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Kapitel 18 von 115

August 1951


Innenansicht: Petrus-KircheIn neuem Schmuck präsentiert sich die Wettener St.-Petrus-Kirche. Pfarrer Wilhelm Kück hat die Innengestaltung erneuern lassen. Unter einer künstlerisch eher minderwertigen Ölmalerei aus den 1880er-Jahren ist spätgotische Malerei zum Vorschein gekommen.

In der mittleren Gewölbekappe bildet ein thronender Christus in der Gestalt als Weltenrichter zwischen der Gottesmutter und dem hl. Johannes dem Täufer den Kern. Unter den beiden Fürbittern befinden sich zwei posaunenblasende Engel.

Blick ins Innere der St.-Petrus-Kirche zu Wetten.

Die übrigen Gewölbekappen „zeigen eine flotte Ornamentik, ebenfalls aus dem Ende des 15. Jahrhunderts“, stellen Fachleute fest. „Aus den Blüten des im Distelmuster gehaltenen flatterigen Rankenwerks steigen Engel, zum Teil musizierend, zum Teil mit Schriftbändern, die Schriften zur Lobpreisung der Gottesmutter enthalten. (…) In der unteren Zone der Wände des Chores sowie zwischen den Fenstern wurden Apostelfiguren gefunden, die zum größten Teil zerstört sind.“

Der Landeskonservator hält die Malerei für so bedeutend, dass er einen erstklassigen Experten, Paul Gessner, mit der Restaurierung beauftragt. Auch im Mittelschiff, das im nächsten Abschnitt neu gestaltet werden soll, werden sowohl im Gewölbe als auch im oberen Wandbereich alte Malereien vermutet.

Am 22. August kommt es in Kervenheim zu einem verhängnisvollen Verkehrsunfall: Gottfried Paris (51) aus Winnekendonk ist mit dem Fahrrad nach Kervenheim unterwegs; ihm folgt ein Radfahrer. Die beiden Fahrräder kollidieren, und der Winnekendonker stürzt so unglücklich, dass er einen Schädelbasisbruch erleidet. Der Mann stirbt an der Unfallstelle. Der Verursacher flüchtet und bleibt unerkannt. Gottfried Paris war Schwerkriegsbeschädigter und hinterlässt sechs Kinder.

Ein anderer Todesfall wird in den Zeitungen kaum zur Kenntnis genommen: Ernst Freiherr von Weizsäcker, der Vater des späteren Bundespräsidenten, stirbt im 69. Lebensjahr. Der als Kriegsverbrecher Verurteilte war knapp ein Jahr zuvor begnadigt worden. Ernst von Weizsäckers Rolle als Staatssekretär des NS-Außenministers Ribbentrop muss nach neuesten Forschungen (Das Amt, München 2010) noch kritischer gesehen werden als bisher schon.

Neurath 1946Bundeskanzler Adenauer setzt sich für die Freilassung des ebenfalls verurteilten und in Spandau einsitzenden Ribbentrop-Vorgängers, Außenminister von Neurath (Bild links, etwa 1946), ein.

Der amerikanische Hochkommissar McCloy lehnt ab. Neuraths Gesundheitszustand sei eine Folge des hohen Alters, nicht des Gefängnisaufenthalts.

NeurathKonstantin Hermann Karl Freiherr von Neurath in der Uniform des Reichsprotektors in Böhmen und Mähren (1939). Foto: Bundesarchiv N 1310 Bild-135

Neurath (* 1873) war von 1932 bis 1938 Außenminister und von 1939 bis 1941 Reichsprotektor in Böhmen und Mähren. Als einer der 24 Hauptkriegsverbrecher wurde Neurath in Nürnberg 1946 schuldig gesprochen und zu einer 15-jährigen Haftstrafe verurteilt, aus der er vorzeitig 1954 entlassen wurde.

Außenminister Ribbentrop 1946Nach seiner Entlassung verbrachte Neurath die letzten zwei Lebensjahre auf seinem Gut Leinfelderhof bei Enzweihingen.

Nachfolger von Außenminister Neurath wurde 1938 Ullrich Friedrich Willy Joachim von Ribbentrop (* 1893, Foto links), der ebenfalls zu den 24 Hauptangeklagten im Nürnberger Prozess zählte.

Auch Ribbentrop wurde schuldig gesprochen, allerdings zum Tod durch den Strang verurteilt und am 16. Oktober 1946 hingerichtet.

In Kevelaer wollen Gerüchte davon wissen, dass die St.-Antonius-Pfarrkirche nicht mehr aufgebaut wird. Dechant Janssen sieht sich veranlasst, die Sachlage in einem Zeitungsbericht darzustellen: Es sei zwar richtig, dass bis auf Schuttbeseitigung auf dem Ruinengelände kaum etwas geschehen sei, aber es werde am ersten Bauabschnitt festgehalten. Allerdings könne nur in einem Zug und nicht in Abschnitten aufgebaut werden. Deshalb müsse vorher auch die gesamte Finanzierung „stehen“. Für den ersten Bauabschnitt würden 150.000 DM benötigt. Vorhanden seien erst rund 50.000 DM. Kredite wolle die Kirche nicht aufnehmen; sie seien teuer.

Janssen kündigt an, dass bald eine „Notlösung in Angriff genommen“ werde: Ein Teil der Kirche, das Langschiff, werde überdacht. Das sei zwar, so der Dechant, „halber Kram“, lasse sich aber nicht ändern. Mit der Überdachung werde im Spätsommer begonnen.

Ende August stirbt Weihbischof Dr. Heinrich Gleumes. Der Geistliche, verwandt mit der Gleumes-Familie in Weeze, war von den Nazis als Studienrat in Emmerich und Regens im dortigen Hopp‘schen Knabenkonvikt mit Berufsverbot belegt worden. Gleumes zog sich nach Kevelaer zurück und half hier in den 1930er-Jahren in der Seelsorge für die Wallfahrer, bis er zur Wehrmacht eingezogen wurde. Heinrich Gleumes (* 1897) überlebte den Krieg und wurde 1948 zum Weihbischof geweiht.

Ende August feiert Wetten seine erste gemeinsame Kirmes seit 1938. Bürgermeister Johann Verheyen hängt dem Vorsitzenden der St.-Sebastianus-Schützenbruderschaft, Hermann Steegmanns, die Festkette um. Die Sebastianer sind festgebender Verein aus Anlass ihres 300-jährigen Bestehens. Präsident der Geselligen Vereine ist seit einem Jahr Johann Kösters, der Franz Terhoeven - nunmehr Ehrenpräsident - im Amt gefolgt ist. Den Brauch einer Festkettenübergabe haben die Wettener erst 1934 eingeführt.

In Kevelaer begehen die Klarissenschwestern Richtfest. Sie müssen bisher Gottesdienst in ihrer Notkirche in einem bereits aufgebauten Flügel des Klosters feiern; nun kann der Rohbau der neuen Klosterkirche gerichtet werden. Das alte Kloster war im September 1944 durch Bomben völlig zerstört worden.

Für den Wiederaufbau können die Schwestern nicht auf Zuschüsse zurückgreifen: Es gibt keine. Sie bitten die Gläubigen immer wieder um finanzielle Hilfe und bekommen sie auch. Die Nonnen packen mit an, klopfen und putzen Backsteine, die sie aus den Trümmerhaufen holen. Architekt Pottbecker aus Veert und die ausführenden Firmen Gebrüder Tebartz (Bau) sowie van Aaken und Ripkens (Holz) arbeiten Hand in Hand.

Während des Richtfests erinnert Dechant Janssen an die Ankunft der ersten Klarissenschwestern im Jahr 1892, die von Kevelaer „gerufen worden sind, auf daß sie beten, opfern und büßen für Kevelaer“. Dieser Aufgabe sollen die Schwestern immer eingedenk sein. Mit Gottes Segen werde „ihr Wirken und Walten für ganz Kevelaer von großem Segen sein“.

September 1951

Nun haben alle Familien in Achterhoek, Hestert und auf Schravelen Strom. Bis auf ein abseits gelegenes Gehöft sind alle Häuser ans Stromnetz angeschlossen.

Für die Wallfahrtsstadt bedeutsam ist eine neue Vorschrift zum Geldumtausch: Bisher durften ausländische Pilger, egal, wie lange sie in Kevelaer blieben, nur 10 DM umtauschen. Sie dürfen je Tag, den sie hier verbringen, diesen Betrag wechseln. Bemühungen laufen, den Tagessatz auf 20 DM zu erhöhen. Der niederländische Staat zögert mit seiner Zustimmung. Seit wenigen Tagen erst sind die Niederlande dem Beispiel von inzwischen 17 Staaten gefolgt, den Kriegszustand mit Deutschland als beendet zu erklären.

Schwer wiegende Folgen im Kreis Geldern hat die Ausbreitung der Maul- und Klauenseuche. In dieser Woche werden 2.000 erkrankte Tiere auf 300 Gehöften gemeldet. Es fehlt - aus Geldmangel - an Impfstoffen, um alle Nutztiere zu schützen. Eine „viehseuchenpolizeiliche Anordnung“ folgt der anderen. Immer neue Bauernhöfe werden genannt, deren Tierbestand gesperrt ist, darunter auch Betriebe im Raum Kevelaer. „Wenn wir genügend Impfstoff gehabt hätten, dann wäre der gesamte Viehbestand im Kreise Geldern immunisiert worden“, sagt Kreis-Veterinärrat Dr. Rütter. Aber das Geld reiche nur für 9.000 Tiere.

Eingeschleppt worden ist die Seuche Ende Juli durch einige Rinder, die vom Dortmunder Markt in den Kreis Geldern gekommen sind. Zunächst sind nur fünf Gehöfte in Straelen, Wachtendonk und Eyll betroffen. Aber dann breitet sich die Krankheit rasend schnell aus.

Fast jeden Tag erscheint in der Tageszeitung eine neue Liste mit gesperrten Höfen - so geht es bis zum Ende 1951 weiter. Aus Italien trifft neuer Impfstoff ein - wiederum zu wenig.Notgedrungen muss das Veterinäramt auswählen und kann nur in den Bezirken impfen lassen, in denen die Sperrbestimmungen streng befolgt werden. Bauernhöfe im Raum Kevelaer sind besonders in den beiden Monaten Oktober und November betroffen. Unter den Leidtragenden sind auch viele Nebenerwerbslandwirte, die nur ein paar Stück Vieh halten. Durch die Tierseuche wird ein wichtiger Teil ihrer Ernährungsgrundlage bedroht und vernichtet. Erst Ende 1951 kann die Verbreitung der Seuche endgültig gestoppt werden.

Mitte September feiert der Historische Verein für Geldern und Umgegend sein 100-jähriges Bestehen. In Kevelaer macht der Schachclub auf sich aufmerksam: Er will sich nun gezielt um jugendliche Spieler kümmern. Horst Malz betreut die neue Jugendabteilung.

Endlich sieht man auf dem Grundstück der zerstörten St.-Antonius-Pfarrkirche, dass sich „was bewegt“. Inzwischen steht die Finanzierung, und mit dem Wiederaufbau kann begonnen werden. Die kleine, ursprüngliche Kirche soll zunächst wieder hergestellt werden. Von der eigentlichen Pfarrkirche wird vorerst nur das Langschiff überdacht: Querschiff und Chorraum bleiben im zerstörten Zustand liegen.

Am 19. September wird zu Beginn der Aufbauarbeiten um 6 Uhr in der Marienbasilika eine heilige Messe gelesen, um den Segen Gottes für das große Gewerk herabzurufen und um den Schutz der Gottesmutter und des hl. Antonius, des Pfarrpatrons, zu bitten. Das muss geholfen haben; die Bauzeit bis zur Kirchweihe wird nur neun Monate dauern.
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© Martin Willing 2012, 2013