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Drißen, Franz-Josef
Heimatforscher aus Winnekendonk | * 1941 | † 2004

Franz-Josef Drißen
Als der Winnekendonker Heimatforscher seinen 62. Geburtstag feierte, porträtierte ihn Delia Evers nach einem langen Gespräch. Franz-Josef Drißen war bereits von seiner schweren Krankheit gezeichnet.

Franz-Josef Drißen. Foto: Delia Evers

Es ist Donnerstag, der 14. August im Kriegsjahr 1941. Wenige Kilometer von Kevelaer entfernt bringt Lisbeth Drißen ihren Sohn Franz Josef zur Welt. Der Krieg bestimmt seine ersten Jahre. Mutter Lisbeth ist Deutsche, Vater Peter Holländer und nicht zur Wehrmacht eingezogen.

„Wir hatten kein leichtes Leben.“ Der Vater arbeitet nach den langen Schichten in der Fabrik auf Bauernhöfen. „So haben wir keine Not gelitten. Lebensmittel waren immer da.“ Die Familie hält Kaninchen und manchmal Schweine. Die Schlachttage sind ein Fest.

Ostern 1947 sitzt der Junge zum ersten Mal auf einem Stuhl der Wember Zwergschule. Mädchen und Jungen aller Schuljahrgänge lernen in zwei Klassen. Franz Josef erweist sich als guter Schüler. In der dritten Klasse empfiehlt die Lehrerin den Eltern, ihr Kind auf die höhere Schule zu geben. „Ich war zu meiner Zeit der Erste aus Wemb“, sagte Franz Josef Drißen.

Die Eltern stehen hinter ihrem Jungen. Der Vater gibt das Rauchen auf, um die 20 Mark Schulgeld im Monat aufzubringen. Franz Josef pendelt mit dem Rad zwischen Wemb und Kevelaer: An der Bogenstraße liegt die höhere Jungenschule, zunächst ein Progymnasium, später ein Vollgymnasium. Der Junge ist glücklich, lernen zu können. Er entwickelt eine kleine Leidenschaft: Er schreibt seitenweise geschichtliche Texte ab, Heimatforscher Friedrich Nettesheim begeistert ihn; Franz Josef erlebt Geschichte. Und er erlebt Politik. Beide werden für sein Leben wichtig werden. 1961 legt Drißen die Reifeprüfung ab.

Da ist er längst durch eine andere Schule gegangen. „Meine Eltern haben mir viel gegeben. Mein Vater war geradlinig, gerecht und ehrlich. Unehrlichkeit in jeder Form konnte er nicht leiden. Und er verachtete Schmeichelei.“ Seine Mutter ist ein „Arbeitstier“. Sie hat immer etwas zu schaffen. Sie besorgt sich Heimarbeit von der Verlagsbuchhandlung Karl Jansen an der Friedenstraße 14 in Kevelaer, falzt Bogen um Bogen, trägt Bücher zusammen. Der Sohn dankt es, nimmt schon als Jugendlicher Ferienjobs an, ackert auf Bauernhöfen und macht sich auf Baustellen für Willems und Verheyen nützlich.

Als Franz Josef Drißen das Abitur in der Tasche hat, nimmt er sein Studium auf. Er denkt, dass er Lehrer werden möchte. Aber er bricht das Studium ab und bekommt im April 1962 eine Stelle als Auszubildender für den gehobenen Dienst im Finanzamt in Geldern. Drißen ist 20 Jahre jung und findet auf Anhieb seine Lebensarbeitsstelle. Er wechselt nicht mehr und darf sich bereits 1965 Steuerinspektor nennen. Mit 24 Jahren widmet sich der „junge Spunt“ der Ausbildung von Nachwuchskräften; 1970, mit 29 Jahren, wird er Geschäftsstellenleiter, vergleichbar dem Hauptamtsleiter einer Stadtverwaltung. Schnell wird er zum Amtmann befördert und arbeitet bald als Sachgebietsleiter.

„Ich habe sehr schöne Jahre gehabt“, sagte Drißen und schränkte ein, „… als ich selbst etwas bewegen und eigenverantwortlich arbeiten konnte.“ Bald kommt in ihm „der Vater durch, der gerecht war“. Drißen erlebt, dass Steuerrecht und Steuergerechtigkeit kaum verwandt sind. Ihm gehen die Fälle nahe, in denen Menschen persönlich von dieser fehlenden Verwandtschaft betroffen sind. Ihm fehlt im Steuerrecht Vaters empfundene Gerechtigkeit.

In die erste Berufszeit fällt eine wichtige Begebenheit. 1957 ist er mit seinen Eltern zur Hubertusstraße nach Kevelaer umgezogen; und immer wenn er mit dem Rad über die Hauptstraße zum Bahnhof fährt, kommt er an der Goldschmiede Polders vorbei, da arbeitet im Haushalt eine junge Frau: Maria van den Hoogen aus Kervenheim. Sie wird seine Frau.

Anderthalb Jahre wohnen sie an der Gelderner Straße; Heiligabend 1966 freuen sie sich tief über ein Geschenk: Sohn Georg kommt zur Welt. Sie möchten sich ein eigenes Heim schaffen. Franz Josef Drißen baut sein Haus in Winnekendonk in weiten Teilen selbst. Im Oktober 1968 kommt Sohn Christoph auf die Welt.

Anfang der 70er-Jahre beginnt sich die junge Familie im Dorf zu etablieren. Das ist nicht leicht. „Dorfsheriff“ Hannes Billen spricht ihn an und gewinnt ihn für das St.-Martins-Komitee.

Franz-Josef DrißenFranz-Josef Drißen und seine Frau Maria, geb. van den Hoogen, mit August Wormland und dessen Frau Maria (1981).

Auch in der CDU, in die er 1968 eingetreten ist, wird er aktiv; im Ortsvorstand arbeitet er als Schriftführer. Das einvernehmliche Leben dauert nur wenige Jahre. Drißen wendet sich der Stadtpolitik zu und zieht zur Kommunalwahl 1975 in den Stadtrat ein. Dort wird er zwei Legislaturperioden bleiben. Doch schon bald beginnt er sich zu distanzieren. „Ich spürte, dass Politiker nicht unbedingt das Bürgerwohl im Auge haben.“

Im April 1980 wendet sich Drißen einer weiteren Aufgabe zu. Er arbeitet an der Seite von Geschäftsführer August Wormland als Schriftführer der Geselligen Vereine. Er ist in seinem Element, hält Altes in Händen, sichtet, sichert und archiviert es für die Nachwelt. Er fühlt sich in seine Lehrlingszeit zurückversetzt. Da war er oft im Museum in Kevelaer. Er mochte die Kühle und den Geruch, die Magazine und Archive, durfte stöbern und fachsimpeln mit Heimatgeschichtsforscher Ludwig Freudenhammer und Museumsleiterin Mechtildis Scholten-Neess.

In seinem Heim reift eine beträchtliche Bibliothek heran. Und wie eine Bibliothek baut er sein Arbeitszimmer auf: Bücher und Ordner an den vier Wänden und Bücher auf zimmerhohen Regalen, die sich quer in den Raum bis in die Deckenschrägen schmiegen. In dieser Schatzkammer des Wissens ist er ein glücklicher Mensch. Hier lagern erarbeitete Fakten, die nicht von anderen zerredet werden.

Drißen ist aktiv wie kaum ein anderer, zeichnet 1982 verantwortlich für Herausgabe und Finanzierung des Buchs „700 Jahre Winnekendonk“, führt 1988 den Heimatabend mit neuem Konzept wieder ein und verhilft dem Dorf 1993 zur Dissertation von Angelika Schmidt „Agrargesellschaft am linken Niederrhein - dargestellt am Beispiel des Amtes Kervenheim von 1813 bis 1913“. Gemeinsam mit Ludwig Luyven hilft er wesentlich, die Sammlung Schumacher anzuschaffen und zu finanzieren und das Schumacher-Stübchen originalgetreu zu rekonstruieren; 1996 initiiert und organisiert er eine Gedenktafel für Bürgermeister Karl Heinrich Janssen.

Franz-Josef DrißenImmer wieder verfasst Franz-Josef Drißen Festschriften, Vereinschroniken und Lichtbildervorträge. Alle zeichnen sich durch sehr hohe fachliche Qualität aus.

Franz-Josef Drißen mit Hansgerd Kronenberg (l.) und Urban Schumacher (r., 1982).

Was er in die Hand nimmt, gelingt. Längst hat er auch die Aufgaben von August Wormland übernommen. 1999 - das Dorf feiert die 50. Gemeinsame Kirmes der Geselligen Vereine - soll Franz Josef Drißen geehrt werden. Er hat seine Arbeit so gut gemacht, dass er Festkettenträger werden „muss“.

Er bleibt Geschäftsführer bis Dezember 2001. Da ist er längst sterbenskrank. Im Januar 2001 wird er mit Blaulicht ins Marienhospital gefahren. Der Verdacht: Herzinfarkt. Die Diagnose trifft ihn später „wie der Blitz aus heiterem Himmel“. Er hat Krebs. Der Tumor nistet in seiner Bauchspeicheldrüse. Ende Mai 2002 wollen die Chirurgen die Messer anlegen. Drißen denkt an seinen Tod. „Wenn Gott jetzt sagt: Deine Zeit ist abgelaufen, dann ist das so.“

Die Operation dauert neun Stunden. Ein halbes Jahr später, im November 2002, bekommt er die bittere Diagnose: Der Tumor wächst erneut und kann nicht operiert werden. Die Zeit der Chemotherapien beginnt.

Franz Josef Drißen hat viel für das Dorf getan, viel mehr als die meisten an der Spitze; er hat wenig innigen Dank erfahren. Viele kamen mit seiner Art nicht zurecht. Drißen sprühte nicht vor Pathos, war kein Ja-Sager und Mitläufer. Auf Eiferer wirkte er nüchtern und kühl; er machte lieber und tat. Seine Meinung sagte er direkt. Das empfanden Mitstreiter als unsensibel. Sie erkannten in Offenheit und Widerspruch nicht die Chance, eine Sache zur Reife zu tragen.

Drißen war ein fundierter Sachwalter mit Gefühl und Gespür für den großen Entwurf und keiner jener Politiker, die sich ereifern und damit von der Sache wegbewegen. Er trennte klar zwischen Lob (das er zu selten erfuhr) und Schmeichelei, die dem Schmeichler diente. Er wies sie zurück.

So dezimierte der Winnekendonker die Menge der Menschen, die seine „Freunde“ hätten sein können, und war am Ende seiner Arbeit für ein ganzes Dorf über Jahrzehnte hinweg mit seiner Familie samt sechs Enkelkindern und einem halben Dutzend wirklicher Begleiter ziemlich allein.

Als der Katholik Franz Josef Drißen, längst vom Krebs befallen, gefragt wurde, ob er ein glaubender Mensch sei, zögerte er. Nach Sekunden kam die Antwort, leise und langsam: „Ich gehöre eher zu den Suchenden. Ich suche noch immer.“

Seine Familie schrieb in der Traueranzeige: „Gott, nach dem er immer gefragt und geforscht hat, schenke ihm die erhoffte Vollendung.“

Delia Evers