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INHALTSVERZEICHNIS

HEEDE (1)

Mit brennender Sorge

Was am 1. November 1937 in Heede geschah

Gnadenbild HeedeMit allen haben die Nazis gerechnet, nur nicht mit ihr: Am 1. November 1937, so berichten Kinder, ist ihnen in Heede die Gottesmutterm erschienen. SS, Polizei und Hilfsschergen prügeln die Pilger auseinander.

Das Gnadenbild von Heede.

Die dunkle Zeit hat längst begonnen, als am 19. März 1937 die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ in den katholischen Kirchen Deutschlands verlesen wird. Papst Pius XI. greift in deutscher Sprache, zwei Jahre vor seinem Tod, ungewöhnlich scharf die von den Nationalsozialisten begangenen Brüche von Konkordats-Vereinbarungen an.

Der Staat reagiert aufgebracht. Er lässt die Drucker der Schrift verhaften und auch Jugendliche und Geistliche, die die Weitergabe der Enzyklika mit KZ-Einweisungen bezahlen.

Am 9. April erörtern auf ihrem Konvent hinter verschlossenen Türen des Kevelaerer Priesterhauses die deutschen Bischöfe, darunter der Münsteraner Clemens August von Galen, die zugespitzte „Kirchenpolitische Lage nach der Enzyklika“. Kaum ein Jahr zuvor hat der Osnabrücker Amtsbruder von Clemens August, Bischof Wilhelm Berning, die Lage noch völlig anders eingeschätzt. Bei einer KZ-Besichtigung im Juni 1936 sagt er zu den Bewachern: „Lange lag das Emsland im Dornröschenschlaf, bis der Prinz kam und es weckte. Dieser Prinz ist unser Führer Adolf Hitler“.1

Aber im Emsland kommt noch jemand: Am 1. November 1937 erscheint in Heede die Gottesmutter. Da gerät Bischof Berning, so kann man sagen, in „Teufels Küche“.

Vier Mädchen gehen an Allerheiligen 1937 zur Kirche, um für die Seelen der Verstorbenen zu beten. Das kleine Gotteshaus wird vom Friedhof umgeben. Es ist gegen 18 Uhr und es friert. In einer Gebetspause verlassen die beiden Schwestern Grete (11) und Maria Ganseforth (13) mit Anni Schulte (12) die Kirche und blicken auf die Gräber, wo in der Dunkelheit Lämpchen brennen. Plötzlich sagt Grete:

„Ich habe die Muttergottes gesehen.“2

In etwa 35 Metern Entfernung, so sagt Grete, habe vor drei Zypressen die Erscheinung auf einer blauweißen Wolke geschwebt. Ihre Schwester daraufhin: „Du bist ja verrückt!“

Die Mädchen gehen zurück in die Kirche. Während einer weiteren Pause stehen Grete, Maria, Anni und nun auch Susi Bruns (13) vor der Kirche - da ereignet sich die erste gemeinsame große Erscheinung der vier Seherkinder:

„Etwa 1 m über der Erde steht die Muttergottes. Unter ihr ist eine blauweiße Wolke. Die Füße sind nicht zu sehen. Auf dem Haupte trägt sie eine reichverzierte goldene Krone ohne Edelsteine. (...) Bekleidet ist die Muttergottes mit einem weißen Gewande, das um die Hüften mit einer etwa 1 cm dicken Kordel gegürtet ist. Auf dem Kopfe trägt sie oben einen undurchsichtigen Schleier, durch die Krone teilweise verdeckt, von weißer Farbe. Das Haar ist nicht sichtbar. Gewand und Schleier fallen in einigen Falten senkrecht herab bis auf die Wolke. (...) Auf der linken Hand, die durch den Schleier verdeckt ist, sitzt das Jesuskind. (...) In der rechten Hand trägt das Jesuskind eine goldene Kugel, aus der ein goldenes Kreuz herausragt. (...) Die Muttergottes legt die rechte Hand leicht auf die Kugel, so daß das Kreuz zwischen Mittel- und Ringfinger sichtbar hindurch- und emporragt. Das Alter der Mutter schätzen die Kinder auf 19 Jahre, das des Kindes auf ein bis zwei Jahre (...)“3

Die Erscheinungen treten für die Seherkinder nun fast täglich bis zum 13. November ein. Das 1500-Seelen-Dorf gerät in Unruhe. Die Kinder lassen sich nicht von ihren übereinstimmenden Schilderungen abbringen. „Als der Pfarrer später die Kinder noch einmal fragte, ob es sich nicht doch um eine Verwechslung von Laternenschein und Erscheinung gehandelt haben könnte, erwiderte eines der Sehermädchen spontan: ‘Nein, das ist es nicht, den Schein der Lampe sehen wir auch.’“4

Die Nachricht von den Marienerscheinungen eilt durch das Emsland. Aus der Umgebung und aus Oldenburg und Westfalen pilgern fromme und neugierige Menschen herbei. „Die Nationalsozialisten waren höchst alarmiert durch diesen ‘Ansturm religiöser Begeisterung’“. Und ein „Gauleiter (...) soll geklagt haben: ‘Was wir in vier Jahren mühsam aufbauten, das haben vier Kinder in einem Augenblick zerstört.’“5

Heedes Hauptwachtmeister Becker ist rat- und tatenlos. Sieben Tage nach dem ersten Mirakel schickt er, weil seine vorgesetzte Gendarmeriestation in Aschendorf einen Bericht angefordert hat, seinen Obermeister Klein in Zivil zum „Tatort“, lässt sich berichten, sendet Bericht und Kopien an das Landratsamt, den Regierungspräsidenten und die Gestapo in Osnabrück, „wobei er ausdrücklich darauf hinwies, daß die Wallfahrer (...) zum größten Teil nicht Neugierige seien, sondern von der Echtheit des Wunders überzeugt seien“.6

Das hat Folgen. Am nächsten Tag, dem 9. November 1937, erklärt die Gestapo per Telefon „die Vorgänge auf dem Friedhof in Heede“ als „verboten“. Die vier Seherkinder werden von der Gestapo verhört. Gegen 18 Uhr riegeln 17 Polizisten die Zufahrten ab. Sperrposten weisen rund 500 Autofahrer ab, die Heede ansteuern wollen, 4000 bis 5000 Menschen, die zur Erscheinungsstelle streben, werden abgefangen. Noch mal so viele Pilger stehen bereits - trotz Verbots - auf dem Friedhof .7

Da kann, so schätzt der Heeder Gendarm-Obermeister, nur noch der Bischof helfen: „(...) die ganze Sache [wird] dann ein Ende haben, wenn von bischöflicher Seite aus das Notwendige veranlaßt wird.“8

Am nächsten Tag ist Heede hermetisch abgeriegelt; trotzdem beten wieder viele Menschen auf dem Friedhof. Ortspfarrer Staelberg spricht zu ihnen und sagt, Bischof Berning wünsche „die Wallfahrt nach Heede nicht mehr“. Die Polizei beschlagnahmt die Fotokamera eines Besuchers. Später wird eine künstlerische Radierung, die die Erscheinungsstelle zeigt und als Karte gedruckt werden soll, konfisziert.9

Am selben Tag werden die vier Kinder auf Anweisung des Regierungspräsidenten von einem Medizinalrat, einem Amtsarzt und dem Kreisschulrat auf ihren Gesundheitszustand untersucht. Die Experten attestieren, es handele sich „zweifelsfrei um psychopathische Züge (...), in denen die Grundlage für das abnorme Verhalten zu suchen ist.“10

Den Behörden springt Bischof Berning am 11. November mit einem Schreiben an alle Pfarrer der Emslanddekanate zur Seite. Sie sollten Zurückhaltung üben und Wallfahrten nach Heede nicht fördern. Dorfpolizist Klein stellt verwundert fest, dass trotz der Verbote von Gestapo und Bischof immer mehr Menschen nach Heede pilgern.11 Ein Wunder, so der Eindruck, „hängt in der Luft“.

Am Abend des 13. November 1937 eskaliert der „Fall Heede“: Die SS-Verfügungstruppe „Göring“ geht mit rund 80 Mann, verstärkt durch Polizeikräfte aus der Umgebung, gegen die Pilger, darunter Kinder und Kranke, auf dem Friedhof vor. Die Menge wird von der Erscheinungsstelle abgedrängt. Es setzt Schläge mit Gewehrkolben und aufgepflanztem Seitengewehr, Warnschüsse fallen, reihenweise werden Pilger verhaftet. Als der Friedhof „befreit“ ist, wachen Doppelposten darüber, dass das auch so bleibt.12 Über Heede wird der Ausnahmezustand verhängt. Die Seherkinder, so ordnet die Gestapo an, seien zur Beobachtung und Untersuchung in eine Anstalt einzuliefern.

Die Elternhäuser der Mädchen werden am nächsten Morgen gegen sechs Uhr umstellt. Vollzugskräfte holten die vier Kinder heraus, die nun - nach einer Irrfahrt mit Unterbrechungen - gegen 22 Uhr in die Heil- und Pflegeanstalt in Göttingen eingeliefert werden, wo sie sechs Wochen lang bleiben müssen.

An diesem Tag - 14. November - füllt sich trotz der Wachposten der Friedhof mit Wallfahrern; ein großes Polizeiaufgebot greift durch, vertreibt die Leute; aber durch Schlupflöcher schleichen sich immer wieder Pilger ein, und erneut werden sie vertrieben.

Auch an den folgenden Tagen verhindern starke Polizeiverbände - teilweise erfolglos - neue „Demonstrationen“ auf dem Friedhof. Mit weiteren Absperrungen, Vorhängeschlössern an den Friedhofstoren und rigider Postzensur will die Gestapo den Fall in den Griff bekommen. Bei jeder Predigt in der Dorfkirche hört ein Gestapo-Mann mit.

Mit einem psychologischen Gutachten über die Seherkinder wird Professor Ewald, der bereits Therese Neumann (Konnersreuth) untersucht hat, beauftragt. Ewald diagnostiziert eine ausgeprägte eidetische13 Begabung. Es liege kein Betrug vor; die Kinder glaubten tatsächlich, ihnen sei die Gottesmutter erschienen. Nach sechs Wochen werden die Mädchen entlassen - freilich nicht nach Hause, sondern auf Veranlassung von Bischof Berning, der sich einen persönlichen Eindruck verschaffen will, für vier Erholungswochen ins katholische Marienhospital in Osnabrück.14 Zuvor muss der Bischof allerdings die Kosten für den Anstaltsaufenthalt in Göttingen übernehmen.

Berning studiert das Ewald-Gutachten und lässt um die Jahreswende mehrmals die Seherkinder zu sich kommen. Inzwischen herrscht auf dem Heeder Friedhof meist Grabesstille, aber das ist der Gestapo nicht genug: In NS-Publikationen wird das Gerücht gestreut, in „Heede“ seien Betrug und Gewinnsucht im Spiel gewesen, um ein deutsches Lourdes zu schaffen.

So wie sich Bischof Berning bemüht, den NS-Staat nicht herauszufordern, so begründen die NS-Blätter das staatsgewaltige Vorgehen auf dem Heeder Friedhof mit profanen Notwendigkeiten, beispielsweise chaotische Verkehrsverhältnisse auf den Straßen vermeiden zu müssen. „Außerdem hätten die Gläubigen den Friedhof geradezu verwüstet und damit entwürdigt. Die Nationalsozialisten bemühten sich also nachdrücklich, ihre Aktionen als nicht kirchenfeindlich darzustellen“15 - ein zwar verlogener, aber geschickter Schachzug, der offenbar zugleich das „entgegenkommende“ Verhalten der Bistumsleitung „honorieren“ soll.

Bischof Berning, der mehrfach mit den im Hospital untergebrachten Seherkindern spricht, entscheidet politisch: Er lässt am 8. Januar 1938 im Kirchlichen Amtsblatt offiziell erklären, dass sich „kein Beweis dafür ergeben (habe), dass es sich bei den Erscheinungen um übernatürliche Geschehnisse handelt. Es ist deshalb im kirchlichen Sinne unerwünscht, wenn Pilger- und Wallfahrten nach Heede in irgendeiner Form wieder einsetzen würden.“16

Das Machtwort ist gesprochen, aber an das Verbot des Bischofs halten sich weder die Kinder, noch die Gottesmutter. Bereits am 1. Februar setzt der Erscheinungszyklus gegen 18 Uhr auf dem Heeder Friedhof wieder ein. Zwar kommen - da bei Strafe verboten - nur noch wenige Pilger, aber auch die wenigen will der Dorfpolizist vertreiben. Für den 24. Februar notiert der Beamte in seinem amtlichen Tätigkeitsbericht: „Auf dem Friedhof selbst traf ich vier Frauen und einen Mann betend an. Ich forderte sie auf, den Friedhof zu verlassen. Der Mann gab mir zur Antwort: ‘Wenn ich meinem Glauben nicht mehr huldigen kann, laß ich mich lieber totschießen, - wenn ich hier mein Vaterunser nicht mehr beten darf, dann scheiß ich auf das ganze Reich!’“ Der ebenso fromme wie mutige Mann wird verhaftet und - mit Unterbrechungen - eingesperrt, kommt aber am 14. März frei.17

Bischof Berning, von dem es später heißen wird, er habe dem Geschehen von Heede mehr Glaubwürdigkeit beigemessen, als er in der Anfangsphase habe zugestehen können, setzt trotz seiner bereits verkündeten Quasi-Ablehnung am 2. März 1938 eine bischöfliche Untersuchungskommission ein - mitten im Erscheinungszyklus, der vom 1. November 1937 bis 3. November 1940 dauert - mit 105 Erscheinungen in 159 Wochen.
Und der Höhepunkt steht noch bevor: Am 5. April 1939 hören die Kinder, unter welchem Namen die „Heeder Madonna“ verehrt werden wolle: „Königin des Weltalls“ und „Königin der armen Seelen“. - „In welchem Gebet sollen wir dich verehren?“ - „In der Lauretanischen Litanei“.



Anmerkungen
1 Alfons Sarrach, Die Madonna und die Deutschen, Heede - Marienfried - Schönstatt, Jestetten 1997, S. 46.
2 Edmund Waninger, Heede, Bericht über dortige mystische Ereignisse seit 1. November 1937, Frankfurt a. M. 1970, S. 3. - Nach -> Eizereif (S. 33) sagt Grete: „Ich glaube, da stand die Muttergottes“.
3 Waninger, S. 4 (Bericht des Pfarrers R. Diekmann).
4 Dr. Heinrich Eizereif, Maria in Heede, Geschichte und Entwicklung, Meersburg 1995 (2. Aufl.), S. 36 f.
5 Maria Anna Zumholz, Die Resistenz des katholischen Milieus: Seherinnen und Stigmatisierte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Irmtraud Götz v. Olenhusen (Hrsg.), Wunderbare Erscheinungen, Frauen und katholische Frömmigkeit im 19. und 20. Jahrhundert, Paderborn 1995, S. 238.
6 Zumholz, S. 238.
7 Nach: Johannes Brinkmann (Hrsg.), Heede, Gnade und Auftrag, Leutesdorf 1987 (3. Aufl.), S. 65.
8 Brinkmann, S. 65.
9 Brinkmann, S. 66.
10 Zumholz, S. 240.
11 Nach: Zumholz, S. 240.
12 Nach: Wanninger, S. 21.
13 Eidetisch begabte Menschen erleben in ihrer Phantasie beispielsweise Erscheinungen so wirklichkeitsecht, dass sie von der Tatsächlichkeit der Erscheinung überzeugt sind. Besonders Kinder im Alter zwischen 10 und 15 gelten als eidetisch begabt.
14 Nach: Zumholz, S. 241.
15 Nach: Zumholz, S. 243.
16 Nach: Zumholz, S. 245.
17 Nach: Brinkmann, S. 70.

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