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2000 Jahre Kevelaerer Heimat

Teil 4: Von 1550 bis 1635
Freiheitskampf | Die Zeit bis zum Kroaten-Massaker

Logo Kevelaerer HeimatKaiser Karl V., der das eroberte Gelderland mit seinen Niederlanden vereinigt, dankt im Jahr 1556 ab. Während er seinem Bruder Ferdinand I. die deutsche Kaiserkrone abtritt, überträgt er seinem Sohn Philipp II. die Krone von Spanien, Neapel und Mailand, außerdem die Freigrafschaft Burgund und die Niederlande.

Philipp II. - er lebt am Hof zu Madrid - lässt von Brüssel aus seine „Spanischen Niederlande“ regieren, zu denen zunächst die vier Quartiere des bisher selbstständigen Herzogtums Geldern gehören, darunter das Oberquartier Geldern mit Roermond als weltlichem und geistigem Zentrum. An der Nord-Ost-Grenze des Oberquartiers liegt das Dörfchen Kevelaer.

Philipp II.Martin Luthers 95 Thesen, die der Reformator 1517 an seine Bischöfe schickt, erschüttern oder begeistern das Kirchenvolk. Die Reformation, die spät auch am Niederrhein Fuß fasst, spaltet kirchliche und weltliche Fürstentümer. Der erbitterte Kampf Philipps gegen die Calvinisten trennt die Niederlande in zwei Teile.

König Philipp II.

Philipps Generalstatthalterin und Halbschwester Margaretha von Parma, die die Spanischen Niederlande regiert, will die Bevölkerung ruhig stellen, indem sie den Einfluss der Inquisition leicht beschränkt.

Gleichwohl erheben sich die Geusen („Bettler“) gegen die spanische Beherrschung und formieren sich 1565 in Brüssel zum Kampf gegen Inquisition, spanische Krone und katholische Macht.

Der Bildersturm vom 15. August 1566, bei dem in den Niederlanden Kirchen und Einrichtungen zerstört werden (darunter die Kirche zu Veert), ist für König Philipp II. das Signal, mit massiver Waffengewalt für Spanien und die katholische Kirche zu retten, was zu retten ist. Er lässt 1567 seinen neuen Generalbevollmächtigten Alba in die Niederlande mit dem Auftrag einmarschieren, den Aufstand niederzuschlagen, den Protestantismus auszurotten und die entwichenen Glaubensflüchtlinge, viele retten sich ins Herzogtum Kleve, unerbittlich zu verfolgen.

Alba übt maßlosen Staatsterror gegen die Bevölkerung und ihre Adeligen aus. Mehrere Jahre sind massenhafte Hinrichtungen an der Tagesordnung. Unter dem Schwert der Inquisition duckt sich das Volk.

Da begeht König Philipp einen folgenschweren Fehler. Er vergreift sich an dem verbrieften Eigentumsrecht seiner Untertanen und bringt sie mit völlig überzogenen, neuen Steuern in eine ausweglose Lage. Diese ebenso rechtswidrige wie politisch dilettantische Strafaktion provoziert, dass sich die Aufständischen noch einmal zu einem letzten Kraftakt aufbäumen.

Der von den drangsalierten Bürgern hoch geschätzte Prinz Wilhelm von Oranien wird die Leitfigur für die Unterdrückten. Er steht gegen König Philipp auf und ruft zu den Waffen.

Es ist das Jahr 1568, und jetzt beginnt ein achtzigjähriger Freiheitskampf der Niederländer. Elf Jahre später schließen sich die Aufständischen zur „Utrechter Union“ zusammen. Die niederländischen Nordprovinzen sagen sich 1581 in aller Form von der spanischen Herrschaft los. In ihrem Gebiet, künftig „Generalstaaten“ genannt, wird jeder katholische Kult verboten.

König Philipp, der das tradierte Staatskirchentum über unaufgeklärte Bürger hat retten wollen, bezahlt für seine Unterdrückungspolitik mit dem Verlust von zwei Dritteln der Niederlande. Die Menschen aber bezahlen 80 Jahre lang in einem der furchtbarsten Kriege der Weltgeschichte, dessen letzte Periode als „30-jähriger Krieg“ bekannt wird.

Philipp gibt den Norden der Niederlande an die Generalstaaten verloren, als Prinz Moritz von Oranien große Teile des früheren Besitztums bis tief am unteren Niederrhein erobert hat. Nur noch das heutige Belgien und die Gebiete um Roermond und Geldern bilden die Spanischen Niederlande. Philipp trennt „die Niederlande“ von der spanischen Krone und überträgt die 17 Provinzen als unabhängigen Staat seiner ältesten Tochter Isabella Clara Eugenia (32) als Brautgeschenk zur Hochzeit mit Albert von Österreich. Erzherzog Albert legt in Brüssel am 15. August 1598 die Abtretungs-Urkunde des Königs Philipp vor und ergreift zehn Tage später Besitz vom Oberquartier Geldern.

Obschon sich Albert und Isabella, die ihren katholischen Glauben überzeugend vorleben, durch Güte gegenüber ihren Untertanen auszeichnen, wird ihre Regierungszeit von Kriegszügen und militärischer Aufrüstung - besonders der wichtigen Garnisonsstadt Geldern - überschattet.

Auf die protestantischen Generalstaaten muss es wie eine Provokation wirken, als Isabella aus dem Holz einer 1603 in Scherpenheuvel (Belgien) gefällten Eiche, an der eine Madonnenskulptur gestanden hat, der allein in diesem Jahr 63 Wunder zugeschrieben werden, kleine Marienfiguren schnitzen lässt, um sie an vielen Orten zur Verehrung aufstellen zu lassen.

Eine dieser Plastiken kommt - 1607 oder schon früher - nach Luxemburg, wo sich eine besondere Marienverehrung entwickelt. Eine Kopie von der nach Luxemburg gebrachten Scherpenheuvel-Kopie wird, gefördert durch Albert und Isabella, im Mittelpunkt der 1624 beginnenden „Luxemburg-Wallfahrt“ stehen. Sie wird die „Mutter“ der „Tochter“ - des Gnadenbildes von Kevelaer.

Während dies geschieht, tobt der Spanisch-Niederländische Krieg (1568-1609) am Niederrhein und in Westfalen seinem Höhepunkt und vorläufigen Ende entgegen. 1609 wird nach über zweijährigen Verhandlungen ein zwölfjähriger Waffenstillstand zwischen den Spanischen Niederlanden und den Generalstaaten geschlossen - der wohl bedeutendste Erfolg in der Regierungszeit von Albert und Isabella. Sie erklären, keinen Anspruch auf die Provinzen im Norden zu erheben, was aber noch keiner völkerrechtlichen Anerkennung der Generalstaaten (und heutigen Niederlande) entspricht, denn die hätte vom König, nicht nur von den Erzherzögen ausgesprochen werden müssen.

In Kevelaer wird in dieser Atempause der Geschichte endloser Kriege die St.-Antonius-Pfarrkirche gebaut.

Als am 23. Mai 1618 der 30-jährige Kriege mit einem Aufstand in Böhmen beginnt, hat der Niederrhein noch eine kurze Friedensphase, bis auch er wieder in Flammen steht: Am 9. April 1621 endet der Waffenstillstand, und das Gemetzel zwischen den Spaniern und Niederländern wird fortgesetzt.

Erzherzog Albert stirbt wenige Monate später, und seine Frau Isabella übernimmt das Amt der Generalstatthalterin der Spanischen Niederlande. Mitten im Krieg beginnt sie den Bau des Kanals „Fossa Eugeniana“, der den Rhein und die Maas verbinden und dem blühenden Handel der verfeindeten Nord-Niederlande das Wasser abgraben soll. Das Projekt wird vor seiner Fertigstellung scheitern - aus kläglichem Grund: Die spanische Krone hat kein Geld mehr.

Mit Ausnahme der Stadt Geldern ist das Oberquartier inzwischen von den Generalstaaten besetzt. Da eilt der Bruder des spanischen Königs Philipp IV., Kardinal Ferdinand, mit einem großen Heer zu Hilfe und vereinigt seine Truppen mit denen des deutschen Kaisers.

Dessen Feldherr Piccolomini hat unter anderem kroatische Söldner angeheuert, die sich ihre oft ausbleibende Bezahlung durch Raubzüge in dem Gebiet, das sie zu befreien oder zu schützen haben, auf eigene Faust besorgen.

Die > Kroaten wüten wie Tiere. Sie plündern Höfe und Wohnsiedlungen aus und massakrieren auf sadistische Weise die schutzlosen Menschen. Am 1. August 1635 erstürmen Kroaten die Schanze zu Kevelaer und schlachten die etwa 100 Menschen, die hier Schutz gesucht haben, ab. Drei sollen das Massaker überlebt haben.

22 Tage später bricht, zuerst im Kirchspiel Straelen, die Pest aus.

Aus: Martin Willing, 2000 Jahre Kevelaerer Heimat, KB-Beilage 1999/2000

> NÄCHSTES KAPITEL


Teil 1:
> Von 0 bis 1300 | Wir Gallier | Wie alles anfing
Teil 2:
> Von 1300 bis 1350 | Grundstück verkauft | Erste Zeugnisse für Kevelaer
Teil 3:
> Von 1300 bis 1500 | Hauen und Stechen | Die Grafen und Herzöge des Gelderlands
Teil 4:
> Von 1550 bis 1635 | Freiheitskampf | Die Zeit bis zum Kroaten-Massaker
Teil 5:
> Von 1635 bis 1642 | Mord und Totschlag | Das Chaos vor Entstehung der Wallfahrt
Teil 6:
> Von 1643 bis 1714 | Wir Preußen | Als König Wilhelm kam
Teil 7:
> Von 1715 bis 1805 | Wir Franzosen | Geist der Aufklärung
Teil 8:
> Von 1800 bis 1830 | Napoleons Ende | Die Rückkehr der Preußen
Teil 9:
> Von 1830 bis 1850 | Deutsche Revolution | Neues Selbstbewußtsein der Katholiken
Teil 10:
> Von 1850 bis 1875 | Abschied vom Mittelalter | Auflösung des Kirchenstaats
Teil 11:
> Von 1875 bis 1878 | Kulturkampf | ... und sein Ende 
Teil 12:
> 1879 | Zeitung | Gründung des Kävels Bläche
Teil 13:
> 1880 bis 1881 | Vom Brand bis Wochenmarkt | Zwei Jahre mit großen Veränderungen
Teil 14:
> 1880 bis 1890 | Kaiser Wilhelm | Aufbruchzeiten
Teil 15:
> 1890 bis 1900 | Aufschwung | Kevelaers Wirtschaft boomt
Teil 16:
> 1900 bis 1919 | Das Ende von Preussens Gloria | Kevelaer und der Erste Weltkrieg
Teil 17:
> 1920 bis 1930 | Hilfe aus der Not | Kevelaer am Vorabend des Zweiten Weltkriegs  

© Martin Willing 2012, 2013