sind ein Jahr später wieder da: Diesmal mit 36 Kompanien Reiterei und 20.000 Mann Fußvolk. Und wieder endet die Belagerung erfolglos.

Im Mai 1641 wird Schloss Wissen von hessischen Gruppen besetzt. Im Juni taucht General Lamboy mit seinen kaiserlichen Soldaten in unserer Gegend wieder auf. Etliche seiner katholischen Armeeangehörigen haben ein Wallfahrtsbildchen im Gepäck, das ihnen der General geschenkt hat - vermutlich jenen kleinen Kupferstich, der ein Jahr zuvor in einem Antwerpener Atelier zum Gründungsjubiläum des Jesuiten-Ordens und zur Erweiterung der Kapelle in Luxemburg hergestellt worden ist. Er zeigt die Luxemburger Schutzmantelmadonna.

In der Garnisonsstadt Geldern geht es zu wie im Taubenschlag. Tausende von Soldaten werden auf ihren Märschen von einem Schlachtfeld zum nächsten vorübergehend hier untergebracht, die meisten in Privatquartieren. Kleine Kaufleute ziehen einen bescheidenen Handel mit den Soldaten auf. Einer dieser Krämerläden gehört > Mechel Schrouse, der Frau von Hendrik Busmann.

Mitten durch diesen gefährlichen, militärischen „Ameisenhaufen“ im Großraum Geldern geht Busmann als Hausierer auf die Walz. Sein Verkaufsgebiet reicht bis etwa Weeze. Immer wenn er durch Kevelaer kommt, hält er an einem Hagelkreuz an und betet. Hier hört er um Weihnachten 1641 zum ersten Mal die Stimme, dass er der Gottesmutter an dieser Stelle eine kleine Kapelle bauen soll.

Es ist Krieg. Anfang Januar 1642 rücken mit den Generalstaaten kooperierende Armeen aus Frankreich, Weimar und Kurhessen zum Rhein und gegen die kaiserlichen Truppen vor. Die Verbündeten erobern Uerdingen, Linn und andere Orte und machen sich plündernd über den unteren Niederrhein her. Der kaiserliche General Lamboy, der für Spanien kämpft, überschreitet mit 9.000 Mann die Maas und bezieht zwischen Krefeld und St. Tönis feste Stellung.

Gnadenbild KevelaerAm 17. Januar beginnt die Entscheidungsschlacht, in der die Kaiserlichen unterliegen. Lamboy stirbt am Tag darauf, 3.000 seiner Männer verbluten, 4.000 werden gefangen genommen. Unter den Gefangenen befindet sich ein Leutnant, dem zwei Kameraden - von wem beauftragt, weiß man nicht - zwei Wallfahrtsbildchen mit der Luxemburger Madonna überbringen sollen.

Das Gnadenbild von Kevelaer.

Ob sie sich dazu außer Stande sehen, weil sich der Empfänger in Kriegsgefangenschaft befindet, oder ob sie die Bilder ohnehin unterschlagen und zu Geld machen wollen - jedenfalls bieten sie der Krämersfrau Mechel Schrouse in der Garnison Geldern die Bildchen zum Kauf an. Mechel lehnt ab, weil sie ihr zu teuer sind. Die Soldaten müssen dem gefangenen Leutnant die Bilder dann doch noch überbracht haben, denn eines wird Mechel kurz nach Pfingsten von ihm nach dessen Freilassung erwerben.

Aber es ist erst Januar. Die weimarisch-hessischen Truppen ziehen nach der Schlacht von Linn weiter, erobern einen Ort nach dem anderen und verüben sexistische Gräueltaten: Frauen werden in Gegenwart ihrer Männer vergewaltigt, in Schornsteine, unter denen Feuer brennt, hinaufgezogen, mit den Haaren an die Schweife von Pferden gebunden und zu Tode geschleift - so ist es für den Raum Viersen verbürgt.

Zu Pfingsten erlebt Mechel Schrouse in ihrer Gelderner Behausung in der Nacht eine Lichterscheinung, in der sie ein Heiligenhäuschen und in ihm eines der Marienbildchen mit der Luxemburger Madonna sieht, die ihr von den Soldaten angeboten worden sind. Jetzt ist Ehepaar Hendrik Busmann und Mechel Schrouse endgültig davon überzeugt, dass die Stimme, die Hendrik dreimal gehört hat, und die Vision von Mechel Zeichen des Himmels sind. Mechel findet in der Garnison den inzwischen frei gelassenen Leutnant, erwirbt eines der Bildchen; Busmann organisiert mit dem Pastor von Kevelaer den Bau des Heiligenhäuschens. Und am 1. Juni 1642 wird das Gnadenbild eingesetzt.

Zehn Tage später fallen die Hessen in Lobberich ein und plündern die Kirche. Auch die Klöster zu Rumeln, bei Uerdingen und zu Marienbaum werden ausgeraubt. In der Nähe von Geldern kommt es zu mehreren Scharmützeln zwischen den verbündeten Armeen der Generalstaaten und den Spaniern. Am 17. Juni werden die Generalstaatler durch das Heer des Prinzen Friedrich Heinrich von Oranien, der drei Monate in Budberg zwischen Rheinberg und Orsoy kampiert hat, verstärkt. Dieser großen Streitmacht der Niederländer fühlen sich weder die Kaiserlichen, noch die Spanier gewachsen. Sie liegen sich abwartend gegenüber.

Am 23. Juni ziehen die Hessen von Kempen aus plündernd durch die Gegend. Am 1. Juli werden Reiter und Fußsoldaten der Spanier auf einem Marsch nach Venlo angegriffen. Generalstaatler schlagen drei Wochen später spanische Reiter zwischen Aldekerk und Nieukerk in die Flucht.

Am 8. September 1642, mitten in diesem militärischen Chaos, wird der Junge Peter, ein Sohn von Rynier van Volbroeck und seiner Frau Margarete aus der Gegend um Hassum, vor dem Gnadenbild in Kevelaer auf wunderbare Weise geheilt. Fünf Jahre ist der Junge lahm und verkrüppelt gewesen. Es ist die erste von acht Heilungen, die die Synode zu Venlo als Wunder kirchlich anerkennen wird.

Ende September 1642 setzt sich die weimarisch-hessische Armee - sie kämpft für die Generalstaaten - in den Dörfern zwischen Rheinberg und Wesel fest und brennt Borth und Menzelen nieder. Anfang Oktober fällt sie ins Gelderland ein. In Nieukerk werden um die 30 Häuser gebrandschatzt, in Aldekerk, wo 170 Häuser stehen, werden mehr als zehn angezündet, was eine Katastrophe auslöst: Das Feuer vernichtet den ganzen Ort. Der Feind bezieht zwischen Aldekerk und Nieukerk ein befestigtes Lager und zieht von hier aus brennend und mordend durch die Vogtei. 40 Höfe gehen in Flammen auf, Frauen werden geschändet und misshandelt, andere Einwohner ermordet oder gefangen genommen, um Lösegeld abzupressen.

Die Spanier stehen links der Maas und müssen wegen ihrer militärischen Unterlegenheit tatenlos zuschauen, wie das Gelderland zwischen Maas und Rhein von den Verbündeten der Niederländer verwüstet wird. Aber sie sind keinen Deut besser:

Von Roermond aus rauben die spanischen Soldaten ihr eigenes Land aus, und kaum dass sie sich zurückgezogen haben, stoßen ihre verbündeten kaiserlichen Truppen nach und plündern den Rest.

In Geldern und Umgegend herrscht schiere Anarchie.

Aus: Martin Willing, 2000 Jahre Kevelaerer Heimat, KB-Beilage 1999/2000

> NÄCHSTES KAPITEL


Teil 1:
> Von 0 bis 1300 | Wir Gallier | Wie alles anfing
Teil 2:
> Von 1300 bis 1350 | Grundstück verkauft | Erste Zeugnisse für Kevelaer
Teil 3:
> Von 1300 bis 1500 | Hauen und Stechen | Die Grafen und Herzöge des Gelderlands
Teil 4:
> Von 1550 bis 1635 | Freiheitskampf | Die Zeit bis zum Kroaten-Massaker
Teil 5:
> Von 1635 bis 1642 | Mord und Totschlag | Das Chaos vor Entstehung der Wallfahrt
Teil 6:
> Von 1643 bis 1714 | Wir Preußen | Als König Wilhelm kam
Teil 7:
> Von 1715 bis 1805 | Wir Franzosen | Geist der Aufklärung
Teil 8:
> Von 1800 bis 1830 | Napoleons Ende | Die Rückkehr der Preußen
Teil 9:
> Von 1830 bis 1850 | Deutsche Revolution | Neues Selbstbewußtsein der Katholiken
Teil 10:
> Von 1850 bis 1875 | Abschied vom Mittelalter | Auflösung des Kirchenstaats
Teil 11:
> Von 1875 bis 1878 | Kulturkampf | ... und sein Ende 
Teil 12:
> 1879 | Zeitung | Gründung des Kävels Bläche
Teil 13:
> 1880 bis 1881 | Vom Brand bis Wochenmarkt | Zwei Jahre mit großen Veränderungen
Teil 14:
> 1880 bis 1890 | Kaiser Wilhelm | Aufbruchzeiten
Teil 15:
> 1890 bis 1900 | Aufschwung | Kevelaers Wirtschaft boomt
Teil 16:
> 1900 bis 1919 | Das Ende von Preussens Gloria | Kevelaer und der Erste Weltkrieg
Teil 17:
> 1920 bis 1930 | Hilfe aus der Not | Kevelaer am Vorabend des Zweiten Weltkriegs   

© Martin Willing 2012, 2013