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    SACHBEGRIFFE |
Bensch, Erich

Kaplan in Kevelaer während der Nazi-Zeit | * 1905 | Priesterweihe 1931 | † 1969

Erich BenschAnfang 1945: Kevelaer ist zwangsevakuiert und fast menschenleer. Und doch: Selbst unter den wenigen Einheimischen, die ausharren, finden die Fliegerbomben noch Opfer. Und täglich werden weitere Tote vom Hauptverbandsplatz in Wissen nach Kevelaer transportiert - Soldaten, die gestorben sind. Totengräber Jan Baldeau ist nicht allein. Ihm steht Kaplan Erich Bensch zur Seite, der von der Polizei gesucht wird und täglich aus seinem Versteck auftaucht. Vom 11. Februar bis 1. März 1945 gibt Erich Bensch hundert Verstorbenen ein christliches Begräbnis auf dem Friedhof Kevelaer.

Rückblende:

Erich Bensch schlug am Sonntag, 2. Juli 1933, die Kölnische Volkszeitung auf und las, dass sein katholischer Jungmännerverein in Recklinghausen, dessen Präses er war, ab sofort wegen „staatsfeindlicher Umtriebe“ aufgelöst sei. Bensch war empört und verfasste eine Erklärung, die er von der Kanzel verlas: „Das Auflösungsdekret ist mit der Begründung erlassen worden. daß der Jungmännerverein sich staatsfeindlich betätigt habe. Als vom Bischof ernannter Präses des Jungmännervereins weise ich diese Unterstellung entschieden zurück.“ Und: „Die Predigt fällt heute aus.“

Am nächsten Morgen, gegen 9 Uhr, rief die Geheime Staatspolizei beim Dechanten von Recklinghausen an - Bensch war damals Kaplan der Gemeinde St. Paul - und bestellte den Kaplan ein.

Gestapo-Chef Graf Stosch hielt Bensch vor:

"Herr Kaplan, Sie haben gestern auf der Kanzel eine Predigt gehalten, in der Sie behauptet haben, dass der nationalsozialistische Ordnungsstaat eine bolschewistische Blutdiktatur sei.“

Bensch: „Erstens habe ich keine Predigt gehalten und zweitens habe ich auch die fragliche Behauptung nicht aufgestellt“.

Stosch: „Herr Kaplan, das ist eine so ungeheuerliche Beleidigung der Reichsregierung, dass ich mich gezwungen sehe, Sie in sofortige Schutzhaft zu nehmen. Außerdem werde ich über Ihr Verhalten das Geheime Staatspolizeiamt in Berlin in Kenntnis setzen und von dort weitere Verhaltensmaßnahmen erbitten“.

Bensch wurde abgeführt. Ein Polizeibeamter im Keller wurde angewiesen:

„Einzelhaft, Zelle Nr. 4“.

Am nächsten Morgen erfuhr Bensch, dass er gehen könne, wenn er das, was er von der Kanzel gesagt hatte, „irgendwie bedauern“ würde. Ihm wurde ein Zettel gereicht, auf dem stand: „Ich Endunterzeichneter verpflichte mich hiermit, jede politische Äußerung auf der Kanzel zu unterlassen und mich jeden politischen Einflusses auf die mir unterstellte Jugend zu enthalten.“ Bensch unterschrieb, worauf der Gestapo-Chef ihm feierlich erklärte:

„Herr Kaplan, dann habe ich jetzt das Recht, Sie wieder in Freiheit zu setzen“.

Zum Abschied gab der Graf dem Kaplan die Hand und sagte: „Auf Wiedersehen!“

„Hoffentlich nicht an dieser Stelle!“ antwortete Bensch.

Bald darauf berief Bischof Clemens August von Galen den Kaplan an die St.-Mathias-Kirche in Berlin. Die Essener Nationalzeitung jubelte: „Hetzkaplan Bensch nach Berlin versetzt“.

Zehn Jahre später ...

In Kevelaer spitzte sich die Lage zu. Wer sich weigerte, die Stadt zu verlassen, obwohl die niederrheinische Front immer näher rückte, wurde mit Gewalt abtransportiert. Am 2. Januar 1945 sollten die verbliebenen Kevelaerer endgültig zwangsevakuiert werden.

„Schon seit den frühen Morgenstunden lief die Nachricht von Haus zu Haus: Wir müssen raus aus Kevelaer, sollen zwangsweise evakuiert werden!“ schrieb Erich Bensch, seit 1939 Kaplan in St. Antonius, in seinen Erinnerungen. „Die grüne SS ging von Haus zu Haus. Wo sich dieTüren öffneten, wurden alle Bewohner unbarmherzig in die bereitstehenden Lastwagen gepfercht und zur Sammelstelle ins Kino gefahren. Es hieß, am Abend würde ein Sonderzug die gesamte Bevölkerung nach Süddeutschland bringen. Erschütternde Szenen spielten sich ab, aber die ‘Grünen’ griffen mit roher Gewalt durch. Doch die Kevelaerer kapitulierten so schnell nicht. Immer wieder fanden sie Mittel und Wege, aus der Sammelstelle im Kino zu entwischen. Das musste in den Augen der Ordnungshüter schon als organisierter Widerstand aufgefasst werden. Und dieser Widerstand war letztlich auch von Erfolg gekrönt: Die Evakuierung wurde zunächst aufgeschoben. Am Nachmittag, es mag gegen 16 Uhr gewesen sein, fuhr vor dem Priesterhaus ein Bus vor, dem etliche ‘grüne’ Offiziere und braune Parteifunktionäre entstiegen. Sie kamen ins Priesterhaus und verlangten den Dechanten zu sprechen.

> Dechant Holtmann sollte seinen Einfluß geltend machen, um die Bevölkerung zur Aufgabe ihres Widerstandes und zur Einsicht in die Notwendigkeit der Evakuierung zu bewegen. Dechant Holtmann wies indes dieses Ansinnen zurück und äußerte vielmehr sehr viel Verständnis für den Wunsch der Kevelaerer, in ihrer Heimat auszuharren. Mit diesem für sie sehr unbefriedigenden Bescheid verließen die Herren das Priesterhaus - nicht für lange allerdings: Sie kamen schon kurz darauf wieder, um den Dechanten zu verhaften. Sie ließen ihm nicht einmal Zeit, das Notwendigste mitzunehmen.“

Der Kaplan hatte Holtmanns Verhaftung nicht selbst miterlebt. Bensch, der zusammen mit dem weiteren Kaplan > Johannes Real im > Priesterhaus wohnte, war außer Haus gewesen und fand bei seiner Rückkehr die Geschwister des Dechanten, die von Emmerich nach Kevelaer geflohen waren, und die Ordensschwestern in Tränen aufgelöst vor. Niemand konnte sagen, wohin Dechant Holtmann gebracht worden war.

Da machte sich Bensch auf die Suche. Er lief zum Bürgermeisteramt, aber Bürgermeister Eickelberg war nicht da. Der Kaplan wurde an NSDAP-Ortsgruppenleiter Brocks verwiesen, der unweit des Rathauses wohnte. Vor der Brocks-Wohnung erfuhr Bensch, dass sich Brocks im Heimatmuseum befand, wo die „grüne SS“ ihr Hauptquartier aufgeschlagen hatte. Bensch lief zum Museum. Im Gang patroullierte ein „Grüner“ mit aufgepflanztem Bajonett. Der Geistliche wurde mehrfach abgewimmelt, aber dann kam der Zufall zu Hilfe: Brocks trat auf den Gang. Sofort stellte sich Bensch vor und bat Brocks um Auskunft, wo Holtmann sei und ob er ihn sprechen könne. Der Ortsgruppenleiter stellte sich unwissend, führte Bensch aber schließlich in einen Raum, in dem ein Parteifunktionär namens Fischer saß.

„Heil Hitler!“ schmetterte Bensch in den Raum, um, wie es in seinen Erinnerungen heißt, ein „günstiges Klima“ zu schaffen.

„Heil Hitler!“ donnerte Fischer zurück.

Der Kaplan gab vor, bei der Evakuierung der Restbevölkerung behilflich sein zu wollen. „Schön“, sagte Fischer. „Dann können Sie uns ja sicher sagen, was das für Frauen sind, die Sie im Priesterhaus versteckt haben“. Bensch erklärte, das seien zwei Mädchen vom Küchenpersonal des Krankenhauses, die den Klarissenschwestern im Priesterhaus die Nachricht vom Aufschub der Evakuierung überbringen sollten.

Fischer reagierte säuerlich: „Und diese Geschichte soll ich Ihnen abkaufen?“

„Wir haben niemanden im Priesterhaus versteckt, es sei denn, Sie meinen die Schwestern vom Klarissenorden, die seit der Bombardierung ihres Klosters im Priesterhaus eine vorläufige Zuflucht gefunden haben“, antwortete Bensch. Und wie beiläufig fragte er nach dem Verbleib von Wilhelm Holtmann.

„Staatsgeheimnis!“ sagte Fischer. „Sie können gehen!“

Unweit des > Heimatmuseums traf Bensch einen Kevelaerer, der ihm verriet, dass Dechant Holtmann vor wenigen Minuten mit einem Wagen zur Gestapo nach Ratingen gebracht worden sei. Frau Tillmann habe ihm noch eine Decke und ein paar Butterbrote mitgegeben.

Am 11. Januar 1945 entschied das Bürgermeisteramt, dass die Klarissenschwestern bis zum 15. Januar Kevelaer verlassen müssten. Sie kamen in Bocholt im dortigen Klarissenkloster unter. Bensch wurde am 12. Januar für die Zeit der Abwesenheit des verhafteten Pastors Holtmann zum Pfarrverwalter von Kevelaer ernannt. Dadurch fühlte sich Bensch verpflichtet, auf jeden Fall in der Stadt zu bleiben - bis zum Ende.

Am Morgen des 2. Februar gab ein Polizist im Priesterhaus eine Anordnung von Bürgermeister > Eickelberg ab. Alle Geistlichen müssten Kevelaer kurzfristig verlassen. Bensch lief zum Rathaus und fragte Eickelberg, was er unter „kurzfristig“ verstehe.

„Kurzfristig - das heißt in zwei bis drei Stunden müssen Sie die Stadt verlassen.“

Bensch war entsetzt. Er könne das Priesterhaus mit seinen Einrichtungen und die Heiligtümer Kevelaers nicht einfach im Stich lassen. Eickelberg blieb unbeeindruckt und sagte, es handele sich um einen „Befehl von oben“.

Zurück im Priesterhaus, ließ Bensch rund 300 der etwa 1000 Flaschen Messwein aus dem Keller des Priesterhauses von Bauern der Umgebung abholen und weitere 300 Flaschen ins Krankenhaus nach Sonsbeck in Sicherheit bringen. 45 Flaschen packte Bensch in eine Kiste, die zu Bauer Gleumes auf dem Wettener Feld gebracht wurde, wo sich Bensch im Falle eines Falles verstecken wollte. Während der Wein-Rettungsaktion kam dem Geistlichen eine „Schnapsidee“...

Bensch lief wieder zum Rathaus und und fragte den Bürgermeister, dessen Vorliebe für Wein bekannt war, scheinheilig, ob er bei ihm ein paar Kisten Messwein „zur Sicherheit unterstellen“ dürfe. Eickelberg stimmte zu, riet aber dazu, die Flaschen erst bei Dunkelheit in seine Wohnung schaffen zu lassen. Das bedeutete allerdings, dass Bensch nicht „unverzüglich“, sondern „erst später“ Kevelaer verlassen konnte; genau das hatte Bensch mit der „Bestechung“ des weinseligen Bürgermeisters erreichen wollen.

Als sich Eickelberg aus Kevelaer abgesetzt hatte, zählte sein eigenmächtiger Aufschub für Bensch nicht mehr. Ab dem 5. Februar wusste der Kaplan, dass die Polizei nach ihm fahndete. Sofort begab er sich im Schutz der Dunkelheit zum Wettener Feld, wo er sich auf dem Hof von Gleumes versteckte. Kaplan Johannes Real, der wie Bensch bisher im Priesterhaus gewohnt hatte, verbarg sich im Haus Polders in der Hauptstraße.

Bensch verkleidete sich mit Jägerrock und grünem Hut und trat als nach Kevelaer versprengter „Förster von Issum“ auf. In dieser Montur blieb Bensch unbehelligt. Mittwochs und sonntags feierte Bensch im Haus der Familie Pier an der Johannesstraße die heilige Messe, zu der stets ein Dutzend Gläubige kamen. Zuvor hörte Bensch die Beichte. An den übrigen Tagen zelebrierte er auf dem Hof Gleumes um 17 Uhr die heilige Messe - meist mit etlichen Bewohnern von den Nachbarhöfen. Für die Messfeier hatte der Kaplan einen konsekrierten Altarstein aus der Kerzenkapelle mitgenommen.

Mit Jan Baldeau, dem Friedhofsgärtner und Totengräber der Kirchengemeinde, verabredete sich Erich Bensch für jeden Morgen um 7 Uhr auf dem Friedhof, um Gefallene, die vom Hauptverbandsplatz in Wissen bei Weeze gebracht wurden, und eventuelle Ziviltote zu beerdigen.

„Jan Baldeau war ein Mann mit Herz, immer pünktlich zur Stelle. Wir begannen sofort mit unserer schrecklichen Arbeit“, heißt es in den Erinnerungen. „Vom 11. Februar bis zum 1. März haben wir etwa hundert Gefallene und durch Bomben umgekommene Ziviltote beerdigt, oft genug zwei in einem Grab.“

Am tiefsten betroffen war Bensch, als er eine Frau aus Kevelaer zusammen mit ihrer Tochter, einem Kommunionkind des Jahres 1944, beerdigen musste. Beide waren nach der Explosion von Phosphorbomben verbrannt.

„Jan Baldeau hatte das, was seiner Meinung nach zu dem kleinen Mädchen gehören musste, in eine Zigarrenkiste gebettet. So haben wir unter Tränen das Kind bei seiner Mutter beerdigt.“

Erich Bensch bei der Marientracht in Kevelaer
Erich Bensch während der Marientracht in Kevelaer 1951.
*


VITA Erich Bensch

1905 Geboren in Posen als zweites von fünf Kindern des Mittelschullehrers Max Bensch und seiner Ehefrau Käthe.
1920 Fortzug der Familie aus Posen nach Münster, wo der Vater eine Stelle als Rektor antritt.
1920 Besuch des Ratsgymnasiums in Münster, nach Abitur Theologiestudium in Münster und Tübingen.
1931 Priesterweihe.
1932 Kaplan in Recklinghausen St. Paul, Präses des katholischen Jungmännervereins.
1933 Zwangsauflösung des Jungmännervereins wegen „staatsfeindlicher Umtriebe“. Bensch protestiert von der Kanzel gegen die Auflösung.
1934 Kaplan in Berlin St. Matthias.
1939 Kaplan in Kevelaer St. Antonius.
1945 Bischof Clemens August von Galen ernennt Bensch zum Pfarrverwalter für die Zeit der Abwesenheit von Dechant Holtmann, der arrestiert ist.
1945 Bensch taucht, weil Kevelaer zwangsevakuiert wird, auf dem Bauernhof Gleumes unter.
1950 Rektor in Stockum.
1957 Pfarrer in Westerholt.
1960 Definitor im Dekanat Herten.
1968 Pfarrer emeritus (krankheitsbedingte Pensionierung).
1969 Gestorben.

© Martin Willing 2012, 2013