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Pilgerreise zum Marienerscheinjungsort Mettenbuch
VON MARTIN WILLING
Der Titel der Gottesmutter von
Kevelaer an der Gnadenkapelle im Wald von Mettenbuch.
Foto: Martin Willing (1998)
Nach Marpingen werden im selben Jahr (1876) auch aus Mettenbuch Marienerscheinungen gemeldet, hier unter dem Kevelaer-Titel „Trösterin der Betrübten“.
Rückblende ins Jahr 1876. Der Winter zieht ein, und der bayrische Wald ist weiß. Die Bewohner von Mettenbuch, einem hochgelegenen Dörfchen, haben einen beschwerlichen Weg, wenn sie ihr Gotteshaus im Tal, die Klosterkirche der Benediktiner-Abtei Metten, besuchen. Manche nehmen eine Abkürzung durch den Wald und die Schlucht, die Metten und Mettenbuch trennt.
Die „Mater dolorosa" (Schmerzensmutter) von
Mettenbuch. Wahrscheinlich ist es jenes Bild, das Helene von Thurn und
Taxis gestiftet hat und das feierlich, von den Sehermädchen getragen, im
Kapellchen angebracht wurde. Es galt in Mettenbuch als das eigentliche
Gnadenbild.
Foto: P. Gebhard Heyder, Die Trösterin der Betrübten in der
Waldschlucht, Regensburg (o. Datum), S. 105
Es ist Freitag vor dem ersten Advent, und es ist dunkel. Zwei Mädchen,
zehn und 14 Jahre alt, gehen die Abkürzung durch den Wald. Sie werden
von zwei erwachsenen Frauen begleitet. Unterwegs betet die Gruppe, wie
so häufig, den Rosenkranz und fügt, wegen des bevorstehenden Advents,
Worte aus der lauretanischen Litanei an, in der der Marientitel
„Trösterin der Betrübten“ vorkommt.
„Als sie die Worte sprachen: ´Du Zuflucht der Sünder, du Trösterin der
Betrübten`, da flammte plötzlich das Licht, welches von den Mädchen ganz
in der Nähe gesehen wurde, groß und hell und Funken sprühend auf und
sank rasch wieder zusammen. Sie wunderten sich, wollten aber doch etwas
erschreckt fortgehen; da schwebte das Licht neben ihnen her. Der
Brombeerstaude gegenüber blieben sie nun stehen und beteten, jedes
allein, für die Abgestorbenen. Jetzt schwebte das Lichtlein hinab gegen
den Graben, blieb erst stehen und erlosch dann schnell. Bald tauchte an
demselben Platze ein neues Licht auf und verschwand wieder. Plötzlich
rief das zehnjährige Mädchen: ´Ein Kinderl, ein Kinderl`“.1
Die Mädchen hatten, so jedenfalls beginnt die Schilderung der
Erscheinungen, das Jesuskind gesehen.
Am nächsten Tag, am Samstag, dem 2. Dezember 1876, geht die gleiche
Gruppe, aber erweitert um einen Erwachsenen und zwei Kinder, in die
Schlucht und betet unterwegs den Rosenkranz. An der Stelle mit den
Lichtphänomenen des Vortages knieen die drei Erwachsenen und vier Kinder
nieder und beten die lauretanische Litanei. Plötzlich rufen die Kinder
wie aus einem Munde: „Unsere liebe Frau ist da“. Ihren Schilderungen
nach sehen sie eine „schöne Frau“, auf einem Stuhl sitzend, ein Kind auf
ihrem Schoß. Auf die Frage, wer sie sei, antwortet sie: „Maria,
Trösterin der Betrübten“.
Die gleißend helle Szene im dunklen Wald wiederholt sich tags darauf, es
ist der erste Adventssonntag. Diesmal sehen die Kinder auch leuchtende
Sternenkränze, märchenhafte Figuren, Engel, Heilige und schreckliche
Bilder aus der Passion Christi. Drei Wochen dauert der
Erscheinungszyklus von Mettenbuch - bis zum 21. Dezember 1876.
Die Kinder, und nur sie haben Erscheinungen wahrgenommen, werden noch im
gleichen Monat verhört. Ihre Aussagen („Ja, ich habe die Mutter Gottes
gesehen“) werden protokolliert. Ihr zuständiger Pfarrer Angelhuber,
Benediktinerpater, und Benedikt Braunmüller vom Klostergymnasium Metten
fahren gleich nach dem Weihnachtsfest in die Stadt Regensburg zu Bischof
Ignatius Senestrey und informieren ihn über die Vorgänge in dem
niederbayrischen Dörfchen. Der Bischof vermerkt in einer Aktennotiz:
„Nachdem ich sie angehört, befahl ich zwar, alles aufzuzeichnen, aber im
übrigen nichts laut werden zu lassen, sondern ruhig und schweigend
abzuwarten, wie sich die Sache etwa gestalten werde.“2
Nicht nur Angelhuber, sondern auch Braunmüller, ebenfalls
Benediktinerpater, glaubt an die Marienerscheinungen. Ohne das Ergebnis
der offiziellen Untersuchung durch die Kirche abzuwarten, publiziert
Braunmüller, was den Bischof sehr verärgert, schon bald eine Broschüre
über die „Erscheinungen der Trösterin der Betrübten von Mettenbuch“.3
Es zeigt sich, dass im Kloster und im angeschlossenen Priesterseminar
Metten die Meinungen geteilt sind, ob „Mettenbuch“ wahr oder eingebildet
ist.
Zunächst bleibt die Erscheinungsstelle in der Schlucht unverändert und
natürlich. An einem Baum wird ein Bild der schmerzhaften Muttergottes
von Telgte befestigt. „O Maria, du Trösterin der Betrübten, bitt für
uns!“ steht unten auf der Abbildung. Aufsehen erregt „Mettenbuch“ erst
Ende April 1877, als in einer Nachbargemeinde ein Mädchen, das eine
Nadel verschluckt hat, auf Fürbitten der „Trösterin der Betrübten“ von
Mettenbuch gerettet und geheilt wird.
Die sich verbreitende Kunde zieht
in den nächsten Tagen über 2000 Menschen in die Schlucht zur
Erscheinungsstelle. Im Sommer 1877 besucht mit großem Gefolge die
Fürstin von Thurn und Taxis, die auch die ein halbes Jahr zuvor
begonnene Wallfahrt von Marpingen fördert, den neuen Gnadenort in
Mettenbuch. Für 56 Erwachsene und Kinder werden wunderbare Heilungen in
Mettenbuch überliefert.
Anders als die kirchlichen Untersuchungen der Marienerscheinungen von
Marpingen, der bis heute die Einschätzung anhängt, nicht korrekt nach
den vorgeschriebenen Regeln eines kirchlichen Verfahrens durchgeführt
worden zu sein, sind die Verfahrensschritte des Bischofs Senestrey „in
Sachen Mettenbuch“ formal „korrekt“. Er isoliert die Seherkinder im
Zisterzienserinnenkloster zu Waldsassen, verbietet ihnen, miteinander zu
sprechen, und dringt dort persönlich mit einer „Methode, die man heute
Gehirnwäsche nennen würde“4
auf sie ein - „das Musterbeispiel eines korrekten Verfahrens nach
kanonischem Recht“5, heißt
es dagegen bei Blackbourn.
Bischof Senetrey, der für die Kinder quasi
Haftbedingungen anordnet, verlangt, niemanden mit den Kindern in
Berührung kommen zu lassen, „wessen Standes und Ranges immer er sein
möge, ohne eine specielle Vollmacht“.6
Im Herbst 1877, fast ein Jahr nach den Erscheinungen, tritt die
bischöfliche Untersuchungskommission zusammen, besetzt mit Geistlichen
und Ärzten, tagt fast zwei Monate lang und kommt zu einem klar
ablehnenden Urteil. Über das „Wunderwasser“ der heute noch so
bezeichneten Gnadenquelle an der Erscheinungsstätte berichtet ein
Apotheker süffisant, es sei „als gutes Trinkwasser absolut nicht zu
bezeichnen“.
Bischof Senestrey begnügt sich nicht mit dem Urteil der
Untersuchungskommission und wartet mit der Bekanntgabe der kirchlichen
Ablehnung. Der Fall ist für ihn noch nicht erledigt. Die älteste der
Visionärinnen, die zum Zeitpunkt der Erscheinungen 14-jährige Mathilde
Sack, ist dem Bischof ein besonderer Dorn im Auge. Senestrey bezeichnet
die von ihm immer wieder verhörte Mathilde als „Meisterin in Lüge und
Verstellung“. Er setzt ihr mit „strengsten Drohungen“ - so seine eigene
Notiz - zu und hält ihr „Verlogenheit, Verdorbenheit und Schamlosigkeit“
vor.
„Tragisch war es, dass Bischof Senestreys Haltung von Anfang an völlig
ablehnend war. Die Seher wurden bei den von ihm persönlich vorgenommenen
Verhören sehr unter Druck gesetzt (einzeln verhört), ihre Aussagen
gegeneinander ausgespielt. Senestrey nahm es dabei nachweislich mit der
Wahrheit nicht allzu genau.“7
Nach monatelanger Quasi-Isolierhaft brechen alle Kinder zusammen und
unterschreiben die Aussage, über die Erscheinungen gelogen zu haben.
Erst jetzt gibt sich der Bischof zufrieden.
Seine inquisitorischen Verhörmethoden, von ihm schriftlich festgehalten,
würden heute mit Haftstrafe wegen Freiheitsberaubung, Isolationsfolter
und Kindesmisshandlung bedroht sein. Durch sein Verhalten und seinen
Übereifer hat Bischof Senestrey die ansonsten korrekt durchgezogene
kirchliche Untersuchung entwertet und das Gegenteil von dem erreicht,
was er wollte. Ob „Mettenbuch“ einer Anerkennung würdig ist oder nicht,
bleibt deshalb für immer offen. Die erzwungenen Geständnisse der
drangsalierten Kinder jedenfalls sind nicht das Papier wert, auf dem sie
festgehalten sind.
Für Dezember 1878 ruft Bischof Senestrey die bischöfliche
Sonderkommission nach Regensburg zur abschließenden Sitzung zusammen.
Einer der Domherren kritisiert heftig, dass „das Geständnis der Kinder
durch Anwendung von Tortur durch den Bischof erzwungen“ sei, „weshalb
die Aussagen nichts beweisen“.
Am 23. Januar 1879 lässt Senestrey in allen Kirchen seines Bistums einen
Hirtenbrief verlesen, in dem er die Mettenbucher Erscheinungen als
unecht bezeichnet. Kein Katholik solle mit ihnen noch etwas zu schaffen
haben.
Trotz kirchlicher Ablehnung und trotz der Geständnisse entwickelt sich
die Mettenbucher Wallfahrt zur „Trösterin der Betrübten“ zunächst
weiter. Die bayrische Regierung verhält sich passiv. Die Leute sollen
nach Mettenbuch pilgern dürfen wie nach Altötting, wenn sie daran
glauben.
Der Bischof aber ordnet Anfang 1879 an, dass die inzwischen in der
Schlucht von Mettenbuch entstandene Gebetsstätte und alle
Andachtsgegenstände zu zerstören seien. Mit Mühe können genügend viele
Abbruch-Arbeiter aufgetrieben werden, und statt dass die
Andachtsgegenstände vernichtet werden, verschwinden sie heimlich in den
Häusern der Dorfbewohner, wo die Devotionalien in Ehren gehalten werden.
Jede Wallfahrt nach Mettenbuch wird seitens der Kirche streng untersagt.
Mathilde Sack bleibt „auf Lebenszeit“ exkommuniziert, worauf Bischof
Senestrey auch Ende 1880 noch beharrt - trotz intensiver Bitten von
Fürsprechern, die sich dafür einsetzen, dass die Kinder wieder die
heiligen Sakramente der Kirche empfangen dürfen. Er besteht auch darauf,
dass die Suspendierung von inzwischen zwei Benediktinerpatres, die an
den Marienerscheinungen von Mettenbuch festhalten, in Kraft bleibt - bis
an ihr Lebensende. Sie sterben, ohne je wieder als Priester tätig
geworden zu sein.
Am 7. Juni 1887 wird eine amtlich beglaubigte Erklärung an den Bischof
von Regensburg veröffentlicht. Die Unterzeichner sind Katharina Kändler,
23 Jahre alt, Josef Kändler, 19 Jahre, Xaver Kraus, 19, Katharina Kraus,
19, Theresia Liebl, 20, Anna Liebel, 19, und Theres Strobl, 17 Jahre
alt. Es sind die Seherkinder von Mettenbuch, inzwischen erwachsen
geworden und nun in der Lage, die Geschehnisse in ihrer Kindheit besser
zu beurteilen. Die Unterschrift von Mathilde Sack, der ältesten der
Visionäre, fehlt. Warum sie die Erklärung nicht mitunterzeichnet hat und
ob ihr Aufenthalt zu diesem Zeitpunkt überhaupt bekannt gewesen ist,
wissen wir nicht.
Die Kinder widerrufen ihre Geständnisse, die sie vor zehn Jahren gemacht
haben. Die Erklärung beginnt mit den Worten: „Da die Zeit gekommen zu
sein scheint, daß wir in wirksamer Weise das Unrecht wiedergutmachen
können, welches wir im Jahr 1878 gegen Unsere Liebe Frau begangen haben,
so wird es Eure Bischöflichen Gnaden nicht überraschen, daß wir ...
unser früheres Geständnis zurücknehmen. Wir haben dasselbe damals aus
Furcht und mannigfaltiger Verwirrung gemacht und nie aufgehört, es zu
bereuen“.8
Was aus den Seherkindern wird, bleibt weitgehend im dunkeln. Von Franz
Xaver Kraus wissen wir, dass er den Beruf des Steinmetzes erlernt und
später im Dachgeschoss der Benediktinerabtei zu Metten in einer Art
Klause gelebt hat. Daraus kann man die Vermutung ableiten, dass in
diesem Kloster zumindest von einem Teil der Mönche die Echtheit der
Marienerscheinungen stillschweigend angenommen worden ist. Franz Xaver
liegt wie das Seherkind Theres Strobl auf dem Klosterfriedhof vor der
Kirche begraben.
Und was wird aus der Gnadenstätte? Devotionalien und ein
kapellenähnlicher Verschlag aus der Anfangszeit der Mettenbucher
Geschehnisse sind zwar verschwunden, aber schon 1889 steht an der
Erscheinungsstelle ein eisernes Kreuz, an das fromme Besucher kleine
Bilder und Votivtafeln hängen. Ein später errichteter, hölzerner
Bildstock zu Ehren der „Trösterin der Betrübten“ verfällt in den
30er-Jahren dieses Jahrhunderts zunehmend. Eine Anwohnerin lässt ihn
renovieren.
Im August 1983 besucht eine Frau aus Regensburg die Gebetsstätte und
findet den Bildstock im verwitterten Zustand vor. Auf ihre Veranlassung
wird er restauriert.
Die Gnadenkapelle von Mettenbuch. Foto: Martin Willing (1998)
1985 lässt sie mit Erlaubnis der Besitzerin des Waldes einen festen Steinsockel errichten und das „obere Brünnl“ neu einfassen. Auch das „untere Brünnl“, die sogenannte Gnadenquelle, wird „wieder schön gerichtet“.
Es entstehen außerdem eine gemauerte, sehr kleine Waldkapelle, deren Eingang mit dem Marientitel „Trösterin der Betrübten“ geschmückt wird, und ein Kreuzweg entlang des Pfades, „den die Muttergottes mit den Kindern den Waldhang hinaufging“.9
Anmerkungen:
1 P. Gebhard Heyder OCD, Die Trösterin
der Betrübten in der Mettenbucher Waldschlucht einst und jetzt,
Regensburg 1988, S. 16.
2 Heyder, S. 40.
3 David Blackbourn, Wenn ihr sie
wieder seht, fragt wer sie sei, Marienerscheinungen in Marpingen -
Aufstieg und Niedergang des deutschen Lourdes, Reinbek bei Hamburg 1997,
S. 328.
4 Heyder, S. 65.
5 Blackbourn, S. 538.
6 Blackbourn, S. 540.
7 Gottfried Hierzenberger/Otto
Nedomansky, Erscheinungen und Botschaften der Gottesmutter Maria,
Vollständige Dokumentation durch zwei Jahrtausende, Augsburg 1977, S.
233.
8 Hierzenberger/Nedomansky, S. 233.
9 Heyder, S. 12.
*
Pilgerreise zum Marienerscheinungsort Mettenbuch (Teil 2)
Die Kirche mit den zwei Zwiebeltürmen des mächtigen Benediktiner-Klosters Metten in Niederbayern, 766 gegründet, weist den Weg. Die Straße führt links am Kloster vorbei und zweigt dann scharf rechts zum Ortsteil Mettenbuch ab. Die Gnadenstätte befindet sich, so habe ich gelesen, in einer Schlucht zwischen der Stadt Metten und dem Dörfchen Mettenbuch.
Hier entlang geht es zur Erscheinungsstätte. Foto: Martin Willing (1998)
Elf Prozent Steigung, enge Kurven, wenige
Häuser, dann freie, hügelige Landschaft vor postkartenschöner
Bergkulisse des Bayrischen Waldes, deren schneebedeckte Kuppen das
Sonnenlicht reflektieren. Mettenbuch ist ein winziges Straßendörfchen
hoch oben auf der Hügelkette.
Das verwitterte Holzschildchen mit der Aufschrift „Zur Waldkapelle“
übersieht man leicht, nicht aber das bunte, kitschig wirkende Kruzifix
aus Eisen, das an einer Wegkreuzung steht. Ich biege in den gut
ausgebauten Wirtschaftspfad ein, der eine Sackgasse ist, aber das weiß
ich noch nicht. Nach einem halben Kilometer endet die Fahrt unvermittelt
auf dem Hof eines Privathauses. Verfahren?
Ich steige aus, werde von einem bellenden Bernhardiner empfangen und
hoffe, dass der frei laufende Hund freundliche Absichten hat. Hinterm
Haus sehe ich einen jungen Mann, den ich frage. „Etwa 100 Meter“,
antwortet er mir. „Ja, diesen Weg“, bestätigt er, als ich ungläubig auf
einen Schuppen zeige, an dem sich ein schmaler Fußweg vorbeischlängelt.
Nach wenigen Metern bin ich eingetaucht in ein Bild wie aus einer
anderen Welt, das mich an Kinderjahre und Märchenerzählungen erinnert.
Links von mir fällt eine kleine Schlucht ab, durch die ein Bächlein
rinnt, auf der anderen Seite drückt sich ein Kapellchen an den Hang, so
klein wie ein Puppenstübchen, beschützt von riesenhaften Bäumen.
Die
Perspektive verschiebt die Dimensionen. Als ich näher komme, werden die
Waldbäume normal groß, und die Kapelle wächst, immerhin, zu Ausmaßen
eines Gartenhäuschens heran. Die Inschrift über der Eingangstür zeigt,
was Mettenbuch mit Kevelaer verbindet. „Trösterin der Betrübten“, lese
ich und bin als Kevelaerer berührt.
Gnadenkapelle
der "Trösterin der Betrübten" im
Wald von Mettenbuch.
Foto: Martin Willing (1998)
Diesen Titel trägt die Gottesmutter an sieben Gnadenstätten in der Welt:
im thüringischen Helfta (1282), wo die Heilige Gertrud gelebt hat, in
Luxemburg (1627), der „Mutter“ von Kevelaer, in Japan (1632), in
Kevelaer (1642), in Mettenbuch (1876), im luxemburgischen Kayl (1947)
und im deutschen Neuweier (1960). Nur Luxemburg und Kevelaer haben
Bedeutung als Marienwallfahrtsorte erlangt, „Mettenbuch“ und „Kayl“
werden von der Kirche abgelehnt.
Es ist Karfreitag, später Vormittag, und ich befinde mich hier im Wald
an einem, das weiß ich aus der Literatur, „verbotenen“ Ort. Ich bin der
einzige Besucher, und alles, was ich höre, ist leises Plätschern des
Baches. Die schmale Schlucht trennt das Marienkapellchen von einem
mannshohen Kruzifix, vor dem ein blassblauer Rhododendron blüht. Hier,
am Eingang der Gnadenstätte, die unter dem Dach hochkroniger Bäume von
dem Kapellchen, dem Kreuz und der Gnadenquelle gebildet wird, liegt eine
hässliche Betonfläche. Sie macht einen unfertigen Eindruck, als sei das
Geld ausgegangen. Ein schmaler, steiler Waldweg führt mit mehreren
Kehren hinab in die Schlucht. Wer nicht gut auf den Beinen ist, könnte
stürzen. „Betreten auf eigene Gefahr“, warnt ein Schild. Auch der Bach,
der sich hinabschlängelt, macht einen eher weltlichen Eindruck, denn
sein Wasser ist, wie ein weiteres Warnschild unmißverständlich aufklärt,
„Kein Trinkwasser!“
Ich steige die Treppenstufen, die vor nicht allzu langer Zeit gegossen
worden sind, hinunter und sehe an der Betonwand, die den Eingangsbereich
hält, einen verchromten Wasserkran. Er ist aufgedreht, und aus ihm läuft
ein dünner Strahl. Drei Liter in der Stunde gibt die Gnadenquelle ab,
mehr nicht.
Eine Steinplatte ist in die Mauer eingelassen. In sie hat ein Steinmetz gemeißelt: „Beim Gnadenwasserschöpfen 3 Ave beten mit der Bitte, Trösterin der Betrübten, heile uns an Seele und Leib!“ In der Entstehungszeit der Mettenbucher Wallfahrt hat diese winzige Quelle für die Gläubigen die gleiche Bedeutung gehabt wie die große in Lourdes.
Drei Ave Maria an der Gnadenquelle.
Wenig später stehe ich wieder vor der verschlossenen Kapelle, zu der,
wie ich jetzt entdecke, von der anderen Seite ein Kreuzweg führt, der
einfach mitten im Wald an einem holprigen Pfad beginnt. Der Kreuzweg
wirkt verlassen, ist es aber nicht, wie frische Blümchen am Fuß der
vierzehn Holzstationen, in die volkstümliche Bilder von der Passion
eingelassen sind, mir zeigen.
In der Kapelle, so ist durch das Fenster zu erkennen, steht eine
Madonnenstatue, die nicht mehr jene sein kann, die die Fürstin von Thurn
und Taxis Anfang 1877 für den Mettenbucher Erscheinungsort hat
anfertigen lassen. Die „fürstliche“ Skulptur war nämlich schon bald
wieder entfernt worden, nachdem Helene von Thurn und Taxis von der
bischöflichen Residenz in Regensburg erfahren hatte, dass die Kirche die
Mettenbucher Erscheinungen als Täuschung ablehnte. Die Figur gilt heute
als verschollen.
Das andächtige Ensemble im Wald von Mettenbuch lebt von der Stille, in
das es eingebettet ist. Es rührt mich an, wie Menschen mit beschränkten
Mitteln einen Ort, den sie als heilig empfinden, behüten. „Bitte hier
keine Kerzen anzünden“, steht auf einem Zettel an der verschlossenen Tür
der Gnadenkapelle. Das dürfte sich eher auf die Waldbrandgefahr beziehen
und weniger auf die kirchliche Ablehnung, in deren Gefolge die
Seher-Kinder von Mettenbuch mit unglaublicher Kälte verstoßen und in die
Exkommunikation getrieben worden sind. Ich zünde an jeder Gnadenstätte,
die ich auf meinen Forschungsreisen zu den Wallfahrtsorten besuche, eine
Kerze an, egal ob kirchlich anerkannt oder nicht; hier ist es zum ersten
Mal nicht möglich.
In der prächtigen, barocken Klosterkirche von Metten, wo in einer
winzigen Seitenkapelle eine Madonnenstatue steht, hole ich das nach.
Nirgendwo findet sich in der Kirche oder in den ausliegenden Schriften
ein Hinweis auf die Erscheinungen von Mettenbuch vor 122 Jahren, obwohl
der damalige Abt von Metten den Kindern geglaubt und die Ereignisse in
einer Broschüre als wahrhaftig und tatsächlich geschehen dargestellt
hat, noch bevor der Bischof von Regensburg das nach kanonischen
Vorschriften durchgezogene Untersuchungsverfahren mit einem
vernichtenden Urteil abgeschlossen hatte. „´Mettenbuch` ist noch nicht
zu Ende“, hat einer seiner Nachfolger geäußert.
Nur Einweihte können den Grabstein einer „Therese Stettmeier geb.
Strobl“ auf dem Klosterfriedhof, gleich vor der Kirche gelegen,
einordnen. Hier liegt Theres Strobl begraben, das jüngste der
Seherkinder, verstorben im Jahr 1962.
© Martin Willing 2012, 2013