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Kapitel 14 von 115

März 1951


In der zweiten Märzhälfte bekommt die Stadt wichtigen Besuch. In Kevelaer tagt der Westausschuss des Landtags, um sich die Sorgen und Nöte der Stadtverantwortlichen anzuhören.

Dieser Westausschuss ist aus einer Initiative des Landtagsabgeordneten Dr. Leo Schwering (* 1883, † 1971) entstanden. Zunächst hat die CDU-Fraktion auf Schwerings Betreiben 1947 einen Grenzausschuss gebildet, um den vom Krieg und seinen Folgen besonders betroffenen Grenzlandkreisen besser helfen zu können. Daraus hat sich der fraktionsübergreifende Westausschuss gebildet, vom Landtag Ende April 1948 ins Leben gerufen. Der Westausschuss besitzt erheblichen Einfluss auf die Mittelvergabe aus dem Grenzlandfonds, den die Landesregierung Anfang Juni 1948 in Kleve beschlossen und aufgelegt hat.

Die Landespolitiker hören auf ihrer Tagung in Kevelaer zunächst den Vortrag von Pfarrer Heinrich Maria Janssen, der auf die Beschädigungen der Basilika und die Zerstörung der St.-Antonius-Kirche hinweist. Ein reibungsloser Wallfahrtsablauf sei nicht mehr gewährleistet.

Fritrz HoltmannAmtsdirektor Holtmann gibt einen Überblick über die Zerstörungen der Wohnhäuser: 200 seien total, 400 zum Teil zerstört worden. In Kevelaer seien durch Bomben Bahnhof, Post und Museum, aber auch größere Hotels vernichtet worden. 1945 und 1946 seien durch die zum Lager umfunktionierte Basilika vier bis fünf Millionen Ausländer geschleust worden, die die Stadt habe versorgen müssen. Zusätzlich sei Kevelaer für die Verpflegung der deutschen Kriegsgefangenen im Entlassungslager Wissen verantwortlich gewesen.

Ende März signalisiert die Spar- und Darlehnskasse, dass es aufwärts geht. Am Kevelaerer Markt ist als Ersatz für das im Krieg zerbombte Bankhaus an der Bahnstraße ein Neubau entstanden, der nun eröffnet wird. Dechant Janssen nimmt am Tag nach Ostern die Segnung des Gebäudes vor. Anschließend wird im Hotel Zum Lindenbaum gefeiert. Geehrt werden Goldjubilare, die das Bankhaus unter dem Namen Spar- und Darlehnskassenverein EGmuH. Kevelaer - Vorläuferin der heutigen Volksbank - gegründet haben.

Der Vorsitzende der genossenschaftlichen Bank, Karl Neuhaus, berichtet, dass die Existenzkrise in den 1930er-Jahren, die fast den Ruin gebracht habe, vor allem durch den Einsatz von Reinhard Hoyman und Theodor Brocks überwunden worden sei. Neuhaus erwähnt besonders das älteste noch lebende Mitglied Matthias Berns, seit 1896 Anteilseigner der Bank.

Bauaktivitäten auch im Umland: Die Siedlergemeinschaft Winnekendonk plant einen zweiten Bauabschnitt, der zehn Landarbeitersiedlerstellen mit je einem Garten von gut 1000 Quadratmetern umfasst. Die neuen Kleinsiedlerstellen sollen sich am Heiligenweg anschließen.

Auch 13 Mitglieder der Siedlergemeinschaft Kervenheim-Kervendonk wollen bald mit dem Häuserbau anfangen. Wie genau die Siedlerstellen verteilt werden, soll erst festgelegt werden, wenn alle Bauherren gemeinsam ausgeschachtet und die Keller betoniert haben.

Dr. Hans HoffmannAm letzten Tag des März gibt Rechtsanwalt Dr. Hans Hoffmann (* 1909, † 1997, Basilikastr. 25), in der Zeitung bekannt, dass er „beim hiesigen Gerichte zugelassen“ worden sei.

Der Stadtrat muss sich um die Sicherheit auf dem Pausenhof der Antoniusschule am Markt kümmern. Die Kinder werden durch den Autoverkehr und während der Wallfahrtszeit zusätzlich durch die hier parkenden Pilgerbusse gefährdet. Deshalb versucht die Stadt, drei Grundstücke an der Annastraße zu erwerben, um aus ihnen einen sicheren Schulhof zu bilden. Aber die Eigentümer willigen nicht ein. Sie wollen nicht einmal verpachten, auch einen Grundstückstausch lehnen sie ab.

Der Rat sieht keinen anderen Ausweg, als den Eigentümern zu drohen: Wenn bis zum 15. April keine Lösung erreicht sei, soll „bereits am folgenden Tag bei der Aufsichtsbehörde die sofortige Besitzeinweisung mit dem Ziele der Enteignung beantragt werden“.

April 1951

Die Verschuldung der Landwirte am Niederrhein nimmt weiter zu. Die gewährten Kredite für den Wiederaufbau der bäuerlichen Betriebsstätten haben durchweg eine kurze Laufzeit; nur wenige sind mittelfristig angelegt, praktisch kein einziger langfristig. Dadurch stecken die Landwirte in der Kostenfalle: Sie müssen selbst bei hypothekarischer Sicherheit 9 bis 9,5 Prozent Zinsen zahlen und enorme Beträge für die Tilgung der kurzfristigen Kredite aufbringen. Was sie an die Bank abführen müssen, übersteigt die Erträge aus dem eingesetzten Kapital bei weitem - eine sonnenklare Einbahnstraße in die Pleite. So sieht es auch der interne Verwaltungsbericht der Kreisverwaltung für das Frühjahr 1951. Eine Lösung aus dem Dilemma ist nicht in Sicht.

Am 1. April feiert Katharina Janßen ihr 40-jähriges Ortsjubiläum als Lehrerin in Winnekendonk und zugleich ihren Abschied in den Ruhestand. Die in Veen geborene Jubilarin hat die beiden Mädchenklassen geleitet. Die Lehrerin zeigt sich bewegt von der Ehrung durch Bürgermeister, Amtsdirektor, Pastor und Schulleiter.

Im Lokal Stassen gründen einige Kevelaerer, die Modelle von Segelflugzeugen bauen wollen, einen Verein. Dafür hat es einer besonderen Genehmigung bedurft: Gebaut werden durfte bisher nichts, was fliegen konnte. Schon vor dem Krieg hatten einige Kevelaerer auf einem Gelände bei Petrusheim in Weeze selbstgebaute Modelle aufsteigen lassen. Vorsitzender des neuen Vereins ist Helmut Dorka, sein Stellvertreter Wilhelm Diepmann jr., Geschäftsführer Karl Vogel und Kassierer Peter Girmes. Beisitzer sind Josef van Schewick und Willi Kersten, Werkstattleiter Albert Voß und Laurenz Kersten. Die Mitglieder wollen zunächst eine Werkstatt für den Bau von Segelflugmodellen errichten.

An der Südstraße in Kevelaer wird damit begonnen, 60 Wohnhäuser mit 120 Wohnungen zu bauen. Verantwortlich ist die Siedlungsgenossenschaft Ost. Gebaut wird der Typ Doppelhaus, in dem unten der Eigentümer, oben der Mieter wohnt. Die Häuser werden teilweise unterkellert und haben je einen Nutzgarten von 700 bis 800 Quadratmetern. Die Eigentümerwohnung besteht aus einer großen Wohnküche, Eltern- und Kinderschlafzimmer, Toilette und Wirtschaftsraum. Zum Haus gehört auch ein Stall. Sämtliche Wohnungen sind mit fließendem Wasser und elektrischem Licht ausgestattet.

Eine andere Zeitungsmeldung dieser Tage berichtet von Kriegsgefangenenpost. Nach langer Unterbrechung treffe seit Weihnachten wieder Post aus der Sowjetunion in der Heimat ein. Der DRK-Kreisverband Geldern bittet die Bevölkerung, die Kreisgeschäftsstelle zu informieren, wenn solche Post komme, „damit der Suchdienst seine Listen aktualisieren kann“.

Am 8. April wird eine DRK-Bereitschaft gegründet, die auf die Vorarbeit von Heinz Meiners, der sich bereits 1946 um den Aufbau einer DRK-Gruppe in Kevelaer gekümmert hat, zurückgreifen kann. Die ärztliche Leitung übernimmt Dr. Franz Oehmen. Die neue DRK-Bereitschaft setzt die Betreuung der Kevelaer-Pilger fort. Nachwuchsmangel gibt es nicht, denn auch eine Jugendrotkreuz-Ortsgruppe entsteht in Kevelaer.

In Kervenheim werden Wall- und Schlossstraße zu Einbahnstraßen erklärt: Durch die Wallstraße darf nur noch in Richtung Winnekendonk, durch die Schlossstraße nur in Richtung Uedem gefahren werden. Diesem Vorschlag der Polizei stimmt der Gemeinderat zu.

Die ärztliche Versorgung an Sonn- und Feiertagen wird gesetzlich geregelt. Ab Mitte April müssen die praktischen Ärzte in Kevelaer einen Sonn- und Feiertagsdienst einführen. Der Dienst beginnt am Samstag beziehungsweise am Tag vor dem Feiertag, und zwar um 14 Uhr, und dauert bis zum ersten folgenden Werktag, 7 Uhr. Zwei Ärzte müssen für den Notdienst in Bereitschaft sein.

Der Einzelhandel in Kevelaer gibt sich Mitte April eine neue Organisationsform. Gegründet wird ein Kevelaerer Ortsverband im Einzelhandelsverband Kreis Kleve-Geldern. Die Kaufleute tagen im Heidelberger Faß unter Vorsitz von Wilhelm Kösters.

Der neue Verband „Einzelhandel Kevelaer“ befasst sich auf der Gründungsversammlung mit Themen wie Gewerbesteuer und Marktordnung. Der Jahresbeitrag wird auf 5 DM festgesetzt. Die Mitglieder werden auf die neue Polizeiverordnung zur Vermietung von Torwegen und Einfahrten hingewiesen. Kevelaer müsse wieder „ein sauberes, seinem Charakter entsprechendes Bild an seinen Straßen“ zeigen.

Die bei Kriegsbeginn geschlossene Nitag-Tankstelle in Wetten wird in der zweiten Aprilhälfte wieder eröffnet.

Knapp ist immer noch Kohle. Am 15. April läuft die Frist für das Abholen der Kohleausweise ab, die im Rathaus ausgestellt werden. Nur mit einem solchen Ausweis kann man sich bis zum 28. April bei einem der Kohlehändler in eine Kundenliste eintragen lassen.

Diese Kundenliste muss der Kohlenhändler mitsamt den abgegebenen Kohleausweisen im Rathaus vorlegen. Die Verwaltung errechnet, welcher Kohlenhändler welches Grundkontingent erhält. Wenn schließlich Kohlen an die Händler geliefert worden sind, dürfen sie nur die in der Liste festgelegten Kohlenmengen herausgeben, und zwar ausschließlich an die registrierten Kunden. Die Händler in Kevelaer sitzen auf heißen Kohlen: Erst ein Drittel aller Haushalte hat einen Kohleausweis bei ihnen abgegeben. Da bahnt sich Ärger an, denn wer die Frist versäumt, dem dürfen keine Kohlen verkauft werden.

Zum Thema nimmt Heinrich Krings aus Kevelaer in einem Leserbrief Stellung:

► „Wir haben jetzt Kohlenscheine, wissen jedoch leider nicht, was wir an Kohlen bekommen. Im vergangenen Winter haben wir meist jeden Monat einen Zentner Brennmaterial erhalten. Hatten wir das Essen fertig, ließen wir das Feuer ausgehen. Das war nicht angenehm bei der Kälte im Winter. Ich frage mich, was die alten Leute, die armen Rentner im kommenden Winter anfangen sollen?“

Die Dramatik dieser Tage wird im Vergleich deutlich: 1937 verbrauchte ein durchschnittlicher Haushalt im Jahr 41 Zentner Kohlen. Während des Kriegs musste er mit 37,5 Zentner auskommen. Jetzt, 1951, stehen ihm nur noch 14,4 Zentner zu.

Mai 1951

Um eine gute Ernte geht es bei einer Bittprozession am 1. Mai. Sie zieht über den Kreuzweg und endet in der zerstörten Pfarrkirche. Unter dem provisorisch hergerichteten Dach wird - zum ersten Mal seit mehr als sechs Jahren - ein Gottesdienst in St. Antonius gefeiert.

Das Gnadenbild im Schrein der Gnadenkapelle mit dem Schmuck der Jahrhunderte.

Ebenfalls zum ersten Mal wird ein kleiner Stab neben dem Gnadenbild im Schrein aufgestellt. Mit diesem Symbol für den Hirtenstab des Kevelaerer Pfarrers hat es eine besondere Bewandtnis:

Jedes Jahr werden die Votivgaben der Pilger für das Gnadenbild gepflegt und teilweise ausgewechselt. Dadurch verändert sich der Schmuck des Gnadenbilds. Manche Kostbarkeit verschwindet, obwohl vorhanden, aus dem Blick oder befindet sich an anderer Stelle. Diese Veränderung zeigt nun der Stab an: Nach einem Wechsel wandert er zur anderen Seite im Schrein.

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© Martin Willing 2012, 2013