|
|
INHALTSVERZEICHNIS |
Keine Arbeit, keine Perspektive
Gegen die ausgestreuten Gerüchte, ich hätte längst eine neue berufliche Aufgabe in der Tasche gehabt und mit der Streikaktion nicht meine Existenz, sondern die der Kollegen leichtfertig riskiert, war ich machtlos, wenngleich nicht ohne Verständnis. Die beschämten Ex-Kollegen konnten so ihre vielleicht selbst empfundene Scham über ihr Verhalten besser ertragen.
Sie gingen mir aus dem Weg. In den fast 30 Jahren, die ich in der Nachbarschaft von Geldern als Herausgeber und Journalist des Kevelaerer Blatts arbeitete, begegnete ich keinem mehr. Die von der „Rheinischen Post" in Kevelaer eingesetzten Journalisten waren schon bald jüngere Kollegen, die den „Fall Willing-Evers", wenn überhaupt, nur vom Hörensagen kannten.
Ich
war im Dezember 1980 ohne Arbeit und vor allem ohne Perspektive. Zwar
erfüllte mich das nach meiner Beurlaubung von Oberkreisdirektor
>
Dr.
Hans-Wilhelm Schneider gemachte Angebot, ich sollte mich für die noch
einzurichtende Position eines Öffentlichkeitsarbeiters des Kreises Kleve
bewerben, mit tiefer Dankbarkeit. Aber sicher war ich mir nicht, ob ich
als Zeitungsmann in einer Verwaltung glücklich werden würde.
Oberkreisdirektor Dr. Hans-Wilhelm Schneider:
Er half Martin Willing mit einer beruflichen Perspektive.
Am 3. Dezember 1980 reichte ich beim Kreis Kleve meine
Bewerbungsunterlagen ein. Zugleich bot ich mich der „Neuen Ruhr Zeitung"
in Rheinberg als freier Mitarbeiter an - vielleicht, um im
Zeitungsgeschäft wieder Fuß zu fassen, vielleicht auch nur, um mich mit
Arbeit abzulenken. Die Termine, die mir gegeben wurden, waren die
üblichen. Die Redaktion war froh, die Veranstaltungen anständig besetzt
zu haben, ich war froh, dass meine Schreibmaschine klapperte. Sogar eine
Karnevalssitzung in Rheinberg nahm ich an und biss als notorischer
Karnevalsflüchtling die Zähne zusammen.
Größere Sorgen als über meine eigene Zukunft machte ich mir um die von Delia Evers, der eine freie Mitarbeit bei einer Tageszeitung in Kempen mit Hinweis auf ihr „Revoluzzerimage" verwehrt worden war. Es machte mir zu schaffen, dass sie, weil sie nach der Selbstkündigung zunächst kein Arbeitslosengeld bekam, in Gaststätten, wo man sie aus ihrer Zeit als RP-Redakteurin kannte, kellnerte, um Geld für ihren Unterhalt zu verdienen. Erleichtert war ich, als > Helmut Esters, Bundestagsabgeordneter aus Kevelaer, ein Stipendium vermittelte und Delia Evers sich in Düsseldorf für ein Studium immatrikulieren konnte.
Das Ehepaar Peter A. Köster
mit seinen Kindern. In der Mitte der älteste Sohn Jakob Stephan Köster. Foto
aus: Geldrischer Heimatkalender 1980, S. 33
Am Silvestertag 1980 betrat ich mit einem verwegenen Plan den Laden von > Maria Köster an der Hauptstraße in Kevelaer. Sie war die Witwe des Verlegers Jakob Köster, der ihr eine Druckerei, ein Ladengeschäft für Büroartikel und vor allem den Verlag der Kevelaerer Wochenzeitung „Aus Kevelaer und Umgebung" hinterlassen hatte.
Maria Köster.
Die Zeitung, 1879 als „Kevelaerer Volksblatt" gegründet, war zwar ein Heimatblättchen, das von uns Berufsjournalisten kaum als Alternative zur Tageszeitung angesehen wurde. Aber es hatte die Zeit überdauert und wurde nach wie vor in vielen Kevelaerer Haushalten gelesen.
Ich wusste fast nichts über die wirtschaftliche Lage dieses Lokalblatts.
Seit 1949 erschien das 1879 gegründete Kevelaerer Volksblatt unter dem neuen Titel "Aus Kevelaer und Umgebung" als Wochenzeitung.
Sie interessierte mich auch nicht, ebenso wenig wie die Druckerei und das Ladengeschäft. Der Zeitungstitel allein war es, der mich reizte, denn mit ihm würde ich an meinem Wohnort Kevelaer eine journalistische Plattform zurück gewinnen, die ich im November verloren hatte.
Mit meiner nicht unvermögenden Familie hatte ich gesprochen. So betrat ich an Silvester 1980 mit der Gewissheit, über eine erkleckliche Summe Geldes verfügen zu können, Maria Kösters Laden. Ich kam schnell zur Sache und bot der schon etwas älteren Dame an, ihr Unternehmen zu kaufen.
Wir plauderten noch ein Weilchen, dann verließ ich den Laden mit der Antwort, dass der Köster-Verlag nicht zum Verkauf stehe. Ein paar Wochen danach hörte ich, warum Maria Köster mein Angebot nicht in Erwägung gezogen hatte: Sie hatte die unvermittelte Offerte nicht ernst genommen.
Das Köster-Ladengeschäft an
der Hauptstraße vor dem Zweiten Weltkrieg.
Foto aus: Geldrischer Heimatkalender 1980, S. 34
Für mich war mit der Ablehnung der Fall klar: Mein Versuch, mich selbstständig zu machen, war misslungen, meine Aussicht, bei anderen Zeitungsverlagen beschäftigt zu werden, gleich Null. Also schickte ich am 14. Januar 1981 meine Bewerbungsunterlagen für die Stelle „Öffentlichkeitsarbeit des Kreises Kleve„ an die Kreisverwaltung. Zwölf Tage danach erhielt ich die Bestätigung des Eingangs:
Zum nächstmöglichen Termin ist Ihre Einstellung als Referent für Öffentlichkeitsarbeit beim Kreis Kleve beabsichtigt. Über Ihre Einstellung entscheidet der Kreistag.
Wie immer in meinem Berufsleben, wenn ich in
eine neue Aufgabe startete, holperte und stolperte es. Gut eine Woche
nach dem erfreulichen Schreiben aus Kleve bat ich den Oberkreisdirektor,
die Entscheidung über meine Einstellung noch etwas hinauszuzögern. In
der Zwischenzeit war nämlich etwas Bemerkenswertes passiert:
Nicht nur
ich, sondern auch der Gelderner Kommunalpolitiker Jörg Grahl hatte
Kontakt zu der Verlegerfamilie Köster aufgenommen, um das kleine
Kevelaerer Zeitungshaus mitsamt Druckerei und Ladengeschäft zu
übernehmen.
Jörg Grahl (l.), der in den 1980er-Jahren als SPD-Politiker für den Landtag kandidierte, hier mit Ministerpräsident Johannes Rau in Kevelaer auf einer Wahlkampfveranstaltung.
Der Gelderner hatte es geschickter angestellt und mit einem der Söhne verhandelt, die ihre Mutter gut versorgt wissen wollten und den wirtschaftlichen Niedergang des Unternehmens seit langem mit Sorge begleiteten.
Jörg Grahl, der mir als Gelderner Politiker und vor allem als erfolgreicher Segelsportler gut bekannt war, rief mich im Februar 1981 an und fragte, ob ich als Gesellschafter einsteigen und in dem Unternehmen den journalistischen Part leisten wollte.
Am 28. Februar dankte ich Oberkreisdirektor Dr. Schneider für seine Hilfe und zog meine Bewegung zurück, „weil ich ab 1. März eine verlegerische und journalistische Aufgabe übernehmen werde".
Was mich erwartete, wusste ich nicht. Was es
mich kosten würde, auch nicht. Nur eines wusste ich:
Ich würde wieder
als Journalist arbeiten. Das allein zählte.
INHALTSVERZEICHNIS |
© Martin Willing 2012, 2013