September 1951
In Twisteden sind für neue Glocken der St.-Quirinus-Pfarrkirche so viele
Spenden eingegangen, dass zusätzlich eine neue Kirchenuhr angeschafft
werden kann.
Die Pfarrkirche St. Quirinus Twisteden.
Ende September stirbt in Winnekendonk Amtsrentmeister a. D. Otto
Fehlemann (74). Er stand seit Anfang des 20. Jahrhunderts in den
Diensten der Gemeinden Kervenheim, Kervendonk und Winnekendonk - wie
zuvor schon sein Vater.
In der politischen Debatte über die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik
meldet sich Pastor Martin Niemöller (* 1892, † 1984) zu Wort: Es sei
eine Täuschung zu glauben, man könne einen Gegner mit Waffengewalt
niederringen und dabei immer noch ein guter Christ bleiben.
Der
evangelische Theologe ist als führender Vertreter der
Bekennenden
Kirche bekannt, der sich zum Widerstandskämpfer gegen den
Nationalsozialismus entwickelt hatte.
Martin-Niemöller-Briefmarke.
„Kein Christ“, sagt Niemöller im
September 1951, „kann mit einem guten Gewissen Waffen tragen, denn es
gibt keine gerechten Kriege.“
Oktober 1951
Ein Jahr nach Gründung der
Blumenabsatzgenossenschaft Azalerika e. G.m.b.H. ziehen die 24
jungen Gärtner eine erste Bilanz. „Was die Azalerika in dem Jahre ihres
Bestehens erreicht hat, ist staunenswert und veranlasst selbst Fachleute
zu lobender Bewunderung“, heißt es in der Zeitung. Die Mitglieder haben
auf der Krefelder Ausstellung „Blumen und Früchte“ Eigenzüchtungen
gezeigt, die der Qualität der bis dahin aus Belgien importierten Azaleen
in nichts nachstehen.
In Twisteden kauft der Handwerker Neumann ein Grundstück gegenüber der
Kirche, auf dem sich eine alte Nissenhütte des Zolls befindet. Hier und
in einer Wellblechgarage entsteht eine Werkstatt des Maler- und
Glaser-Unternehmens Neumann, das in der alten Schule seinen Anfang
nimmt.
Zur gleichen Zeit wird in Kevelaer im Haus
Alt Derp gefeiert:
Willy Stassen
(† 2008), der den Gasthof von seiner Familie 1947 übernommen hat,
heiratet Marianne van Betteraey († 1963).
Im Hotel Zu den silbernen und goldenen Schlüsseln
wird Ende Oktober eine Bestattungsgemeinschaft für Kevelaer und Umgebung
gegründet. Den Mitgliedern gewährt der Verein kostenfreie Beerdigung.
Damit soll Familien geholfen werden, die wegen der erheblichen
Bestattungskosten in wirtschaftliche Not gestürzt werden könnten.
Aufgenommen wird, wer mindestens 20 und höchstens 70 Jahre alt ist. Den
Vorsitz haben Matthias van Laak und Josef Zander.
Der Bestattungsverein, dessen Geschäftsstelle an der Gelderner Str. 131
liegt, bietet Voll-Service: Er bezahlt den Sarg in „Eiche geritzt“, die
Dekoration des Leichenzimmers, den Trauerkranz mit Schleife; er stellt
den Leichenwagen und die Träger, gibt im Pfarramt drei heilige Messen
auf, organisiert das christliche Begräbnis und sorgt letztendlich für
150 bis 200 Totenzettel.
Der Verein hat großen Zulauf: Anfang 1952 wird er fast 300 Mitglieder
haben. Und weil die allermeisten unter 50 Jahre alt sind, kann es sich
der Verein leisten, befristet auch ältere - bis 75-jährige Mitglieder -
aufzunehmen. Später muss der Bestattungsverein seine Aufnahmebedingungen
verschärfen: Wer schon 65 Jahre alt ist, wird nur aufgenommen, wenn er
sich nachweislich bester Gesundheit erfreut.
Freude im Kevelaerer Verlagshaus Thum:
Josef Thum (*
1914, † 1962), Sohn des Verlegers Lambert Thum, heiratet Ende des Monats
Anneliese van den Wyenbergh (* 1925, † 2007).
November 1951
Zum Martinsfest, an dem die Kinder beschenkt werden, erinnern sich die
durch schwere Notzeiten gegangenen Menschen, wie segensreich Hilfe durch
Teilen ist. Bundespräsident Professor Heuss ruft die Deutschen auf, die
Gründung einer neuen Stiftung in Köln zu unterstützen: Dankspende des
deutschen Volkes. „Es wäre heute in Deutschland schlimm um uns alle
bestellt, wenn uns in den Jahren der bittersten Not nicht so viele
Völker der freien Welt aus freien Stücken hilfreich beigestanden
hätten“, sagt Prof. Heuss.
Theodor Heuss. Gemälde: Oskar Kokoschka, 1950.
„Wir werden und dürfen es nicht vergessen, daß die Geldspenden und all
die Gaben in Millionen von Liebespaketen den Hunger von der Schwelle
jagten, unzähligen Menschen, jung und alt, das Leben retteten, daß sie
die Schmerzen stillten und die Mutlosen neuen Mut fassen ließen“, sagt
er.
Und: „Wenn heute, nach sechs Jahren, auch längst noch nicht alle Not
geschwunden ist, so sind es die Klagen nicht, welche sie wenden könnten.
Sorgen um die Zukunft schlägt noch am ehesten Dankbarkeit in die Flucht.
Wer hätte größeren Grund zur Dankbarkeit als der deutsche Mensch!“
Geplant ist, mit Hilfe der Geldspenden Werke zeitgenössischer Künstler
zu erwerben und die Kunstexponate den Völkern, die geholfen haben, als
Zeichen des Dankes zu schenken. Ende November soll die Aktion anlaufen.
Eine hochkarätige Jury wird vorgeschlagene Kunstwerke bewerten und zum
Ankauf empfehlen - darunter in den folgenden Jahren Gemälde von Carl
Hofer, Hermann Max Pechstein, Erich Heckel, Emil Nolde, Max Slevogt und
Karl Schmidt-Rottluff, Plastiken von Wilhelm Lehmbruck, Ernst Barlach,
Käthe Kollwitz, Ewald Matare und Gerhard Marcks.
Auch aus Kevelaer und Umgebung, so dürfen wir annehmen, wird die eine
oder andere Geldspende überwiesen worden sein.
Unterstützt werden hier natürlich auch die örtlichen Martinszüge. In
Winnekendonk sitzt mit seinen 73 Jahren einer der Mitgründer des
Martinskomitees, Johann Schülter, als Mantelteiler auf dem Pferd.
An der Südstraße in Kevelaer wird im Rahmen einer Feierstunde, an der
Landrat Bösken teilnimmt, der erste Spatenstich für eine neue Siedlung
vollzogen. Hier werden besonders Vertriebene eine neue Heimat finden.
Im Rathaus Kevelaer wird Bürgermeister
Peter Plümpe
einstimmig wiedergewählt. Die Amtszeit ist, wie bisher, auf ein Jahr
beschränkt. Stellvertreter ist nun Theodor Wilbers.
Der erkrankte
Arnold
Dyx hatte gebeten, ihn nicht mehr mit diesen Aufgaben zu betrauen.
Aus dem gleichen Grund zieht sich Dyx auch aus dem Vorsitz des
Katholischen Kaufmännischen Vereins Unitas (KKV) zurück, der ihn zum
Ehrenvorsitzenden ernennt. Die Erkrankung ist ernst. Arnold Dyx (* 1871,
† 1952) hat kaum noch zwei Monate zu leben.
Nach Plümpes Wiederwahl befassen sich die Stadtvertreter auf ihrer
Sitzung mit der Rheinstraße, die nach ihrer Instandsetzung nun
beleuchtet werden soll, wofür das RWE die Kosten übernehmen will.
Allerdings: Dafür verlangt der Stromkonzern einen neuen
Konzessionsvertrag, der etwa bis zum Jahr 2000 laufen soll. Darüber wird
noch verhandelt. Erst viele Jahre danach wird derart langen Laufzeiten
durch den Gesetzgeber ein Riegel vorgeschoben, damit Gemeinden den
Anbieter leichter wechseln und so auf die Preise einwirken können.
Mit ihrer Geduld am Ende sind die Politiker im Tauziehen um Grundstücke
an der Annastraße, die für den Schulhof und Marktplatz dringend
gebraucht werden. Mit den Eigentümern ist keine Einigkeit erzielt
worden. Nun wird ein Enteignungsverfahren in Gang gesetzt.
In der zweiten Monatshälfte wird ein Erweiterungsbau der
St.-Hubertus-Schule eröffnet und gesegnet. Mit den neuen Kapazitäten
wird Kevelaers eklatante Schulraumnot etwas gemildet.
Der Mangel an Kohlen hält an. Auch öffentliche Gebäude können nur
zeitweise geheizt werden. Deshalb bleibt die Nebenstelle des Arbeitsamts
in Kevelaer samstags geschlossen.
Hundert
Jahre ist nun der katholische „Mütterverein“ alt. Die Organisation, die
auf den
Elisabethvereinen gründet, benennt sich in „Frauen- und
Müttergemeinschaft“ um, aus der sich später die „Katholische
Frauen-gemeinschaft“ (kfd) entwickeln wird.
Elisabeth von Thüringen besucht Kranke. Detail aus einem Glasfenster
in der Elisabeth-Kirche in Marburg, entstanden um 1240. - Foto aus: Die
Menschen im Blick, 150 Jahre ehrenamtliche Caritas in Kevelaer (2001),
S. 14
Der 1851 in Kevelaer gegründete „Frauenverein“ kümmerte sich um Kranke
und Wöchnerinnen, kochte und nähte für sie und half, wo sich Not zeigte.
Im Kriegsjahr 1866 besuchten die Frauen Verwundete, unterstützten
Kranke und Alleinstehende. Sie kooperierten im selben Jahr mit den
Barmherzigen Schwestern (
Clemensschwestern),
die Pfarrer
Joseph van Ackeren nach Kevelaer geholt hatte. Ab 1886 trat die
Gruppe als Elisabethverein in Erscheinung.
Frau Terhoeven ist Vorsitzende der Frauengemeinschaft im 100. Jahr ihres
Bestehens, und das schon seit 1929. Die Frauen erinnern sich an die Zeit
des Nationalsozialismus, als NS-Helferinnen versuchten, in die Rolle der
katholischen Frauen, die sich in der Tradition der heiligen Elisabeth
sahen, zu schlüpfen. „‘Braune Schwestern‘ kamen in der Bevölkerung nicht
an“, heißt es in einem zeitgenössischen Bericht. „Es war oft so, daß zur
Haustür die braune Schwester unverrichteter Dinge hinausging und über
die Hoftür die Helferin des Elisabeth-Vereins hereinkam.“
574 Mitglieder ist die Kevelaerer Frauengemeinschaft im Jubeljahr 1951
stark.
Gefeiert wird auch in Wetten: Dort blickt Peter Vos (*
1864, † 1955) auf eine 70-jährige Tätigkeit als Organist, Chorleiter und
Kirchensänger zurück. Er war 1931 in den Ruhestand getreten und hatte
das Amt an seinen Sohn
Gregor Vos (*
1912, † 1993) übergeben. Aber immer noch singt der Jubilar im
Kirchenchor mit und leitet den Chor der Dominikanerinnen im
Maria-Viktoria-Haus.
Ein bautechnisches Kunststück wollen die Schützen der
St.-Antonius-Bruderschaft vollbringen. Das von ihnen gepflegte
„Sänt-Tönnes-Hüske“ (Antonius-Häuschen) an der Walbecker Straße steht in
einer Bodensenke, seitdem die Fahrbahn erhöht worden ist. Mit einem
besonderen technischen Verfahren soll es nun angehoben werden. Die
Bruderschaft bildet einen Ausschuss aus Fachleuten, der sich um dieses
Projekt kümmert.
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