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    SACHBEGRIFFE |
Heutgens, Marianne

Von einer Stadtführerin zur Stadtbotschafterin für Kevelaer | * 1943

Marianne Heutgens gehört, obschon seit September 2008 offiziell im Ruhestand, nach wie vor zum Bild der Stadt wie andere markante Sehenswürdigkeiten. Das ist wörtlich gemeint. Wenn sie durch die Straßen schreitet, ist sie ein Hingucker - so unverwechselbar geradlinig und entschlossen geht sie ihren Weg und weist anderen als Stadthostess und Stadtführerin die äußeren und inneren Schönheiten des Gnadenorts. Sie zeichnet verantwortlich dafür, dass Tausende von Menschen gelernt haben, die Marienstadt mit wachen Augen zu sehen.

Marianne Bueren kommt im Kriegsjahr 1943 in der alten Mühle am Rosenbroecksweg zur Welt. Es ist September. Die Kevelaerer erfahren Et Nejste van t'hüss: Das Blättchen meldet immer neue Kriegstote aus der Heimat. Über Winnekendonk werden Staniolstreifen mit amtlichen Mitteilungen über Luftangriffe abgeworfen. Am Kapellenplatz ist der Hüter des Heiligtums in großer Sorge; gerade hat er das Gnadenbild aus dem Schrein holen und unter dem Turm der > Basilika vergraben lassen.

Mariannes Vater, der Polychromeur Hans Bueren (* 1909) , ist an der Front. Auch über ihn wird bald eine Todesnachricht zu lesen sein. Er fällt bei einem Bombenangriff am 13. Dezember 1944 in Schleiden in der Eifel.

Vater Hans Bueren mit Tochter MarianneMarianne Heutgens hat keine Erinnerung an ihn. Der Vater hat es geschafft, ‚auf Heimaturlaub‘ seine Tochter zu sehen. Fotos haben innige Momente festgehalten: die kleine Marianne auf seinem Arm. Das Mädchen ist keine zwei Jahre alt und viel zu jung, um ein Bild des Vaters zu speichern.

Vater Hans Bueren mit Töchterchen Marianne.

Für Mariannes Mutter beginnt ein harter Kampf. Die Mühle, die ihr Mann erben sollte, fällt an einen Bruder. Er verkauft den Komplex. Marianne und ihre Mutter Hanna, geborene Schabrocker, ziehen an die Busmannstraße. Die Mutter verdient sich über Putzarbeiten das Nötigste zum Leben. Sie reinigt Kirchen und in den Sakristeien die liturgischen Geräte, zieht oft von Kirche zu Kirche auch in andere Dörfer, ihr Kind an der Hand.

„Ich bin in den Sakristeien groß geworden“, erzählt Marianne Heutgens. Bald kennt sie alle Gegenstände, die liturgischen Farben und den unverkennbaren Geruch. Sie hat bei den vielen Gängen u.a. in St. Antonius Kevelaer einen väterlichen Freund gefunden, Pfarrer > Heinrich Maria Janssen, später Bischof in Hildesheim.

Während ihre Mutter putzt, macht Marianne ihre Schulaufgaben. Ein ums andere Mal schaut ihr Janssen bei ihren Aufenthalten in St. Antonius über die Schulter, hilft ihr, zeigt und erklärt ihr die Schätze von Kirche und Wallfahrt. Wenn das Kind ihn in seiner Nähe weiß, ist es glücklich. Es hat keine greifbaren männlichen Verwandten und sieht Janssen wie einen Vater an. Kirchen werden dem Mädchen zur Heimat im doppelten Sinn.

Hanna Bueren versucht, bei aller Arbeit ganz für das Kind dazusein. „Sie war warmherzig, sensibel und immer helfend“, erzählt Marianne Heutgens, „ich kannte von ihrer Seite nur Liebe und Fürsorge. So wollte ich später selbst als Mutter sein.“

Sie geht auf die Marktschule und beginnt nach ihrem Abschluss im Modehaus > Kaenders eine Ausbildung zur kaufmännischen Angestellten, schließt in einer Drogerie in Goch eine Fotolaborantinnenprüfung an und verdient später im Kaufhaus Schmitz-Wefers an der Hauptstraße ihr Geld.

Mutter Marianne mit Tochter Ivonne
(verheiratet mit Hermann Voß).

Sie gründet eine Familie. Ihre Kinder Frank (1964) und Ivonne (1970) kommen zur Welt. Sie umsorgt sie mit Hingabe. Glücklich wird sie nicht: Nach einigen Jahren ist sie alleinerziehend.
*

Dann erfährt sie von einer Stelle bei der Stadt Kevelaer. Zum 14. April 1980 will Stadtdirektor > Dr. Karl-Heinz Röser drei Hostessen einstellen. Das Kävels Bläche titelt begeistert: „Drei Engel für Charly.“

Der Verwaltungschef hat den richtigen Verdacht. Die drei Hostessen, die zugleich Politessendienst schieben, geraten zu einer der besten und ertragreichsten ‚Marketingideen‘, die in Kevelaer je umgesetzt worden sind. Dabei sind sie nicht nur Aushängeschild, sondern verkörpern, was Kevelaer im Innersten zusammenhält.

Marianne Heutgens als Stadthostess
in schicker Uniform (1993).


Die junge Mutter Marianne bekommt eine der drei Stellen. „Stadtdirektor Dr. Röser war vorsichtig. Er wollte uns nicht zum 1. April einstellen. Er hatte Sorge, dass das als Scherz durchgeht.“ Fortan sind die Drei die guten Geister bei Empfängen und Hundert anderen Gelegenheiten, und sie wachen „knöllchenbewehrt“ über den ruhenden Verkehr.

Die folgenden Jahre versorgen Marianne Heutgens mit immer neuen Glücksmomenten. Sie bescheren ihr Eindrücke, Einsichten und Erfahrungen, zu denen sie als Hostess Zugang bekommt. Ergriffen erlebt sie im Dienst der Stadt den > Papst und Mutter Teresa aus nächster Nähe. Sie erfährt als Geschenk, dass Menschen solcher Strahlkraft die Aussagen des kleinen Bildchens im Stock am Kapellenplatz weit über den Tag hinaus stärken.

Bis heute geht sie mit Gruppen, die sie durch Kevelaer führt, liebend gern zu den Portalen der Basilika, in denen das Wirken von Johannes Paul II. und Mutter Teresa in Kevelaer nachgezeichnet ist. Auch > Bert Gerresheim, den Künstler der Tore und bildhaften Bibelübersetzer, sieht sie als Geschenk für den Gnadenort.


Stadthostess Marianne Heutgens bei der Arbeit im Rathaus (1993, Verleihung des Bndesverdienstkreuzes an > Klaus Bercker, v.l.: Marianne Heutgens, Bürgermeister > Dr. Friedrich Börgers, > Hildegard Bercker, Maria Bercker).

„Ich könnte ein Buch über meine Erlebnisse schreiben“, sagt sie und denkt an die vielen Begegnungen mit Menschen.

Einige bedachte sie vorsorglich mit Vorurteilen, darunter junge Leute in einer der Gruppen, die sie führte. Später kam ein junger Mann zu ihr. „Wenn meine Mutter doch nur einmal im Jahr so viel Zeit für mich gehabt hätte wie Sie heute“, sagte er. Marianne Heutgens erinnert sich an ihr Gefühl der Scham, über Menschen geurteilt zu haben, ohne ihre Geschichte zu kennen. Immer wieder wird sie von Pilgern geerdet. Sie vertrauen ihr Schicksale an, möchten einfach nur still geführt werden und schauen - oder sie suchen Trost in der Zuhörerin.


Marianne Heutgens informiert im Rathaus die Besucher Christian Schick (l.) und Winfried Janssen.

Längst ist aus Marianne Heutgens, der resoluten Politesse („ich kann auch brüllen, dann muss man mich halten!“), der charmanten Hostess, die auch aus einem Bocksbeutel richtig einzuschenken weiß, und der kundigen Stadtführerin, eine Menschenbegleiterin geworden, die ahnt, wenn Gäste keiner Vorträge bedürfen, sondern sich eine andere Sprache wünschen. Die hat mit Worten wenig zu tun. Das ist gut so, denn mitunter verschlägt es Marianne Heutgens den Atem, wenn sie mit Schicksalen anderer Menschen in Berührung kommt und dennoch deren Lebens- und Glaubenskraft fühlt.

„In den Augen der Menschen kann ich lesen, dass sie durch den Gnadenort bestärkt nach Hause fahren.“

Dann erlebt sie die Bereicherung, die sie durch ihre Arbeit erfährt und fühlt sich über eigene Schicksalsschläge hinweggetröstet. 1981 hatte sie bei einer Bustour mit Frauen der CDU-Niederrhein nach Berlin einen besonderen Draht zu Busfahrer Werner Heutgens aus Leverkusen entwickelt. Er war früh Vollwaise geworden, sein Vater war im Weltkrieg gefallen wie ihrer. Sie verstanden sich auf Anhieb.

Später trafen sie sich wieder, als Werner Heutgens eine Pilgergruppe aus Leverkusen nach Kevelaer führte. 1983 wusste sie: Sie hatte die Liebe ihres Lebens gefunden. „Er hatte alles, was ich mir immer für meine Familie und mich gewünscht hatte.“ Werner Heutgens wechselte seine Arbeitsstelle, um ihr und der Familie nahe zu sein.

Ihre Beziehung wurde hart belastet. Die Stadtführerin, im Heiligen Bezirk quasi zu Hause, spürte Widerstand aus Kirchenkreisen.

Sie heiratete 1986.

Ihnen blieben 14 glückliche Jahre. Dann erkrankte Werner Heutgens lebensbedrohlich. Zwei Jahre hielt er durch. Er starb 2002.

Marianne Heutgens:
Heute inoffizielle Stadtbotschafterin für Kevelaer.


„Wie oft bin ich in meinem Leben zur Gnadenkapelle gegangen, um zu bitten“, sagt Marianne Heutgens. Vielleicht macht ein Umstand am besten deutlich, wie Ort und Arbeit sie bereichert und gestärkt haben.

„Heute gehe ich zur Gnadenkapelle, um zu danken.“

*

Aus Marianne Heutgens, der Stadthostess, die 1980 einer der „Drei Engel für Charly“ war und schließlich als Menschenbegleiterin den Gästen zur Seite stand, ist heute etwas geworden, was offiziell nirgendwo vermerkt ist: Sie hat sich von einer Stadtführerin zur ersten Stadtbotschafterin weiterentwickelt - zu einer Botschafterin für den Gnadenort, die mit dem Herzen und aus voller Seele den Menschen näherbringen kann, welche Kraft dem Heiligtum der Trösterin der Betrübten innewohnt.

So macht sich Marianne Heutgens - heute mehr denn je - auf ihre lebhafte und doch stille Weise um die Marienstadt verdient.  

Delia Evers
*

Marianne Heutgens Textstellen in der Kevelaerer Enzyklopädie:
| Hildegard Bercker | Ehrennadel | Hoogen | Tebartz-van Elst |

© Martin Willing 2012, 2013