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    SACHBEGRIFFE |
Otterbeck, Dr. Josef

Unternehmer aus Kervenheim | * 1930

Dr. Josef OtterbeckMeist ist es das Letzte, was hängen bleibt, und die letzte Nachricht von der Schuhfabrik Otterbeck ist eine traurige. Seit dem Zusammenbruch des Unternehmens im Jahr 1984 ist viel Wasser durch den Rhein bei Köln geflossen, wo Dr. Josef Otterbeck die längste Zeit seines Arbeitslebens verbracht hat; und selbst die kleine Kervenheimer Mühlenfleuth hat in den Jahren eine Menge Wasser davongeschwemmt. Hohe Zeit, ein Bild von Josef Otterbeck zu zeichnen, das ihm gerecht werden will.

Josef wird als fünftes Kind des Schuhfabrikanten Wilhelm Otterbeck und seiner Ehefrau Josefine, geb. Luft, in Mülheim a.d. Ruhr geboren. Von Ostern 1936 bis zum Herbst 1941 besucht er die Volksschule in Mülheim-Saarn. Sein Vater verlegt die Firma nach Kervenheim, und mit der Firma zieht die Familie um. Von 1941 bis 1944 besucht Josef die Rektoratsschule in Kevelaer, wird in die Untertertia versetzt und - steht vor verschlossenen Türen: Wegen der heftigen Kämpfe am Niederrhein ist die Schule geschlossen.

Im Februar 1945 verlässt die Familie Otterbeck Kervenheim unmittelbar vor dem Sturm der Alliierten auf das Dorf und flüchtet zurück nach Mülheim.

Im Herbst 1945 beginnt für Josef in Mülheim wieder der Schulunterricht. Er wird in die Obertertia des Naturwissenschaftlichen Gymnasiums aufgenommen, an dem er 1951 das Abitur macht. Nach bestandener Aufnahmeprüfung erhält Josef an der Universität Göttingen die Zulassung zum Physikstudium für das Sommersemester 1951.

Die 1950er-Jahre bringen dem jungen Mann - Schlag auf Schlag - Leid und Belastungen. Im Sommer 1953 stirbt durch einen Verkehrsunfall sein Vater Wilhelm Otterbeck. Fünf Jahre später kommt Josefs älterer Bruder Ernst Otterbeck, der dem verstorbenen Vater als Leiter des Unternehmens nachgefolgt ist, ebenfalls durch einen Autounfall ums Leben. Im Jahr darauf stirbt Josefs Mutter, Gertrud Otterbeck.

Josef Otterbeck muss nicht nur diese Schicksalsschläge verkraften. Er bekommt erhebliche Probleme mit seinem Studium, weil kein Weg daran vorbeigeht, dass sich der junge Mann nun auch im elterlichen Unternehmen engagiert. Josef darf, ohne weiterhin immatrikuliert zu sein, neben der Mitarbeit in der Geschäftsleitung der Schuhfabrik seine Diplomprüfung zu Ende führen. Erst nach mehreren Unterbrechungen schließt er die Diplomarbeit im Mai 1961 ab.

Ohne sich ausreichend auf den Einstieg in das Kervenheimer Unternehmen vorbereiten zu können, tritt Josef Otterbeck noch vor dem Tod seiner Mutter als persönlich haftender Komplementär der Otterbeck-Gesellschaft bei. Nach einigen „Feuerwehrjahren“ im eigenen Unternehmen kehrt der Diplom-Physiker im Herbst 1963 an die Universität Göttingen zurück und beginnt im Institut für physikalische Chemie unter der Leitung von Professor Dr. W. Jost mit seiner Doktorarbeit über ,,Die Beeinflußung der Rußbildung an Acetylen-Sauerstoff-Flammen durch elektrische Felder.“ Am Ende seiner universitären Ausbildung lautet seine Adresse: Dr. rer. nat. Dipl.-Physiker Josef Otterbeck.

Im August 1964 heiraten Josef Otterbeck und Roswitha Brocke. In Köln als Tochter des Diplom-Ingenieurs E. H. Brocke und seiner Ehefrau Maria geboren, hat Roswitha Otterbeck in Köln, München und Bonn studiert und als Lehramtsanwärterin abgeschlossen. Bis zur Rückkehr ihres Mannes in die Geschäftsleitung der Firma Wilhelm Otterbeck und Sohn KG im Sommer 1966 lebt das glückliche junge Paar in Göttingen. Aus dieser Ehe gehen später die Kinder Norbert (Dr. jur., Rechtsanwalt), Christoph (Dr., Kunsthistoriker) und Mechtild (Dr., Dipl.-Biologin, verheiratete Becker) hervor.

Zurück in Kervenheim, setzt sich Josef Otterbeck für die Modernisierung und Rationalisierung der Schuhfabrikation ein und hilft durch die Übernahme hoher persönlicher Haftungsrisiken der Firma über die Krisenjahre Anfang der 1970er-Jahre hinweg. Im Verhältnis zwischen ihm und seinem Geschäftsführer Theo Kothes knirscht es. Um eine Auseinandersetzung zu vermeiden, verlegt Josef Otterbeck seine berufliche Tätigkeit nach Köln, wo er 1974 das Sachverständigenbüro seines verstorbenen Schwiegervaters übernimmt. Im Jahr 1979 folgt die Vereidigung als öffentlich bestellter Sachverständiger für Maschinen und industrielle Einrichtungen durch die Industrie- und Handelskammer zu Köln.

Seine persönliche Haftung für die Geschäfte der Otterbeck-Fabrik bleibt davon unberührt. Er erwirbt den Ruf eines zuverlässigen und kompetenten Gutachters für Maschinen und Industrieeinrichtungen der unterschiedlichsten Art. Nach der deutschen Einheit erreichen ihn Gutachteraufträge auch aus den neuen Bundesländern.

Das Jahr 1984 kann niemand der Beteiligten und Betroffenen vergessen. Ob der Firmenzusammenbruch unausweichlich gewesen ist und ob die hauptsächlich von Theo Kothes zu verantwortende Geschäftspolitik den Niedergang aufgehalten oder beschleunigt hat - diese Fragen ohne Antwort fallen nicht in die Verantwortung von Josef Otterbeck, der an der operativen Firmenleitung nicht beteiligt ist. Aber er haftet, so wie es das Wirtschaftsrecht befiehlt, mit seinem gesamten Vermögen für die Folgen. Und dieses Vermögen hat er weniger durch seine Fabrik, als vielmehr durch seine selbstständige Gutachtertätigkeit erworben.

Ihn treffen noch die finanziellen Belastungen aus dem Konkurs, als auf der Otterbeck-Fabrik in Kervenheim längst eine dicke Staubschicht liegt. Aber auch diese Zeit geht zu Ende. Als Josef Otterbeck die 60 überschritten hat, ist er ein „freier Mann“. Dass er seit Jahrzehnten in seinem angestammten Beruf respektiert und anerkannt wird, hilft ihm, die Rückschläge durchzustehen.

„So erfreut er sich auch heute einer selbständigen Existenz“, schreibt sein Sohn Norbert im Januar 1999. „Die Ehe hielt den besonderen Belastungen stand, alle drei Kinder konnten akademische Berufe ergreifen, und inzwischen ist Dr. Otterbeck auch glücklicher Großvater.“

Redner Dr. Josef Otterbeck
Dr. Josef Otterbeck 1981 in einer Ansprache an die Kervenheimer.
Rechts: Theo Kothes und Hein Tervooren (r.).

Was Dr. Josef Otterbeck für ein Mensch ist, dafür mögen seine Worte stehen, die er zu seinen Mitarbeitern der Kervenheimer Schuhfabrik vor dem Weihnachtsfest 1958 gesprochen hat - unmittelbar nachdem Josef Otterbeck die persönliche Haftung der Gesellschaft übernommen hat. Seine Rede ist im Konzept noch erhalten. Er sagt:

(...) In einer Betriebsgemeinschaft, wo sich an einem Tage wie heute alle zusammenscharen und die schönen alten Weihnachtslieder singen, da ist der Geist gut, da braucht man nicht mehr viele Worte zu machen, da wissen alle, worauf es ankommt. So will ich denn ganz einfach sagen: Ich wünsche Euch von Herzen ein ruhiges, besinnlich-frohes und glückliches Weihnachtsfest.

Aber wenn ich mir zu Weihnachten etwas wünschen darf von Euch, dann soll es dies sein: Seid gut zueinander, helft einander und lasst Neid, Eifersucht und Missgunst nicht eindringen in unsere Gemeinschaft; helft alle mit, dass es so gut und so schön bleibt bei uns und noch schöner wird. (...)

Und wenn ich mir noch etwas wünschen darf, dann ist es Euer Vertrauen. Denn ich stehe ja zum ersten Mal an dieser Stelle, und wo ich heute stehe, da sollten eigentlich andere stehen. Wie gut könnte mein Vater, wie gut könnte mein Bruder hier noch sein. (...)

Leicht wird die Zukunft nicht sein. Deshalb lasst uns zusammenstehen, alle, der Meister wie der Arbeiter, der Angestellte wie die Betriebsleitung, jeder an seinem Platz mit Ernsthaftigkeit und gutem Willen; dann ist mir nicht bange. (...)

Die Zeit ist reif, dass nicht mehr der Konkurs „als Letztes hängenbleibt“ im Gedächtnis der Kervenheimer. Ungezählte Menschen haben seit den Anfängen der Fabrikation in Kervenheim vor dem Zweiten Weltkrieg von der Familie Otterbeck mehr bekommen als Brot und Arbeit. Sie haben auch menschliche Zuwendung und soziale Sicherheit für sich und ihre Angehörigen erhalten, und das über die Jahrzehnte.

Wer heute in Dankbarkeit an die Familie Otterbeck denkt und Josef Otterbeck Respekt dafür zollt, dass er Verantwortung übernommen hat, ohne verantwortlich zu sein, wird der Lebensleistung einer Unternehmerfamilie wohl gerecht.

Und auch dafür ist die Zeit reif: Stellvertretend sollte in Kervenheim eine Straße nach Wilhelm Otterbeck benannt werden.

© Martin Willing 2012, 2013