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Kapitel 8 von 115

August 1950

Bei aller Sorge um den Weltfrieden: Korea ist sehr weit weg - auch der dort ausgebrochene Krieg.

Als die Jugend der Friedensbewegung Pax Christi zur internationalen „Wallfahrt für den Frieden“ aufruft, kommen lediglich rund 200 junge Menschen zusammen, die von Aachen aus nach Kevelaer ziehen. Sie stammen aus Belgien, Frankreich, Deutschland und den Niederlanden.

Wallfahrtsrektor Fritz Dyckmans empfängt die Jugendlichen an der Stadtgrenze. Die Mädchen unter den Pilgern werden in der Antoniusschule untergebracht, die Jungen in Zelten auf der Schravelener Heide. Während der Friedenswallfahrt halten einige junge Leute ständige Gebetswache vor dem Gnadenbild. Es werden Gottesdienste gefeiert und Gesprächsrunden über den Frieden gehalten. Zum Abschluss am Festtag Mariä Himmelfahrt zelebriert Weihbischof Dr. Heinrich Gleumes ein Pontifikalamt.

Verschüttete Bomben, Minen und Munition erinnern auf tragische Weise an den Krieg. „In vielen Fällen waren Todesopfer zu beklagen“, schreibt eine Zeitung über die Serie von Unglücken. Die Leser werden aufgefordert, Fundstellen unverzüglich der Polizei zu melden. Eltern sollen ihre Kinder eindringlich ermahnen, nicht mit Kriegsmaterial, das überall noch in der Erde liegt, zu spielen.

Die Bundesrepublik ist ein von den Siegermächten Amerika, Großbritannien und Frankreich überwachtes Land. Das soll auch so bleiben. Aber ein wenig wollen die Verbündeten ihre Kontrolle lockern. Den Deutschen wird das Recht auf ein eigenes Außenministerium mit diplomatischem Dienst in Aussicht gestellt. Dann kann die Bundesrepublik als „halb unabhängiger Staat“ in die Gemeinschaft der Länder zurückkehren.

Westdeutschland und Japan, so empfiehlt außerdem John Foster Dulles, der spätere Außenminister der USA, sollen in den gemeinsamen Kampf der „freien Welt“ gegen Kommunismus und Diktatur einbezogen werden. Der Westen braucht jetzt jede Unterstützung.

Berlin ist ein Sonderfall. Die ehemalige Hauptstadt, eine Enklave mitten in der DDR, gehört nicht zur Bundesrepublik, sondern steht unter alliierter Kontrolle - auch der Sowjetunion. Die Stadt gibt sich den Status eines Stadtstaates wie Hamburg und regelt in einer neuen Verfassung ihr Verhältnis zur Bundesrepublik. Beschlossen wird, dass die Stadt Gesetze der Bundesrepublik übernehmen kann, solange Berlin nicht zur Bundesrepublik gehört. In der Berliner Verfassung wird festgelegt, dass das deutsche Grundgesetz auch hier Vorrang besitzt und nichts beschlossen werden kann, was ihm widerspricht. Damit stellen sich die Berliner in größtmögliche Nähe zur Bundesrepublik, aber es wird noch Jahrzehnte dauern, bis die Stadt - nach dem politischen Zusammenbruch des Ostblocks und der DDR - ein Land der Bundesrepublik werden kann.

In Twisteden stirbt der über sein Dorf hinaus bekannte Lehrer Johann Koenen (75). Er war schon ab 1937 im Ruhestand. Koenen hatte lange Zeit auch als Organist und Chorleiter gewirkt. Nicht nach ihm, sondern seinem Sohn Gerhard, ebenfalls Lehrer in Twisteden, ist der noch heute vergebene Gerhard-Koenen-Gedächtnis-Pokal benannt.

In Kevelaer heiraten Johannes Fedke und Cäcilia Bos. Die besondere Sorge des späteren Leiters der Don-Bosco-Schule in Berendonk gilt behinderten Kindern.

Die alte Wache an der Busmannstraße, Ecke Annastraße, im Krieg schwer beschädigt, ist inzwischen abgerissen. Hier wird jetzt der Grundstein für ein großes Geschäftshaus gelegt. Der Bauherr kündigt „neuzeitlichen Stil für einen modernen Schuhverkauf“ an.

Für Kevelaers erste Volkswohnungen an der Kroatenstraße wird Richtfest gefeiert. Ihre bescheidene Gestaltung sei „architektonisch zweckmäßig“, heißt es in einem Zeitungsbericht. Es handelt sich um neun Wohnungen, in die Ostvertriebene einziehen werden. Der Vorsitzende der Siedlungsgenossenschaft Ost, Freiherr von Polaczek, kündigt ferner den Bau von zehn Siedlerstellen an der Hubertusstraße und 32 an der Südstraße an. Zu jede Siedlerstelle gehört ein Nutzgarten.

Am 80. Geburtstag von Wilhelm Gerats wird zugleich das goldene Jubiläum seines Handwerksbetriebs gefeiert. Bereits seit 1899 ist der Kunstschmied in Kevelaer tätig. Drei Söhne sind selbstständig im Schlosser-, Rundfunk- und Kraftfahrzeughandwerk, die Tochter führt das Ladengeschäft. Wilhelm Gerats ist als Altobermeister weit über Kevelaer hinaus bekannt. Kirchentüren, Umzäunungen, Kronleuch-ter und Wirtshausschilder bezeugen seine Handwerkskunst. Wenige Tage vor dem Jubiläum ist Wilhelm Gerats in das neue Haus der Familie an der Marktstraße eingezogen. Eine Zeitung erwähnt, dass Wilhelm Gerats, obwohl selbst in „bedrängter Lage“, seinen ausgebombten Bruder aus Goch und einen Ostflüchtling bei sich aufgenommen habe.

Die Schwimmabteilung des TuS Kevelaer wird nach elfjähriger Zwangspause neu ins Leben gerufen - als erste und einzige Schwimmsportorganisation im Kreis Geldern. Sie wird von Schwimmmeister Michael Gey geleitet. Kevelaerer Sportler nehmen am niederrheinischen Schwimmfest in Dinslaken teil.

Neuanfang auch am Bahnhof: Endlich wird mit dem ersten Bauabschnitt begonnen. Der Bahnhof bekommt, so wird angekündigt, ein „würdiges und zweckentsprechendes Empfangsgebäude“. Die 100.000 Pilger, die in rund 100 Sonderzügen während der Wallfahrtszeit eintreffen, wurden bisher von einer Bahnhofsruine empfangen. Der erste Bauabschnitt umfasst Pilgerhalle und Dienstgebäude. Die Pilgerhalle soll an den für Pilger vorgesehenen Bahnsteig grenzen, so dass die Wallfahrer direkt durch sie den Bahnhof verlassen können und der übrige Verkehr am Bahnhof von der Wallfahrt unberührt bleibt. Vorgesehen sind auch Umkleidemöglichkeiten für begleitende Priester, ein Erfrischungsraum und eine Gepäckaufbewahrung. Der Kevelaerer Bauunternehmer Willems ist mit den Arbeiten beauftragt. Bis Ende Spätherbst 1950 soll der erste Bauabschnitt fertig sein.

September 1950

Das „Erfrischungsheim Ehren“ meldet in einer Anzeige Wiedereröffnung seines Gasthofs an der Ecke Gelderner Straße/Umgehungsstraße (B 9).

Aufmerksamkeit erregt in diesen Tagen eine besondere Radtour: Vier junge Kevelaerer sind von ihrer Reise nach Rom zurückgekehrt. 3.400 Kilometer haben sie im Sattel gesessen. Unvergessliche Eindrücke bringen Hubert Janssen, Franz Janssen, Josef Linssen und Heinz Heckens mit.

Derweil feiert die St.-Hubertus-Gilde auf Keylaer Schützenfest und lässt ihren Schützenkönig Peter Bockstegers hochleben.

In Winnekendonk gründen die Landfrauen einen Ortsverein. Die Leiterin der Mädchenabteilung der Landwirtschaftsschule, Frau Peveling-Oberhag, hat dazu eingeladen. Erste Vorsitzende wird Maria Stenmanns von Bomshof, Stellvertreterin ist Maria Schmitz von Büllhorsthof, Geschäftsführerin Franziska Opgenhoff von Roghmannshof.

Nun kommt Farbe ins Kino: Anfang September wird der erste deutsche Nachkriegsfilm in den Lichtspieltheatern aufgeführt. Es ist Hans Deppes Streifen „Schwarzwaldmädel“, der für eine Serie von deutschen Heimatfilmen Vorbild sein wird.

„Ich habe meine Praxis wieder aufgenommen“, meldet in einer Anzeige Dr. med. Paul Mühlhoff, Facharzt für Haut- und Harnwegsleiden. Seine Praxis befindet sich in Kevelaer an der Willibrordstr. 5.

Es kommt der Tag der Einweihung des Ehrenfriedhofs in Weeze. Die Stätte wird am 10. September, zeitgleich mit dem Ehrenfriedhof in Donsbrüggen, unter großer Anteilnahme der deutschen Öffentlichkeit eröffnet. Der Festakt erhält besonderes Gewicht durch die Anwesenheit des ersten Präsidenten der jungen Bundesrepublik, Theodor Heuss. Die kirchliche Segnung nehmen Weihbischof Dr. Gleumes und Oberkirchenrat Schlingensiepen vor.

Mehr als 500 Menschen - die meisten sind Angehörige von Soldaten, die hier begraben sind - wohnen der Feier bei. Unter ihnen ist auch eine betagte Mutter, die ihre letzte Habe verkauft hat, um die Reise nach Weeze zur Ruhestätte ihres Sohnes finanzieren zu können. Nach dem Festakt sieht man, wie Frauen von Gedenkstein zu Gedenkstein gehen. Mütter und Witwen suchen nach Namen. Manche Frau findet erst hier endlich Gewissheit über das Schicksal des Sohns oder Ehemanns.

Die Geschichte habe die Gefallenen „eingepflügt in einen Gottesacker und eingebettet, daß aus dem Opfer der Geist der Liebe und der Versöhnung zu denen spreche und wachse, die hier die Stätte der Besinnung suchen und finden“, sagt der Bundespräsident.

Auf dem Ehrenfriedhof ruhen am Tag der Einweihung 458 Kriegstote. Heute sind es mehr als 2.000.

Es ist die Zeit, da die Kevelaervereinigung Eupen zum ersten Mal nach dem Krieg wieder zum Wallfahrtsort aufbricht. Seit 1804 gehört Eupen zu den treuen Kevelaer-Pilgern. Allerdings erlauben die Umstände keine Fußwallfahrt. Die Eupener treffen mit mehreren Bussen in Kevelaer ein. Erst 1952 kann die Tradition der Fußwallfahrten wieder aufgenommen werden.

Auch in Kervenheim sollen einige Siedlungshäuser gebaut werden. Die örtliche Siedlergemeinschaft plant den Bau von fünf Doppelhäusern und einem Einzelhaus. Das Projekt steht allerdings auf unsicheren Füßen. Die Gemeinde sucht noch nach Grundstücken, die sie erwerben und der Siedlergemeinschaft zur Verfügung stellen kann.

Winnekendonk verabschiedet sich in diesem Monat endgültig vom Zeitalter der Petroleumlampen. Der Gemeinderat beschließt, dass bisher nicht ans Stromnetz angeschlossene Häuser und Katstellen künftig elektrisches Licht erhalten sollen. Das soll bis Ende Dezember geschehen, und zwar „unter verhältnismäßig günstigen Bedingungen“. Die werden der Gemeinde in einem Stromvertrag mit RWE zugesichert. Die Gemeinde verlängert die Laufzeit des Konzessionsvertrags mit RWE um weitere 50 Jahre.

In der Nacht von Samstag (23. September) auf Sonntag finden sich Gläubige zum Gebet in der Gnadenkapelle ein. Sie sprechen Fürbitten für die ehemaligen Soldaten, die noch in Kriegsgefangenschaft sind, für die verschleppten und die wegen ihres Glaubens eingesperrten Menschen.

Ende September werden Handwerksgesellen durch ihre Kammer losgesprochen. Meister ihres Fachs sind nun die Maurer Franz Hegerath (Winnekendonk), Leo Martens (Kevelaer), Gerhard Jansen (Twisteden), Heinrich Jansen (Twisteden) und Joh. Jorissen (Kervendonk), außerdem die Bäcker Jakob Stevens (Kevelaer) und die Fleischer Franz Moeselaegen (Kevelaer) und Wilhelm Weeling (Kevelaer), der Goldschmied Bernhard Peters (Kevelaer), die Herrenschneider Josef Helmus (Wetten), Theodor Janssen (Twisteden) und Oswald Brandstetter (Kevelaer), die Maler Günter Kösters (Kevelaer) und Gerhard Winkels (Kevelaer), der Müller Karl Vos (Wetten), der Polychromeur Wilhelm Toubartz (Kevelaer), der Sattler Wilhelm Kessels (Kevelaer) und der Schuhmacher-Orthopäde Gerhard Kühnen (Kevelaer). Die meisten von ihnen zählen zu den über 1.500 Betriebsinhabern im Kreis Geldern, die fast 3.000 Menschen Brot und Arbeit geben.

Kevelaer hat um diese Zeit, so ergibt eine Volkszählung, bereits wieder 10.500 Einwohner - ähnlich viele wie vor dem Krieg.

Ende September lässt Dechant Heinrich Maria Janssen eine Altherrenmannschaft aus Rindern, seiner Geburtsgemeinde, gegen eine prominent besetzte Elf des TuS Kevelaer antreten. Für Kevelaer laufen Bürgermeister Plümpe, Amtdirektor Holtmann und die „Altherren“ Jakob Janssen, Franz Plümpe, Dr. Lingens, Franz Boßmann, Josef Lemmen, Paul Thoneick, Hans Hoffmann, Gregor Douteil und Willi Kammann auf. Der Reinerlös des Fußballspiels kommt in den Anspartopf für den Neubau der Pfarrkirche St. Antonius.

Wie sie gespielt haben, ist nicht überliefert.

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© Martin Willing 2012, 2013