Janssen, Karl Heinrich
►
Bürgermeister
im Amt Kervenheim |
* 1870 |
† 1946
Karl
Heinrich Janssen wurde 1870 in eine Zeit hineingeboren, da die
selbständigen Gemeinden Kervenheim, Kervendonk und Winnekendonk mit
insgesamt 3.200 Seelen ein Amt bildeten - das Amt Kervenheim mit der
„Hauptstadt“ Winnekendonk. In Krefeld wuchs Janssen als ältestes von
sechs Kindern auf, studierte nach dem Abitur in Münster
„Nationalökonomie“ - Volkswirtschaft - und lernte ab dem Jahr 1892 das
Verwaltungshandwerk in verschiedenen Bürgermeisterämtern von der Pieke
auf.
Im März 1896 wurde Karl Heinrich Janssen zum Bürgermeister des Amtes
Kervenheim ernannt. Er war damit, was die Bürgermeister von heute erst
mit Abschaffung der Doppelspitze sind: Chef von Rat und Verwaltung in
Personalunion. Gut ein Jahr später - im April 1897 - wurde Janssen auf
Lebenszeit angestellt. Bald darauf heiratete er - 1900 - und wurde Vater
von acht Kindern.
Der ökonomisch vorgebildete Verwaltungschef war mit den Amtsaufgaben
eher unterfordert. 1910 nahm er seine Studien an der Universtität
Münster wieder auf und schloß eine volkswirtschaftliche Seminarreihe mit
der Arbeit „Die Entwicklung der Landwirtschaft innerhalb der rheinischen
Bürgermeisterei Kervenheim“ ab.
Im August 1914 wurde Janssen am dritten Kriegstag als 44-Jähriger zum
Heeresdienst einberufen. Er wurde als Hauptmann im Kriegskleidungsamt
Münster mit der Arbeit betraut, Aufträge des Militärs - hauptsächlich
Schuhwerk - an das Handwerk zu vergeben und die Produktion zu
organisieren. Janssen faßte Schuhheimarbeiter in einem Gebiet von der
Größe des heutigen Landes Nordrhein-Westfalen zu Verbänden zusammen, 36
insgesamt, darunter solche in Kevelaer, Winnekendonk, Kervenheim und
Geldern. Der durchstrukturierte Schuhheimarbeiterverband produzierte bis
Kriegsende rund 240.000 Paar Schnürschuhe und Kavalleriestiefel.
Noch vor Ende des Ersten Weltkrieges - im Mai 1917 - kehrte Karl
Heinrich Janssen in sein Amt Kervenheim zurück, wo er hohes Ansehen
genoß und im Juni 1921 aus Anlaß seines 25-jährigen
Bürgermeisterjubiläums von der Amtsvertretung besonders geehrt wurde.
Während unter Janssen der Raum Winnekendonk/Kervenheim aufblühte und das
wirtschaftlich sehr bedeutende Schuhhandwerk die Früchte von Janssens
Organisationsleistungen genoß, brach die NS-Zeit herein. Bei der
zwangsweisen Entfernung der Mitglieder des Zentrums aus der
Amtsvertretung erwies sich Janssen als Hindernis. Als der Winnekendonker
NSDAP-Stützpunktleiter den Bürgermeister schriftlich aufforderte,
Ratsherr Franz Fehlemann nicht mehr einzuladen, weil dieser zurücktreten
müsse, widersetzte er sich. Janssen erklärte gegenüber dem Parteimann,
Fehlemann sei nichts vorzuwerfen, und er werde weiterhin zu den
Sitzungen eingeladen.
Krampfhaft wurde 1933 nach Gründen gesucht, um den jetzt 63-Jährigen,
den dienstältesten Landbürgermeister der Rheinprovinz und durch
zahlreiche Veröffentlichungen ausgewiesenen Wirtschaftswissenschaftler,
aus dem Amt entfernen zu können. Am 4. August 1933 wurde eine Kommission
nach Winnekendonk geschickt, die die Verhältnisse des Amtes Kervenheim
und der Gemeinden Kervenheim, Kervendonk und Winnekendonk zu untersuchen
hatte. Zu den Prüfern zählte auch Winnekendonks NSDAP-Ortsgruppenleiter
Jakob Reims. Janssen verstand die Welt nicht mehr, als ihm NSDAP-Leute
zwölf an den Haaren herbeigezogene „Beanstandungen“ vorhielten und ihn
schließlich Ende 1933 zwangspensionierten.
Karl Heinrich Janssen versuchte drei Wochen nach dem
Zwangspensionierungs-beschluss, mit einer 37-seitigen Schrift die Vorwürfe
zu entkräften.
►
„Bei meiner allzeit gewissenhaften, nationalen, sozialen u. kulturellen
Lebensauffassung, meinem Berufsethos u. meinem nie versagenden Fleiß u.
der anspruchslosen Lebenshaltung, fühle ich mich in der Seele tief
verletzt, daß meine Lebensarbeit im Dienste der Bürgermeisterei u. der
Wirtschaftskultur in der Zeit der nationalen Wiedergeburt unter unserem
Führer, Reichs- u. Volkskanzler Adolf Hitler nicht anerkannt wird, u.
ich als kinderreicher Familienvater, bei meiner z.Zt. schwersten
Belastung mit Erziehungskosten, in eine solch traurige Lebenslage
versetzt worden bin.“
Er hatte nicht erkannt, dass den Nazis genau das ein Dorn im Auge
gewesen war, was Janssen für sich reklamierte: Preußische Korrektheit im
Amt und Gerechtigkeit gegenüber jedermann. Seine Bekanntschaft mit einem
führenden katholischen Sozialpolitiker mag ein weiterer Grund dafür
gewesen sein, daß Janssen den neuen Machthabern suspekt war.
Verbittert zog sich Janssen, der die Dienstwohnung in Winnekendonk
räumen und mit einer reduzierten Pension auskommen mußte, nach
Düsseldorf zurück, wo er jahrelang an der Geschichte des Amtes
Kervenheim schrieb; die Unterlagen gingen 1943 bei einem Bombenangriff
verloren. Nach dem Krieg kehrte er als 75-Jähriger nach Winnekendonk
zurück, wo er 1946, nach Siechtum, starb.
In einer Feierstunde wurde die Ehrentafel für Bürgermeister Karl
Heinrich Janssen enthüllt. Das Bild zeigt v.r.:
Wilhelm Wehren sen.,
einst Amtsbürgermeister des Amts Kervenheim, Pfarrer
Heinrich Kopowski,
Landrat Gerd Jacobs, Stadtdirektor
Heinz Paal, Vizebürgermeister Leni
Stammen.
50
Jahre später, am 3. Oktober 1996, dem Tag der
Deutschen Einheit, wurde
zu Ehren von Amtsbürgermeister Karl Heinrich Janssen im alten Rathaus zu
Winnekendonk eine Feier abgehalten. Für Janssen wurde auf Anregung der
Geselligen Vereine eine Gedenktafel angebracht. „Möge nun diese
schlichte Ehrentafel und die Erinnerung an den früheren
Amtsbürgermeister dazu beitragen, uns vor bösartigen Auswüchsen in
Politik und Gesellschaft zu bewahren“, sagte Ortsvorsteher
Hansgerd
Kronenberg.
Enthüllung der Ehrentafel, rechts: Heimatforscher
Franz-Josef
Drißen.
In seiner Festrede führte
Willi Dicks
aus: „Was sich damals, 1933,
hier in diesem kleinen Ort mit der durch nichts gerechtfertigten
Entlassung eines ehrenwerten Mannes aus Amt und Würden abspielte, war
nur der Anfang von tausend Rechtsbrüchen, der Anfang vom Ende eines
zivilisierten Staatswesens. Zerstörung, Untergang und millionenfacher
Tod folgten.“