Oktober 1950
An der Friedenstraße wird der Grundstein für ein neues Pflegeheim
gesetzt. Das als Müttererholungs- und Altenheim konzipierte Haus findet
Platz in einer Baulücke zwischen den Häusern von
Dr. Franz Oehmen
und Anton Jansen. Auf Anregung von Pastor Janssen soll es den Namen „
Regina
Pacis“ erhalten.
Die Firma Tebartz führt die Bauarbeiten aus. Das Architektenbüro
Angerhausen-Wierichs hat die Pläne entworfen. Seit Mai wohnen
Franziskusschwestern im Haus von Jansen und haben dort mit dem Betrieb
eines solchen Heims begonnen. Das neue Gebäude dient der Erweiterung.
Die Finanzierung des „Pflegeheims Regina pacis“, so meldet das KB, ist
durch „Verpflegungsverträge mit Frau Anton Jansen und Fräulein Josefine
Pesch sowie aus Mitteln der Haus- und Krankenpflege“ gesichert.
Bereits fertig ist, ebenfalls an der Friedenstraße, das
Provinzialmutterhaus der neu gegründeten Rheinischen Ordensprovinz der
Schwestern von der
Göttlichen
Vorsehung. Der Orden hat die alte Villa Bercker übernommen und dort
das Mutterhaus eingerichtet. Provinzialoberin wird Schwester Hemerita.
Sie kennt den Niederrhein aus ihrer Zeit in Kleve, wo sie als
Gewerbeoberlehrerin tätig gewesen ist.
Die Villa Bercker wird sich schon bald als zu klein erweisen, besonders
in Zeiten, wenn Exerzitien gehalten werden. Mit ihrem späteren Abriss
geht die erste Kapelle verloren, die der Kevelaerer Künstler
Will Horsten (*
1920, † 1979) gestaltet hat. Das kleine Gotteshaus wird in einem
Zeitungsbericht von 1950 beschrieben, der das einzige bekannte Dokument
ist, das die verloren gegangene erste Kapelle der Vorsehungsschwestern
beschreibt:
Die Kapelle entstand aus einem ehemaligen großen Wohnraum mit
anschließendem Wintergarten, der zum Altarraum ausgebaut wurde. Sowohl
in der innenarchitektonischen Formgebung als auch in der Wirkung der
hellen Farbtöne wurde der Betraum bewußt so gestaltet, daß sich die
Konzentration auf den Altar richtet und alles Uebrige im Raum unbetont
bleibt. Durch zwei vom Betraum aus nicht sichtbare Seitenfenster wird
der Altarraum in einem grünlichen Licht von fein abgestimmter Tönung
gehalten. Bei der Formung des Altares ging der Künstler auf die Urform
des Opfertisches ohne Blumenbänke und sonstige Aufbauten zurück.
Lediglich je drei Kerzenleuchter von schlichter Form begrenzen seitlich
den Tabernakel, der mit einem Seidentuch, das Zelt Gottes
symbolisierend, verhüllt ist. Der Altar wird durch ein schwarzes
Wandkreuz hoch überragt, dessen Korpus Will Horsten aus naturfarbenem
Eichenholz gestaltete. Es stellt den im Leid triumphierenden,
ver-klärten Christus dar, das Haupt umgeben von einem großen, schmalen
Silberreifen, silberne Nägel an den Händen und Füßen. Der Wille des
Künstlers, Altar und Kreuz Mittelpunkt dieser feinen Gebetsstätte des
Ordenshauses sein zu lassen, hat so in der Gesamtwirkung des
ein-zigartigen Raumes eine überzeugende Lösung von tiefer
Eindringlichkeit gefunden.
So sind die Eindrücke im Jahr 1950. Neun Jahre danach - mit dem Neubau
des Kloster-Ensembles - wird die Kapelle durch die Maria-Königin-Kapelle
ersetzt, die nach Auflösung des Klosters heute zum St.-Elisabeth-Stift
gehört.
Trauer löst im Oktober 1950 der Tod von
Obersteuersekretär Andreas Dauvermann (69) aus, einem verdienstvollen
Sportförderer, der lange Jahre Vorsitzender und Ehrenvorsitzender des
Ballspielvereins Kevelaer gewesen ist. Zwischen 1923 und 1946 hat er
viele Jahre den Verein und seine Kassengeschäfte geführt. 1948 ist er
zum Ehrenvorsitzenden ernannt worden, 1949 hat er die Ehrennadel
erhalten. Die Mitglieder seines Vereins geben ihm das letzte Geleit.
In Winnekendonk wird der neue Sportplatz durch Kaplan Wilhelm Hetterix
(* 1907, † 1995) gesegnet. Am Nachmittag findet das erste
Meisterschaftsspiel gegen Vernum auf dem neuen Sportplatz statt; es
endet mit einer Niederlage von 3:5.
In dieser Zeit, fünf Jahre nach Kriegsende, wird in der Bundesrepublik
nichts heftiger diskutiert als die Gründung der Bundeswehr und die
Wiederbewaffnung Deutschlands. Die Nation scheint sich zu spalten. Im
Bonner Kabinett wird um Geschlossenheit gerungen, aber
Bundesinnenminister Gustav Heinemann (* 1899, † 1976), der spätere
Bundespräsident, der zu diesem Zeitpunkt noch der CDU angehört, reicht
seinen Rücktritt ein.
In Kevelaer wird herzlich Abschied genommen von Kaplan
Erich Bensch (*
1905, † 1969), den Bischof Michael Keller in der Gemeinde Stockum bei
Werne an der Lippe versetzt hat, wo Bensch die Aufgaben eines
Pfarrrektors übernimmt. Der Geistliche muss sich auch von der
Kolpingfamilie und der KAB verabschieden, deren Präses er gewesen ist.
Besonders Gesundheit wird ihm gewünscht, denn in letzter Zeit ist er
krank gewesen.
Freude bei der Kolpingfamilie: Die Gründungsfahne der Vereinigung, lange
Zeit verschollen, taucht wieder auf. Sie befindet sich in einem guten
Zustand und soll künftig als Fahne von Alt-Kolping dienen.
Um die finanzielle Regulierung der Zerstörungen im Krieg kümmert sich
der „Bund der Fliegergeschädigten“, der in Kevelaer eine Ortsgruppe
gründet. Im Hotel
Zum weißen Schwan spricht ein Vertreter des
Bundesvorstands auf der Gründungsversammlung über Entschädigungsfragen.
Der neue Verein geht auf Initiativen von Matthias van Ooyen und Josef
Goergen zurück und wird von Goergen geleitet. 70 Kevelaerer treten am
Gründungstag bei.
Die Hermanns-Mühle an der Wember Straße verliert ihre Flügel. Sie sind
zwar technisch eine Besonderheit, funktionieren aber nicht. Die
nutzlosen Flügel werden abmoniert, um mit ihnen eine kriegsbeschädigte
Mühle im Kreis Geilenkirchen aufzurüsten. Die Kevelaerer Mühle, die
ohnehin elektrisch betrieben wird, erhält Attrappenflügel.
Nach kurzer Krankheit stirbt Lehrerin Johanna Bausch (* 1895). Sie ist
die erste Rektorin der Hilfsschule und späteren Sonderschule gewesen.
Die beliebte Lehrerin ist nur 55 Jahre alt geworden.
In Winnekendonk kündigt sich das Singspiel „Winzerliesel“ an, das seit
Wochen der Kirchenchor Cäcilia von St. Urbanus einstudiert. Das KB
prophezeit: „Da der Kirchenchor über stimmlich beachtliche Kräfte
verfügt und auch eine gute Orchesterbesetzung möglich ist, darf eine
wirkungsvolle Wiedergabe dieses volkstümlichen Singspiels erwartet
werden.“ Drei Aufführungen im Saal Evers sind geplant. Der Reinerlös ist
für den Wiederaufbau der Pfarrkirche und ihre Ausstattung bestimmt.
In der Innenstadt Kevelaer macht sich das Fehlen eines Verkehrsvereins
nachteilig bemerkbar. Vor dem Krieg hat es einen solchen Zusammenschluss
gegeben. In der Zeitung wird über eine Initiative berichtet: „Kevelaers
Einzelhandel regt sich“, ist dort zu lesen. „Mit dem Ziele, einen
organisatorischen Zusammenschluß des Kevelaerer Einzelhandels
herbeizuführen, hatte sich eine Anzahl von Geschäftsleuten im Lokale
Jacobs zusammengefunden. Der Versammlungsleiter, Wilhelm Kösters,
betonte in einleitenden Ausführungen die Notwendigkeit dieses Vorhabens
im Interesse des Kevelaerer Einzelhandels“.
Der neue „Zusammenschluss“ solle sich vorrangig um die Vorbereitung der
Weihnachtswerbung kümmern. Hier habe Kevelaer im vorangegangenen Jahr
„versagt“. Die Stadt müsse sich rühren, um „ein Abfließen der Kaufkraft
nach außerhalb unterbinden zu können“.
Einstimmig beschließen die Anwesenden im Hotel
Weißes Kreuz die
Gründung eines Ortsverbands des Einzelhandels. 1. Vorsitzender wird
Wilhelm Kösters, 2. Vorsitzender Bürgermeister
Peter Plümpe,
Schriftführer
Franz Bercker, Kassierer Franz Ruyter; Beisitzer werden Willi
Lawaczeck, Gerhard Weffers und Lydia Pellens. Hauptthema ist die
Weihnachtswerbung. „Danach ist eine einheitliche Ausschmückung der
Haupteinkaufsstraßen mit stilisierten Weihnachtsbäumen aus
Hartfaserplatten in Höhe von einem Meter vorgesehen, die mit eisernen
Winkelarmen an den Häuserfronten befestigt und mit je fünf Glühbirnen
versehen werden sollen“, heißt es in einem Bericht. „Die Kosten werden
sich für jeden Baum voraussichtlich auf 22 bis 25 DM belaufen.“
Für den neuen Verein der Einzelhändler sind die Fußstapfen des
Vorkriegs-Verkehrsvereins allerdings zu groß. Er wird sich nicht lange
halten, und erst 1968 wird es auf Initiative von
Martin Pauli
zur erfolgreichen Wiedergründung des
Verkehrsvereins kommen.
Ende Oktober 1950 eröffnet Metzgermeister Jean Beckers an der Weezer
Straße 59 sein neues Fleischergeschäft. „Es wird mein Bestreben sein,
durch gute Ware und solide Preise meine Kunden stets zufrieden zu
stellen“, verspricht er in einer Annonce.
Fertig gestellt wird nun die Umgehungsstraße, die heutige Bundesstraße
9, im Abschnitt „Ferkeshimmel“ zwischen Kevelaer und Weeze. Als eine der
„schmucksten Straßen weit und breit“ wird sie in der Zeitung bezeichnet.
November 1950
Besonders unter den katholischen Gläubigen herrscht seit Wochen
erwartungsvolle Unruhe. Die Verkündung eines Dogmas steht bevor, einer
Glaubenswahrheit, für die zum ersten und bis heute einzigen Mal das
Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes in elementaren Glaubensfragen
(1870) seine Wirkung entfaltet. Papst Pius XII. verkündet am 1. November
im Schreiben
Munificentissimus Deus die „leibliche Himmelfahrt
Marias“, die leibliche Aufnahme der
Gottesmutter in den Himmel.
An den beiden Tagen vor der Verkündung und acht Tage danach wird der
Heilige Vater in seiner Gewissheit bestärkt. Pius XII., so berichtet es
später Kardinallegat Federico Tedeschini in
Fatima, sieht beim Gang
durch die vatikanischen Gärten zur Nachmittagszeit mehrmals eine
„rotierende Sonne“ - so wie 33 Jahre zuvor am Himmel über Fatima die
Sonne tanzte, wie es von vielen Zeitzeugen berichtet wird. Der Papst
sei, so erzählt der Kardinallegat, erschüttert, bewegt und von Leben
erfüllt gewesen. Er habe das Phänomen als „stumme, doch beredte
Botschaft“ verstanden.
In der Nacht zum 1. November, dem Tag der Dogma-Verkündung, geschieht
auch in Deutschland - in
Heroldsbach - etwas Außergewöhnliches: Etwa 100
Zeugen, so heißt es in Berichten, sehen am Waldrand eine Erscheinung,
die sie als Marienerscheinung deuten. Aber Heroldsbach wird von der
Kirche leidenschaftlich als Einbildung abgelehnt.
Kevelaer reagiert erstaunlich gelassen auf die Dogma-Verkündung und die
sie begleitenden Phänomene. Die Marientracht, die 1942 nicht ziehen
konnte und aus Anlass des Mariendogmas zunächst für den 10. Dezember
1950 geplant ist, wird aufs folgende Jahr verschoben. Dazu hat Bischof
Keller geraten: Die Prozession solle in der wärmeren Jahreszeit ziehen.