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Verlagsbuchhändler in Kevelaer | * 1869 | † 1945
Das
Unternehmen hätte den >
Marketingpreis der Stadt
Kevelaer als eine der ersten Firmen bekommen, wenn es eine solche
Auszeichnung schon damals gegeben hätte.
Lambert Thum und seine Frau
Maria geb. Voss.
Die Verlagsbuchhandlung Jos. Thum produzierte und vertrieb 86
Gebetbuch-Ausgaben in deutscher, französischer, englischer,
niederländischer, polnischer, spanischer und portugiesischer Sprache und
lieferte Spezialausgaben nach Österreich, Luxemburg und Amerika. Sie
fasste ihre Gebetbücher mit Einbänden ein, die vom Feinsten waren, was
die Buchbinderkunst aufzubieten hatte. Auch als „Atelier Religiöser
Statuen“ trat die Großbuchbinderei Jos. Thum europaweit auf.
1893 wurde die Firma „Jos. Thum, Kevelaer (Rheinland).
Gebetbücher-Verlag, Buchbinderei. Wallfahrts-Artikel“ für ihre Einbände
in Chicago mit einer Kolumbus-Medaille, 1900 in Paris, 1903 in Rom und
1905 in London mit weiteren Medaillen prämiiert. Auf die Auszeichnung
von 1903 in Rom waren die Inhaber besonders stolz, denn sie stammte von
Papst Leo XIII.
Gleichwohl - die Heimatforschung ließ Jos. Thum links liegen; jedenfalls
findet sich in der zugänglichen Literatur kein Beitrag über das
Thum’sche Werk. Die große Lebensleistung dieser Kevelaerer Familie ging
im Gefolge der Veränderungen durch das Zweite Vatikanische Konzil (1962
- 1965) still unter und fiel der Vergessenheit anheim.
Die Thum-Geschichte beginnt im Jahr 1840. Im Februar wird in Dülken
Joseph Mathias Thum [Joseph Thum I] als Sohn der Eheleute
Lambert und Sibilla Mechtildis Thum geboren. Vier Jahre später kommt in
Kevelaer Anna Maria Quetin, seine spätere Frau, auf die Welt. Den
25-jährigen Buchbinder Joseph Thum I verschlägt es nach Kevelaer,
vielleicht weil er sich hier gute Erfolgschancen für seine geplante
eigene Buchbinderei ausrechnet. Vielleicht ist es die junge Anna Maria,
die ihn hier ansässig werden lässt.
Joseph Thum I gründet 1865 die „Verlagsbuchhandlung Jos. Thum“, die - ab
wann, wissen wir nicht - in dem Haus Nr. 55 an der Amsterdamer Straße
produziert, und zwar an der Ecke der heutigen Egmontstraße (früher:
Amsterdamer Straße) zur Weezer Straße. Zwei Jahre steht Joseph Thum I
auf eigenen Füßen, da heiraten er und Anna Maria Quetin.
Der Kindersegen, den das Ehepaar bekommt, ist groß: Ihre elf Kinder
werden zwischen 1868 und 1889 geboren, darunter als zweites Kind und
erster Sohn Heinrich Lambert Thum, der nachfolgende Betriebsinhaber, am
im Juli 1869. Das achte Kind, Johann Maria Josef [Josef Thum II],
geboren 1879, muss in der Thum-Geschichte erwähnt werden, weil er - wohl
zusammen mit seinem Bruder Lambert - in Kevelaer als Verlagsbuchhändler
und Fabrikbesitzer des Unternehmens Jos. Thum auftritt.
Die Söhne Lambert und Josef II stehen, als sie 32 beziehungsweise 22
Jahre alt sind, plötzlich vor der Aufgabe, das väterliche Geschäft zu
übernehmen, als der Firmengründer Joseph Thum I stirbt (1901). Ein Jahr
zuvor hat Lambert Thum Maria Voss geheiratet.
Josef Thum II stirbt bereits 1913, so dass Lambert die Verantwortung nun
allein tragen muss. Welchen Einfluss Lamberts und Josefs Mutter auf die
Geschäftsentwicklung nimmt, ist nicht bekannt. Sie überlebt ihren Mann
um 20 Jahre und stirbt am 1921.
Lambert Thum, der Vater von fünf Kindern wird, zählt zu den ersten
Kreisen der Kevelaerer Gesellschaft. Er wird zum Gemeindeverordneten
berufen und gehört zu den Ratskollegen, die 1902 unter Bürgermeister
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Mathias Marx die
Gründungsurkunde für das neue
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Rathaus unterzeichnen, die im Grundstein des Rathauses am Markt
eingemauert wird.
Das Unternehmen Jos. Thum hat vor der Wende zum 20. Jahrhundert
mindestens die gleiche wirtschaftliche Bedeutung wie
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Butzon & Bercker, das
fünf Jahre nach „Jos. Thum“ von
>
Franz Hermann Bercker
gegründet worden ist. Das Unternehmen „Jos. Thum, Kevelaer (Rheinland)
Gebetbücher-Verlag, Buchbinderei. Wallfahrts-Artikel“ produziert um 1900
„gangbarste Einbände“ für Bücher, Gebetbücher für Kinder,
Erstkommunikanten und Erwachsene, Gebetbücher „zur besonderen Verehrung
der allseligsten Jungfrau“, „Herren-Gebetbücher in
Westentaschen-Format“, Gebetbücher mit größerer Schrift und solche in
zahlreichen fremden Sprachen.
Seine Einbände bieten alles auf, wozu die Kunst des Buchbindens fähig
ist: Mit „reicher, broncirter Goldverzierung (mit oder ohne Chromobild
auf der Decke), Marmorschnitt mit Futteral“, „Rücken- und
Deckenvergoldung“, „Schwarz Calico mit schönen Pressungen und
Goldtitel“, „Reliefpressung, Goldmittelstück mit Goldschnitt“,
„Lederpapier mit geschmackvoller Vergoldung und Goldschnitt“,
„Skytogenpapier, wattierter Band mit Goldschnitt“, „Chagrinleder,
Hochreliefprägung mit Goldtitel und echtem Goldschnitt“ und anderes
mehr. „Versilberte oder vernickelte Krampen werden zu jedem Einband
geliefert und mit 25 Pfg. berechnet“, lesen wir im Katalog.
1902 werden Dutzende Gebet- und Gesangbücher in deutscher Sprache
verlegt, darunter „Stern des Heils. Vollständiges Gebet- und
Andachtsbuch für Katholiken aller Stände von Pfarrer Wolfgarten“, 416
Seiten im Format 101/65 mm, je nach Ausführung zum Preis von 0,40 Pfg.
bis 2,50 Mark. Die nach heutigen Maßstäben unbezahlbare Vielfalt der
Einbände und Gestaltung der Gebetbücher ist die eigentliche und
erfolgreiche Geschäftsidee von Jos. Thum. Mit seinem Gebetbuch, mit dem
er sonntags in die Kirche geht, drückt der Katholik auch seinen
Lebensstil aus. Das stärkt bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts
die Nachfrage nach Gebetbüchern, die jeweils dem individuellen Geschmack
und Geldbeutel des Benutzers angepasst sind.
Lambert
Thum verkauft an deutsche Buchhändler nur gegen feste Rechnung oder -
bei unbekannten Abnehmern - per Nachnahme. Sie bekommen ein Zahlungsziel
von vier Monaten eingeräumt. Wer früher zahlt, darf sich fünf Prozent
Skonto abziehen. In einem späteren Katalog - Anfang des 20. Jahrhunderts
- reduziert Thum das Zahlungsziel auf 60 Tage und den Skontoabzug auf
zwei Prozent.
Katalog der
Verlagsbuchhandlung Jos. Thum.
Sein Sortiment umfasst um die Jahrhundertwende allein 57 deutsche
Buchtitel, wovon jeder in manchmal mehr als einem Dutzend verschiedene
Ausführungen geordert werden kann. Als „letzte Neuheit“ offeriert Thum
im Katalog als Einband „Echt Kalbsleder, mit reichen Verzierungen,
Perlmutterdecken, mit gravirter Aluminiumeinlage, ff. Hohlgoldschnitt“.
Und er legt Gesangbücher für verschiedene Diözesen auf, darunter das
„Crefelder Gesangbuch“, das „Steenaert’s Gesang- und Gebetbuch“,
„Gesangbuch für die Diöcese Münster“, „Gesangbuch für die Erzdiöcese
Köln“ und solche für Paderborn und Trier. Thums fremdsprachliche
Gebetbücher sind reich sortiert: Allein in niederländischer Sprache
bietet Thum 45 verschiedene Titel an. Auch die Preisliste für
Gebetbücher aus der Verlagsbuchhandlung Jos. Thum mit der Aufzählung der
lieferbaren Titel und Ausführungen ist - Anfang des 20. Jahrhunderts -
50 Seiten stark.
Neben dem Buchgeschäft betreibt Thum einen starken Handel mit
Devotionalien, die zum Teil am Ort hergestellt werden. Rosenkränze in
allen Ausführungen bietet er an - von Standard für wenige Pfennige bis
zum „Jerusalemer Rosenkranz, geschliffen“ zum Spitzenpreis von 6,20
Mark. Zum Sortiment gehören Kruzifixe, Sterbekreuze, Skapuliere aus
reiner Wolle, Weihkessel, Heiligenbilder, kolorierte Bilder auf
Goldgrund, „hochfeine Pariser Spitzenbilder mit ganz durchbrochener
Spitze und aufgelegtem Jesuskind“, „hochfeine Stahlstiche mit ganz
durchbrochenen Spitzen“, Kommunionandenken, Rosenkranzetuis, Medaillen
und sakrale Statuen.
Die Figuren, die vom „Atelier Religiöser Statuen“ - Jos. Thum betreibt
eine eigene Polychromie - angeboten werden, zeigen im Katalog um die
Jahrhundertwende unter anderem Engel, die Gottesmutter unter
verschiedenen Titeln, Jesus, Josef, die heilige Familie, Elisabeth,
Antonius, Franziskus und Bernadette von Lourdes. Dazu gesellen sich
komplette Krippendarstellungen. „Auf Wunsch wird zu jeder Krippe auch
das Krippenhaus angefertigt“, heißt es im Katalog.
Im Angebot des „Ateliers für kirchliche Kunst“ von Jos. Thum nehmen
polychromierte Figuren einen wichtigen Raum ein. Die größte Figur, eine
„Muttergottes mit Kind und Scepter“, ist 1,45 Meter hoch und kostet 100
Mark. Allein von den Gottesmutter-Figuren vertreibt Thum mehr als 100
Varianten. Die meisten sind bemalte Gipsfiguren, eine Reihe aber auch
aus Terracotta und geschnitzt aus Holz. Das teuerste Exemplar im Katalog
ist eine Marienfigur aus Holz, 1,80 Meter hoch, polychromiert und mit
reichem Goldmuster auf dem Gewand und Bordüre für 940 Mark.
Wie weitsichtig das Unternehmen Jos. Thum am Markt operiert, zeigt ein
Beispiel aus 1935. Thum produziert, da die Verbreitung des Automobils
große Fortschritte zu machen scheint, Plaketten für Autos.
Der Untergang
Wie kann ein solches Unternehmen, das mit rund 80 Mitarbeitern in der
Hochblüte zu den großen seiner Branche in Deutschland zählt, nach dem
Zweiten Weltkrieg sang- und klanglos vom Markt verschwinden?
Der Untergang geschieht so geräuschlos und umfassend, dass jüngeren
Kevelaerern der Unternehmername Thum nichts mehr sagt. Dabei leben noch
etliche der ehemaligen Thum-Mitarbeiter, so Johann Voss von der Hüls,
der vier Jahre als „Stift“ bei Lambert Thum gearbeitet hat. Johann Voss
wird auch als Cheffahrer eingesetzt, der Lambert Thum zuweilen zur Jagd
nach Kalbeck fährt und dort einen Lock-Piepser für das Wild bedient.
Der Unternehmer Thum ist leidenschaftlicher Jäger, der für die Jagd
einen Stützstock erfindet: Es handelt sich um eine Vorrichtung, die Arm
und Gewehr zu einer Einheit macht und so für sicheren Schuss sorgen
soll. Die Erfindung lässt Thum über die Zeitschrift „Wild und Hund“
vermarkten. Sattler Max Janssen stellt in Kevelaer für Thum den
Stützstock her.
Im großbürgerlichen Haushalt von Lambert und Maria Thum wachsen ihre
fünf Kinder auf, darunter Sohn Josef, geboren 1914, der spätere
Nachfolger in dritter Generation. Als das Unternehmen im Oktober 1935
sein 70-jähriges Bestehen groß feiert, steht Vater Lambert Thum bereits
im 66. Lebensjahr, Sohn Josef [Josef Thum III] ist erst 21.
Der
Zweite Weltkrieg zerstört nicht nur die Thum’schen Produktionsstätten in
Kevelaer, sondern auch die Pläne für eine geordnete Firmenübergabe.
Lambert Thum stirbt wenige Monate nach Kriegsende am im November 1945.
Den Wiederaufbau seines Betriebs hat er nicht mehr erlebt.
Das Verlagshaus Thum an der
Amsterdamer Str. 55 (heute: Ecke Egmont-/Weezer Straße).
Sohn Josef Thum III, aus Krieg und Gefangenschaft heimgekehrt, heiratet
im Herbst 1951 Anneliese van den Wyenbergh und ist noch guten Mutes,
dass sein Unternehmen eines Tages an die Erfolgsgeschichte der
Vorkriegszeit anknüpfen kann. Er widmet seine ganze Kraft dem
Wiederaufbau der Firma. Aber er stirbt bereits im Juni 1962 im Alter von
48 Jahren - fünf Jahre nach seiner Mutter Maria Thum. Sein Sohn, der
ebenfalls Josef [Josef Thum IV] heißt, ist zu diesem Zeitpunkt
erst wenige Monate alt.
Witwe Anneliese Thum heiratet später Josef Heystermann, der als
Prokurist in der Verlagsbuchhandlung Jos. Thum große Erfahrung besitzt.
Aber das Schicksal des Unternehmens Jos. Thum ist längst besiegelt: Die
umwälzenden Veränderungen, die vom Zweiten Vatikanischen Konzil
ausgehen, entziehen den monostrukturierten Herstellern von Gebetbüchern
und Devotionalien fast den kompletten Markt, der 100 Jahre lang für
gesicherten Absatz und stetiges Wachstum gesorgt hat.
Geradezu existenzvernichtend wirkt sich für die Verlagsbuchhandlung Jos.
Thum aus, dass nach dem Vaticanum II Schlichtausführungen des
Gesangbuchs Laudate und später Gotteslob mit
Kunststoffeinband in Kirchen ausgelegt werden. Immer mehr Gläubige gehen
dazu über, zum Messbesuch kein eigenes Gebetbuch mitzubringen.
Die Nachfrage nach Gebetbüchern mit individuellen, kostbaren Einbänden
bricht ein.
Die Buchbinderei Thum kann an den Großaufträgen der Kirche, die nun
schlicht gebundene Gesangbücher in hohen Auflagen herstellen lässt,
nicht partizipieren. Bercker dagegen, der nicht nur das Buchbinden,
sondern auch Satz und Druck auf eigenen Anlagen erledigt, verfügt
inzwischen über eine Technik von industriellem Format. Während sich
Butzon & Bercker nach dem Vaticanum II mit neuen Titeln für seinen
Buchverlag und Großaufträgen für seine Druck- und Bindestraßen neu
einrichten kann, muss sich die auf kostbare Einbände spezialisierte
Verlagsbuchhandlung Jos. Thum vom Markt verabschieden.
Denn auch im Devotionaliengeschäft ist nichts mehr, wie es einmal war.
Dramatisch geht die Nachfrage nach polychromierten Figuren, meist aus
Gips hergestellt, zurück. Alte, gewachsene Ausdrucksformen der
Volksfrömmigkeit bröckeln in den 1960er- und 70er-Jahren ab, weil die
Marienverehrung an Vitalität verliert. Die Kevelaer-Wallfahrt und im
Gefolge die heimische Wirtschaft bekommen es zu spüren: Um 1970 sinken
die Pilgerzahlen auf ein Rekord-Tief.
Als Josef Heystermann 1982 stirbt, ist der 1865 begonnene Lebenszyklus
der Unternehmung Jos. Thum endgültig abgeschlossen.
Zeittafel der Familie Thum und der Verlagsbuchhandlung Jos. Thum
1840 Firmengründer Joseph Thum I wird in Dülken geboren.
1844 Anna Maria Quetin wird in Kevelaer geboren.
1865 Joseph Thum I gründet in Kevelaer die Verlagsbuchhandlung Jos. Thum.
1867 Joseph Thum I und Anna Maria Quetin heiraten.
1869 Lambert Thum wird als zweites von elf Kindern geboren.
1879 Josef Thum II wird als achtes von elf Kindern geboren.
1900 Lambert Thum heiratet Maria Voss.
1901 Firmengründer Joseph Thum I stirbt.
1913 Josef Thum II stirbt.
1914 Josef Thum III, Sohn von Lambert und Maria Thum, wird geboren.
1921 Anna Maria Thum geb. Quetin, Frau des Firmengründers, stirbt.
1945 (~) Haus und Produktionsstätte des Verlages an der Amsterdamer (heute: Ecke Weezer/Egmontstraße) werden im Krieg zerstört. - Lambert Thum stirbt.
1951 Josef Thum III und Anneliese van den Wyenbergh (* 1925) heiraten.
1957 Maria Thum geb. Voss, Frau von Lambert Thum, stirbt.
1962 Josef Thum III stirbt. Anneliese Thum heiratet später Josef Heystermann (Prokurist in der Verlagsbuchhandlung Jos. Thum).
1982 Josef Heystermann stirbt.