Helmus, Werner
►
Baumeister
in Kevelaer | * 1940
"Sie
küssten und sie schlugen ihn“ - dieser alte Filmtitel wäre passend für
das Dossier zu Werner Helmus, den gebürtigen Kevelaerer, der sich aus
der Marienstadt zurückgezogen hat, ohne sie wirklich zu verlassen.
Werner Helmus wird 1940 in eine Zeit hineingeboren, die von Krieg und
Not, von Menschenverfolgungen und tiefster Unmoral im Nazi-Deutschland
gekennzeichnet ist. In Kevelaers dunklen Jahren, die sich im
Nachkriegselend fortsetzen, besucht er Volksschule und Gymnasium,
erlernt den Beruf eines Maurers, erwirbt in Köln das Fachabitur und
studiert sechs Semester Architektur und Ingenieurwesen. Nach 1960
arbeitet er in Kevelaer und Lobberich als angestellter Architekt. Noch
vor 1970 macht er sich in Kevelaer selbstständig.
Er findet früh zur SPD. Das ist in den 70er-Jahren im „tiefschwarzen“
Kevelaer nicht geschäftsfördernd. 1973 ist Helmus stellvertretender
Kassierer im Vorstand des
Kevelaerer SPD-Ortsvereins.
Wichtiger ist, unter wessen Führung er sich einbinden lässt: Es sind der
Vorsitzende
Helmut Esters,
mit dem ihn eine freundschaftliche Beziehung über Jahrzehnte verbinden
wird, sein Vertreter
Hein
Friesen, Kassierer Karl Laarmanns, Schriftführer
Josef Schlusen, die später
zur CDU konvertierten Bildungsobleute Dr. Edmund Bercker und
Peter Hohl sowie der
Juso-Vorsitzende Winfried Janssen.
Werner Helmus macht in der Partei keine Karriere, aber trotz der Partei
eine andere: Er wird der führende, meist beschäftigte Kevelaerer
Architekt. Mancher Berufskollege fragt sich in jener Zeit: „Was hat er,
was ich nicht habe?“ Und mancher versteht die Erfolgsstory des Werner
Helmus bis heute nicht.
Er arbeitet hart und bescheidet sich nicht mit Entwurf, Richtfest und
Einweihungsfeier von Häuschen. Er ist Baumeister und Experte für
Wertschöpfung. Er verhilft Leuten mit kleinem Vermögen dank eiserner
Kostendisziplin zum eigenen Haus, verschafft Handwerkern Aufträge, die -
dafür garantiert er - bezahlt werden, und führt Leuten mit großem
Vermögen die Wirksamkeit legaler Abschreibungen vor. Werner Helmus
rechnet mit Zirkel und Zahlen immer in Tateinheit. Das ist seine große
Stärke.
Unvergessen ist jener Satz, den Werner Helmus 1977 zu einem
Winnekendonker Bauherrn sagt: „Du kannst Dir kein Haus leisten, nur
zwei“. Er baut für den Privatmann ein Doppelhaus - und die Rechnung geht
auf.
Als er 1977 sein „Sporthotel Gestüt Schravelsche Heide“ errichtet,
dessen Ausdehnung jedem andeutet, dass Helmus ein vermögender Mann
geworden ist, spürt der Architekt vielleicht zum ersten Mal, dass Erfolg
Anerkennung und Neid nach sich zieht.
Zugleich ist er glänzend im Geschäft. Er baut 1980 auch den dritten und
letzten Komplex des ausgesiedelten
Grafischen Betriebs Bercker.
Zur Einweihungsfeier kommt Ministerpräsident Johannes Rau.
Enttäuscht ist Helmus, als 1981 der
Reiterverein St.
Georg Kevelaer, der schon seit langem auf ein „Zuhause“ wartet (und
noch lange warten wird), sich nicht für seine geplante Reithalle auf
Schravelen am Sporthotel entscheiden kann. Kaum einer hält für möglich,
dass Helmus dem Verein ohne Eigennutz Gutes tun möchte. In einer dramatisch
verlaufenden Versammlung lehnen die Reiter, deren Verein an diesem Abend
beinahe zerbricht, mit 27 zu 26 Stimmen das freundschaftliche
Helmus-Angebot ab.
Aber das ist nicht das einzige Problem.
Helmus hatte es geschafft, für das Großprojekt einer Reit- und einer
Tennishalle im Außenbereich die Zustimmung der Bezirksregierung zu
bekommen. Regierungs-vizepräsident Gaertner schlägt vor, beide Hallen
ohne Bebauungsplan bauen zu lassen.
Schärfster Gegner des Helmus-Baus auf Schravelen ist Winnekendonks
Ortsvorsteher
Hansgerd
Kronenberg (CDU). Und Ironie des Schicksals: Kronenbergs Ausschlag
gebende Stimme im gespaltenen Stadtrat fehlt bei der Entscheidung am 10.
Juni, weil der Rechtsanwalt in seiner Kanzlei unabkömmlich ist. Der Rat
akzeptiert mit knappster Mehrheit den Weg, den Regierungsvizepräsident
Gaertner aufgezeigt hat.
Das aber ist der Klever Kreisverwaltung ein Dorn im Auge, die einen
Baubeginn ohne Bebauungsplan ablehnt. Für Helmus bedeutet das den
Verlust mehrerer Monate und 800.000 Mark Mehrkosten. Zwei Kevelaerer
Bauunternehmen, die den Auftrag bekommen sollen, geraten wegen des
Kreis-Vetos in Gefahr, 40 bis 50 Facharbeiter entlassen zu müssen. Wegen
dieses drohenden Arbeitsplatzverlustes in ohnehin angespannter
wirtschaftlicher Lage bringt das
Kävels Bläche im Juni 1981
ein Extra-Blatt heraus, in dem Hintergründe und Folgen dieser
Auseinandersetzung geschildert werden.
Bürgermeister
Karl Dingermann
reagiert und beruft für den 30. Juni 1981 eine Sondersitzung des Stadtrates ein,
die - einmalig in diesem Jahrzehnt - von 70 Zuhörern verfolgt wird.
Kreis, Stadt und Bauherr raufen sich zusammen, und Helmus kann am 3.
Oktober 1981 den ersten Teil, die Tennishalle, eröffnen, für die eine
Kevelaerer Bauunternehmung ihre gesamte 100-köpfige Mannschaft
eingesetzt hat. Die Reithalle folgt im Dezember.
Werner Helmus, inzwischen stadtbekannt, wird von der
SPD für die Kommunalwahl 1984 als Ratskandidat nominiert. Helmus gefällt
der Slogan der Partei („Soziales Gewissen in unserer Stadt“) und glaubt,
sein Sachverstand als Bau- und Planungsexperte sei gefragt.
Im Stadtgebiet stehen große Projekte an. Fraktionschef Winfried Janssen sieht
Probleme mit der Bebauung des alten Bercker-Geländes mitten in der City
voraus, und in der Tat: Kein anderes Thema beschäftigt Rathaus und
Öffentlichkeit in den 80er und Anfang der 90er Jahre so intensiv wie das
„
B&B-Center“ [heute die
Luxemburger Galerie].
Werner Helmus steckt 1984 in einer Doppelrolle, die sich für ihn
nachteilig auswirkt. Als im Juli bekannt wird, dass er zusammen mit
seiner Frau Inge einen Optionsvertrag mit der Stadt unterzeichnet hat,
um auf dem Bercker-Gelände ein Einkaufszentrum zu bauen, bricht in
Kevelaer eine Art „kalter Krieg“ zwischen zwei unversöhnlichen Fronten
aus. Helmus, dem das „falsche Parteibuch“ bisher als lässliche Sünde
kaum angelastet worden ist, gerät jetzt als künftiger SPD-Ratsherr ins
Visier einflussreicher Christdemokraten. Zwar wird Helmus unter
insgesamt vier Bewerbern am ehesten zugetraut, das Projekt zu schaffen,
aber kaum sitzt er nach der Kommunalwahl am 30. September 1984 im
Ratssaal, fliegen die Knüppel.
Genervt zieht sich Helmus Mitte November als „B&B“-Bewerber zurück, weil
ihm die CDU versagt, auf dem Gelände vorab 23 Altenwohnungen zu bauen,
für die es erhebliche Landeszuschüsse gibt und die in der
Mischkalkulation der Gesamtkosten eine wichtige Rolle spielen. Am
meisten enttäuscht ihn das offene Misstrauen der CDU, die befürchtet, er
wolle sich womöglich nur die Rosinen herauspicken und die Stadt mit dem
Einkaufszentrum hängen lassen.
Diese Unterstellung wirkt wie ein Schock, der den gelegentlich
aufbrausenden, in Geldfragen aber kühlen Architekten zum scheinbar
überhasteten Ausstieg veranlasst.
Werner Helmus sei wie ein Monopoly-Püppchen hin- und hergeschoben
worden, „mit dem Klein-Erna die große deutsche Wirtschaft übt“,
kommentiert Martin Willing im Kävels Bläche im November 1984. Im Dezember bezeichnet
es Helmut Esters auf einer Parteiversammlung bei Girmes als „einen
Skandal“, dass der Bau von zunächst 23 und insgesamt 100 Altenwohnungen
auf dem B&B-Gelände als Einstieg in die Verwirklichung des Projekts von
der CDU abgeblockt worden sei.
Befreit von dem „B&B“-Druck geht Werner Helmus als frisch gewählter
SPD-Ratsherr in der Kommunalpolitik zunächst auf. Sein vielleicht
wichtigster - weit vorausschauender - politischer Beitrag ist seine im
Dezember 1984 erhobene Forderung, die Bauleitplanung in Kevelaer müsse
eine Wende um 180 Grad machen. „Wir alle haben in der Vergangenheit
große Fehler gemacht“, sagt er. In den zurück liegenden Jahrzehnten sei
„für die Autos“ geplant worden, „am Menschen vorbei. Wir müssen, wenn
wir planen, nur an den Menschen denken. Wir müssen sämtliche
Bebauungspläne überprüfen und abändern, und zwar unter dem
Gesichtspunkt, welche Bedürfnisse der Bürger hat, der sich auf sein
Fahrrad setzt und durch das Stadtgebiet radelt“.
Es kommt nicht zu einem großen politischen Wurf, vielleicht auch, weil
Helmus das „Politikmachen“ fremd bleibt. Er arbeitet geradeheraus, hält
daran fest, dass am Ende Sachargumente entscheiden müssten und lässt
sich von Intrigen irritieren. Diese Welt ist nicht seine Welt. Er eckt
an, stößt Menschen vor den Kopf, die ans Taktieren gewöhnt sind, und hat
bald auch Genossen gegen sich.
Das wird deutlich, als er im Bereich von „B&B“ ein Hotel bauen will. Der
Rat bereitet ihm Schwierigkeiten. Es grassiert, so scheint es, eine
„Helmus-Psychose“.
Als Winfried Janssen, mit dem Helmus eine herzhafte
Abneigung verbindet, im Oktober 1986 den Chefsessel in der SPD-Fraktion
für Klaus Hölzle räumt, glaubt der Architekt zunächst, dass er doch
keine Fehler gemacht habe, sich in die aktive Kommunalpolitik einbinden
zu lassen. Aber es dauert nicht lange, bis sich Helmus und Hölzle
entfremden.
Der Architekt macht, so als sei er schon auf dem Rückzug aus der
Politik, in den folgenden Jahren nur noch selten von sich reden,
beispielsweise im März 1987, als er den Ratsherren, die um ihre
„Diäten-Erhöhung“ ringen, bescheinigt: „Die jetzigen reichen!“ Oder
Anfang 1988, als er sich im Zusammenhang mit dem Bühnenhaus-umbau massiv
für seine Berufskollegen in Kevelaer und die hiesigen Handwerker
einsetzt.
Sein Architektenbüro boomt. Er baut ab 1987 zusammen mit
Alfred Martens die
Sparkassenzentrale
an der
Busmannstraße.
Im Mai 1988 tritt die Wende für das „B&B-Center“ ein,
nachdem Rathaus und Politik reihenweise mit Bewerbern - zuletzt mit der
Projektentwicklungsfirma „Bavaria“ - gescheitert sind. Vorsichtig tasten
sich Ratsmitglieder an ihren Kollegen Helmus heran und fragen, ob er doch noch einmal einen Anlauf nehmen wolle - zusammen
mit „Bavaria“. Statt mit später Genugtuung abzulehnen, macht sich Helmus
an die Arbeit und gewinnt den Pastor von St. Marien,
Richard Schulte
Staade, der die Verbindung zum Deutschen Orden, den späteren Betreiber
des Wohnstiftes St. Marien in der „Luxemburger Galerie“, herstellt,
erlebt dann ein fast zweijähriges Gerangel der unglücklichen Allianz
Bavaria & Helmus und bekommt erst Ende Januar 1990, als sich die
Erlanger Entwickler endgültig vom „B&B“-Projekt verabschieden, grünes
Licht für seine „Luxemburger Galerie“.
Werner Helmus (2.v.l.) 1992 bei der Grundsteinlegung für die
Luxemburger Galerie im Kreis der Familie, die ihm so wichtig ist: ganz
links Sohn Werner, rechts seine Frau Inge und dahinter Tochter Nicole
und Schwiegersohn Immo Danckwart.
Die SPD spricht sich einstimmig, die CDU mit großer Mehrheit für den
Kevelaerer Architekten und seinen Plan aus, das bauliche Herzstück in
unmittelbarer Nachbarschaft des Kapellenplatzes zu gestalten und das
Gesamtprojekt zu betreiben. Dass der Architekt mittlerweile dem Stadtrat
nicht mehr angehört, erleichtert die Entscheidung offensichtlich. Bei
der Grundsteinlegung im Frühsommer 1992 sagt Werner Helmus: „Ich bin
fest davon überzeugt, dass ich mit Gottes Hilfe und mit der
Unterstützung meiner Familie das Bauwerk zur Zufriedenheit aller beenden
kann“.
Das
ist für Helmus keine Floskel. Für den praktizierenden Katholiken ist von
zentraler Bedeutung, dass sein Tun mit seinem Lebensauftrag und Gewissen
in Einklang steht. Der Deutschorden im Marienstift und damit mitten in
seiner „Luxemburger Galerie“ ist ihm wichtiger als jeder andere denkbare
Träger der Altenwohnungen. Für Kevelaer etwas Bleibendes von Wert zu
schaffen, treibt ihn an, und dabei spielen Zahlen und Kosten keine erste
Rolle mehr.
Eröffnung der von Investor Werner Helmus gebauten Luxemburger
Galerie 1993 (v.l.): Stadtdirektor
Heinz Paal, Ministerpräsidentin Heide Simonis,
CDU-Bundestags-abgeordneter
Ronald Pofalla.
Sein Leben dreht sich um seine Familie, seine Frau Inge, die „Managerin“
im Hintergrund, Tochter Nicole und Sohn Werner, seine Schwiegerkinder
und Enkelkinder. Auch für seine Kinder hat er seine Großprojekte wie
„Sporthotel“ und „Luxemburger Galerie“ durchgezogen und sein
Architekturbüro aufrechterhalten. Längst managen sie die Betriebe.
Als Werner Helmus im Dezember 1993 für einen Eklat sorgt und den ihm
verliehenen
Marketingpreis
der Stadt Kevelaer ablehnt, schreibt
Martin Willing im
KB:
►„Lieber Werner! Das Preisrichtergremium hätte seriöser und
sachdienlicher gehandelt, wenn es das Nein im Vorfeld akzeptiert, eine
Ablehnung nicht wie Majestätsbeleidigung empfunden und sich für einen
anderen aus der langen Vorschlagsliste entschieden hätte. Dann hätte
sich der Veranstalter nicht in die Lage manövriert, mit unvollständiger
Liste vor das Publikum treten zu müssen. So wurdest Du öffentlich als
Preisablehner vorgeführt. Das ist genau der Geist in Kevelaer, gegen den
Du mit Deiner Ablehnung protestiert hast. Ich kann Dich gut verstehen.
Wer jahrelang seiner Akzeptanz nachlaufen muß, hat irgendwann die
Schnauze voll.“
Endgültig voll hat er sie 2006. Die Stadt lässt SB-Standorte am
Stadtrand zu und befördert damit, dass die Luxemburger Galerie wichtige
Zugpferde wie Aldi verliert; sie gerät wirtschaftlich in eine
bedrohliche Lage, aus der sie sich durch kreative Lösungen befreien
kann. „Ich bin“, sagt Werner Helmus sen., „von Kevelaer nur ausgenutzt
worden.“
Der Architekt, der in der Marienstadt so viel investiert hat, wie kein
zweiter Privatmann, bricht alle Verbindungen nach Kevelaer ab. Vereine,
in denen er Mitglied ist, bekommen seine Kündigung. Der Ex-Genosse, der
in den letzten Jahren die meiste Zeit bereits in Düsseldorf wohnte, will
endlich wahr machen, was er sich schon länger vorgenommen hat, nämlich
einen ruhigen Lebensabend zu verbringen. „Ein paar schöne Jahre“, sagt
er. „Ich glaube, die habe ich mir verdient.“