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INHALTSVERZEICHNIS |
Der Start in die Selbstständigkeit mit dem „Kevelaerer Blatt
Jörg Grahl hatte die Regie bei dem Projekt „Kevelaerer Zeitung“. Dank seiner Verbindung zu Dr. Gerd-Peter Köster, einem Sohn der Verlegerin > Maria Köster, konnte es nun zum zweiten Mal in der Geschichte dieser alten Zeitung zu einem Verlegerwechsel kommen. 1879 von dem Ehepaar Elisabeth und Joseph Ingmanns gegründet, befand sich das Kävels Bläche (heute „Kevelaerer Blatt“, vormals „Kevelaerer Volksblatt“) seit 1881 in Besitz der Familie Köster. Mit Jakob Köster war 1969 der letzte aus der Familie gestorben, der vom Fach war und aktiv im Unternehmen arbeitete. Seine beiden Söhne Gerd-Peter (Zahnarzt) und Bernd (Arzt) standen als Nachfolger nicht zur Verfügung.
Jörg Grahl.
Maria Köster hielt mit Hilfe von freien Mitarbeitern und zugekauften Unterhaltungsseiten das Kävels Bläche unter seinem Nachkriegstitel „Aus Kevelaer und Umgebung“ über Wasser. Als in den 1970er-Jahren die kostenlosen Anzeigenblätter aufkamen, war auch die älteste Zeitung am unteren Niederrhein existenziell bedroht.
Grahl, ein im Raum Geldern bekannter Komunalpolitiker, führte die Verhandlungen mit der Familie Köster. Bald waren die Verträge unterschriftsreif, und am 25. Februar 1981 gründeten die Gesellschafter Jörg Grahl, Werner Wins und ich zu gleichen Anteilen die Köster Verlag GmbH. Wichtigster Aktivposten der neuen Firma war der Zeitungstitel mit dem Abonnentenstamm, während die Druckerei mit ihrer überalterten Technik und das Ladengeschäft für Allerweltsartikel aus dem Papier- und Bürobereich, ein erhalten gebliebener Tante-Emma-Laden, eher eine Belastung darstellten.
Grahl und ich waren die geschäftsführenden Gesellschafter der GmbH - er zuständig für den kaufmännischen, ich für den journalistischen Bereich. Wins als dritter Gesellschafter war der Fachmann für moderne Satz- und Drucktechnik. Er betrieb eine moderne Offset-Druckerei in Emmerich, wo künftig auch das KB gedruckt werden sollte.
Ausgerechnet in dieser Phase, in der das Weiterleben des 1879 gegründeten Kävels Bläche von neuen Produkten wie den "Niederrhein Nachrichten" auf dem Zeitungsmarkt hochgradig gefährdet wurde, hatten Delia und ich die Verantwortung für das KB übernommen. Die Voraussetzungen für ein gutes Gelingen waren denkbar schlecht:
Unsere Technik war nicht einmal von gestern, sondern schon von vorgestern.
KB-Mitarbeiter (v.l.): Wilhelm Suckow, Jean Eich und Heinz Knops.
Die übernommene Redaktion, das Herzstück jeder
Zeitung, bestand aus den drei freien Mitarbeitern
>
Wilhelm Suckow,
>
Heinz Knops und
>
Jean Eich, die
allerdings ohne professionelle Redaktionsführung eher sporadisch und
beinahe zufällig eingesetzt wurden. Jedenfalls bildete die
Berichterstattung des KB bis zur Übernahme durch Delia und mich bei
weitem nicht das Wochengeschehen in Kevelaer ab.
Die alte Kevelaerer Zeitung war 1981
weder personell noch konzeptionell für einen Konkurrenzkampf mit dem
neuen Anzeigenblatt "Niederrhein Nachrichten" und der Tageszeitung
"Rheinische Post" gewappnet. Uns war klar: Nur wenn es gelänge, dass die
Zeitungsleser Delia und mir am ehesten zutrauten, das Kevelaerer
Geschehen umfassend und richtig darzustellen und zu deuten - nur dann
würden wir gegen die mächtige Konkurrenz von RP und NN bestehen können.
Zwar kann es kein journalistisches "Kompetenz-Monopol für Kevelaer"
geben, aber es gelang uns von Anfang an, Vertrauen und Zuspruch vieler
Kevelaerer zu gewinnen. Und es dauerte nur erstaunlich kurze Zeit, bis
wir doppelt soviele Abonnements und Zeitungsexmpelare absetzen konnten
wie zum Zeitpunkt der KB-Übernahme.
Leider hatte die Professionalisierung des Kävels Bläche zu einer
modernen, meinungsfreudigen, politischen Wochenzeitung auch Folgen, die
wir gerne vermieden hätten: Die drei altgedienten freien Mitarbeitern
Suckow, Knops und Eich aus der Vorgängerzeit entfremdeten sich uns
gegenüber und stellten schon bald ihre Mitarbeit ein.
Dieser Abschied der Mitarbeiter kennzeichnete deutlich die Zäsur, die
eingetreten war: Für unsere Zeitung ging es inzwischen um das Ganze. Nur
wenn das Kävels Bläche die auflagenstärkste Zeitung in Kevelaer und die
unangefochtene journalistische Nr. 1 auf dem Markt werden würde, könnte
sie gegenüber der Großkonkurrenz in Geldern wirtschaftlich bestehen.
Genau das wurde, allerdings zeitweise mit einem Einsatz, der die Kräfte
zu überfordern drohte, tatsächlich geschafft. Als Wirtschaftsunternehmen
sicherte das Kevelaerer Blatt seinen Verlegern und Verlagsangestellten
ein Auskommen - fast drei Jahrzehnte lang bis zum Verkauf an die
WAZ-/NRZ-Mediengruppe im Jahr 2008.
Für
mich war im Frühjahr 1981 ein Traum in Erfüllung gegangen - eine eigene Zeitung!
Die erste Ausgabe von „Aus Kevelaer und Umgebung" im Jahr 1981. Ab Ausgabe Nr. 8/1981 wurde das Kävels Bläche von Delia Evers und Martin Willing redigiert.
Wenn ich gewusst hätte, dass die Kevelaerer Zeitung 27 Jahre lang mein Leben bestimmen würde - ohne Zeit zum Malen, ohne Zeit zum Musizieren, ohne Zeit zum Schreiben von Romanen -, dann hätte ich es ...
... trotzdem gemacht.
Ich arbeitete - wie gewohnt und in meiner RP-Zeit eingeübt - von morgens bis abends und jetzt auch noch durch manche Nacht. Im D-Zug-Tempo hatte ich eine Redaktion aufbauen müssen. Delia Evers zögerte keine Sekunde, an Bord zu kommen, und gab ihre Studienpläne auf. Wir richteten im ehemaligen Wohnzimmer von Maria Köster die Redaktion ein und tippten auf Schreibmaschinen unsere Artikel. Roland Wynhoff, unser Profi in der Druckerei, setzte sie auf einer museumsreifen Maschine in Blei. So wurden noch zwei Ausgaben in der Köster-Druckerei wie zu Gutenbergs Zeiten produziert.
Dann kam die Umstellung auf Offset im Ruckzuck-Verfahren: Drei Tage vor Druck der Ausgabe Nr. 10 vom 7. März 1981, dem ersten Produkt der neuen Technik, wurde von Compugraphic ein Computer für den Fotosatz geliefert.
Der eingeführte Zeitungstitel „Aus Kevelaer und Umgebung" wurde behutsam in „Kävels Bläche" (Kevelaerer Blatt) umgewandelt.
Wir hatten nur diese dreitägige Einarbeitungszeit für den technischen Quantensprung vom Mittelalter in die Moderne. Delia Evers und ich übten Tag und Nacht, bis die Texte erfolgreich auf schlabberigen Großdisketten abgespeichert waren.
Natürlich bezahlten wir bei der Premiere auch Lehrgeld: Als Delia Evers eine große Arbeit geschrieben hatte und der Bildschirm nach einer Pause auf einmal schwarz war, vermuteten wir einen Defekt in der Stromzufuhr. Wir zogen zur Sicherheit den Stecker heraus und drückte ihn wieder herein und lernten auf schmerzliche Weise kennen, was ein Bildschirmschoner ist: Er schaltet auf Standby und lässt nur dann die komplette Arbeit im Nirwana verschwinden, wenn man ihm den Saft abdreht ...
Delia Evers in dem zur
Redaktion umfunktionierten Wohnzimmer der bisherigen KB-Verlegerin:
Arbeit am ersten Satzcomputer des Kävels Bläche.
Die
Belichtung des Satzes erfolgte in Emmerich, wo die Textfahnen zu
Artikeln und die Artikel zu Zeitungsseiten geklebt wurden. Die
Jungfernausgabe gelang ohne besondere Vorkommnisse.
Nun waren wir eine
der ersten Redaktionen in Nordrhein-Westfalen, die Schreibmaschinen
gegen Satzcomputer ausgetauscht hatten.
Wichtiger war, dass der Übergang der Kevelaerer
Traditionszeitung auf die neuen Herausgeber in der Leserschaft gut
angenommen wurde. Zu unserem Einstieg ins „Kevelaerer Blatt“ schrieben
der Vorsitzende des
>
Verkehrsvereins, Dr. Edmund Bercker, und
Geschäftsführer >
Martin Pauli:
Sehr geehrter Herr Willing! Wir haben von Ihnen die Nachricht erhalten, daß Sie ab 1. März dieses Jahres die Redaktion der Kevelaerer Zeitung übernommen haben. Wir möchten Sie, Ihre Kollegen und die Mitarbeiter dazu herzlich beglückwünschen. Wir sind recht froh, daß wir in Ihrer Person einen Ansprechpartner haben, der die Probleme, denen sich der Verkehrsverein gegenüber sieht, zum Teil ja aus eigener Erfahrung kennt - und wir sind auch ganz sicher, daß es zu einer sehr intensiven und fruchtbaren Zusammenarbeit kommen wird. (...) Ich könnte mir vorstellen, daß das Geschehen am Wallfahrtsort und die Besucher dieser Stadt, die Pilger, wesentlich besser, wesentlich intensiver in der Publizistik und damit in Ihre Zeitung integriert werden können.
Jörg Grahl, der kaufmännische Geschäftsführer, ließ das Geschäftslokal zu einer Buchhandlung ausbauen und stellte eine ausgebildete Buchhändlerin ein. Der übernommene Drucker hatte gut zu tun, weil viele Geschäftsleute - wie in den Jahren zuvor - ihre Geschäftspapiere „bei Köster“ drucken ließen. Hauptumsatzträger der Köster Verlag GmbH aber war die Zeitung, deren Auflage wir zunächst stabilisieren und dann kontinuierlich steigern konnten.
Am 19. Juni 1981 feierten wir in der neuen Buchhandlung zusammen mit rund hundert Gästen den 100. Jahrestag des Köster Verlags, in dessen Tradition sich die Gesellschafter der neuen Köster Verlag GmbH sahen. Zwei Jahre nach Zeitungsgründung (1879) hatte der erste Köster das Blatt übernommen.
Unter den Gästen waren Bürgermeister > Karl Dingermann, Dechant > Richard Schulte Staade, erster Beigeordneter > Heinz Paal, die Kreisparteivorsitzenden > Heinz Seesing und Helmut Esters, örtliche Vertreter aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft und zahlreiche Leser als Freunde des Hauses. Jörg Grahl richtete seinen besonderen Dank an Maria Köster, die den Verlag trotz vieler Probleme weitergeführt und in gesunder Verfassung an die neue Gesellschaft übergeben habe. Ich spielte in meiner Ansprache auf die vor 100 Jahren so betonte „entschieden katholische“ Haltung der Kevelaerer Zeitung an und sagte, dass sich die Redaktion des Kävels Bläche heute ebenso entschieden christlichen Wertvorstellungen verpflichtet fühle. Das sollte sich in den folgenden 27 Jahren unter der Geschäftsführung von Delia Evers und mir nicht ändern.
Was sich aber ab Herbst 1981 im Köster Verlag änderte, war die Unbekümmertheit, mit der wir als selbstständige Unternehmer in den knochenharten Wettbewerb eingestiegen waren. Die sich langsam, aber unaufhaltsam verschärfenden Probleme bescherten Jörg Grahl schlaflose Nächte - die laufenden Kosten und die Belastungen aus den Investitionen wurden von den Erträgen der drei Betriebszweige des Köster Verlags nicht gedeckt.
Ich bekam von den finanziellen Engpässen kaum etwas mit, weil ich inzwischen mit Delia Evers auf zwei Hochzeiten tanzen musste: Auch der „Rinkieker“, ein von Werner Wins in den Köster Verlag eingebrachtes kostenloses Anzeigenblatt aus Rees, musste redaktionell erstklassig bedient werden, nachdem Wins den „Rinkieker“ zu einer Verkaufszeitung nach dem Vorbild des „Kevelaerer Blatts“ umgewandelt hatte. Wir pendelten ständig zwischen Kevelaer und Rees hin und her und kompensierten mit Tag- und Nachtarbeit, dass wir um mindestens zwei Journalisten unterbesetzt waren.
Die Arbeit war unter menschenwürdigen Umständen nicht zu schaffen. Hinzu kam, dass wir Jacqueline Müller, Tochter von Marlies van Well in Kevelaer, als Volontärin eingestellt hatten, deren Ausbildung wir einen gehörigen Teil unserer Arbeitskraft widmeten - offenbar mit Erfolg: Jacqueline Müller machte später Karriere in Norddeutschland und wurde in die Chefredaktion einer Unterhaltungszeitschrift berufen.
Und trotz der Belastungen kam Zeitung Nummer drei: Am 17. September 1981 erschien unsere Neugründung für die Kreisstadt Geldern - die Wochenzeitung „De Draak“.
Die erste Ausgabe unserer Neugründung „De Draak„ vom 17.9.1981. Die Mannschaft stellte sich vor (v.l.): Jörg Grahl, Jacqueline Müller, Delia Evers, Hilke Neuß und Martin Willing.
In den „Draak“ legten Delia Evers und ich alles, was wir journalistisch auf der Pfanne hatten. Heraus kam eine kritische, zupackende und von Humor durchtriebene Gelderner Zeitung, von der einige alte Gelderner noch lange schwärmten.
Der „Draak“ war ein bemerkenswerter Erfolg: Wir hatten nach drei Monaten weit über tausend zahlende Abonnenten. Und trotzdem stellten wir den Titel nach diesen drei Monaten wieder ein. Delia Evers und ich - wir konnten einfach nicht mehr. Wir hätten uns selbst und unser „Herzstück“, das „Kevelaerer Blatt“, gefährdet, wenn wir in dem Tempo weiter gemacht hätten. Es genügten nur wenige Worte, und der Fall war für uns klar: Kein „Draak“ mehr und erst recht kein „Rinkieker“ mehr, den wir an Werner Wins zurückgaben. Ab sofort wollten wir unsere Kraft nur noch dem Kävels Bläche widmen.
Das war höchste Zeit. Jörg Grahl eröffnete mir Ende 1981, dass die > Sparkasse, unsere Hausbank, eine weitere Ausdehnung der Kreditlinie nur gegen zusätzliche Sicherheiten vornehmen wolle. Weitere Kredite seien nötig, um den Köster Verlag zahlungsfähig zu halten. Für mich waren Details einer Bilanz noch böhmische Dörfer, aber verstanden hatte ich den Ernst unserer Lage: Wir gaben mehr Geld aus, als wir hereinbekamen.
Der Schreck war heilsam. Da ich der einzige im Unternehmen war, der über Rückgriff auf privates Vermögen weitere Investitionen bezahlen oder über Bürgschaften neue Kredite absichern konnte, war nun der Zeitpunkt gekommen, dass ich mich um die wirtschaftliche Struktur des Verlags kümmern musste. Ich ließ mich in alle relevanten Zahlen einweihen und ging mit den betriebswirtschaftlichen Auswertungen in Klausur. Anschließend stand ich mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen: Wenn die drei Betriebszweige Zeitung, Druckerei und Buchhandlung wie bisher weiter wirtschafteten, würde ich in ein Fass ohne Boden investieren.
Ich machte Jörg Grahl keine Vorwürfe und stand zu meiner Mitverantwortung für die expansive Unternehmenspolitik, denn auch mir waren bei unserem Start keine Alternativen eingefallen. Aber nun ging es um die Existenz unserer Zeitung und um sehr viel Geld, das ich aus meinem privaten Vermögen zusätzlich in die Waagschale zu werfen hatte, und ich musste sofort und vor allem richtig handeln.
Meine erste Entscheidung betraf das Emmericher Unternehmen unseres Mitgesellschafters Werner Wins, das das „Kevelaerer Blatt“ Woche für Woche gedruckt und dafür nur selten Geld gesehen hatte. Die aufgelaufenen, unbezahlten Rechnungen waren nach meiner Einschätzung viel gefährlicher für den Fortbestand der Kevelaerer Zeitung als die berechtigte Nervösität unserer Hausbank.
Um die Unabhängigkeit der Zeitung wahren und unter meinem journalistischen Einfluss halten zu können, bot ich Wins an, alle offenen Druckrechnungen auf einen Schlag zu begleichen und ihn als Gesellschafter auszuzahlen. Über diese überraschende Entwicklung war Werner Wins froh und dankbar wie Jörg Grahl, der mein Angebot, ihn auszuzahlen, wenig Monate danach ebenfalls annahm. Ihr Ausstieg war für sie doppelt wertvoll: Ich gab ihnen nicht nur ihre Einlagen zurück - ich entließ sie auch aus der Verpflichtung, für die aufgelaufenen Schulden anteilig aufzukommen.
Meine Entscheidung, den „ganzen Laden“ mit allen Belastungen zu übernehmen, war irrational und gleichwohl gut durchdacht: Ich glaubte an den hohen Wert des alten Kulturträgers „Kevelaerer Blatt“ und war sicher, dass Delia Evers und ich alles zum Guten wenden würden, wenn wir uns nun ganz auf die Zeitung konzentrierten.
Sofort nach dem Ausscheiden des Emmericher Gesellschafters kündigte ich den Druckauftrag. Zuvor hatten Delia Evers und ich ein intensives Gespräch mit > Peter Keuck in Straelen geführt. Seine Druckerei war zwar für den Druck einer Wochenzeitung nicht ausgestattet, aber Keuck nahm die Herausforderung geradezu mit Lust an, rüstete sich maschinell auf und druckte ab Ausgabe 13 vom 2. April 1982 unsere Zeitung - bis zum Jahr 2008 und damit länger als ein Vierteljahrhundert. Es war eine Zusammenarbeit, wie sie für beide Seiten nicht besser hätte sein können.
Delia Evers trat im Zuge der firmenrechtlichen Veränderungen als Mitgesellschafterin in das Unternehmen ein. Nun trugen wir beide allein die Verantwortung für den Verlag und entschieden, dass er sich auf sein Kerngeschäft - die Zeitung - zu konzentrieren habe.
Delia Evers im Einsatz.
Deshalb gaben wir die Buchhandlung in die Hände eines selbstständigen Buchhändlers, der das Geschäft noch einige Jahre mit Erfolg führte. Auch die Druckerei reichten wir an einen Fachmann, der sich selbstständig machen wollte, weiter. Für Buchhandlung und Druckerei hatten wir eine Variante des Mietkaufs gewählt, die für beide Seiten Vorteile brachte. Befreit von den Betriebszweigen, in denen wir keine Profis waren, konnte das Kävels Bläche nun Aufschwung nehmen bis zur Verdoppelung der Auflage, die in den 1990er-Jahren erreicht wurde.
Das Krisengespräch mit der Hausbank Anfang 1982 war kurz und erfreulich gewesen. Das neue Konzept mit der Konzentration auf die Zeitung hatte Sparkassenchef > Heinz Ophey überzeugt.
Zum Jahreswechsel 1982/83 orderten wir frische Technik. Wir statteten unsere Redaktion mit Compugraphic-Satzcomputern der neuen Generation aus und erwarben dazu unseren ersten Belichter.
In der Mettage der Druckerei Köster erläuterte Martin Willing Anfang der 1980er-Jahre Schülern aus Kevelaer die moderne Satz- und Belichtungstechnik zur Herstellung der Kevelaerer Zeitung.
Dieser Fotosatzbelichter konnte - damals ein gewaltiger Fortschritt - umbrochene Texte zeitungsblattbreit belichten, allerdings nur bis zu einer Höhe von etwa 25 Zentimetern. Immerhin: Die Zeiten, da wir jede einzelne Textfahne mit Hilfe von Schere und Heißwachs zu einer Zeitungsseite zusammenkleben mussten, waren vorbei.
Mir genügte diese Zeitersparnis am Umbruchtisch noch nicht und ich fand mich auch nicht mit der Aussage von Compugraphic ab, dass ihr Belichter keine ganze Zeitungsseite „am Stück“ belichten könne. Je besser ich das mathematisch aufgebaute Umbruchsystem verstand und je geläufiger mir der Zahlensalat mit seinen Befehlsketten auf dem Bildschirm wurde, desto weniger akzeptierte ich die vom System vorgegebene Begrenzung. Ich glaubte, dass das computergesteuerte Gerät überlistet und dazu gebracht werden könnte, ganze Zeitungsseiten in einem Arbeitsgang zu belichten.
Mit einer Grundidee im Kopf zog ich mich im
April 1983 zu einem dreiwöchigen Kreativurlaub auf Gran Canaria zurück.
Während sich Deutschland und die Welt über die gerade im „Stern“
erschienenen „Hitler-Tagebücher“ erregten, entwarf ich für unseren
Belichter in Kevelaer ein mathematisches Ganzseiten-Belichtungssystem,
das uns etwas Köstliches bescherte:
Das Kävels Bläche fuhr ab Sommer
1983 als erste Zeitung in Nordrhein-Westfalen Ganzseitenumbruch, und
zwar mit einem System, das dazu technisch eigentlich nicht in der Lage
war. Der Trick bestand darin, zwei separate Teile durch mathematische
Befehle so miteinander zu verbinden, dass eine ganze Seite herauskam,
die ohne Nacharbeiten als Film- und Druckvorlage dienen konnte.
Mein System, das von der Herstellerfirma Compugraphic mit Verblüffung zur Kenntnis genommen wurde - Musterseiten des KB wurden auf einer Hausmesse der Firma als Anschauungsmaterial gezeigt -, verschaffte uns erheblichen Zeitgewinn und mir ein kleines Vergnügen: Ausgerechnet wegen „Mathe“ war ich durchs Abitur gerasselt.
Mit Hochdruck bildeten wir uns weiter. Wir
kauften meterweise volkswirtschaftliche und verlagskaufmännische
Literatur und schulten uns auf Fachmessen und in Seminaren.
Es war nicht
die reine Freude, dass wir uns mehr und mehr zu Verlagskaufleuten
entwickelten und damit den Notwendigkeiten anpassten. Wir mussten
Journalisten und Unternehmer gleichzeitig sein, und doch hat es in den
27 Jahren unserer Geschäftsführerzeit keinen einzigen Fall gegeben, in
dem wir nicht zuerst als Journalisten gehandelt hätten.
Diese
Unbeugsamkeit, so wissen wir heute, war die entscheidende Basis für die
lange Erfolgsgeschichte des Kävels Bläche.
INHALTSVERZEICHNIS |
© Martin Willing 2012, 2013