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    SACHBEGRIFFE |
Holtmann, Wilhelm

Hüter des Heiligtums in den dunklen Jahren | * 1882 | † 1949

Foto zeigt Wallfahrtsrektor Wilhelm HoltmannZu keiner Zeit war das Kevelaerer Gnadenbild so gefährdet wie in den Jahren, als die Nazis Deutschland und Europa beherrschten. In Münster erregte der unbeugsame Bischof Clemens August von Galen den Zorn der Machthaber, in Kevelaer war es sein Freund Wilhelm Holtmann, der Pastor von St. Antonius und Wallfahrtsrektor.
 
Holtmann wurde 1882 in Emmerich als Sohn eines Organisten geboren. Er machte 1902 am Emmericher Gymnasium das Abitur, studierte Theologie, wurde 1906 zum Priester geweiht, wirkte in Haldern und Duisburg als Kaplan und Religionslehrer, bis er 1930 zum Pastor von Kevelaer berufen wurde. 1931 wurde er in dieses Amt eingeführt. Zugleich wurde Holtmann Rektor der Wallfahrt; ein Jahr später war er bereits zum Definitor (Stellvertreter des Dechanten) und Ehrendomkapitular ernannt.

Weil es den zahlreich in Kevelaer ansässigen Künstlern (wie fast allen Menschen) wirtschaftlich anhaltend schlecht ging, half ihnen Wilhelm Holtmann mit Aufträgen, so der Ausmalung der Beichtkapelle, der Ausgestaltung der St.-Antonius-Kirche, der Neugestaltung des Kreuzweges und des Marienparks. Hier ließ er eine große Schutzmantel-Madonna aufstellen, ein Ehrenmal für die Gefallenen des Weltkrieges, vor dem sich noch heute im November die Abordnungen der Geselligen Vereine versammeln.

Ende 1933 ließ der Pastor das Priesterhaus durch einen Neubau und einen Umbau älterer Teile vergrößern; zudem wurde die Basilika neu ausgemalt, und Holtmann ließ neue Kirchenfenster einsetzen, wodurch auch erwerbslose Handwerker Arbeit bekamen - ein umfangreiches Arbeitsbeschaffungsprogramm, wie wir heute sagen würden.

Noch mehr Sorgen als die wirtschaftliche Not machte dem Kevelaerer Pastor der Fuß fassende Nationalsozialismus. Im August 1933 bekam Holtmann Besuch durch den Regens des Priesterseminars, Domkapitular Prälat > Arnold Francken aus Münster, einen gebürtigen Kervenheimer, und den Rektor des Jesuitenkollegs Valkenburg (Holland), P. Keller S.J.

Die drei Geistlichen erörterten die politische Lage und kamen überein, daß der Nationalsozialismus eine Häresie sei, die „durchaus abgelehnt“ werden müsse. 
„Wohl stand bei mir fest, daß ich das Nazitum radikal ablehnen mußte. Es wurde mir schwer, den Pfarrkindern gegenüber, die offen oder verschleiert die Bewegung mitmachten, besonders denen gegenüber, die sich trotzdem am kirchlichen Leben und Sakramentsempfang beteiligten, die rechte Stellungnahme als Pfarrer zu gewinnen. Diese Ablehnung, die ich als meine Pflicht betrachtete, hat mir manche Verkennung und Schwierigkeit in meiner Amtsführung gebracht; doch ich habe durchgehalten. Die treu kirchlich Gesinnten verstanden mich wohl. Die Nazis waren keinen Augenblick im Zweifel darüber, daß sie an mir einen unerbittlichen Gegner hatten“, hielt Wilhelm Holtmann schriftlich fest.

Holtmanns geistlicher Bruder, dem er sehr nahe stand, war der Bischof von Münster, für den er im neuen Flügel des Priesterhauses an der ruhigen Gartenseite ein Bischofszimmer hatte einrichten lassen - mit einem 2,35 Meter langen Bett, in dem sich der 2,06 Meter große Clemens August von Galen wohlfühlen sollte. 

Clemens August kam im Februar 1934 zum ersten Mal als Bischof nach Kevelaer. Pastor Wilhelm Holtmann fuhr ihm bis Heltorf entgegen und begleitete ihn nach Kevelaer, wo von Galen in der Gnadenkapelle eine Messe feierte. Der Bischof besuchte Kirchen, Klöster und kirchliche Häuser in Kevelaer und kam zu einem Heimabend der Jungschar in das katholische Jugendheim. Er forderte die Jungen auf, treu zu Christus und Kirche zu stehen. Von Galen trug sich ins Gästebuch des Priesterhauses als Bischof ein.

Holtmanns widerständliche Haltung gegenüber den Nazis stieß im Januar 1936 erstmals übel auf. Kevelaers Bürgermeister > Aloys Eickelberg meldete pflichtgemäß dem Landrat in Geldern, „daß die Kirchen in Kevelaer (Basilika und Pfarrkirche) ... entsprechend dem ergangenen Erlaß nicht beflaggt wurden.“ Die Staatspolizei bestand auf Strafantrag, der bei der Oberstaatsanwaltschaft Kleve auch gestellt wurde. Im Mai 1936 wurde das Verfahren gegen Holtmann mit Zustimmung des Reichsministers der Justiz eingestellt.

Eine interne Information Holtmanns an den Bischof von Münster vom Mai 1936 könnte einer der Auslöser für die berühmten „Brandpredigten“ von Clemens August gegen die Euthanasie gewesen sein. 
 
Holtmann schrieb an das Bischöfliche Generalvikariat Münster: Im Kreise Geldern werde seit längerer Zeit Sterilisierung im weitesten Umfang und mit großer Härte durchgeführt. Immer wieder kämen Eltern und Pfleger, um beim Pfarrer Rat zu holen. Hunderte von Insassen der Heilanstalten in Bedburg-Hau wurden, so wissen wir heute, in Tötungslager überstellt, wo sie von den Nazis ermordet wurden.

1937 wurde Wilhelm Holtmann Dechant des Dekanats Kevelaer als Nachfolger des Wettener Pfarrers Anton Krimphove. Im selben Jahr, im Dezember 1937, wählte ihn das Kathedral-Kapitel zu Aachen zum neuen Bischof von Aachen als Nachfolger des im Oktober gestorbenen Joseph Vogt. Aber Holtmann durfte das Amt nicht antreten. Eine „politische Klausel“ im Konkordat mit dem Freistaat Preußen von 1929 und im Reichskonkordat von 1933 gestand dem Staat ein Einspruchsrecht bei der Besetzung des Bischofsstuhls zu. Der Einspruch gegen Holtmann erfolgte prompt, weil er „wegen seiner Einstellung zum heutigen Staat politisch nicht genehm ist“.
 
Ende Dezember 1937 übermittelte die Geheime Staatspolizei (Gestapo) ein Dossier gegen den Pastor von Kevelaer. „Der Vorschlag der Ernennung des Pfarrers Holtmann zum Bischof geschieht zweifellos auf Betreiben des Bischofs Clemens Graf v. Galen, Holtmann ist sein engster Freund. (...) Gegen die Wahl des Pfarrers Holtmann zum Bischof der Diözese Aachen bestehen hier schwerste Bedenken.“ Die Nazis wollten keinen zweiten „Löwen von Münster“.

Nach der Ablehnung Holtmanns durch den Staat ernannte Papst Pius XI. wider Erwarten keinen anderen Geistlichen zum Bischof, sondern stattete am im Mai 1938 den Aachener Weihbischof Hermann Joseph Sträter als Apostolischen Administrator mit allen bischöflichen Vollmachten aus. Für eine solche Ernennung sah das Konkordat keine Beteiligung des Staates vor. 

Die Nichtbesetzung des Bischofsstuhls durch einen Bischof war Roms Protest gegen die Einmischung der Nazis. 

Holtmann selbst erfuhr erst sehr viel später von seiner Wahl durch die zur Verschwiegenheit verpflichteten Kapitulare von Aachen und von seiner Ablehnung. Der „Fall Aachen“ füllte inzwischen eine Akte der Gestapo Düsseldorf, 43 Blatt dick:

„Die Stellung als Pfarrer in dem bekanntesten westdeutschen Wallfahrtsort Kevelaer bringt es naturgemäß mit sich, daß Pfarrer Holtmann in engen Beziehungen zu seinem Diözesanbischof Clemens August in Münster steht. Der Bischof von Münster ist als sehr streitbar und dem nationalsozialistischen Staat mit größter Zurückhaltung gegenüberstehend bekannt. Wenn auch Pfarrer Holtmann politisch nicht besonders hervorgetreten ist, so muß aus den Gesamtumständen, insbesondere aus seinen engen Beziehungen zum Bischof von Münster, die sich auch aus der Verleihung eines Ehrenamtes an der Domkirche in Münster ergibt, gefolgert werden, daß seine Haltung dem Staate gegenüber zum mindesten ebenfalls weitestgehend zurückhaltend ist. Daran ändert auch nichts, daß Pfarrer Holtmann sich in Kevelaer eines guten Ansehens erfreut und daß ihm nachgesagt wird, er habe sich im Jahre 1933 durch Aufstellung eines Wirtschaftsprogramms für den Bereich der Kirchengemeinde Kevelaer Verdienste um die Behebung der Arbeitslosigkeit in diesem Bezirke erworben. Es handelte sich damals um kirchliche Renovierungsarbeiten, durch die längere Zeit einem für Kevelaer nicht unerheblichen Prozentsatz von Handwerkern, teilweise auch Künstlern, Beschäftigung verschafft wurde.“

Von solchen Aktennotizen wußte Holtmann nichts; ein ganz anderes Ereignis schockierte ihn: Im September 1937 war ein Sonderzug aus Rommerskirchen, mit etwa 800 Pilgern nach Kevelaer unterwegs, bei der Durchfahrt im Bahnhof Holzheim bei Neuß verunglückt. 19 Menschen starben in den Trümmern, zahlreiche Insassen wurden schwer verletzt.

Holtmann feierte für die Verunglückten in der Basilika ein Requiem. Zur Trauerfeier fuhr er nach Rommerskirchen. Holtmann besuchte die Schwerverletzten in den verschiedenen Krankenhäusern.

Am Tag des Kriegsausbruchs, es war der 1. September 1939, der Herz-Jesu-Freitag, begab sich Holtmann um 21.30 Uhr mit verschwiegenen Helfern in die Gnadenkapelle und nahm das Gnadenbild aus dem Schrein. Das Bild wurde in eine verzinkte Blechschachtel mit einer von Holtmann unterzeichneten Urkunde gelegt. Die Goldene Krone und andere kostbare Weihegaben kamen in sogenannte Tuben, die ebenfalls verlötet wurden. Tuben und Kasten wurden im Fußboden der Turmhalle der Basilika vergraben und eingemauert, und zwar an einer Stelle, die nach Rücksprache mit dem Ortsluftkommandanten und dem > Bauunternehmer Peter Tebartz unter dem Gesichtspunkt größtmöglicher Sicherheit selbst bei einem Luftangriff ausgesucht worden war.

Im Jahr 1944 vertraute Wilhelm Holtmann drei Kindern das Geheimnis an, wo das Gnadenbild vergraben worden war. Einer der Jungen war Fritz Janssen, der nach dem Krieg berichtete: „Im Herbst 1944, an einem Sonntag, bestellte uns Dechant Holtmann in die Sakristei der Marienbasilika. Von dort führte er uns in die Turmhalle der Basilika. Dort vertraute er uns folgendes Geheimnis an: Im Fußboden unter dieser Platte ist das Original des Gnadenbildes in einer Kassette deponiert. In der Gnadenkapelle selbst ist eine Kopie. Wenn Kevelaer zerstört werden und Holtmann etwas zustoßen sollte, „so teilt den nach dem Gnadenbild Suchenden mit, wo es vergraben ist“. Die Jungen mußten striktes Stillschweigen geloben und wurden von Holtmann später öfter gefragt, ob sie nicht doch irgendetwas (vielleicht der Mutter) verraten hätten. Janssen war damals neun Jahre alt.

Deutschland war dem Zusammenbruch und zugleich seiner Befreiung nahe. Am 2. Januar 1945 versuchte die Grüne Polizei (Zivilpolizisten, Parteifunktionäre, SS-Leute, dem Reichsverteidigungskommissar von Essen unterstellt), die Einwohner Kevelaers mit Gewalt zu evakuieren. Der Gaustabsleiter forderte Pastor Wilhelm Holtmann ultimativ auf, die Maßnahme zu unterstützen und die Gruppe der Evakuierten anzuführen. Holtmann: „Ich lehnte ab, weil es meine Pflicht sei, als Pfarrer in Kevelaer zu bleiben, solange noch Pfarrkinder dort sind.“ Am Abend desselben Tages wurde Holtmann wegen seiner Weigerung verhaftet und zur Gestapo-Leitstelle Düsseldorf nach Ratingen gebracht. Holtmann wurde im Marienhospital Ratingen arretiert. Er durfte Ratingen erst am 15. Februar 1945 verlassen mit der Auflage, nicht das linksrheinische Gebiet - und damit das Stadtgebiet Kevelaer - zu betreten. Bischof Clemens August von Galen hatte nach Holtmanns Verhaftung am 12. Januar 1945 Kaplan Erich Bensch zum Pfarrverwalter für die Zeit der Abwesenheit des Pastors ernannt.

Holtmann erlebte das Kriegsende in Haldern, wo er vor seiner Berufung nach Kevelaer als Kaplan gewirkt hatte. Nach der Befreiung durch die Alliierten wurde er dort als Bürgermeister eingesetzt. Aber schon wenige Tage später kehrte Wilhelm Holtmann nach Kevelaer zurück. Unter der Bezeichnung „Bischöfliches Generalvikariat für das besetzte Gebiet“ gab Dechant Holtmann am 16. Mai 1945 den Dechanten des Niederrheins davon Kenntnis, daß ihm eine entsprechende bischöfliche Vollmacht erteilt worden sei. Holtmann ernannte für 14 verwaiste Pfarrgemeinden je einen Pfarrverwalter.

Ein genaues Datum, wann das Gnadenbild wieder aus dem Boden unter dem Basilikaturm herausgenommen wurde, ist nicht bekannt geworden. Die zwischen dem Mittelschiff und dem rechten Schiff im Turmbereich eingemauerten Behältnisse können frühestens nach der Freigabe der zunächst beschlagnahmten und als Durchgangslager für Ausländer fremdgenutzten Basilika herausgeholt worden sein. Die Beschlagnahme wurde im August 1945 außer Kraft gesetzt, und im September wurde die erheblich in Mitleidenschaft gezogene Basilika durch Dechant Holtmann neu eingeweiht. Im August 1946 teilte Holtmann dem Kapitularvikar in Münster mit: „Die wichtigsten Akten mit dem Gnadenbild und den wertvollen Schätzen sind noch eingemauert. Das Aufbrechen ist vorläufig unmöglich...“ Folglich kann die Ausgrabung frühestens im Herbst 1946 stattgefunden haben. 

Foto zeigt Wallfahrtsrektor Wilhelm Holtmann mit Bischof TheasGoldschmiedemeister > Paul van Ooyen erinnerte sich, daß zu Beginn der Wallfahrtszeit 1947 das Gnadenbild wieder eingesetzt sein sollte. In dieser Zeitspanne - von Herbst 1946 bis Juni 1947 - ist die Wiedereinsetzung erfolgt. Eine genauere Datierung ist noch nicht möglich.

Wilhelm Holtmann (r.) mit Bischof Pierre-Marie Théas 1948 in Kevelaer.

Wilhelm Holtmann wurde 1949, im Jahr seines Todes, zum nichtresidierenden Domkapitular an der Domkirche zu Münster ernannt.

In der vorletzten Juni-Woche holte sein Vertreter, der spätere Rektor > Fritz Dyckmans, das Gnadenbild aus dem Schrein in seiner engsten und durch sieben Scheiben gesicherten Fassung und trug es, unbemerkt von der Öffentlichkeit, zu dem todkranken Pastor im Kevelaerer Marienhospital. Das Gnadenbild verläßt, wie Kevelaerer wissen, nur alle 50 Jahre zur Marientracht seinen auserwählten Ort.

Zwei Tage später starb der Hüter des Heiligtums in schwerer Zeit.

Quellenhinweis: Kevelaerer Persönlichkeiten 1

© Martin Willing 2012, 2013