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INHALTSVERZEICHNIS |
Pilgerreise zu dem oberfränkischen Marienerscheinungsort
Reich an Mirakeln
und entsprechenden Darstellungen:
Erscheinungsort Heroldsbach.
Foto: Martin Willing (1998).
Auf der Spurensuche sind wir im oberfränkischen Heroldsbach, dem Ort mit
den wohl spektakulärsten Mirakeln im deutschsprachigen Raum, die sich
zudem in unserer Zeit ereignet haben.
Ein
mit Mirakeln überhäuftes „Kontrastprogramm“ zu der unscheinbaren
Ursprungsgeschichte zum Beispiel von Kevelaer oder Einsiedeln finden wir
auf dem Hügel am Dorfrand von Heroldsbach. 1949 beginnt hier für einige
Mädchen ein Zyklus von Erscheinungen, in dem die Kinder Maria, das
Jesuskind, Gottvater und den Heiligen Geist sehen und der, wie 1917 in
Fatima, durch ein sogenanntes Sonnenwunder bekräftigt wird.
Gegen „Heroldsbach“ hat sich die Kirche fast 50 Jahre lang energisch
gestemmt. Das ist nun beendet. Der lange Kampf mit dem Rosenkranzgebet,
das hier seit Jahrzehnten Tag und Nacht gesprochen wird, ist gewonnen:
Zum 1. Mai 1998 hat der Bischof von Bamberg die Genehmigung erteilt, die
Gnadenstätte von Heroldsbach als „Marianische Gebetsstätte“ zu führen.
Mit der seelsorglichen Betreuung der Pilger wird die Ordensgemeinschaft
der „Brüder vom Gemeinsamen Leben“ beauftragt. Ausdrücklich aber bleibt
die Kirche dabei: Die Erscheinungen von Heroldsbach in der
Nachkriegszeit werden als „nicht-übernatürlich“ eingestuft.1
Darstellung der Gottesmutter
von Heroldsbach
nach Angaben der Seherinnen. Foto:
Martin Willing (1998)
Im herbstlichen Wald sammeln mehrere Kinder Blätter für den Schulunterricht. Die Mädchen Kuni Schleicher, Grete Gügel, Erika Müller und Marie Heilmann sind zehn und elf Jahre alt.
Es ist der 9. Oktober
des Jahres 1949, der Tag des Rosenkranzfestes.
Auf dem Heimweg sieht Erika über den Kronen von Birken drei Buchstaben
leuchten, nämlich „IHS“ (griech. für „Jesus“). Dann sehen auch die drei
Gefährtinnen die Buchstaben. Die Schrift verschwindet, und an ihre
Stelle tritt „eine Frau, die aussieht wie eine Schwester“2.
Die „Frau“ bewegt sich zunächst nicht, aber sie schwebt wie eine Statue „langsam hin und her“. Die Kinder erkennen in der Hand einen schwarzen Rosenkranz.
Tags darauf kommt mit Betty Büttner ein weiteres Kind dazu, und am
dritten Erscheinungstag sehen auch Irma Mehl und Antonie Saam, ebenfalls
elf Jahre alt, die Erscheinung über den Birken am Dorfrand, dort wo sich
zwischen Häusern und Wald ein Hügel erhebt.
Es ist wie eine Ouvertüre zu einem an Ereignissen geradezu überladenen
Geschehen. Mehrere Jungen hänseln die Mädchen, aber das hört auf, als
Andreas Büttner (13), Bruder eines der Sehermädchen, die Erscheinung
selbst wahrnimmt.
Die Seherkinder von Heroldsbach während einer der von ihnen berichteten Marienerscheinungen.
Am 13. Oktober 1949, noch in der ersten Erscheinungswoche, informiert
der Heroldsbacher Pastor Gailer die bischöfliche Behörde in Bamberg über
die Ereignisse. Drei Tage danach kommt ein Domkapitular nach Heroldsbach
und wohnt zusammen mit Hunderten Gläubigen und Neugierigen der
anhaltenden Vision der Kinder bei.
Die ersten Fotos werden geschossen; die zahlreich überlieferten Bilder
halten die Augenblicke fest, in denen die Kinder von der Anwesenheit
Mariens berichten. Der Domkapitular informiert den Bischof, und am Tag
darauf erscheint eine Prüfungskommission in Heroldsbach, verhört die
Kinder und entscheidet ohne Bedenkzeit an Ort und Stelle: „Heroldsbach“
sei „strikt abzulehnen“.
Ein so außergewöhnlich schnelles Vor-Urteil erwartet man nicht von einem
ordentlichen kanonischen Untersuchungsverfahren, das in der Regel erst
nach Abschluss und „Bewährungszeit“ eines Ursprungsmirakels in Gang
gesetzt wird - ein fataler Verfahrensschritt, denn dass solche einmal
getroffenen Entscheidungen des zuständigen Bischofs jemals revidiert
werden, gilt als ausgeschlossen. In späteren Jahren wird immer wieder,
nach wiederholten Verhören der Seherkinder, das einmal gefällte Urteil
bestätigt.
Schon 14 Tage später nach der ersten amtskirchlichen Verurteilung hören
die Gläubigen in allen Kirchen der Diözese die Warnung des Bamberger
Bischofs: Der Erscheinungshügel in Heroldsbach dürfe nicht aufgesucht
werden. Katholiken sollen der Stätte fernbleiben.
Der Plan, die neue Wallfahrt im Keim zu ersticken, misslingt völlig.
Abertausende Menschen strömen nach Heroldsbach, wo der
Erscheinungszyklus seinem Höhepunkt zustrebt. Ein Professor stellt am
27. Oktober 1949 den Kindern und ihrer Erscheinung eine Fangfrage, indem
er aufträgt, die „Frau“ zu fragen, ob sie die „Assumpta“ sei. Die
Kinder, denen der lateinische Begriff für die „in den Himmel
aufgenommene Gottesmutter“ unbekannt ist, geben die Antwort so wieder:
„Nein, ich bin es nicht, ich bin die Gottesmutter, die Himmelsmutter“.
Diese Antwort wird später im Bistums-Amtsblatt als ein Beweis für die
Unechtheit der Erscheinungen zitiert.
Ein anderer Professor lässt die Kinder, vier Tage nach dem Versuch auf
Lateinisch, die gleiche Frage noch einmal stellen, diesmal aber auf
Deutsch: „Bist Du mit Deinem Leib in den Himmel aufgenommen worden?“ Die
Kinder verstehen die Antwort zunächst nicht, weil um sie herum 40.000
Menschen laut beten. Dann sagt eines der Kinder: „Jetzt verstehe ich sie
ganz deutlich. Sie sagt: ´Ja, aber ich bin die kleine Magd geblieben.`“3
Der Erscheinungshügel ist schwarz vor Menschen. Es kommen nun bis zu
60.000 Menschen am Tag. Die Bundesbahn setzt Sonderzüge ein, und trotz
der 1949 noch geringen Fahrzeugdichte stauen sich Autos im Ort und auf
den Zufahrtsstraßen, die einen solchen Massenandrang nicht verkraften
können.
Am 8. Dezember 1949, am Fest der Unbefleckten Empfängnis, ereignet sich
das, was „Sonnenwunder“ genannt wird. Pastor Gailer hält gerade eine
Andacht im Beisein von annähernd 10.000 Gläubigen, als die Menge
panikartig in Bewegung gerät. Gailer unterbricht das Gebet. Er und vier
weitere Geistliche begeben sich zum Birkenwald, um festzustellen, was
die Menge in Atem hält. Sie sehen, wie am Himmel, der ansonsten von
Wolken verhangen ist, die Sonne rotiert und wie die nicht blendende
Scheibe auf sie zurast, bis sie nah vor ihnen zu stehen scheint, und
sich dann wieder entfernt. Eine Viertelstunde lang wird dieses Phänomen
beobachtet; Menschen geraten in Panik oder in Verzückung, Kinder weinen.
Rufe werden laut, dies sei das erwartete Zeichen für alle, daß
„Heroldsbach“ wahr sei.
Der Vorgang gleicht bis in die Details dem Geschehen in Fatima.
Nach diesem Auftakt des Erscheinungszyklus kommt es bis zum 31. Oktober
1952 zu zahlreichen Vorgängen, die ebenfalls von der Kirche als
„nicht-übernatürlich“ bezeichnet werden und die Dimensionen, die wir von
Lourdes oder Fatima kennen, sprengen. Den Kindern öffnet sich nach ihren
Angaben der Himmel, in den sie blicken dürfen; sie sehen die
Gottesmutter, umgeben von Engeln; sie sehen Christus, Gottvater und den
Heiligen Geist in der bekannten Gestalt einer Taube.
Es sind an anderen Erscheinungstagen Szenen fotografiert worden, wie die
kleinen Visionäre gerade die Muttergottes, unsichtbar für alle anderen,
begleiten; oder wie umstehende Gleichaltrige von den Seherkindern
eingeladen werden, der anwesenden, aber nicht sichtbaren Maria die Hand
zu reichen.
Solche Ausweitungen von Erscheinungsmirakeln gegenüber den eher
zurückhaltenden, „klassischen“ Vorkommnissen, die aus weltbekannten
Wallfahrtsorten überliefert sind, beschweren ihre Glaubwürdigkeit, wobei
mit zunehmendem Wissen allerdings immer klarer wird, wie wenig wir
eigentlich von Kräften wissen, die sich von bodenständiger
Naturwissenschaft abheben. Mittlerweile kennen wir eine nochmalige
Mirakel-Ausweitung, nämlich aus Medjugorje (1981), wo auf dem Film eines
Fotografen nach dem Entwickeln eine Marienstatue zu erkennen ist, die es
gar nicht gibt.
Gegen den Heroldsbacher Kult, der trotz Verbots immer weitere Kreise
zieht, geht die Bamberger Bistumsleitung mit aller Schärfe vor. Im März
1950, zweieinhalb Jahre vor Ende des Erscheinungszeitraums, wird ein
dritter Erlass verkündet, der Geistlichen untersagt, sich an religiösen
Veranstaltungen auf dem Hügel zu beteiligen. Dem Ortspfarrer, Pastor
Gailer, wird sogar verboten, den Berg überhaupt noch zu betreten. Wenige
Tage später, am 17. Mai 1950, beginnt an der Erscheinungsstätte das bis
heute anhaltende Dauer-Gebet - Tag und Nacht.
Noch im gleichen Jahr erstattet der Erzbischof von Bamberg dem Heiligen
Offizium (heute: Glaubenskongregation) in Rom Bericht. Am 2. Oktober
1950 ist die Antwort aus dem Vatikan da: „... hat das Hl. Offizium das
Urteil der Erzbischöflichen Kommission bestätigt, nämlich: Die
Übernatürlichkeit der Tatsachen steht nicht fest. Des weiteren billigt
das Hl. Offizium, was Eure Exzellenz in dieser Angelegenheit angeordnet
haben. ... Wir fügen hinzu, daß das Beten auf dem Hügel als Bekenntnis
zur Echtheit der Visionen wirkt und darum zu unterlassen ist.“
Im Sommer 1951, als die Wallfahrt immer noch zu- statt abnimmt, erwirkt
Erzbischof Dr. Kolb, ein glühender Ablehner von „Heroldsbach“, ein
weiteres Dekret des Hl. Offiziums in Rom. Es bekräftigt, daß der Kult
verboten sei und dass Priester, die sich dennoch beteiligen, „ohne
weiteres von der Ausübung der Weihevollmachten suspendiert“ seien.
Pastor Gailer, der in Heroldsbach 38 Jahre gewirkt hat und an den
Erscheinungen festhält, wird einige Tage später seines Amtes enthoben
und in ein fernes Dorf zwangsversetzt, wo er einem kranken Pfarrer
helfen soll. Das Bistum gibt eine Pressemeldung heraus, Pastor Gailer
habe „freiwillig“ sein Amt in Heroldsbach aufgegeben.
Die Seherkinder werden der Reihe nach exkommuniziert. „Maria Heilmann“,
so heißt es beispielsweise über dieses Kind im amtlichen Protokoll,
„auch vom Glauben abgefallen, wird von den Sakramenten ausgeschlossen“.
Auf das Verlangen, die Erscheinungen zu widerrufen, antworten alle
Kinder, sie täten das nicht, denn dann würden sie lügen. Davon rücken
sie auch später, als sie erwachsen sind, nicht mehr ab. Eines der
Mädchen, das als junge Frau Nonne werden will, wird abgewiesen -
amtskirchlich konsequent, denn sie ist exkommuniziert.
Bamberg, das mit allen Unterdrückungsmaßnahmen nur das Gegenteil
erreicht, lässt 1953 einen Geistlichen Rat (M. Heer) die Vorgänge
wiederum prüfen. Als dieser berichtet, „Die Kinder lügen nicht. Wir
müssen glauben“, wird er seines Amtes enthoben und erhält lebenslanges
Zelebrationsverbot. Ein bekannter Dogmatiker, Professor Walz, setzt sich
für „Heroldsbach“ ein; ihm wird die Lehrerlaubnis entzogen.
Im Mai 1955 sichert sich die Bamberger Bistumsleitung erneut in Rom ab
und lässt sich bestätigen, dass die Erzbischöfliche Kommission
„pflichtgemäß und einwandfrei“ gearbeitet habe. Zwei Jahre später
verklagt die bischöfliche Behörde einen Regierungsamtmann a.D. wegen
übler Nachrede. Der Mann hat eine Broschüre über Heroldsbach
herausgegeben und in ihr der Prüfungskommission „Pflichtvergessenheit
und Treulosigkeit gegenüber Gott und der Gottesmutter“ vorgeworfen. Die
Seherkinder, inzwischen junge Erwachsene, werden als Zeugen vor Gericht
zitiert und bekräftigen unter Eid die Echtheit der Erscheinungen.
Darüber hat aber kein weltliches Gericht zu entscheiden, und der
Angeklagte wird zu 300 Mark Geldstrafe und Kostenübernahme verurteilt.
Am 1. September 1959 kehrt Pastor Gailer in seine Pfarrgemeinde
Heroldsbach zurück - als toter Mann. Mit Glockengeläut empfangen die
Gläubigen am Nachmittag den Sarg, der in der Pfarrkirche aufgestellt
wird. Auch während der Nacht kommen Gläubige, um von dem standhaften
Geistlichen Abschied zu nehmen. Das feierliche Requiem am nächsten
Morgen und die anschließende Beisetzung erleben mehrere tausend Menschen
mit.
In den nächsten Jahren und Jahrzehnten wird der Erscheinungshügel von
Heroldsbach, der verbotene Ort, Zug um Zug ausgebaut. Das
unerschütterliche Festhalten der Seherkinder an ihren ersten Aussagen,
eine der Grundvoraussetzungen für kirchliche Tolerierung, spiegelt sich
im ungebrochenen Pilgerstrom wider. Das kleine „Heiligenhäuschen“ an der
Stelle, wo die Kinder ihre erste Begegnung mit der Erscheinung hatten,
wird zu einer größeren Gnadenkapelle, noch heute aus Holz, ausgebaut und
später um eine voluminöse Pilgerhalle ergänzt. In der Nachbarschaft
entsteht eine beachtliche Kirche mit Krypta.
Das Bistum hat keine weitere Möglichkeiten mehr, „Heroldsbach“
einzudämmen. 47 Jahre danach gibt der Nachfolger des Bamberger
Erzbischofs Josef Otto Kolb den Widerstand auf. Erzbischof Karl Braun
erklärt den Hügel zu einer kirchlichen Gebetsstätte.4
Das Besuchsverbot für Katholiken wird aufgehoben. Braun: „Unbeschadet
der Gültigkeit des Dekrets von 1951 stellt sich die Frage: Könnte man
nicht in irgendeiner Form der Tatsache Rechnung tragen, dass Gläubige
gerne nach Heroldsbach kommen, um zu beten und um hier in echt
katholischer Weise die Gottesmutter zu verehren?“ Diese Frage, mit der
er voriges Jahr seine Entscheidung vorbereitet hat, beantwortet er zum
1. Mai 1998 mit der Erhebung von „Heroldsbach“ zur marianischen
Gebetsstätte.
„Den kirchenrechtlichen Spagat zwischen verbotener Wallfahrt einerseits
und erlaubter Gebetsstätte andererseits ließ sich das Erzbistum Bamberg
von höchster Stelle absegnen, nämlich von der römischen
Glaubenskongregation, Nachfolgebehörde des Heiligen Offiziums, das 1951
gegen Heroldsbach entschieden hatte. Kardinal Joseph Ratzinger, Leiter
der Kongregation, bescheinigte in einem Schreiben, daß er das Vorgehen
des Erzbischofs ´voll und ganz` mittrage.“5
Weil die Kirche nach wie vor die Erscheinungen als „nicht-übernatürlich“
einstuft, benutzt sie auch nach der Anerkennung als Gebetsstätte keine
Begriffe wie „Wallfahrt“ oder „Pilger“. Deshalb wird man Heroldsbach
zunächst auch nicht in Reiseprogrammen von Veranstaltern finden, die
Pilgerfahrten organisieren.
„Möge Gott uns seinen Segen schenken“, heißt es in der Erklärung von
Erzbischof Braun vom 1. Mai 1998, die auf dem Erscheinungshügel auf
einer Tafel angebracht ist. Die erste heilige Messe nach der Anerkennung
als Gebetsstätte Anfang Mai feiern Tausende mit. „Fünfzig Jahre lang
haben wir gelitten, jetzt können wir endlich auch mit dem Segen der
Kirche hierherkommen und beten“,6
sagt eine der Seherinnen von 1949.
Anmerkungen
1 Michael Fritzen, Wo der Himmel sich
auf die Erde senkte, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. Mai
1998.
2 Christel Altgott, Heroldsbach, Eine
mütterliche Mahnung Mariens, III. Teil, Mönchengladbach-Odenkirchen
1979, S. 8. - Siehe auch: Gottfried Hierzenberger/Otto Nedomansky,
Erscheinungen und Botschaften der Gottesmutter Maria, Vollständige
Dokumentation durch zwei Jahrtausende, Augsburg 1997, S. 366.
3 Altgott, a.a.O., S. 11.
4 Kirche+Leben, Februar 1998.
5 Kirche+Leben, a.a.O.
6 F.A.Z., a.a.O.
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© Martin Willing 2012, 2013