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Kirche hat ihren Frieden mit Heede gemacht
Heede ist heute, mehr als sieben Jahrzehnte
nach den Marienerscheinungen, ein besonderer Ort für Beter.
Eine
Reportage vom Ortsbesuch:
Es ist wie in einem anderen Film. Vor vier
Stunden bin ich in Kevelaer abgefahren und habe eigentlich genug Zeit
gehabt, mich auf Heede einzustimmen. Doch der Übergang von den
Geschäften des Alltags zur Stille der Gebetsnacht tritt so unvermittelt
ein, dass ich Zeit brauche. Es ist früher Abend des ersten Samstags im
Monat, und in beiden Kirchen des Dorfes ist das Allerheiligste
ausgesetzt.
Nach den paar Metern vom Parkplatz zur St.-Marien-Kirche finde ich mich
urplötzlich zwischen ungezählten Menschen wieder - Leuten auf jungen und
auf alten Beinen, an Gehstöcken und in Rollstühlen, in sommerlich
luftiger Kleidung und in Nonnentracht. Es ist noch eine Stunde bis zur
Andacht, und erst um 22 Uhr wird eine heilige Messe gefeiert; trotzdem
zieht es die Menschen so früh in die Kirche.
Auf dem weitläufigen Friedhof, wo vier Kinder im Jahr 1937
Marienerscheinungen hatten, brennen vor einer zweiten Statue der Heeder
Madonna Dutzende Kerzen. Maria wird in mehreren Skulpturen auf dem
Gelände der Gebetsstätte dargestellt. Die wichtigste, die „Königin des
Weltalls“ und „Königin der armen Seelen“, die nach Angaben der
Seherkinder geformt worden ist, steht in einer Gnadenkapelle neben der
alten St.-Petrus-Kirche.
Es ist jetzt halb acht, und hier an der Erscheinungsstelle in der
Kapelle, in Rufweite zum Parkplatz und zur Dorfstraße, herrscht eine
Stille, als hätte jemand den Lautstärkeknopf zugedreht. Einige Besucher
stehen am Kerzenständer. Zwei junge Franziskanerinnen knien in der
letzten Bank. Eine Frau mit langen blonden Haaren, deren bildhübsches
Gesicht auffällt, sitzt in einer der hinteren Reihen und schaut, in
Kontemplation versunken, auf das Gnadenbild.
Täglich kommen viele Beter zum Gnadenbild von Heede.
Die Menschen, die hier beten, stimmen mit dem Rosenkranz über diesen
besonderen Ort ab. Hinter der Wirklichkeit von heute verblasst die seit
62 Jahren offene Frage, ob die Kirche bestätigen kann, dass hier die
Gottesmutter tatsächlich erschienen ist. Wohl an die tausend Menschen
beten und singen zur besten Grillpartyzeit die halbe Nacht durch,
beinahe so viele, wie Heede an Einwohnern hat. Abschätzig gemeinte
Beurteilungen wie „Volksfrömmigkeit“ oder „Wundergläubigkeit“, mit denen
am Geschehen in Wallfahrtsorten gerne herumgemäkelt wird und die
einreden wollen, es gebe Glaubenswahrheiten erster und zweiter Klasse -
sie greifen völlig daneben. Das, was sich an diesem Abend in Heede tut
und was wir in unserem eigenen Gnadenort beinahe täglich in der
Wallfahrtszeit erleben können, das ist Kirche live - religiöse Praxis
mit Saft und Kraft.
Da wundert es nicht, dass die Osnabrücker Bistumsleitung sich mit einer
abschließenden Beurteilung tunlichst zurückhält und Heede als
Gebetsstätte inzwischen fördert, wie sie es nur kann. Dass eine
kirchenamtliche Anerkennung als Marienerscheinungsort fehlt, spielt
praktisch keine Rolle. Fast möchte man Heede wünschen, dass es so
bleibt, denn die Folge wäre eine explosionsartige Ausdehnung der
Wallfahrt, die der Ort mit seiner zarten Infrastruktur kaum verkraften
könnte.
Nach der ersten Erklärung von Bischof Berning Ende der 30er-Jahre, dass
die Heede-Wallfahrt nicht erwünscht sei, da jeder Beweis für
übernatürliches Einwirken fehle, hat sein Nachfolger im Amt, Wittler, im
Juni 1959 seine Geistlichen angehalten, diese Wallfahrten zu
unterlassen, andernfalls müsse er „mit nachdrücklicheren Maßnahmen“
eingreifen.1 Das ist heute
Geschichte.
Die katholische Kirche in Deutschland hat inzwischen ihren Frieden mit
den Marienerscheinungsorten Heede, Marienfried, Wigratzbad und
Heroldsbach gemacht und freut sich darüber, mit welcher Hingabe fromme
Menschen ihren Glauben an diesen Gebetsstätten - so die offizielle
Bezeichnung - vorleben. Niemandem wird an diesen Orten verwehrt,
„privat“ an die offiziell nicht anerkannten Erscheinungen zu glauben.
Damit nimmt die Kirche in Deutschland aus gutem Grund Druck des
„Kirchenvolkes“ aus dem hierzulande überaus engen Ventil, das vor einer
kirchlichen Wunder- oder Erscheinungsapprobation steht. In anderen
Ländern ist die Kirche anders verfahren. In Belgien (Beauraing und
Banneux, beides anerkannte Marienerscheinungsorte), in Frankreich
(einige), in Italien (viele) oder in Portugal, Irland oder Polen
(mehrere) haben die jeweils zuständigen Bischöfe mit Zustimmung Roms bei
vergleichbarer Ausgangslage zahlreiche Erscheinungswunder für echt
erklärt.
Heede wird, bezogen auf die Erscheinungen, als Fall „ohne Entscheidung“
offen gehalten. Diese Formulierung benutzt das vatikanische Amtsblatt
„Osservatore“ (Mai 1967). Und Pastor Johannes Brinkmann von Heede
schreibt: „Eine endgültige Stellungnahme des zuständigen Bischofs von
Osnabrück oder der Bischöflichen Behörde zu den Vorgängen in Heede ist
nicht - oder noch nicht - erfolgt.“ In einem Brief des bischöflichen
Sekretariats heiße es aber, „daß der Bischof sich ohne Abstriche über
die echte und tiefe Religiösität der vielen Beter in Heede freut“. Er
würde es begrüßen, wenn Heede „trotz des Fehlens einer offiziellen
Anerkennung der sogenannten Marienerscheinungen zu einem geistlichen
Zentrum des Bistums würde“.2
Bis auf eine - freilich uralte - kleine Dorfkirche ist in Heede nichts
gewesen, was diesen Ort dazu prädestiniert oder befähigt hätte, ein
„geistliches Zentrum“ für eine Region zu werden. Gläubige Menschen, die
seit dem Anstoß durch die berichteten Marienerscheinungen zu Tausenden
herbeipilgern - sie sind es, die mit Gottes und Mariens Hilfe diese
Stätte zu einem außerordentlichen Kraftfeld entwickeln, aus dem sie und
spätere Generationen schöpfen können. Dass in solchen Orten, vorneweg in
Maria Kevelaer als größter Wallfahrtsstätte weit und breit, ungezählte
Menschen Hilfe und Glück, Vergebung und Kraft finden, ist wohl das
Wunder, auf das es ankommt.
Es ist immer noch nicht richtig dunkel, als um 22 Uhr in der
St.-Marien-Kirche zu Heede die Messfeier beginnt. Das Gotteshaus ist so
voll, dass einige Besucher im Eingang stehen müssen. Vor dem
ausgesetzten Allerheiligsten gehen die frommen Leute in die Knie - auf
beide Knie -, verbeugen sich und erheben sich wieder. Mancher ältere
Mensch hat damit sichtlich große Mühe. Die Luft in der Kirche ist nach
der Hitze des Tages schwer zu ertragen. Ein paar Leute müssen sich
zurückziehen und sitzen draußen auf den Bänken in der Kirchplatzanlage.
Nach einer Stunde sammeln sich die Kirchgänger zur Lichterprozession.
Sie halten in den Händen eine Kerze mit einem Papierkragen, auf dem die
Gottesmutter von Heede dargestellt ist. Die Prozession aus mehreren
hundert Menschen zieht betend von der Kirche zu den Erscheinungsstellen
auf dem Friedhof. Die Stimme des Vorbeters, die dank eines
Lautsprechersystems mitwandert, ist überall so gut zu verstehen, als
stünde man neben ihm. Die Prozession zieht entlang des neuen Kreuzwegs
und schließlich zur Gnadenkapelle.
Die vielen Kerzen, die in der dunkler werdenden Nacht über den Friedhof
wandern, die Gesänge und Gebete machen die Gemeinschaft stark. Als sie
an der Gnadenkapelle angekommen ist und es still wird, geht es um jeden
einzelnen. Viele bleiben hier - bis weit nach Mitternacht.
Anmerkungen
1 Nach: Maria Anna Zumholz, Die
Resistenz des katholischen Milieus: Seherinnen und Stigmatisierte in der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Irmtraud Götz v. Olenhusen
(Hrsg.), Wunderbare Erscheinungen, Frauen und katholische Frömmigkeit im
19. und 20. Jahrhundert, Paderborn 1995, S. 246.
2 Johannes Brinkmann, Die Gebetsstätte
Heede, Leutesdorf 1996 (4. Aufl.), S. 14.
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© Martin Willing 2012, 2013