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    SACHBEGRIFFE |
2000 Jahre Kevelaerer Heimat

Teil 15: 1890 bis 1900
Aufschwung | Kevelaers Wirtschaft boomt

Kaiser Wilhelm II.Logo Kevelaerer HeimatKaiser Wilhelm II. ist 31 Jahre alt, als er Reichskanzler Otto von Bismarck, inzwischen 75 geworden, im Jahr 1890 entlässt. General Leo von Caprivi (59) wird deutscher Reichskanzler. In Kevelaer wird im selben Jahr - am 4. Juli - von Peter Soestmann und weiteren Sportbegeisterten ein Turnverein gegründet.

Kaiser Wilhelm II.

Am 8. August erhält die Gnadenkapelle einen besonders auffallenden Schmuck: An einem ersten Fenster wird ein vergoldetes Gitter mit reicher Filigran-Verzierung angebracht. Schmied Leo aus Kevelaer hat es gefertigt, die zeichnerische Vorlage stammt von > Friedrich Stummel. Die Gnadenkapelle wird von Grund auf restauriert: In zwei Jahren steht die Feier des 250-jährigen Bestehens der Kevelaer-Wallfahrt an.

1891 trennen sich > Butzon und Bercker: Butzon übernimmt das Krefelder, Bercker das Kevelaerer Buchbindergeschäft. Bercker ändert den Firmennamen „Butzon & Bercker“ nicht. Die Klarissen erhalten im Sommer 1891 die Genehmigung, in Kevelaer ein Kloster zu errichten, für das im November das Fundament gesetzt wird.

1892 eröffnet die St.-Antonius-Pfarrgemeinde Kevelaer ihre Rektoratsschule, zunächst für die Klassen Sexta bis Quarta. Im selben Jahr gründet Gerhard Tebartz eine Bauunternehmung.

Kevelaer ist im Jubiläumsjahr 1892 mit inzwischen 400.000 Gästen die nach Lourdes am meisten besuchte Marien-Gnadenstätte der katholischen Welt, heißt es in einem bischöflichen Hirtenbrief. Zum Jubiläum wird das Bildchen der Trösterin der Betrübten in die Reihe der international hervorgehobenen Gnadenbilder aufgenommen, indem es durch Bischof Hermann Dingelstad mit einer goldenen, edelsteinbesetzten und vom Kapitel St. Peter in Rom verliehenen Krone geschmückt wird. Die Krönung wird am Einsetzungstag, am 1. Juni 1892, vorgenommen.

Schon wenige Monate später bricht der gewaltige Pilgerstrom ab: Von Hamburg aus hat sich eine Pest-Epidemie ausgebreitet. Am 3. September 1892 werden alle auswärtigen, am 11. September sämtliche Wallfahrten verboten. Im Oktober bricht auch noch die Cholera aus. Im April 1893 tritt die erste Postulantin ins neue Kloster der Klarissenschwestern ein. 1894 wird Chlodwig Fürst zu Hohenlohe (75) deutscher Reichskanzler. Im selben Jahr lässt sich Gerhard Kaenders als Herrenkleidermacher in der Küstereistraße [Busmannstraße] nieder. Im April nimmt in Kevelaer eine Handwerkerfortbildungsschule ihren Unterricht auf. Schon im Juni wird sie von rund 100 Schülern besucht.

Am 15. Mai 1896 tritt > Karl Heinrich Janssen seinen Dienst als Bürgermeister des Amtes Kervenheim in Winnekendonk an. Im November 1896 wird in Kevelaer der „Verein christlicher Mütter“ ins Leben gerufen. 1897 gründen musikbegeisterte Wettener den Musikverein „Eintracht“. Im selben Jahr werden in Kevelaer zum ersten Mal die Straßen elektrisch beleuchtet. Am 16. November 1897 gibt der neue Kevelaerer Männergesangverein sein erstes Konzert. Ein Jahr später gründet sich in der Marienstadt der Sängerbund. Auch er stellt sich - November 1888 - mit einem ersten Konzert der Öffentlichkeit vor.

Zur deutschen Monarchie im ausgehenden 19. Jahrhundert zählt, dass alles Soldatische überhöht wird. Anfang 1899 wird ein Vorfall lang und breit in der Kevelaerer Öffentlichkeit diskutiert, der sich im Gasthof „Zum goldenen Apfel“ am Kaisergeburtstag [27.1.1899] ereignet hat. Wie üblich sitzen die Honoratioren und die Creme der Kevelaerer Gesellschaft beim Festessen zusammen, bei dem Bürgermeister Gerhard Leeuw überschwenglich in Hochs und Toasts auf den Kaiser ausbricht.

Mindestens einem der Anwesenden, einem jüngeren Reserveoffizier, passt es nicht, dass der Behördenleiter im Vordergrund steht. Der Kritiker kündigt an, er werde sich darum bemühen, dass nächstes Jahr die kaiserliche Soldatenuniform das Bild der Kevelaerer Kaiserfeier beherrsche. Dem Bürgermeister werde das Vorrecht abgesprochen, das Präsidium der Kaisergeburtstagsfeier auf dem Ehrenplatz zu bilden.

Der Vorstoß löst eher Irritationen als Begeisterung aus, und der Reserveoffizier beeilt sich zu erklären, er habe den Bürgermeister nicht von seinem Ehrenplatz verdrängen wolle, obwohl es - und das fügt er dann doch hinzu - in seiner Heimat Sitte sei, dass die Offiziere bei der Kaisergeburtstagsfeier die ersten Plätze einnehmen. Seinem Anliegen werde ausreichend Genüge getan, wenn künftig in Kevelaer die Offiziere nicht irgendwo im Saal, sondern neben dem Herrn Bürgermeister sitzen könnten.

Das bürgerliche Kevelaer hat andere Sorgen und alle Hände voll zu tun, den Ansturm auf den Wallfahrtsort zu bewältigen. „Von dem Umfange des hiesigen Pilgerverkehrs vermögen sich wohl die meisten der Sache Fernstehenden kaum ein rechtes Bild zu machen“, schreibt das Kävels Bläche im Juli 1899:

„Einen Schluß auf die ungeheure Zahl der während der Pilgerzeit nach hier kommenden Fremden mag man daraus ziehen, daß allein in der Zeit von 28. Juni bis 3. Juli hier 23 Sonderzüge mit etwa 15.000 angemeldeten Pilgern eintrafen. Auf Sonntag entfallen hiervon 11 Züge mit rund 8000 Personen aus dem Ruhrgebiete und angrenzenden Districten; über 1000 Pilger treffen am Montag aus Holland ein. Rechnet man hierzu nun noch die erhebliche Zahl der mit den fahrplanmäßigen Zügen und der in Prozessionen auf dem Landwege eintreffenden, so dürfte die Gesammtzahl der in dem kurzen Zeitraume von noch nicht einmal einer Woche hier zu kurzem Aufenthalte weilenden Fremden mit 30.000 bis 36.000 nicht zu hoch veranschlagt sein. Für die ganze Dauer des sich auf die Sommermonate beschränkenden Pilgerverkehrs ergibt dies einen Besuch von 600.000 bis 700.000 Personen in dem bescheidenen Landstädchen von noch nicht 8.000 Seelen. Es dürfen nicht viele Großstädte einen ähnlichen Fremdenverkehr aufzuweisen haben.“

Seit Samstag, 24. Juli 1899, veröffentlicht das Kävels Bläche jede Woche den aktuellen Kevelaerer Pilgerplan.

Neben den Branchen, die mit der Versorgung der Pilger direkt zu tun haben, hat die Schuhindustrie in Kevelaer große wirtschaftliche und soziale Bedeutung. Allein in Kevelaer arbeiten kurz vor der Jahrhundertwende 233 selbstständige Schuhmachermeister. Sie und ihre Kollegen in Uedem, Kervenheim, Wetten und Kleve beschäftigen in ihren Werkstätten jeweils bis zu 60 Gesellen. Von der Schuhindustrie hängt also der Lebensunterhalt einiger tausend Menschen ab.

Diesem Wirtschaftszweig geht es zur Zeit schlecht, wie auf einer Versammlung von 120 Schuhfabrikanten am 8. November 1899 im Saal des Kevelaerer Gastwirts Jos. Martens deutlich wird. Einer der Wortführer ist > Theodor Bergmann, Kevelaers Heimatdichter, der als Fabrikant die Lage methodisch analysiert:

Steckt die Schuhindustrie in Schwierigkeiten? Wenn ja, wie kann ihr geholfen werden?

Bergmann führt aus, die Lederpreise seien im Laufe der vergangenen Jahre mehr und mehr gestiegen; in gleichem Maße seien die Arbeitslöhne nach und nach „um ein Bedeutendes erhöht worden“. Aber kein Fabrikant habe höhere Preise für seine Fabrikate erzielen können - im Gegenteil: Die Preise seien fallend. Das müsse gestoppt werden. Die Schuhindustrie müsse höhere Verkaufspreise verlangen und durchsetzen.

An der lebhaften Diskussion beteiligen sich beispielsweise die Fabrikanten Carl Cain (Geldern), Joh. Cleve (Kevelaer), Gerh. Hünnekes (Kevelaer), A. Peters (Goch), Severin Aengenheyster (Kevelaer), Joh. Micheel (Kervenheim) und Jos. Micheel (Kevelaer). Bei nur einer Gegenstimme wird folgende Entschließung verabschiedet:

Kevelaer, den 8. November 1899.

Infolge der erhöhten Lederpreise, Bedarfsartikel zur Schuhwaarenfabrikation und täglich steigenden Arbeitslöhne sehen sich die heute in Kevelaer als Centrale der niederrheinischen Schuhwaarenfabrikanten versammelten 125 Schuhfabrikanten gezwungen, von heute an eine Preiserhöhung sämmtlicher Fabrikate von mindestes 5 bis 10 % eintreten zu lassen.

Die vereinigten Schuhfabrikanten des Niederrhein.

Gleichzeitig mit dieser Preiserhöhung wird in Kevelaer die Gründung eines Verbandes für die niederrheinischen Schuhfabrikanten beschlossen. Zehn Mitglieder werden beauftragt, die Verbandsgründung vorzubereiten.

Aus: Martin Willing, 2000 Jahre Kevelaerer Heimat, KB-Beilage 1999/2000

> NÄCHSTES KAPITEL


Teil 1:
> Von 0 bis 1300 | Wir Gallier | Wie alles anfing
Teil 2:
>
Von 1300 bis 1350 | Grundstück verkauft | Erste Zeugnisse für Kevelaer
Teil 3:
> Von 1300 bis 1500 | Hauen und Stechen | Die Grafen und Herzöge des Gelderlands
Teil 4:
> Von 1550 bis 1635 | Freiheitskampf | Die Zeit bis zum Kroaten-Massaker
Teil 5:
> Von 1635 bis 1642 | Mord und Totschlag | Das Chaos vor Entstehung der Wallfahrt
Teil 6:
> Von 1643 bis 1714 | Wir Preußen | Als König Wilhelm kam
Teil 7:
> Von 1715 bis 1805 | Wir Franzosen | Geist der Aufklärung
Teil 8:
> Von 1800 bis 1830 | Napoleons Ende | Die Rückkehr der Preußen
Teil 9:
> Von 1830 bis 1850 | Deutsche Revolution | Neues Selbstbewußtsein der Katholiken
Teil 10:
> Von 1850 bis 1875 | Abschied vom Mittelalter | Auflösung des Kirchenstaats
Teil 11:
> Von 1875 bis 1878 | Kulturkampf | ... und sein Ende 
Teil 12:
> 1879 | Zeitung | Gründung des Kävels Bläche
Teil 13:
> 1880 bis 1881 | Vom Brand bis Wochenmarkt | Zwei Jahre mit großen Veränderungen
Teil 14:
> 1880 bis 1890 | Kaiser Wilhelm | Aufbruchzeiten
Teil 15:
> 1890 bis 1900 | Aufschwung | Kevelaers Wirtschaft boomt
Teil 16:
> 1900 bis 1919 | Das Ende von Preussens Gloria | Kevelaer und der Erste Weltkrieg
Teil 17:
> 1920 bis 1930 | Hilfe aus der Not | Kevelaer am Vorabend des Zweiten Weltkriegs 

© Martin Willing 2012, 2013