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Kevelaer als Gnadenort und seine Wunder

Spontanheilungen, Wunder und andere Vorgänge ohne natürlich Erklärung

Gnadenkapelle im SchneeAls dem Schlagertexter der Ohrwurm einfiel, „Wunder gibt es immer wieder“, dachte er wahrscheinlich nicht an Wunder vor religiösem Hintergrund, sondern an die vielen Nettigkeiten, die unser alltägliches Leben freundlicher gestalten.

Die flapsige Frage „Glaubst du etwa an Wunder?“ bedeutet im allgemeinen Sprachgebrauch der Christenmenschen das schiere Gegenteil: „Um Gotteswillen, nein!“

"Maria im Schnee" - so heißt eines der Andenken an Kevelaer, das manche Menschen als kitschig empfinden. Geteilt sind auch die Gläubigen in zwei Lager: Die einen halten Heilungswunder für Einbildung oder gar Betrug, die anderen sind davon überzeugt, dass himmlische Kräfte etwas bewirken können, für das wir keine natürliche Erklärung finden.
Foto: Claudia Daniels

Der Wunderglaube wird in Kevelaer ohnehin auf keine große Probe gestellt. Das > Stimmenmirakel des Hendrik Busmann und die Vision seiner Frau Mechel liegen über 350 Jahre zurück, und die acht anerkannten Heilungs- und Erhörungswunder (Synode zu Venlo, 1647) sind im heutigen Wallfahrtsalltag von Kevelaer kaum präsent - viel zu lange her, als dass wir uns die Vorgänge von damals plastisch vorstellen könnten.

Dagegen werden Marienerscheinungen von nicht wenigen Menschen als eine schwere Prüfung ihrer Bereitschaft, an Wunder zu glauben, empfunden. So wird es auch manchem Leser ergehen, der hier auf Blattus Martini in der Rubrik > Spurensuche von relativ unbekannten Orten erfährt, aus denen Marienerscheinungen berichtet werden. Das sind nur wenige Beispiele; tatsächlich sind vom ersten Jahrhundert bis zum Jahr 1992 (soweit reicht die jüngste Statistik) insgesamt 918 Erscheinungen und Botschaften der Gottesmutter dokumentiert - mit Abstand die meisten in Europa (774) und fast die Hälfte (427) im 20. Jahrhundert.

Warum nur sehr wenige Erscheinungsorte Bedeutung erlangt haben wie > Fatima oder > Lourdes, liegt auf der Hand: Die Kirche hat, gemessen an der Vielzahl der „Fälle“, eine Anerkennung als übernatürliches Ereignis nur sehr selten und seit 1945 offenbar überhaupt nicht mehr ausgesprochen.

Unter einem Wunder versteht jeder Zweite etwas anderes. Um im Wirrwarr den Überblick zu behalten, werden Wunder gerne nach Graden klassifiziert, so als könnte man die Glaubwürdigkeit eines Wunders daran abgreifen, wie stark es sich von den Naturgesetzen entfernt. Demnach müsste für einen einzelnen Menschen die höchste Stufe eines Wunders so aussehen: Er schleppt sich als beinamputierter Pilger zum Gnadenort und kehrt mit zwei gesunden Beinen zurück. Wer sich mit solchen Vorstellungen dem Wunderbegriff nähert, landet schnell in der Sackgasse und verliert seine Bereitschaft, sich auf Wunder überhaupt noch einzulassen.

In Wirklichkeit ist es für den religiösen Menschen unerheblich, ob Gottes Wunderwirken innerhalb oder außerhalb der natürlichen Gesetze liegt (nach Rahner). Der Versuch, Wunder gradmäßig abzustufen, steht dem Wunderverständnis generell und folglich auch dem Verständnis von Marienerscheinungen im Wege. Dann gilt nämlich eine Marienerscheinung als so unwahrscheinlich wunderbar und fernab der Gesetze dieser Welt, dass sie wegen ihres äußerst hohen Wundergrades leicht oder leichtfertig abgelehnt wird.

Wunder von Kana
Die Verwandlung von Wasser in Wein bei der Hochzeitsfeier zu Kana - bodenständige Wirklichkeit in den Augen des Malers und kein "unglaubliches Wunder".

Diese Methode ist nicht einmal konsequent: Das erste Wunder, das Maria veranlasste, war die Wandlung des Wassers in Wein durch ihren Sohn (Kana); dieses Wunder genießt, obschon nicht weniger „unwahrscheinlich“, eine breite Akzeptanz. Auch eine wunderbare Heilung, wie wir sie aus Lourdes kennen, hat trotz Skepsis gegenüber Wundern gute Chancen, in weiten Kreisen geglaubt zu werden, weil es inzwischen zum Allgemeinwissen gehört, dass enorme Selbstheilungskräfte, wenn sie erst einmal außergewöhnlich stimuliert werden, zu schulmedizinisch nicht erklärbaren Erfolgen führen können. Das aber wäre, nach landläufigem Wunderverständnis, freilich nur ein „halbes“ Wunder.

Die Entweder-oder-Betrachtung eines Wunders führt in die Irre. Richtiger, wenngleich schwieriger ist es, Wunder im Sinne von Sowohl-als-auch verstehen zu lernen: Als nicht aufzuklärende Ereignisse, die sowohl im Natürlichen als auch im Übernatürlichen angesiedelt sein können. Dann fällt es leichter, solche Ereignisse „vorurteilsfrei“ auf sich wirken zu lassen.

Am Wunderbegriff arbeiten seit zweitausend Jahren Theologen und Philosophen. Drei große Richtungen sind auszumachen:

  1. Wunder gibt es nicht. Auch Unerklärliches ist eingebettet in eine naturgesetzliche Ordnung.

  2. Wunder sind Phänomene aus naturwissenschaftlichen Grenzgebieten, wobei zunächst offen bleibt, wo Grenzen zu ziehen sind. Letztendlich aber, nur eine Frage des Erkenntnisstandes, werden solche Phänomene erklärbar.

  3. Wunder sind Teil des göttlichen Offenbarungsgeschehens und entziehen sich, auch wenn sie körperlich fassbar sind, der Erklärung durch die Naturwissenschaft, gleich welchen Erkenntnisstand sie jemals erreicht.

Diese dritte Kategorie des Wunderbegriffs ist jedem Christen geläufig, denn im Zentrum der christlichen Religionen steht der Wunderglaube: Das Wunder der Weihnacht, die „Fleischwerdung“ des Gottessohnes, ist die elementare Botschaft der von Christus gestifteten Kirche. Niemand, der sich in seiner Kirche zu Hause fühlt, würde dieses Ur-Wunder verleugnen wollen.

Wunder göttlichen Ursprungs sind Bestandteil christlichen Glaubens und offenbarte Zeichen für die Allgegenwart Gottes. Wunder und Glaube, daran kann sich niemand vorbeimogeln, sind untrennbar miteinander verbunden.

Gleichwohl geht die katholische Kirche mit Wundern in den Wallfahrtsorten sehr behutsam um. Sie erhebt keine einzige der von ihr anerkannten Marienerscheinungen in den Stand einer verpflichtenden Glaubenswahrheit. Wer diese Zeichen Gottes für sich nicht erkennen will, dem steht das frei. Aus dieser Freiheit, einem dargebotenen Geschenk, schöpfen die Wallfahrtsorte ihre besondere Kraft. Es zieht Millionen von Gläubigen zu solchen Stätten, weil sie sich hier mit ihren Gebeten und Hoffnungen Gott näher fühlen. Hier sind sie „so frei“, ein Fest im Hause Gottes mit Seele, Geist und Körper zu feiern.

Ob eine Gnadenstätte kirchlich anerkannt ist oder nicht, beeinflusst zwar die weltliche Entwicklung eines Wallfahrtsortes enorm; aber die persönliche Entscheidung, an die Echtheit des Geschehens zu glauben oder nicht zu glauben, kann durch kein kirchliches Votum ersetzt werden. Das gilt auch für nichtapprobierte Gnadenstätten wie > Marpingen, > Mettenbuch oder > Heroldsbach, aus denen Marienerscheinungen berichtet werden. Deshalb kann die Verehrung Mariens auch an solchen Orten nicht etwas sein, was man ablehnen müsste.

Sobald die Kirche die Glaubensfreiheit gegenüber dem Ursprungsgeschehen eines Gnadenortes außer Acht lässt und wie im Fall Heroldsbach sogar das Gegenteil ausspricht, nämlich „Glaubensverbot“, wird eine unhaltbare Situation heraufbeschworen.

Das Beispiel von Heroldsbach, das nach 50-jähriger Ablehnung nun zu einer marianischen Gebetsstätte erklärt worden ist, zeigt, wie gut die Kirche daran tut, sich nicht zu einem schnellen Urteil verleiten zu lassen. Das beherzigt sie in der Regel: Zu den allermeisten der fast 1000 berichteten Marienerscheinungen in der Welt hat die Kirche noch keine abschließende Stellungnahme abgegeben.

Die Glaubwürdigkeit eines Anfangswunders spielt, ob kirchlich anerkannt oder nicht, mit zunehmender zeitlicher Entfernung zum Ursprungsereignis für einen Wallfahrtsort ohnehin eine immer geringere Rolle. In breiten Kreisen der Kirchenmitglieder wächst mit größer werdendem Abstand die Bereitschaft, ein Wunder „einfach als geschehen“ anzunehmen. Die zeitliche Ferne hilft sogar dabei, das sich in einem Wunder zeigende göttliche Wirken zu vergeistigen, für die heutige Zeit zu übersetzen und zu verstehen. Darin dürfte einer der Gründe für den anhaltenden Zuspruch der Kevelaer-Wallfahrt liegen, der in diesem Jahrhundert sogar größer geworden ist als jemals zuvor.

Und auch eine Marienerscheinung im 19. Jahrhundert wie die in Lourdes, die man nur aus Überlieferungen kennen kann, zählt nach wie vor zu den gern geglaubten Ereignissen, weil sie vertraute Bilder in uns wachruft, die wir aus der Bibel kennen. Außerdem hat der berühmte Film „Lied der Bernadette“ den Wunderglauben mehrerer Generationen nachhaltig geprägt.

Mit Fatima (1917) aber beginnen die schwerer vorstellbaren Wunder und Marienerscheinungen des Medienzeitalters. Erstmals werden Menschen im Augenblick eines übernatürlichen Ereignisses fotografiert. Und in Heroldsbach (1949) werden Seherkinder abgelichtet, wie sie ihrem Bericht nach gerade die Hand der Gottesmutter berühren. Die neuen technischen Möglichkeiten, Übernatürliches wenigstens indirekt dokumentieren zu können, schaden allerdings mehr als dass sie helfen. Sie nähren den falschen Wunderglauben, dass sich Maria auf Platte bannen lässt, wenn die Kamera gut genug ist und im richtigen Augenblick zum Schuss kommt. Gerade die, die die Existenz von Übernatürlichem ablehnen, verlangen vom Wunder greifbare Natürlichkeit - ein Widerspruch in sich.

Die Geschichte ist voll von Berichten visionärer Menschen, die die Gabe des tieferen Sehens und Empfindens besitzen und das, was sie berichten, nicht erfinden, sondern auftragsgemäß wiedergeben. Die bekanntesten und wichtigsten sind diejenigen, die die Bücher der Heiligen Schrift niedergeschrieben haben. Auch wenn man jene Zeit der Offenbarungen für abgeschlossen hält, sind für alle Epochen private Offenbarungen überliefert, denen göttliche Eingebung zugrunde gelegt wird. In diesem größeren Zusammenhang können auch die zahlreichen Marienerscheinungen der Neuzeit nachempfunden werden, bei denen häufig Kindern die Aufgabe der Mystiker zugefallen ist, der Welt Botschaften zu übermitteln. Aber weil es Kinder sind, ist der Verdacht schnell ausgesprochen, dass sie uns Theater vorspielen.

In Wirklichkeit, so können wir für die meisten dieser Ereignisse annehmen, findet in der Vorstellungswelt der Seher die berichtete Erscheinung tatsächlich statt. Aber das ist noch kein Wunder. Zu einem Wunder wird ein Ereignis erst dann, wenn göttliches Einwirken das Ereignis auslöst und lenkt. Das jedoch bleibt immer eine Glaubensfrage, denn Wunder ohne Glauben - die gibt es nicht.

Ohne den Glauben an die Übernatürlichkeit von greifbaren Ursprungsereignissen würde den Wallfahrtsorten der Boden entzogen, auf dem sie gründen. Andererseits ist unübersehbar, daß sich kraftvolle Gnadenorte entwickelt haben, deren Bedeutung nicht allein durch das Ursprungsereignis erklärt werden kann.

Einsiedeln
Prachtvolle Klosteranlage in Maria Einsiedeln: Großartiges Ursprungsmirakel? Nein, das geistige Zentrum der Schweiz entwickelte sich aus einer ausgesprochen bescheidenen, fast dürftig ausgestatteten Legende. Foto: Martin Willing

Wer beispielsweise in Maria Einsiedeln vor dem überwältigend schönen Ensemble klösterlicher Bauten steht, vermutet vielleicht eine herausragende Ursprungsgeschichte - Fehlanzeige. Aus einer (sehr alten) Gebetsstätte mit Legenden und Gebetserhörungen, einem vergleichsweise schlichten Beginn, wurde Maria Einsiedeln zum geistigen Zentrum der Schweiz und zu einem der größten Wallfahrtsorte in Südeuropa. Auch das Ursprungsgeschehen von Altötting - ein Heilungswunder nach Unfall - kann für sich allein kaum die große Anziehungskraft dieses bayrischen Wallfahrtsortes begründen. Und für Kevelaer gilt das entsprechend.

Solche Wallfahrtsorte werden nicht allein wegen ihrer Ursprungsereignisse zu geistigen Hauptstädten ihrer Länder, zu Orten, wo zum „Beten mit den Füßen“ (Mielenbrink) eingeladen wird. Sie werden es, weil sie durch die Jahrhunderte hörbar, sichtbar und fühlbar Zeugnis für die Glaubenswahrheiten der Kirche ablegen und ihr Fähnchen nicht nach dem Wind drehen. In ihrer Standfestigkeit sind sie ein ruhender und zugleich anziehender Pol für die Gläubigen, die hier mit allen Sinnen erfahren, was Kirche für sie bedeutet.

Buchtitel„Ich bin geheilt“

Buch über die Wunder von Kevelaer von Wilhelm van Aaken und Heinz van der Linde

227 Fälle von Spontanheilungen dokumentiert.

Die Gymnasiallehrer > Wilhelm van Aaken (Kevelaer) und Heinz van der Linde (Goch) dokumentieren in ihrem 2008 erschienenen Buch „Ich bin geheilt“ 217 Fälle von Spontanheilungen oder Wundern, wie nicht wenige Menschen glauben. Der jüngste und auch bekannteste ist der Fall der > Maria Offermanns aus Brand bei Aachen (1949).

Den Ausschlag, dieses Thema Spontanheilungen in einem Sachbuch aufzubereiten, gab eine Klasse des Kevelaerer Kardinal-von-Galen-Gymnasiums. Schüler hatten fast ein Vierteljahrhundert zuvor wissen wollen, ob es in Kevelaer Wunder gegeben habe.

Über Gottvertrauen und Wunder

Die Wallfahrt des KKV-Bezirks Niederrhein war im Gange. Da ereignete sich, mitten im Sommer, etwas Unglaubliches: Norbert Kaldenhoff, der sterbenskrank in Wesel lag, wachte aus dem Koma auf, als in Kevelaer seine KKV-Freunde auf Bitten seiner Frau zur Gottesmutter beteten. Der Mann konnte später selbst nach Kevelaer pilgern und lebte noch 15 Jahre.

Die Spontanheilung - etwa 1978 - blieb bis zum Erscheinen des Buchs „Ich bin geheilt!“ (Wilhelm van Aaken, Heinz van de Linde, 2008) unbekannt.

Votivtafel217 Spontanheilungen in vier Jahrhunderten werden in dem Buch beschrieben; viele weitere, über die wir nie etwas erfahren werden, dürften sich ereignet haben.

Der Zyklus der wunderbaren Heilungen bricht in der Mitte des 20. Jahrhunderts ab. Mit dem Fall der Maria Offermanns (1949) ist die letzte Spontanheilung eingetreten, zu der sich die Wallfahrtsleitung äußert (indem sie in der Kerzenkapelle eine private Votivtafel zeigt, Bild).

Von der Kaldenhoff-Heilung um 1978 wissen wir nur, weil die Buchautoren sie recherchiert haben.

Was ist der Grund dafür, dass Wunder in Ungnade gefallen sind? Zwar werden in der katholischen Kirche nach wie vor Heilungswunder für möglich gehalten - erst nach einem bestätigten Wunder kann eine Selig- oder Heiligsprechung erfolgen -, aber Wunder werden scheinbar nur noch im direkten Bezug zu einer Person angenommen, deren heiligmäßiges Leben von kirchlichen Wächtern streng geprüft worden ist.

„Private Wunder“ dagegen, die normale Gläubige erleben, dürfen sich inzwischen nur auf geistige, nicht auf körperliche Heilung beziehen, wenn sie offene Zustimmung erfahren sollen.

Hierin zeigt sich einerseits eine um sich greifende Verunsicherung. Denn wir wissen heute - auch dank alternativer Medizin und neuer Forschung - von den fantastischen Selbstheilungskräften, die im Menschen ruhen und die, ohne Chemie oder Skalpell, aktiviert werden können. Da will niemand vorschnell von einem Wunder sprechen. Andererseits zeigt sich hier auch mangelhaftes Vertrauen. Denn dass Gott mit zunehmendem medizinischen Wissen der Menschen seine Mitarbeit reduziert oder einstellt, sollten wir nicht von ihm annehmen.


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> Marienerscheinungen im 19. und 20. Jahrhundert (Übersicht)

© Martin Willing 2012, 2013