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    SACHBEGRIFFE |
Busmann, Hendrik

Stifter der Kevelaer-Wallfahrt | * 1607 | † 1649

Die Untersuchungskommission hakt nicht nach. Oder Busmann weiß es nicht besser. Er sagt nur: „Gegen Weihnachten“ sei es gewesen, als er zum erstenmal diese geheimnisvolle Stimme gehört habe. Immerhin, fast fünf Jahre sind seitdem ins Land gezogen. Und notiert hat er nichts, dieser kleine Gelderner Kaufmann, von dem die kirchliche Obrigkeit des Bistums Roermond in der Synodalversammlung zu Venlo am 12. Februar 1647 wissen will, was sich zugetragen hat. Busmann kann nicht lesen und nicht schreiben.

Foto zeigt Skulptur von Hendrik BusmannDie Weihnachtswoche beginnt am Sonntag, 22. Dezember 1641. Der gottesfürchtige Mann ist wohl kaum am geheiligten Sonntag von seiner Verkaufstour über Weeze und Kevelaer nach Geldern zurückgewandert. 

Hendrik Busmann.

Er ist zu Fuß, und die Wege sind schlecht und obendrein gefährlich: Es herrscht Krieg am Niederrhein. Am Montag oder Dienstag kann es gewesen sein, am Mittwoch mit Sicherheit nicht, denn das ist der Weihnachts-Feiertag. 

Foto zeigt Skulptur von Mechel SchrouseBusmann ist auf der Rückreise. Wenn mit der Aussage „gegen Weihnachten“ die unmittelbare Zeit vor oder nach dem Fest gemeint ist, dann ist Busmann - These Nr. 1 - am Montag, 23.12., losgezogen. 

Mechel Schrouse, seine Frau.

Ein Fußmarsch von Geldern aus über Weeze hinaus und wieder zurück und zwischendurch Verkaufsverhandlungen - das ist wohl kaum an einem Tag zu schaffen. Folglich ist Busmann am Dienstag, 24.12., zurückgewandert. Er will rechtzeitig zu Weihnachten wieder zu Hause sein. Wenn das stimmt, hat er am 24.12., den wir „Heiligabend“ nennen, am Rastplatz in Kevelaer, als er am Hagelkreuz betet, die Stimme gehört.

These Nr. 2: Busmann zieht erst in der zweiten Hälfte der Weihnachtswoche los. Donnerstag, 26.12., ist normaler Werktag; einen 2. Weihnachtstag kennt man nicht. Busmann vernimmt die Stimme dann auf der Rückreise am Freitag oder Samstag. 
„Ihr sollt hier ein Heiligenhäuschen machen“, sagt die Stimme. „Ihr sollt mir ein Heiligenhäuschen machen“, wie Übersetzer der beeidigten Original-Aussage Busmanns formulieren. Die daran anknüpfende, akademische Frage, ob die Stimme unmittelbar oder mittelbar der Gottesmutter zuzuordnen ist, hat für die Kevelaer-Wallfahrt und ihre Entwicklung bis heute nie eine Rolle gespielt. Sie ist nicht elementar wichtig.
Busmann, zum Zeitpunkt seines ersten Stimmenerlebnisses 34 Jahre alt, verheiratet mit Mechel Schrouse (44), wohnt in Geldern. Beide Eheleute sind berufstätig - er als über Land ziehender Hausierer, sie als Inhaberin eines kleinen Krämerladens in Geldern, etwa dort, wo heute das Arbeitsamt steht. Die meisten Kunden des Ladens sind Soldaten. 

Busmann ist ständig auf Achse. Nur wenige Tage nach seiner „Weihnachts-Tour“, bei der er die Stimme zum ersten Mal hört, zieht er erneut los. Wiederum hört er den Satz. Jetzt gibt er seine Skepsis auf und bittet seine Frau, aus dem Gewinn, den der Laden abwirft, täglich etwas Geld zurückzulegen, um den Bau eines Heiligenhäuschens finanzieren zu können. Als er Mitte Januar 1642 auf einer weiteren Tour das Stimmenerlebnis zum dritten Mal hat, verfliegt der Rest von Zweifel: Die Eheleute Busmann, die zum Leben kaum genug Geld haben, tragen gemeinsam die Entscheidung, sich für das Heiligenhäuschen in Kevelaer Geld vom Munde abzusparen.

Vier, fünf Monate lang passiert nichts. Etwa vier Wochen vor Pfingsten 1642 hat Mechel Schrouse nachts in ihrer Gelderner Wohnung diese Lichterscheinung: Sie sieht das von ihrem Mann zu bauende Heiligenhäuschen in strahlendem Licht und in dem Häuschen ein Bild, das ihr unlängst untergekommen ist. Zwei Soldaten haben ihren Laden betreten und ihr Abbildungen der Madonna von Luxemburg zum Kauf angeboten. Zwei haben sie dabei gehabt. Mechel ist das zu teuer gewesen, sie hat die Soldaten ziehen lassen.

Busmann glaubt seiner Frau die Geschichte mit der Lichterscheinung nicht, bis ihn zwei Nachbarn fragen, was denn bei ihm los gewesen sei; man habe mitten in der Nacht Licht im Hause Busmann gesehen. Niemand käme auf die Idee, zur Schlafenszeit völlig unnütz teures Licht anzuzünden. Da bittet Busmann seine Frau, die Soldaten zu suchen und eines der beiden Bildchen zu kaufen. Und Mechel forscht nach und erfährt, dass ein gefangener Leutnant inzwischen beide Bilder besitzt. Sie muss warten, bis der Soldat entlassen wird. Unterdessen hat sich Busmann mit dem Pastor von Kevelaer, Schink, über den Bau des Heiligenhäuschens verständigt. Schink beschafft über seine Beziehungen Baumaterial. Die Arbeiten laufen an. Ob Mechel Schrouse an das Bild herankommt, weiß sie zu diesem Zeitpunkt nicht. Acht Tage vor Pfingsten 1642 ist das kleine Heiligenhäuschen, dort wo heute die Gnadenkapelle steht, fertig.

Mechel Schrouse hört, dass der Leutnant entlassen worden ist. Er hält sich - vermutlich - in Geldern auf, und sie geht zu ihm. Er lehnt den Kaufwunsch vehement ab und will sich nicht für Geld und gute Worte von den Bildern trennen. Er wundert sich über den Eifer, mit dem die Frau auf ihn einredet, und erfährt nun den Grund. Da lässt er sie eines der beiden Bildchen auswählen - sie sind gleich - und gibt es ihr.

Ihr Mann Hendrik geht zu einem Maler, lässt ein passendes Brettchen zurechtschneiden und anmalen und das Bildchen darauf kleben.

Es ist jetzt Ende Mai 1642. Die Nonnen des Karmel-Klosters in Geldern hören von der Geschichte und können den Maler dazu überreden, das Brettchen mit dem Bild ins Kloster zu bringen, wo es die ganze Nacht mit Andacht bewahrt wird. Busmann weiß davon nichts. Als der Maler am nächsten Tag das Bild zurückhaben will, sträuben sich die Schwestern, wollen das Bild nicht mehr herausgeben und bieten als Ersatz ein anderes an. Der Maler sieht Ärger auf sich zukommen und gesteht Busmann, dass er das Bild den Nonnen leihweise überlassen und nicht wiederbekommen hat.

Aufgebracht marschiert Busmann zum Kloster und fordert mit Nachdruck die Herausgabe seines Eigentums. Mittlerweile stehen Leute vor dem Kloster, die von der Geschichte gehört haben. Drinnen muss der Kaufmann mit Engelszungen auf die Schwestern einreden, bis er endlich, nach vielen vergeblichen Anläufen, das Bild ausgehändigt bekommt. 

Busmanns Rückkehr nach Hause gerät zu einer Prozession. Ein regelrechter Volksauflauf entsteht; wundergläubige Menschen opfern spontan Geld und Wachslicht. Busmann weiß sich nicht anders zu helfen, als das Bild wenig später heimlich wieder ins Kloster zu bringen - diesmal allerdings nicht zu den Karmelitessen, mit denen er bereits Erfahrung gemacht hat, sondern zu den Kapuzinern.

Es ist Mittwoch, 28. Mai 1642. Drei Tage bleibt das Bild in der Klosterkirche, und die Leute strömen zu dem Bild und liefern Opfergaben ab - sehr zum Missfallen der Patres, die Busmann am Freitag, 30. Mai, förmlich befehlen müssen, dass die Ikone dorthin zu bringen ist, wo sie hingehört: Nach Kevelaer. Sie, die Kapuzinerpatres, wollen das Bildchen in einer Prozession nach Kevelaer tragen.

Es kommt anders. 

Am Tag darauf, am Samstag, 31. Mai, taucht der Kevelaerer Pastor Schink in der Gelderner Klosterkirche auf und nimmt das Marienbild an sich. Niemand bemerkt etwas von der Nacht- und Nebelaktion. „Aus bestimmten Gründen“ ist das so geschehen, wird fünf Jahre später in Venlo zu Protokoll genommen. Was das heißt, wird nicht aufgelöst. Die Gründe bleiben im Nebel. Vielleicht hat es sich auch anders zugetragen, und dafür gibt es Indizien. 

Die hochkarätig besetzte Synodalversammlung, die Kevelaers kirchliche Anerkennung als Wallfahrtsort vor über 350 Jahren ausgesprochen hat, schreibt im Protokoll fest, dass die Einsetzung des Gnadenbildes am 1. Juni 1642 geschehen ist, einen Tag nach Schinks abenteuerlichem Besuch im Kapuzinerkloster Geldern.

Ein Augenzeuge berichtet etwas ganz anderes. Der Gelderner Ratsherr Richardt, der der Einsetzung beigewohnt hat, schreibt, dass das Bild „ungefähr vier bis fünf Wochen“ in Geldern geblieben sei. Er habe die Prozession von der Gelderner Kapuzinerkirche nach Kevelaer (wenn sie denn stattgefunden hat) selbst begleitet. Und dann sei das Bildchen in das Heiligenhäuschen eingesetzt worden. 

Das heißt, folgt man Richardt: Der Einsetzungstag ist nicht, wie bis heute als gültig bezeichnet, der 1. Juni 1642, sondern ein Tag Anfang Juli. Dass Richardt Recht haben könnte, dafür spricht, dass die Oratorianer das 100-jährige Jubiläum der Kevelaer-Wallfahrt keineswegs Anfang Juni, sondern Anfang Juli 1742 feiern. Und auch 50 Jahre später, zum 150. Jubiläum, fällt die Feier auf Anfang Juli, also stets einen Monat nach dem Juni-Termin, den das beeidigte Protokoll von Venlo nennt. Auch spätere Schreiber berufen sich auf Richardt, wenn sie von einer „feierlichen Prozession von Geldern nach Kevelaer“ sprechen. 

Falls die Richardt-Aussage stimmt, haben die Kapuziner das Bild wochenlang behalten - mit Zustimmung Busmanns oder gegen seinen Willen. Der Widerspruch in den Quellen ist bis heute nicht aufgelöst. 

Die Synode tritt am Dienstag, 12. Februar 1647, viereinhalb Jahre nach den Ereignissen, im Kloster In der Weyden zu Venlo zu einer zweitägigen Untersuchung zusammen. Was Hendrik Busmann vor den Theologen und Medizinern der Synode erzählt, wird vom Sekretär J. van Aken protokolliert. Busmann sagt zu den Umständen der Bildübertragung nach Kevelaer nicht falsch aus und schwört keinen Meineid, denn der zum Prüfkonsortium gehörende Dechant von Geldern, Nieukerks Pastor H. Vos, und vor allem Gelderns Pastor A. Meygaert wissen genau, wie und wann die Bildübertragung stattgefunden hat. Eine Falschaussage Busmanns zu diesem Punkt könnten sie leicht widerlegen, zumal Meygaert, der auch Prior der Karmeliten ist, intimer Kenner der Vorgänge ist. Im übrigen erwarten Busmann nach eingehender Belehrung und eigenem Glaubensverständnis Höllenqualen, falls er vor der Kirchenbehörde nicht die Wahrheit sagt.

Der nebulöse Hinweis im Protokoll („Aus bestimmten Gründen“) entspricht sicher nicht dem, was Busmann wörtlich dazu gesagt hat, denn die Synodalversammlung, die die Vorgänge bis ins Kleinste erforscht, hätte sich mit einem so vagen Hinweis nicht abspeisen lassen. Die Formulierung ist, folgt man unserer These, eine bewusst abgestimmte Umschreibung für etwas, das nicht näher im offiziellen Protokoll festgehalten werden soll; das könnte sich auf die Umstände beziehen, unter denen das Bild nach Kevelaer gelangt ist.

Die Rolle Gelderns an der Entstehung der inzwischen aufgeblühten Kevelaer-Wallfahrt (wir schreiben das Jahr 1647) geringer erscheinen zu lassen, ist keine plausible Erklärung. Warum sollte das so sein? Wer hätte einen Vorteil davon? Möglicherweise verhält sich der Klerus in Geldern 1642 zunächst so merkwürdig, dass die Synodalversammlung das im offiziellen Protokoll nicht für alle Zeiten festschreiben will. 

Die Kirche ist dem Stifter der Wallfahrt dankbar. Am Donnerstag, 28. März 1647, keinen Monat nach Busmanns Aussage in Venlo, vergibt die Pfarre Kevelaer Land in Erbpacht, das ihr testamentarisch vermacht worden ist. Der Pächter überlässt mit Zustimmung der Kirche Hendrik Busmann ein Grundstück nahe dem Heiligenhäuschen, etwa Hauptstr. Nr. 9, wo für Busmann ein Haus errichtet wird und wo der kleine Kaufmann noch zwei Jahre bis zu seinem frühen Tod lebt. Wann seine Witwe Mechel, die nach Busmanns Tod in Rechnungen der St.-Antonius-Schützengilde Kevelaer als Wachszinspflichtige geführt wird, gestorben ist, wissen wir nicht.

Die Person Mechels bleibt in den Schriftdokumenten blass und zweitrangig. Während Busmanns Audition hierzulande bald jedem Kind geläufig ist („Hier sollst du mir ein Kapellchen bauen“), steht die Vision seiner Frau im Schatten des Stimmenmirakels. Mechels Lichterscheinung hat in Wirklichkeit eine gleich starke Bedeutung für den Kevelaer-Ursprung, denn sie ist Aufklärung und Bestätigung für die Busmann’sche Audition. Und sie entspricht, wenn auf göttliches Einwirken bei diesem Geschehen erkannt wird, einer mittelbaren Marienerscheinung in bildlicher Darstellung. 

Mechel hat, vom Approbationsurteil von Venlo mitanerkannt, 1642 eine Lichterscheinung, bei der die Muttergottes nicht als lebende, sprechende Maria, jedoch in dem Bild der „Trösterin der Betrübten“ von Luxemburg auftritt. Nicht Hendrik Busmanns Audition, sondern Mechel Schrouses Vision schenkt Kevelaer das Gnadenbild - dieses Gnadenbild ist für viele Millionen Pilger, die die Marienstadt seit 1642 aufgesucht haben, mindestens gleich starker Bezugspunkt wie der Gnadenort mit seiner Kapelle. Doch die zeitbedingte Unterordnung der Frau unter den Mann in den Spanischen Niederlanden, zu denen Kevelaer in jener Zeit gehörte, sorgte wohl dafür, dass Mechel Schrouses Vision im Hintergrund blieb.

> Busmann-Skulptur Geschenk der Werbegemeinschaft Busmannstraße

Quellenhinweis: Kevelaerer Persönlichkeiten 2

© Martin Willing 2012, 2013