August 1951
In
neuem Schmuck präsentiert sich die Wettener St.-Petrus-Kirche. Pfarrer
Wilhelm Kück hat die Innengestaltung erneuern lassen. Unter einer
künstlerisch eher minderwertigen Ölmalerei aus den 1880er-Jahren ist
spätgotische Malerei zum Vorschein gekommen.
In der mittleren Gewölbekappe bildet ein thronender Christus in der
Gestalt als Weltenrichter zwischen der Gottesmutter und dem hl. Johannes
dem Täufer den Kern. Unter den beiden Fürbittern befinden sich zwei
posaunenblasende Engel.
Blick ins Innere der St.-Petrus-Kirche zu Wetten.
Die übrigen Gewölbekappen „zeigen eine flotte Ornamentik, ebenfalls aus
dem Ende des 15. Jahrhunderts“, stellen Fachleute fest. „Aus den Blüten
des im Distelmuster gehaltenen flatterigen Rankenwerks steigen Engel,
zum Teil musizierend, zum Teil mit Schriftbändern, die Schriften zur
Lobpreisung der Gottesmutter enthalten. (…) In der unteren Zone der
Wände des Chores sowie zwischen den Fenstern wurden Apostelfiguren
gefunden, die zum größten Teil zerstört sind.“
Der Landeskonservator hält die Malerei für so bedeutend, dass er einen
erstklassigen Experten, Paul Gessner, mit der Restaurierung beauftragt.
Auch im Mittelschiff, das im nächsten Abschnitt neu gestaltet werden
soll, werden sowohl im Gewölbe als auch im oberen Wandbereich alte
Malereien vermutet.
Am 22. August kommt es in Kervenheim zu einem
verhängnisvollen Verkehrsunfall: Gottfried Paris (51) aus Winnekendonk
ist mit dem Fahrrad nach Kervenheim unterwegs; ihm folgt ein Radfahrer.
Die beiden Fahrräder kollidieren, und der Winnekendonker stürzt so
unglücklich, dass er einen Schädelbasisbruch erleidet. Der Mann stirbt
an der Unfallstelle. Der Verursacher flüchtet und bleibt unerkannt.
Gottfried Paris war Schwerkriegsbeschädigter und hinterlässt sechs
Kinder.
Ein anderer Todesfall wird in den Zeitungen kaum zur Kenntnis genommen:
Ernst Freiherr von Weizsäcker, der Vater des späteren Bundespräsidenten,
stirbt im 69. Lebensjahr. Der als Kriegsverbrecher Verurteilte war knapp
ein Jahr zuvor begnadigt worden. Ernst von Weizsäckers Rolle als
Staatssekretär des NS-Außenministers Ribbentrop muss nach neuesten
Forschungen (
Das Amt, München 2010) noch kritischer gesehen
werden als bisher schon.
Bundeskanzler
Adenauer setzt sich für die Freilassung des ebenfalls verurteilten und
in Spandau einsitzenden Ribbentrop-Vorgängers, Außenminister von
Neurath
(Bild links, etwa 1946), ein.
Der amerikanische Hochkommissar McCloy lehnt ab. Neuraths
Gesundheitszustand sei eine Folge des hohen Alters, nicht des
Gefängnisaufenthalts.
Konstantin Hermann Karl Freiherr von Neurath in der Uniform des
Reichsprotektors in Böhmen und Mähren (1939). Foto: Bundesarchiv N 1310
Bild-135
Neurath (* 1873) war von 1932 bis 1938 Außenminister und
von 1939 bis 1941 Reichsprotektor in Böhmen und Mähren. Als
einer der 24 Hauptkriegsverbrecher wurde Neurath in Nürnberg
1946 schuldig gesprochen und zu einer 15-jährigen Haftstrafe
verurteilt, aus der er vorzeitig 1954 entlassen wurde.
Nach
seiner Entlassung verbrachte Neurath die letzten zwei
Lebensjahre auf seinem Gut Leinfelderhof bei Enzweihingen.
Nachfolger von Außenminister Neurath wurde 1938 Ullrich
Friedrich Willy Joachim von Ribbentrop (* 1893, Foto links),
der ebenfalls zu den 24 Hauptangeklagten im Nürnberger Prozess
zählte.
Auch Ribbentrop wurde schuldig gesprochen, allerdings zum Tod
durch den Strang verurteilt und am 16. Oktober 1946
hingerichtet. |
I
n Kevelaer wollen Gerüchte davon wissen, dass die
St.-Antonius-Pfarrkirche nicht mehr aufgebaut wird.
Dechant
Janssen sieht sich veranlasst, die Sachlage in einem Zeitungsbericht
darzustellen: Es sei zwar richtig, dass bis auf Schuttbeseitigung auf
dem Ruinengelände kaum etwas geschehen sei, aber es werde am ersten
Bauabschnitt festgehalten. Allerdings könne nur in einem Zug und nicht
in Abschnitten aufgebaut werden. Deshalb müsse vorher auch die gesamte
Finanzierung „stehen“. Für den ersten Bauabschnitt würden 150.000 DM
benötigt. Vorhanden seien erst rund 50.000 DM. Kredite wolle die Kirche
nicht aufnehmen; sie seien teuer.
Janssen kündigt an, dass bald eine „Notlösung in Angriff genommen“
werde: Ein Teil der Kirche, das Langschiff, werde überdacht. Das sei
zwar, so der Dechant, „halber Kram“, lasse sich aber nicht ändern. Mit
der Überdachung werde im Spätsommer begonnen.
Ende August stirbt Weihbischof Dr. Heinrich Gleumes. Der Geistliche,
verwandt mit der Gleumes-Familie in Weeze, war von den Nazis als
Studienrat in Emmerich und Regens im dortigen Hopp‘schen Knabenkonvikt
mit Berufsverbot belegt worden. Gleumes zog sich nach Kevelaer zurück
und half hier in den 1930er-Jahren in der Seelsorge für die Wallfahrer,
bis er zur Wehrmacht eingezogen wurde. Heinrich Gleumes (* 1897)
überlebte den Krieg und wurde 1948 zum Weihbischof geweiht.
Ende August feiert Wetten seine erste gemeinsame Kirmes seit 1938.
Bürgermeister Johann Verheyen hängt dem Vorsitzenden der
St.-Sebastianus-Schützenbruderschaft, Hermann Steegmanns, die Festkette
um. Die Sebastianer sind festgebender Verein aus Anlass ihres
300-jährigen Bestehens. Präsident der Geselligen Vereine ist seit einem
Jahr Johann Kösters, der Franz Terhoeven - nunmehr Ehrenpräsident - im
Amt gefolgt ist. Den Brauch einer Festkettenübergabe haben die Wettener
erst 1934 eingeführt.
In Kevelaer begehen die Klarissenschwestern Richtfest. Sie müssen bisher
Gottesdienst in ihrer Notkirche in einem bereits aufgebauten Flügel des
Klosters feiern; nun kann der Rohbau der neuen Klosterkirche gerichtet
werden. Das alte Kloster war im September 1944 durch Bomben völlig
zerstört worden.
Für den Wiederaufbau können die Schwestern nicht auf Zuschüsse
zurückgreifen: Es gibt keine. Sie bitten die Gläubigen immer wieder um
finanzielle Hilfe und bekommen sie auch. Die Nonnen packen mit an,
klopfen und putzen Backsteine, die sie aus den Trümmerhaufen holen.
Architekt Pottbecker aus Veert und die ausführenden Firmen Gebrüder
Tebartz (Bau) sowie van Aaken und Ripkens (Holz) arbeiten Hand in Hand.
Während des Richtfests erinnert Dechant Janssen an die Ankunft der
ersten Klarissenschwestern im Jahr 1892, die von Kevelaer „gerufen
worden sind, auf daß sie beten, opfern und büßen für Kevelaer“. Dieser
Aufgabe sollen die Schwestern immer eingedenk sein. Mit Gottes Segen
werde „ihr Wirken und Walten für ganz Kevelaer von großem Segen sein“.
September 1951
Nun haben alle Familien in Achterhoek, Hestert und auf Schravelen Strom.
Bis auf ein abseits gelegenes Gehöft sind alle Häuser ans Stromnetz
angeschlossen.
Für die Wallfahrtsstadt bedeutsam ist eine neue Vorschrift zum
Geldumtausch: Bisher durften ausländische Pilger, egal, wie lange sie in
Kevelaer blieben, nur 10 DM umtauschen. Sie dürfen je Tag, den sie hier
verbringen, diesen Betrag wechseln. Bemühungen laufen, den Tagessatz auf
20 DM zu erhöhen. Der niederländische Staat zögert mit seiner
Zustimmung. Seit wenigen Tagen erst sind die Niederlande dem Beispiel
von inzwischen 17 Staaten gefolgt, den Kriegszustand mit Deutschland als
beendet zu erklären.
Schwer wiegende Folgen im Kreis Geldern hat die Ausbreitung der Maul-
und Klauenseuche. In dieser Woche werden 2.000 erkrankte Tiere auf 300
Gehöften gemeldet. Es fehlt - aus Geldmangel - an Impfstoffen, um alle
Nutztiere zu schützen. Eine „viehseuchenpolizeiliche Anordnung“ folgt
der anderen. Immer neue Bauernhöfe werden genannt, deren Tierbestand
gesperrt ist, darunter auch Betriebe im Raum Kevelaer. „Wenn wir
genügend Impfstoff gehabt hätten, dann wäre der gesamte Viehbestand im
Kreise Geldern immunisiert worden“, sagt Kreis-Veterinärrat Dr. Rütter.
Aber das Geld reiche nur für 9.000 Tiere.
Eingeschleppt worden ist die Seuche Ende Juli durch einige Rinder, die
vom Dortmunder Markt in den Kreis Geldern gekommen sind. Zunächst sind
nur fünf Gehöfte in Straelen, Wachtendonk und Eyll betroffen. Aber dann
breitet sich die Krankheit rasend schnell aus.
Fast jeden Tag erscheint in der Tageszeitung eine neue Liste mit
gesperrten Höfen - so geht es bis zum Ende 1951 weiter. Aus Italien
trifft neuer Impfstoff ein - wiederum zu wenig.Notgedrungen muss das Veterinäramt auswählen und kann nur in den
Bezirken impfen lassen, in denen die Sperrbestimmungen streng befolgt
werden. Bauernhöfe im Raum Kevelaer sind besonders in den beiden Monaten
Oktober und November betroffen. Unter den Leidtragenden sind auch viele
Nebenerwerbslandwirte, die nur ein paar Stück Vieh halten. Durch die
Tierseuche wird ein wichtiger Teil ihrer Ernährungsgrundlage bedroht und
vernichtet. Erst Ende 1951 kann die Verbreitung der Seuche endgültig
gestoppt werden.
Mitte September feiert der
Historische Verein für Geldern und Umgegend
sein 100-jähriges Bestehen. In Kevelaer macht der Schachclub auf sich
aufmerksam: Er will sich nun gezielt um jugendliche Spieler kümmern.
Horst Malz betreut die neue Jugendabteilung.
Endlich sieht man auf dem Grundstück der zerstörten
St.-Antonius-Pfarrkirche, dass sich „was bewegt“. Inzwischen steht die
Finanzierung, und mit dem Wiederaufbau kann begonnen werden. Die kleine,
ursprüngliche Kirche soll zunächst wieder hergestellt werden. Von der
eigentlichen Pfarrkirche wird vorerst nur das Langschiff überdacht:
Querschiff und Chorraum bleiben im zerstörten Zustand liegen.
Am 19. September wird zu Beginn der Aufbauarbeiten um 6 Uhr in der
Marienbasilika eine heilige Messe gelesen, um den Segen Gottes für das
große Gewerk herabzurufen und um den Schutz der Gottesmutter und des hl.
Antonius, des Pfarrpatrons, zu bitten. Das muss geholfen haben; die
Bauzeit bis zur Kirchweihe wird nur neun Monate dauern.