Januar 1951
Das
Marienhospital bekommt zum 1. Januar einen neuen Chefarzt. Es ist
ein alter Bekannter, Dr. Rudolf Berneisen (* 1893, † 1956), der schon
seit 25 Jahren als Facharzt für Chirurgie im Kevelaerer Krankenhaus
tätig ist. Seit 1926 leitet er die chirurgische Station. Über die
Berufung zum Chefarzt freuen sich der Arzt, seine Frau Claire (geb.
Huefnagels) und ihre Kinder Liesel und Franz-Rudolf.
Zum Jahresbeginn gibt sich die Schuhfabrik Otterbeck in Kervenheim eine
neue Rechtsform. Der neuen „Wilhelm Otterbeck + Sohn,
Kommanditgesellschaft“ gehören als persönlich haftende Gesellschafter
Wilhelm
Otterbeck (* 1887, † 1953) und sein Sohn
Ernst Otterbeck
(* 1918, † 1958) an.
Als
Kommanditisten sind Gertrud Otterbeck und der Student
Josef Otterbeck
(* 1930) eingetragen. Dem Angestellten
Theo Kothes (*
1912, † 1998) wird Prokura erteilt.
Wilhelm Otterbeck, Sohn Ernst und Prokurist Theo Kothes.
Mit dem tatkräftigen Unternehmer Wilhelm Otterbeck und seinem
talentierten Sohn Ernst startet die Fabrik mit Elan in die Zukunft. Aber
schon in wenigen Jahren wird sie schwere Rückschläge verkraften müssen:
Vater und Sohn verunglücken, im Abstand weniger Jahre, tödlich.
Wilhelm Otterbeck konzentriert sich seit 1951 ganz auf Kervenheim und
lässt sich von seinen Aufgaben in der Mülheimer Otterbeck-Firma
entpflichten. Seine Abfindung - Maschinen und Material - investiert er
in die Kervenheimer Fabrik, in der mehrere hundert Menschen beschäftigt
sind.
Ihm schwebt vor, die Fabrikation von Arbeitsschuhen auf modische
Herrenschuhe behutsam umzustellen. Otterbeck will das Marktsegment
„hochwertige Unfallverhütungsschuhe“ den Mülheimern überlassen. Wilhelm
Otterbeck hat modische Herrenschuhe im Blick, die er unter der Marke
Kerwo herstellen und vertreiben lässt. (Der von ihm konzipierte
Otter-Schutzschuh wird noch heute produziert; die derzeitigen Inhaber
der Stammfirma haben ihren Sitz in Singapur.)
Wilhelm Otterbeck fühlt sich mittlerweile in Kervenheim so heimisch,
dass er sich dem Ruf, als Bürgermeisterkandidat bei der Kommunalwahl
1952 anzutreten, nicht verschließt.
Als Schuhhändler macht in Kevelaer Anfang 1951 Ernst
Naebers auf sich aufmerksam. Sein Schuhhaus Aengenheyster an der
Hauptstr. 33, das seit 130 Jahre besteht, bewirbt in der Zeitung seine
„neuzeitliche Supinator-Fußpflegeabteilung, in der alle Fußschäden
festgestellt und beseitigt werden können.“
Nach
1950 feiern zum zweiten Mal die Geselligen Vereine die
Sent-Tönnes-Kermes. Sie soll nun jedes Jahr als Heimatfest begangen
werden. Der
TuS
Kevelaer, der im Jahr zuvor den Festkettenträger gestellt hat,
gestaltet das Programm des Abends im Saal
Dreikönige. Es geht
noch nicht so festlich zu wie auf den späteren Heimatabenden, aber die
Spannung, wer nun Festkettenträger wird, ist 1951 nicht weniger groß:
Josef Aengenheyster, Chef der Bürgerschützengesellschaft, wird die
Festkette tragen.
Agnes und Josef Aengenheyster (1951).
Kurz darauf feiert die St.-Johannes-Bruderschaft das 25-jährige
Amtsjubiläum ihres Präsidenten Matthias Janssen. Der Jubilar ermahnt die
Schützenbrüder, „stets in Treue zu den Idealen der Gilde zu stehen“.
Zwischen die gesellschaftlichen Nachrichten in den Zeitungen mischen
sich immer wieder Meldungen von Munitionsfunden. Beim Zersägen eines
Baumstamms im Sägewerk von Schloss Wissen explodiert ein in das Holz
eingewachsenes 2-cm-Explosivgeschoss. Splitter und umherfliegendes Holz
verletzen zwei Arbeiter leicht.
Ein skurriler Rechtsstreit endet Mitte Januar mit einem Todesurteil. Der
Kevelaerer Heinrich B., der einen ihm zugelaufenen Hund ein halbes Jahr
gefüttert hat, muss sich vor Gericht verantworten, weil dieser Hund
einen Passanten gebissen hat. Das Gericht verwirft B.‘s Verteidigung,
der Hund gehöre ihm nicht; verantwortlich sei die Besitzerin, die auf
ihr Tier nicht aufgepasst habe. Heinrich B. muss 24 DM zahlen. Der Hund
wird „zum Tode durch den Schießbolzen“ verurteilt.
Am laufenden Band muss sich die Polizei mit Materialdiebstählen
beschäftigen. Zur Zeit sind Regenrohre und Dachrinnen stark gefragt.
Einem Kevelaerer Hausbesitzer werden alle Rohre von Wohnhaus und
Gartenlaube mitsamt den Dachrinnen geklaut. Die Kupferüberdachung eines
Grabmals im Marienpark und die bereits erneuerten Regenrohre der
ruinenhaften St.-Antonius-Kirche werden entwendet. Sogar eine drei
Zentner schwere Eisenstange, angebracht an der 13. Station des
Kreuzwegs, verschwindet über Nacht.
Am Sonntag, 28. Januar, eröffnet Bischof Dr. Michael
Keller das Soziale Seminar in Kevelaer. Es handelt sich um eine
bistumsweite Einrichtung der katholischen Erwachsenenbildung. Die
Kevelaerer gehören zu den Ersten, die dieses Angebot nutzen können.
Geschäftsführer des Sozialen Seminars ist Hermann-Josef Geurts (* 1927,
† 2000). In den folgenden zehn Jahren werden 73 Absolventen nach
Abschlussprüfung das Bischöfliche Diplom erwerben.
Ende Januar wird die neue Polizeiverordnung bekannt gemacht. Das
umfangreiche Paragrafenwerk ersetzt die Verordnung von 1935 und regelt
beispielsweise: Häuser müssen mit Nummernschildern versehen werden.
Frische Anstriche müssen gekennzeichnet werden. Markisen dürfen nicht in
den Straßenraum hineinreichen. Hecken müssen auf eine Höhe von 1,50
Meter gestutzt werden. Hunde dürfen nachts nicht alleine durch die
Gegend laufen. Auf öffentlichen Straßen ist Rodeln verboten, ebenso das
Aufstellen von Reklameschildern. Abortgruben dürfen in der
Wallfahrtszeit nur morgens bis 6 Uhr entleert werden. Das Durchsuchen
von Mülltonnen ist untersagt. So geht es - wie heute - seitenweise
weiter.
Der Stadtrat, der sich ausgiebig mit der Polizeiverordnung befasst hat,
muss Ende Januar auch einen schmerzlichen Sachverhalt zur Kenntnis
nehmen, auf den er keinen Einfluss hat: Stadtdirektor
Holtmann
informiert die Ratsmitglieder, dass sich noch zehn Männer aus dem
Kevelaerer Amtsbezirk in Kriegsgefangenschaft befinden. Von 262 Soldaten
aus dem Amtsbezirk fehlt jede Spur.
Februar 1951
Einen erfreulichen Termin hat Holtmann Anfang Februar: Er überreicht der
Familie von
Gregor Douteil eine Urkunde: Bundespräsident Heuss hat die
Ehrenpatenschaft über das siebte Kind der Familie übernommen.
Es ist kalt in Kevelaer, und der Karneval kündigt sich an - natürlich
mit einer amtlichen Verordnung über die Polizeistunde. „Darüber hinaus
scheint es angebracht, auch auf die folgenden Bestimmungen hinzuweisen:
Sämtliche Tanzveranstaltungen sind erlaubnispflichtig; sie müssen beim
Ordnungsamt beantragt werden.“ Und: „Das Tragen von Kostümen, die Anstoß
erregen, wird nicht geduldet.“
Zu dieser Zeit treffen sich im Lokal Stassen Eriken- und Azaleenzüchter
des Niederrheins. Unter Versammlungsleitung des Kevelaerer Hubert
Rogmans besprechen die Gärtner ihr Projekt, beide Berufsgruppen zu
vereinigen und künftig als Gemeinschaft aufzutreten. Auf Vorschlag von
Hubert Rogmans erhält die neue Gruppe den Namen
Azalerika.
Auf der bald stattfindenden Gründungsversammlung geben sich die
Azalerikaner diesen Vorstand: 1. Vorsitzender Kreisgärtnermeister Josef
Bitz aus Nieukerk, 2. Vorsitzender Hubert Rogmans aus Kevelaer und
Beisitzer Emil Herperts aus Kalkar. Zum Aufsichtsrat gehören als
Vorsitzender Gisbert Meurs aus Hau sowie Fritz Strauß aus Lüllingen und
Eduard Rogmans aus Kevelaer. Geschäftssitz der Azalerika ist Kevelaer.
Für Eriken und Azaleen, die am Niederrhein hervorragend gedeihen, sehen
die Gärtner riesige Marktchancen. Auch wenn der Begriff Globalisierung
noch unbekannt ist, durchstreifen die bodenständigen Blumenzüchter in
Gedanken die Welt auf der Suche nach Märkten, auf denen sie noch nicht
blühende Blumen als Rohware absetzen können.
Kevelaer ist die Keimzelle des Blumenexports. Mit den großen Kulturen
der drei Betriebe Gebrüder Rogmans, Theodor Brüx und Anton Rogmans, die
schon vor dem Krieg im großen Stil angelegt und nun neu aufgebaut worden
sind, hat die Azaleen-Zucht im weltläufigen Maßstab begonnen.
Was im Februar 1951 im Saal Stassen beschlossen wird, ist zugleich der
Anfang einer Großvermarktung, die 1974 in der Fusion von Azalerika
Kevelaer, Erzeugerversteigerung Straelen und Erzeugergenossenschaft
Wesel zur Union gartenbaulicher Absatzmärkte (UGA) einen weiteren
Höhepunkt erleben wird, von dem Tausende von Gärtnern am unteren
Niederrhein profitieren werden.
Am
10. Februar feiert
Arnold Dyx (
Bild)
seinen 80. Geburtstag. Er ist lange Jahre Ratsherr und Erster
Beigeordneter des Amtes Kevelaer gewesen. Jetzt ist er stellvertretender
Bürgermeister im Ehrenamt. In der Zeitung wird Dyx ausführlich gewürdigt
- als Förderer der gemeinsamen Kirmes, langjähriger Vorsitzender der
Bürgerschützengesellschaft, Vorsitzender der KKV Unitas und auch als
Seniorchef seines Unternehmens, der Devotionalienfabrik Gebr. Dyx.
„Er
war es, der nach dem Ersten Weltkrieg mit allseitigem Einverständnis
unter den schwierigsten Verhältnissen das Erbe der gemeinsamen
Kirmesfeier im Sinne des Gründers,
Bürgermeister Marx,
übenahm, und seit dieser Zeit die Zügel dieser schönen Einrichtung in
fester Hand gehalten hat“, notiert das Kävels Bläche über Arnold Dyx,
den die Partei
Zentrum zu ihrem Ehrenvorsitzenden ernannt hat.
Die Bevölkerung leidet nach wie vor unter der
Wohnungslage. „Noch immer gibt es hier 170 Wohnhäuser weniger als 1939“,
heißt es im Jahresbericht der Amtsverwaltung. 108 Wohneinheiten sind im
Jahr zuvor fertig gestellt worden. 254 Wohnungssuchende sind vorgemerkt.
Nach wie vor ist Kohle knapp. Dem Kreis Geldern werden 190 Tonnen
zugeteilt. Davon gehen allein 142 Tonnen an die sozialen Einrichtungen
wie Krankenhäuser, Altenheime und Kindergärten. Für die Privatkunden
bleibt kaum etwas übrig. Sogar Arztpraxen werden nicht beliefert.
Unterdessen steigen die Preise für Lebensmittel. Vertreter des
Einzelhandels, der Bäckerinnung, der Gewerkschaft, der
Kreishandwerkerschaft und der Verbraucherschaft des Kreises Geldern
treffen sich Mitte Februar, um einen Ausweg aus dem Dilemma zu finden.
Besonders die Preise für Mehl und Fette haben erheblich angezogen. Dazu
kommen stark gestiegene Lohnkosten. Der Preis für Zucker ist zwar
eingefroren, aber Zucker wird nur in viel zu geringen Mengen abgegeben.
Besonders die Bäcker leiden unter der Entwicklung.
Im Handel bahnen sich Veränderungen an. Kevelaerer Kaufleute wollen auf
dem Wochenmarkt auch Textilien, Haushaltsgeräte, Glas-, Keramik- und
Porzellanwaren anbieten. Der Antrag an die Stadtverwaltung wird im
Stadtrat kontrovers diskutiert, findet aber eine Mehrheit. Der
Einzelhandelsverband stemmt sich gegen den Plan; es sei kein Bedarf für
eine solche Erweiterung zu erkennen.
Die Entscheidung trifft der Regierungspräsident: Er lehnt den Kevelaerer
Antrag ab. Wochenmärkte dürften sich nicht von ihrem eigentlichen Zweck,
der Versorgung mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen, entfernen und zu
Jahrmärkten entwickeln. Das wolle man nicht zulassen.