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INHALTSVERZEICHNIS |
Kapitel 13 von 115 |
Isabelle Gräfin von Loë (* 1903, † 2009): Die Bodenreform bedrohte 1951 den Besitz und die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens Schloss Wissen.
Die in Potsdam als Prinzessin zu Salm-Salm geborene Gräfin trägt die
Verantwortung für das Schloss und seine vielfältigen Betriebe und findet
tatkräftige Unterstützung in Rentmeister Aloys Kempkes.
Die Bodenreform in Nordrhein-Westfalen ist nicht aus eigenem Antrieb der
Abgeordneten entstanden. Vielmehr hat die Alliierte Hohe Kommission
diese Enteignung per Gesetz vorgeschrieben. Betroffen sind auch
Kommunen, die über großen Grundbesitz verfügen. Besonders die Gemeinde
Twisteden macht sich Sorgen wegen des Gesetzes. Die Ratsmitglieder
erörtern Mitte Februar 1951 auf ihrer Sitzung, welche Konsequenzen die
Bodenreform für Twisteden haben könnte.
Ein Sachbearbeiter des Kreissiedlungsamts in Geldern, Kreisinspektor
Hesse, nimmt an der Sitzung teil. Bürgermeister Tebartz erklärt, der
landwirtschaftlich genutzte Grundbesitz der Gemeinde betrage etwas mehr
als 400 Morgen. Aber der größte Teil sei minderwertiger Waldboden mit
geringen Pachterträgen. In der Sitzung wird mit dem Kreisbediensteten
gefeilscht: In Twisteden werde weniger Fläche landwirtschaftlich genutzt
als vom Kreis errechnet. Außerdem seien in jüngerer Vergangenheit solche
Flächen für Straßenbau, Schule und vor allem für Siedlungszwecke
hergegeben und damit der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt worden.
Der Kreissachbearbeiter ist beeindruckt und lässt sich darauf ein,
Twistedens Grundbesitz für die Bodenreform neu zu berechnen. Die Sitzung
wird in der Erwartung beendet, dass der Gemeindebesitz voraussichtlich
von der Bodenreform verschont bleibt.
Die Twistedener haben allen Grund, wachsam zu sein. Ihr 400 Morgen
großer Gemeindewald mit 70- bis 80-jährigen Kiefern war nach seiner
Konfiszierung durch die Militärs abgeholzt worden. Die Gemeinde hatte
dafür kurz vor der Währungsreform 342.000 Reichsmark Entschädigung
erhalten - Geld, das wenige Tage später so gut wie nichts mehr wert war.
Am Ende wird Twisteden, aber auch Schloss Wissen die Bodenreform gut
überstehen. Was die gräfliche Familie allerdings noch nicht weiß:
Natürlicher Verfall wird das Ensemble des Schlosses mit seinen
Nebengebäuden so stark in Mitleidenschaft ziehen, dass ein großer Teil
in den 1970er-Jahren abgerissen und neu aufgebaut werden muss.
Mit einem Nachruf im Kävels Bläche wird des letzten
Kevelaerer Ausrufers gedacht. Viele Einheimische haben Peter Peters
gekannt, der bis Ende der 1920er-Jahre mit einer Schelle und seinem
lauten Organ die neuesten Angebote verkündet hat, zum Beispiel: „Frische
Bücklinge eingetroffen, zu haben bei Heinrich Biesemann, Markt.“ Der
Ausrufer ist auch Nachtwächter gewesen und „mußte oft hart durchgreifen,
um die nächtliche Ruhe seiner schlafenden Mitbürger zu schützen“, heißt
es im KB. Peter Peters (87) hat zuletzt an der Hubertusstr. 47 gewohnt.
Auch für Emil Modlich (60) erscheint Mitte Februar eine Traueranzeige:
„Nach langer, schmerzlicher Wartezeit erhielten wir jetzt die traurige
Gewißheit, daß mein lieber Gatte und guter Vater, der Lehrer Emil
Modlich, im November 1945 im Offizierslager in Minsk seine Seele in die
Hände seines Schöpfers zurück gab.“ Als Angehörige sind Maria Modlich
und Hans Modlich angeführt. Die Todesursache des 60-Jährigen bleibt
ungeklärt: Er sei „infolge eines tragischen Unglücksfalls“ gestorben,
heißt es.
Traueranzeigen, die sich auf Kriegsopfer beziehen, sind auch sechs Jahre
nach der Kapitulation nicht selten. Verschollene gelten als vermisst und
keineswegs als wahrscheinlich gestorben. So meldet als trauernder
Angehöriger „Heinz de Raay, vermißt“ den Tod von Wilhelmine Tebartz, der
Witwe von Gerhard Tebartz. Über ihn und sein Schicksal ist bis heute
nichts bekannt. In der kurz darauf erscheinenden Traueranzeige für
Johanna Rogmann, Witwe von Peter Rogmann, haben drei der trauernden
Angehörigen den Zusatz „z. Zt. Vermißt“.
Der Twistedener Gemeinderat tagt noch ein zweites Mal in diesem Monat.
Nun geht es um den Schulhof , der mit Hilfe eines Grundstückstausches
erweitert werden soll. Außerdem bekommt die Straße durch das neue
Wohngebiet einen Namen: Quirinusstraße. Damit wird an den Pfarrpatron
erinnert. Zugleich ist der Straßenname eine Reminiszenz an die
St.-Quirinus-Bruderschaft, die das Gelände für den Siedlungsbau zur
Verfügung gestellt hat.
Am letzten Tag des Februars nimmt in einem Duisburger Krankenhaus
Oberarzt Dr. Franz
Lemmen (* 1916, † 1984) seine Arbeit auf. Er wird sich drei Jahre
später in Kevelaer niederlassen und 1961 als Chefarzt die Innere
Abteilung des Marienhospitals übernehmen.
März 1951
Mehrere Kinder, die auf einem Trümmergrundstück an der Basilikastraße
spielen, werden von einem besonders wachsamen Engel beschützt: Kaum
haben sie das Grundstück verlassen, stürzt eine zwölf Meter hohe
Giebelwand ein.
Am Gelderner Gymnasium, so meldet das KB, bestehen Heribert Bergmann,
Willy Dierkes,
Edmund Hahn, Hilde Bauers und Inge Humels das Abitur.
In Wetten kümmert sich ein lockerer, nicht förmlich gegründeter
Kirchbauverein um den Wiederaufbau der St.-Petrus-Kirche. Auf einer
Tagung bezeichnet Dombaumeister Grasseler aus Xanten das Wettener
Gotteshaus als „eine der schönsten und eigenwilligsten Kirchen am ganzen
Niederrhein“.
Rund 750.000 DM sind bereits investiert worden. Nun wird die Ausmalung
der Kirche geplant. Das Präsidium der Geselligen Vereine Wetten arbeitet
für die Kirchenverwaltung einen Finanzierungsplan aus. Mit vielen
Helfern soll innerhalb weniger Wochen das erforderliche Geld gesammelt
werden.
Der Maler und Restaurator Paul Geßner aus Wasenbach ist mit der
Ausmalung beauftragt. Er geht so behutsam zu Werk, dass im Chorgewölbe
alte Malereien fast unversehrt wieder zum Vorschein kommen. Pfarrer ist
seit zwei Jahren Wilhelm Kück (* 1889, † 1966).
Auch die Twistedener St.-Quirinus-Gemeinde hat Grund zur Freude: Drei
neue Glocken für die Pfarrkirche treffen ein. Am Ortseingang werden sie
von Geistlichkeit, Vertretern der Behörden und der Vereine sowie von
Schulkindern in Empfang genommen. In feierlichem Zug werden die Glocken
zur Kirche geleitet. Am Ostersonntag werden sie zum ersten Mal läuten.
In Kevelaer gründen Mitte März die Landfrauen einen Ortsverein.
Ortslandwirt Quinders und Frau Peveling-Oberhag geben Hinweise zur
Landfrauenbewegung. „Vertiefung des Wissens“ und „Erweiterung der
praktischen Kenntnisse“ der Landfrauen sind die Ziele der Gemeinschaft.
Zum vorläufigen Vorstand gehören 1. Vorsitzende Maria Verhaag,
Stellvertreterin Anna Stenmans und Schriftführerin Änne Joosten.
In der großen Stadtpfarrei St. Antonius steht der
Wiederaufbau der Pfarrkirche immer noch in den Sternen. Die
Zwischenlösung, die sich Pfarrer
Heinrich
Maria Janssen ausgedacht hat, nämlich die ebenfalls zerstörte Kirche
des Klarissenklosters vergrößert aufzubauen, um sie für einige Jahre als
Pfarrkirche mitnutzen zu können, wird zu den Akten gelegt. Janssen
erklärt auf einer Versammlung des Kirchbauvereins, von der „Klosteridee“
habe man Abstand genommen, weil durch eine solche Nutzung die
klösterliche Abgeschiedenheit gestört werde. Die Klosterkirche werde nun
in ihrer früheren Ausdehnung aufgebaut. Da dieses Gotteshaus
eigenständig finanziert werde, könne dieses Bauprojekt den Wiederaufbau
der Pfarrkirche in keiner Weise beeinträchtigen.
Für die St.-Antonius-Kirche, führt Janssen aus, werde in Kürze ein
erster Bauabschnitt beginnen. Bei dieser Gelegenheit erfahren die
Mitglieder des Kirchbauvereins, dass das alte Mauerwerk der Ruine nicht
abgerissen wird, obwohl ein Abriss die Gesamtkosten gesenkt hätte. Mit
Rücksicht auf die Geschichte Kevelaers hat man sich entschlossen, das
alte Mauerwerk in den Neubau zu integrieren. Mit dem ersten Bauabschnitt
soll erreicht werden, dass ein überdachter Gottesdienstraum zur
Verfügung steht. Die Planungen liegen in der Hand des Gocher Architekten
Hermanns, eines renommierten Kirchbaumeisters.
Während in der zweiten März-Hälfte die Familie Selders von Heißenhof in
Wetten die Gewissheit erhält, dass der Soldat Josef Selders schon im
Sommer 1943 in Russland gefallen ist, veranstaltet der Sportverein Union
für einen anderen Wettener, den letzten Heimkehrer aus
Kriegsgefangenschaft, einen Begrüßungsabend.
Derweil wird der Rohbau der Pilgerhalle, Teil des ersten Bauabschnitts
des neuen
Bahnhofs in Kevelaer, fertig. Bis zum Wallfahrtsbeginn Ende Juni
soll die Halle nutzbar sein. Die Pilgerströme laufen noch lange nicht
wie früher gewohnt. Besonders die ausländischen Wallfahrer werden
behindert. So darf beispielsweise kein Niederländer beim Grenzübertritt
in die Bundesrepublik mehr als fünf Mark in der Tasche haben.
Nicht nur im Priesterhaus, sondern auch im Rathaus macht man sich
Sorgen: Im vergangenen Jahr seien rund 20.000 Niederländer nach Kevelaer
gepilgert, berichtet Amtsdirektor
Fritz Holtmann
dem Rat. Wegen der 5-DM-Beschränkung sei ihnen nur ein kurzer Aufenthalt
in Kevelaer möglich. An eine Übernachtung sei überhaupt nicht zu denken.
Deshalb habe sich die Stadt Kevelaer an die Bank Deutscher Länder
gewandt, um eine Erleichterung im Devisenverkehr zu erreichen. Ziel sei
es, dass die Pilger 20 Mark, wenigstens aber zehn Mark mitnehmen
dürften. Holtmann: „Die
Verhandlungen schweben zur Zeit noch und konnten noch nicht zum Abschluß
gebracht werden.“
Hoffnung setzt Holtmann auch auf den Bundestagsabgeordneten Dr. Frey.
Der will das Problem mit Bundeswirtschaftsminister Dr. Erhard
besprechen.
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© Martin Willing 2012, 2013