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Janssen, Winfried
Lehrer und Kommunalpolitiker in Kevelaer | * 1940 Sevelen

Foto zeigt Winfried Janssen
In Kevelaer gibt es nicht viele Persönlichkeiten, die das Zeug gehabt hätten, in der Stadt jedes politische Amt zu stemmen, bis hin zum Hauptamtlichen Bürgermeister. Sozialdemokrat Winfried Janssen zählt zu der erlaucht-kleinen Gruppe.

„Freund und Feind“ haben viele. Die Spezialität bei Winfried Janssen: Etliche waren wechselwarm. Die, die ihn in manchen Jahren hofierten, warfen ihm in anderen Jahren Knüppel zwischen die Beine, um ihn dann wieder zu umarmen. Andere, die ihn öffentlich diskreditiert hatten, sangen plötzlich Loblieder, um „ein paar politische Themen weiter“ düpiert zu verstummen. Kurzum: Winfried Janssen polarisierte.

Die SPD hat es nie geschafft, Janssens Leistung für die Stadt zu würdigen. Das liegt an Janssens Sturheit. Und es liegt an den Genossen. Sie wollten nicht davon ablassen, einen Mann an die Leine zu legen, dessen politische Erfolge gerade dadurch möglich waren, dass er nicht an der Leine lag. Auf der Bühne sollte er den brüllenden Löwen geben. Zu Hause bei der SPD sollte er hübsch ordentlich und fromm sein. Das erste konnte er. Das zweite nicht.

Schuld ist, so darf vermutet werden, seine Kindheit. Denn fast hätte es mit dem Frommsein geklappt. Immerhin arbeitete sein Vater als Küster und Organist an St. Antonius Sevelen und war "eindeutig christlich konservativ geprägt". Doch als der Vater 1945 aus dem Krieg heimkehrte, war sein Filius (5) im Haushalt des Großvaters als allererstes Enkelkind längst durch die Schule der Freiheit gegangen.

Außer dem Opa erzogen Mutter Klara und ihre sieben Geschwister an dem Kleinen herum. „Ich habe mich gegen alle behauptet, bin auf freier Wildbahn großgeworden und allen Erziehungsversuchen geschickt ausgewichen.“ Janssen ist sicher: „Das hat mir nicht geschadet.“ Und: „Mein Vater konnte mich nicht mehr auf Kurs bringen.“

Im Rückblick dürfen wir flapsig festhalten: Da musste Jahrzehnte später auch der Versuch der SPD scheitern, an diesem Brocken weitere Methoden der Maßregelung zu erproben.

Aber bleiben wir noch kurz bei der Kindheit. Der Großvater, Bürgermeister in Sevelen, schleppte den Enkel immer wieder mit zu Terminen. Winfried sah und erlebte viel, kam früh mit politisch denkenden Erwachsenen in Kontakt und erfuhr, "wie andere mit dem Leben fertigwerden".

Winfried, das älteste von fünf Kindern, begleitete zudem oft den küsternden Vater in die Kirche und verbrachte dort mehr Zeit als zu Hause. Eigentlich hätte er mit dieser Vorgeschichte ein Konservativer werden dürfen. Janssen sagt: „Meine Mutter ist bis heute nicht ganz fertig damit, dass ich eine andere Richtung eingeschlagen habe.“

Aus diesem Sohn wurde einer der einflussreichsten Politiker der Stadt Kevelaer in den 80er- und 90er-Jahren. Über den zweiten Bildungsweg zum Lehrer geworden, stieß der gelernte Starkstromelektriker in der Hochspannungs-Zeit des charismatischen Willy Brandt zur SPD und übernahm 1973 den Vorsitz der Kevelaerer Jungsozialisten. Im Jahr darauf war er bereits stellvertretender Vorsitzender des SPD-Ortsvereins. 1975 zog er in den Stadtrat ein.

1981 führte er die Fraktion und profilierte sich jetzt und in späteren Wahlkämpfen als Impulsgeber der SPD, der Themen witterte und, durchorganisiert vom Kleister für Werbeplakate bis hin zu beißenden Kommentaren in der roten Rundschau, die Fronten aufmischte. Die „Schwarzen“ waren erschreckt über so viel perfekten Wahlkampf in Kevelaer. Die „Roten“ rieben sich die Augen. Einige waren stolz und verunsichert. Dieser Winfried Janssen arbeitete nicht nur gut; er forderte das gleiche ungeniert und zuweilen hartnäckig von anderen.

Er, der seine Freiheit schon als Kind gegen Erziehungsversuche verteidigt hatte und ausgerechnet Pädagoge geworden war, um, na was?, Kinder zu erziehen, galt in der SPD bald als Oberlehrer, der sowieso alles besser wusste.

Das Problem: Das stimmte. Jedenfalls oft. Janssen behielt mit wachem Verstand den Überblick und konnte sich jenseits der Parteiräson für Lösungen der politischen Konkurrenz begeistern. Das war schlimm für manchen Genossen. Janssen war nicht ausrechenbar: weder bei seinen Haltungen noch in seinem Verhalten.

Mal war er der Teamplayer, der alle ins Boot holte, mal wirkte er wie besagter Oberlehrer. Und er taktierte – mal öffentlich, mal intern, mal hinterrücks: geradeso wie fast alle Mächtigen der Welt und wohl auch die Mächtigen in Kevelaer. Einige kannten Ränke aus ihren eigenen Schmieden. Deshalb wussten sie, wie Janssen vorging; sie kritisierten an ihm ihr eigenes Tun. Allerdings gab es unter ihnen welche, die allein für die Sache stritten und sich im Hintergrund hielten. Winfried Janssen stritt für die Sache und sonnte sich gern.

1984 stand er nicht nur als Politiker in der Öffentlichkeit. Der CDU-dominierte Stadtrat wählte bei nur einer Gegenstimme Janssen, damals Konrektor der Edith-Stein-Hauptschule, zum Rektor der Theodor-Heuss-Hauptschule.

Die damit verbundene Arbeit wurde zwei Jahre später zur offiziellen Begründung für Janssens Rücktritt vom Amt des Fraktionschefs. In Wirklichkeit hatte es mal wieder geknallt. Eigentlich hätte Werner Helmus statt Winfried Janssen Mitglied im Verwaltungsrat der Sparkasse werden sollen. Doch Janssen dachte nicht daran, den Posten freizumachen. Die Fraktion sah sich genötigt, Janssen ein Ultimatum zu stellen. Der handelte fristgerecht. Allerdings anders als erwartet. Er trat umgehend vom Vorsitz der Fraktion zurück. Klaus Hölzle übernahm.

Es war diese Halsstarrigkeit, die Janssen, den Weitdenker, den Lenker, den Öffentlichkeitsarbeiter und Cheforganisator, Kredit kostete. Er ging eher mit dem Kopf durch die Wand, als ein Jota zu weichen. Sein trockenes Fazit heute, da er sich als ruhiger, gelassener und großzügiger empfindet: „Ich bin nie einem Streit aus dem Weg gegangen.“

1988 war es auch mit der Arbeit im Parteivorstand vorbei. Die Abstinenz geriet kurz. 1989 schaffte er es in den Kreistag, 1992 zurück in den Ortsvorstand und an der Seite von Klaus Hölzle in die Fraktionsführung, 1996 in den Unterbezirksvorstand.


Mit politischen Weggefährten Anfang der 1990er-Jahre: vorn v.l. Hannes Selders, Werner Müllenmeister, Hans Broeckmann (†), Winfried Janssen und Dr. Klaus Hölzle.

1998 war alles wieder gut. Seine Partei nominierte ihn gegen Heinz Paal, der erster hauptamtlicher Bürgermeister werden wollte, zum Kandidaten. Viele waren sicher: Janssen würde für das Amt geeignet sein - als Schulleiter ausgestattet mit Führungserfahrung, als Politiker zwischen den Fronten erprobt in strategischer Weitsicht und als KSV-Mitglied konziliant und charmant im Auftritt: Da waren seine Einlagen als Stadionsprecher bei den Heimspielen der blau-gelben Jungs längst legendär.


Winfried Janssen als Stadionsprecher zusammen mit Anton „Tön“ Sieben in den 80er-Jahren.

Doch die SPD stürzte bei der Wahl ins Bodenlose. Janssen war einer der wenigen, die sich wacker hielten. Bei der Direktwahl erreichte er 24,6 Prozent der Stimmen (weit mehr als seine Partei).

Ab der Stadtratswahl 1999 war er Fraktionsvorsitzender und zweiter stellvertretender Bürgermeister (unter Dr. Friedrich Börgers hatte er bereits als erster Stellvertreter gewirkt). Was der SPD missfiel: Die CDU-Mehrheit hatte auf Janssen als Stellvertreter bestanden. So schmeichelte sie Janssen (mit dem sie vorher gut gefahren war) und trat zugleich dessen Fraktion vors Schienbein. Das kreideten Genossen nicht der CDU, sondern Janssen an.

Die Entfremdung zwischen ihm und ihnen nahm erneut Fahrt auf. 2001 ersetzten sie Winfried Janssen durch Sigrid Ehrentraut im Fraktionsvorsitz.

Zum offenen Bruch kam es 2002. Äußerer Anlass war die Entscheidung des Ortsvereins, nicht Winfried Janssen, sondern Jörg Vopersal für einen Sitz im Kreisparteivorstand zu nominieren. Doch Parteichefin Dr. Barbara Hendricks wollte Janssen. Sie intervenierte in Kevelaer. Die Genossen sträubten sich. Die Kreisgeschäftsführung öffnete eine Hintertür: Janssen sollte als Revisor in den Kreisvorstand einziehen und wäre prompt wieder mitten im Geschehen gewesen.

Die Kevelaerer fühlten sich hintergangen. Ein Sozialdemokrat schoss mit einer öffentlichen Reaktion übers Ziel hinaus. Alles verwickelte sich. Janssen kam dem drohenden Rauswurf aus der Fraktion durch seinen Austritt zuvor, blieb aber zweiter Vizebürgermeister.

Mit dem Ende der Ratsperiode klang 2004 Janssens lange politische Karriere aus - der Zeitpunkt für eine ehrenvolle, vielleicht sogar warmherzige Verabschiedung durch die Sozialdemokraten mit Blick auf seine in Jahrzehnten erworbenen Verdienste war verpasst – darunter seine kluge und schülerfreundliche Politik bei der Errichtung des Schulzentrums auf der Hüls und seine Gehhilfe für die junge Wirtschaftsförderung in Kevelaer. Auch hatte Janssen den Ruf seiner Partei in einer Öffentlichkeit gefestigt, die in manchen Ortsteilen der Stadt noch immer tiefschwarz dachte. Unter seiner Führung kamen rote Einsprengsel hinzu.

Er stand noch einmal im Rampenlicht, als er 2004 aus dem Rektorenamt in den Ruhestand verabschiedet wurde. Für Jugendliche hat er – ohne jede Anfeindung über Jahrzehnte – Großes geleistet, auch im Bereich der Berufsvorbereitung. Früh drängte er auf Praktika für Schüler, ärgerte sich später – Seite an Seite mit Kreishandwerksmeister Heinz Smets – über Duisburger und Krefelder Unternehmer, die in Kevelaer junge Arbeitskräfte abfischten, und entwickelte ein bis heute beispielhaftes Engagement, an dem sich auch die öffentlich-rechtliche Sparkasse beteiligt: Mit ihr, vor allem mit Jochen Rademacher, brachte Janssen dem Berufsinfotreff das Laufen bei. Einige Tausend Schülerinnen und Schüler haben seither in 25 Veranstaltungen von diesen Treffs profitiert.

Wenn Janssen heute aus seiner Wohnung tritt – seit 2008 mit Blick auf den Peter-Plümpe-Platz gleich am Rathaus –, trifft er immer mal wieder ehemalige Schüler. Manchmal ruft einer: „Guck‘ mal, mein Rektor von damals!“ Dann geht ihm das Herz auf. Ohne jede Koketterie sagt er: „Ich war immer der erste Lobbyist meiner Schüler!“

Sie haben ihn wohl in mancher Zeit öfter gesehen als seine Kinder Verena und Daniel. Vielleicht ist er auch deshalb heute ein begeisterter Großvater – und immer noch ein begeisterter Vater und Ehemann von Ingrid, die er vor über 50 Jahren geheiratet hat.

Nach seiner aktiven Zeit wollte er etwas machen, das einfach nur Spaß bereitet. Er belebte seine Mitgliedschaft bei den Bürgerschützen. Zu Königsehren wird er es freilich nicht bringen. Warum? Das verriet sein Enkeltöchterchen: „Opa darf den Vogel nicht abschießen. Oma will nicht Königin sein.“ Also bescheidet Janssen sich damit, die Öffentlichkeitsarbeit der Schützen zu betreuen. Natürlich perfekt.

Die Dokumentation ist sein Hobby geblieben. Zu Hause hat er alle Geräte, die helfen, kilometerlange Tonbandaufzeichnungen ab dem Jahr 1963 zu verwalten, zu konvertieren und zu bearbeiten. Konzerte, Karnevalsveranstaltungen, Heimatabende, Schulfeiern und Urlaube im Standcaravan bei Burgh-Haamstede in der Provinz Zeeland – nicht nur in Janssens Gedächtnis und Vita finden sich Jahrzehnte Zeitgeschichte wieder, auch auf seinen Datenträgern.

Eine Aufzeichnung ist dabei, die während der Bundesverdienstkreuzverleihung 2005 entstanden ist, die er nur im kleinen Kreis gefeiert hat. Er ist ein politischer Mensch geblieben – keiner mehr mit Macht, aber einer mit Meinung, die er gern freitags bei Kalle vertritt. Dann ärgert er sich schon mal über „Profillosigkeit und Harmoniebedürfnis“ der Politik in Kevelaer. Gezankt werde eher über den Zopf von Dominik Pichler als über Substanzielles.

Und ist er noch in der SPD? Na klar. „Aus Partei und Kirche trete ich nicht aus. Die sind lebenswichtig.“