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Buchhalter bei Butzon & Bercker | * 1918 | † 2003
Josef
Nolden ist nie selbstständiger Unternehmer gewesen, und dennoch hat er
einen Kevelaerer Betrieb geprägt wie nur wenige andere: Für die
Erfolgsgeschichte des
Verlags Butzon & Bercker hat sich der Buchhalter eingesetzt, als
wäre es sein eigene Firma.
Schon als Kind wächst seine Beziehung zu der Unternehmung. Seine Eltern
sind aus Mönchengladbach zugezogen. In der Venloer Straße, dort wo
später das Grünen-Büro eingerichtet wurde, bekommen sie eine
Wohnung; ihr Haus steht Rücken an Rücken mit dem Mutterhaus von Butzon &
Bercker, das damals noch „mitten in der Stadt“ liegt.
Vater Ernst ist künstlerisch veranlagt. Sein Berufstraum: Kirchenmaler,
doch er ist farbenblind; so liebäugelt er mit der Goldschmiedekunst, ehe
er bei B & B doch lieber etwas „Handfestes“ beginnt - Nolden wird
Werkmeister -, denn seine Familie wächst schnell. Am Ende hat er neun
Kinder zu versorgen, sechs Mädchen und drei Jungen. Zwischen dem
ältesten Sohn und dem jüngsten, Josef, geboren 1918, liegen 20 Jahre.
Praktisch für den Vater: Er braucht nur nach hinten hinaus durch den
Garten zu gehen und ist schon in der Firma. Ungezählte Male begleitet
ihn der kleine Josef. Die Gerüche und Geräusche dieser Zeit prägen sich
ihm ein, der Duft der Druckerschwärze und des Papiers und des Öls, das
Stampfen, das Zischen und Pfeifen der Zylinder, das Rasseln der
Setzmaschinen. Trotzdem ist es nicht die Buchdruckkunst, die ihn
fasziniert: Josef will mit Zahlen arbeiten und die Handelsschule in Goch
besuchen. Die Eltern schaffen es, die Schulzeit zu finanzieren. Josef
bedankt sich mit einem erstklassigen Zeugnis: Er besteht den Abschluss
mit Auszeichnung.
Es ist 1934, und er bekommt sofort eine Lehrstelle in der Unternehmung
hinterm Garten, zunächst im Vertrieb und bald in der Buchhaltung. Die
Ausbildung in der Handelsschule hilft ihm sehr, sich in kürzester Zeit
zurechtzufinden und die komplexen Vorgänge zu durchschauen. Er arbeitet
eng mit
Josef Leenders, seinem Vorgesetzten, zusammen und wird bald dessen
rechte Hand.
Als der junge Nolden seine kaufmännische Prüfung ablegen will, liegt er
todkrank im Bett. Er hat sich eine Blutvergiftung durch eine
Knochenmarkvereiterung an der Hüfte zugezogen. Er kommt nicht mehr dazu,
die Prüfung nachzuholen, die „braune Zeit“ macht sich breit.
Ein Kollege aus der Buchhaltung, Joseph Fuchs, überredet ihn und andere,
in die Hitlerjugend einzutreten. Doch schnell hat Josef Nolden heraus,
dass er mit deren Welt nichts zu tun haben möchte: Er bekommt mit, wie
Hitlerjungen Unruhe stiften, den Fahnensaal am
Priesterhaus verwüsten und eine Pilgerin bedrohen. Nolden ist in
einem katholischen Elternhaus groß geworden („Dafür bin ich bis heute
dankbar“) und tritt bereits 1937 aus der HJ aus.
Bald überschlagen sich die Ereignisse: 1939 wird Josef Leenders mit 26
Jahren eingezogen; Joseph Fuchs, „der sich inzwischen als SA-Mann
unmöglich gemacht hat“, muss ebenfalls an die Front. Verlagschef
Edmund Bercker fragt den jungen Josef Nolden: „Willst du in der
Buchhaltung die Abteilungsleitung übernehmen?“ Nolden ist 21 Jahre alt
und sagt ja, doch viel Zeit bleibt ihm nicht, das Vertrauen von Bercker
zu rechtfertigen: Im Jahr darauf, 1940, wird er selbst eingezogen und
kommt zur Flak.
Zu diesem Zeitpunkt ist die Belegschaft bei B & B bereits um ein Drittel
geschrumpft. Papier wird einheitlich von der Wirtschaftsstelle des
deutschen Buchhandels zugeteilt, Einbandmaterial für Bücher ist kaum zu
erhalten. Leder darf nicht verwendet werden. Bei den Druck- und
Bindeaufträgen gibt es hohe Umsatzeinbußen. Erst ab 1942 steht das
Unternehmen unter dem Schutz des Generalbevollmächtigten für den
Arbeitseinsatz, so dass keine weiteren Arbeitskräfte mehr abgezogen
werden. Zu diesem Zeitpunkt arbeitet B & B nur noch mit dem halben
Stamm.
Der ehemalige Kollege von Josef Nolden, Joseph Fuchs, ist mittlerweile
in Berlin bei der AEG untergekommen. Er schreibt Josef Nolden einen
Brief an die Front, „dass ich beachsichtige, Sie sobald wie möglich zur
AEG zu ziehen, um gegebenenfalls später wieder gemeinsam mit Ihnen
arbeiten zu können“. Der SA-Mann: „Sicher dürfen Sie sich als Soldat
nicht offiziell bewerben, aber Sie brauchen mir nur mitzuteilen, dass
Sie gemäss unserer früheren Vereinbarung bereit sind, von dem Angebot
Gebrauch zu machen, alles übrige besorgt dann eine besondere Stelle
unseres Hauses, die Sie in Anbetracht der Dringlichkeit unbedingt
freibekommen wird“.
Der junge Josef Nolden soll den Posten des Buchhaltungsleiters der neuen
AEG-Fabrik Glogau erhalten, ein Betrieb mit 1500 Arbeitern. Und Fuchs
wirbt: „Glogau ist ein nettes Städtchen in Schlesien, und ich hoffe,
dass Sie sich dort wohl fühlen können“. Über die Art der Fabrikation
„darf ich Ihnen nichts schreiben“, sagt Fuchs: „Das werden Sie später
selbst sehen“.
Josef Nolden wird es nicht selbst sehen. Der Brief von Fuchs erreicht
ihn „draußen in Feindesland“. Nolden bedankt sich schriftlich bei Fuchs
für das Vertrauen, das er zu dem jungen Berufskollegen hat, sagt aber
ab. „Ich bin augenblicklich aktiver Soldat und muss zunächst einmal
meine zwei Jahre dienen“. Er möchte keine Sonderbehandlung, und er
möchte nicht nach Schlesien: „Sollte Gott mir einst eine gesunde
Heimkehr schenken, dann ist es vor allen Dingen mein Wunsch, wieder in
der Nähe meiner Eltern zu sein. Gerade jetzt während des Feldzuges habe
ich es so recht gefühlt, was mir meine lieben Eltern sind und was sie
mir bedeuten“.
Es werden erheblich mehr als zwei Jahre Dienst. Im Frühjahr 1945 ist der
Krieg noch immer nicht zu Ende.
Im April gelingt es ihm, der Front für ein paar Tage den Rücken zu
kehren. Er kommt nach Berlin, um sich dort am Ostermontag mit seiner
Frau Adele, geb. Koenen aus Goch, mit der er seit 1944 standesamtlich
verheiratet ist, kirchlich trauen zu lassen. Adele, die Josef Nolden
1933 beim Schulbesuch in Goch kennengelernt hat, reist aus Bad
Wildungen, dem Ort ihrer Evakuierung, an. Ein befreundeter Missionar
traut die beiden. Schon stehen die Amerikaner vor der Hauptstadt. An
eine Rückkehr nach Bad Wildungen ist nicht mehr zu denken. Nach
Internierungslager und kurzer gemeinsamer Zeit in Heide kehrt das
Ehepaar im August 1945 heim.
Im selben Monat geht Josef Nolden wie selbstverständlich zu Butzon &
Bercker zurück und wird Hauptbuchhalter; Josef Leenders ist zur
Glasmalerei Derix gewechselt und macht sich wenig später mit einer
Schreibwarengroßhandlung selbstständig. Die ersten Jahre nach dem Krieg
sind überaus schwierig, ohne Genehmigung der Militärregierung darf
nichts gedruckt werden. Es sind vor allem Lebensmittelkarten, die
produziert werden. Die Matern liefert das Landesernährungsamt. Während
des Drucks wird der Betrieb laufend überwacht.
1948 bekommt Bercker seine Drucklizenz zurück und entwickelt seine
enzyklopädisch angelegte Reihe „Berckers Kleine Volksbibliothek“ mit
mehr als einer Million Auflage, die weltweit Beachtung findet. Das
Geschäft läuft gut und will abgerechnet werden: Josef Nolden steckt
derart in Arbeit, dass er nicht dazu kommt, seine Ausbildung
fortzusetzen, seinen Traum wahrzumachen und die Bilanzbuchhalterprüfung
abzulegen.
Das tut der Qualität seiner Arbeit keinen Abbruch, er beherrscht sein
Metier in jeder Facette und wird nicht nur in allen Geldangelegenheiten
zum engen Vertrauten von Firmenchef Edmund Bercker sen.. Sie holen als
Verstärkung Dr. Hans Schickling in den Betrieb („Ein Philosoph, ein ganz
feiner Mensch, der leider sehr früh gestorben ist“); gemeinsam bekommen
Nolden und Schickling 1954 Prokura.
Nolden ist nicht mehr nur für das Finanzwesen zuständig, er kümmert sich
um das Personalwesen, um Einstellungen, um alle Belange des Betriebs.
Und er kümmert sich erstklassig darum, spricht, wenn er die Unternehmung
meint, grundsätzlich von „wir“; es käme ihm nie in den Sinn, sich nicht
aus vollem Herzen mit dem Haus zu identifizieren. Jeden Sonntag freut er
sich auf Montag: Den Beginn der nächsten Arbeitswoche.
Und er ist, ohne Eigentümer des Unternehmens zu sein, ein Unternehmer
vor dem Herrn. Edmund Bercker sen. schickt ihn in vollem Vertrauen zu
schwierigen Verhandlungen, selbst wenn es um die "Eingeweide" des Hauses
geht, zum Beispiel um Firmenbeteiligungen. Nolden richtet die erste
Frage immer an sich selbst: „Welche Aktion öffnet uns die besten
Chancen?“ Auf diese Weise vergrößert er das Bercker-Terrain im
kunstgewerblichen Bereich, in der Bronzegießerei, erheblich. Bis heute
ist es eine tragende Säule im Firmengefüge.
Die Zusammenarbeit mit Edmund Bercker sen. beschreibt Nolden als ein
Verhältnis wie zwischen Vater und Sohn. Seine Eltern sind bald nach dem
Krieg gestorben. „So war Edmund Bercker für mich wie ein Vater. Nie hat
etwas Böses zwischen uns gestanden“.
Runde Geburtstage und Firmenjubiläen nimmt Bercker zum Anlass für
persönliche Briefe. Zum 40-jährigen Dienstjubiläum schreibt Edmund
Bercker sen.:
„Es hat in diesen vier
Jahrzehnten nicht an geschäftlichen und politischen Ereignissen und
Überraschungen gefehlt. Sie haben diese Schwierigkeiten nicht nur
durchgestanden, sondern sie auch an sehr verantwortlicher Stelle mit
gemeistert. Dafür darf ich Ihnen heute den ganz besonderen Dank sagen.“
Bercker schreibt weiter:
„Ich möchte aber auch Ihre gute persönliche Einstellung zu Ihrem Berufs-
und Aufgabenkreis herausstellen. Wenn ich die Parole Ihres Schaffens
schon immer recht gedeutet habe, so lautet Ihre Devise ´im Beruf
dienen`“.
1981, nach
48 Jahren Dienen, scheidet Josef Nolden hoch angesehen bei Butzon &
Bercker aus. Die guten Beziehungen bleiben. Dr. Edmund Bercker, Sohn des
Seniors Edmund Bercker, wird viele Jahre später über Josef Nolden sagen:
„Altprokurist Nolden hat mit Vater nach dem Krieg den Wiederaufbau
betrieben, er war sein engster Vertrauter, ein sehr loyaler Mensch, der
sich auch zwischen den Generationen bewegte, geradlinig, offen und
ehrlich“.
Und es bleibt Josef Noldens Freude an Gartenbau, Kultur, Kunst und
Reisen. Jährlich unternimmt er, zunächst mit Jan Opgennorth unter dem
Namen „Freunde des Gartenbaues“ und später mit
Ingeborg Eisenbach als „Freunde des Gartenbaues, der Kunst und
Kultur“, bis zu zwei Fahrten. Mitreisende sind hauptsächlich
alleinstehende Frauen. Seit 1980 sind es bereits 31 Studienfahrten.
Diese Eigenschaften schätzt auch der Kirchenvorstand von St. Marien, dem
Nolden ab den 1950er-Jahren bis 1962 angehört. Auch hier sind es die
Finanzen, die ihn anziehen. Es ist die Zeit, als in der Nähe des
Kapellenplatzes alte Häuser abgerissen werden; auf der Liste steht auch
das „Heidelberger Fass“, eine uralte Gaststätte, die allerdings nicht
gleich geschlossen werden soll. Bürger, die das Haus erhalten wollen,
darunter ist Nolden, schaffen es, den Betrieb im „Fass“ ein ganzes Jahr
lang aufrecht zu erhalten, so geht die Zeit über die Abrisspläne hinweg:
Bis heute steht der Bau, wunderschön renoviert, im Ensemble des
Petrus-Canisius-Hauses, worüber Nolden sich bis heute diebisch
freut.
Eine weitere „Freizeitbeschäftigung“: Nolden führt - von 1969 bis 1993
als Aufsichtsratsvorsitzender - die Kevelaerer Glasversicherung, legt,
damals ungewöhnlich genug, das Geld der Versicherten an, kauft
Wertpapiere und vermehrt das Vermögen erheblich. 30 Jahre lang bleiben
die Beiträge unter seiner Führung stabil, seine Finanzkunststücke fangen
die Erhöhung der Versicherungssteuer und der Mehrwertsteuer auf. 1993
gibt er den Vorsitz ab und wird Stellvertreter des neuen
Aufsichtsratsvorsitzenden Ulrich Wolken. Das Amt hat Nolden noch bis ins
hohe Alter.
Auch privat fasziniert ihn Geld. Er ist Mitglied in einem
Investmentclub, der von 1971 bis 1998 existiert und bis zur Auflösung
von
Dr. Karl-Heinz Röser, dem damaligen Stadtdirektor, geleitet wird.
„Geld“, sagt Nolden, „hat mir immer Spaß gemacht“. Knauserig ist er
darum nie gewesen, im Gegenteil: Viele gemeinnützige Organisationen
kennen ihn als großzügigen Spender. Er gibt gern, Geiz ist dem gläubigen
Katholiken fremd.
Zeit seines Lebens ist er ein bejahender Mensch - im Beruf und in seiner
Familie, zu der längst auch drei Kinder gehören. Tochter Bärbel wird
1946 geboren, und Sohn Klaus 1950. Danach wünschen sich Adele und Josef
Nolden ein drittes Kind, doch das lässt auf sich warten. Gemeinsam
pilgert das Paar nach Lourdes. Kurz darauf wird Adele Nolden schwanger.
Ihr Kind, geboren 1955, nennen sie Maria.
Joseph Nolden beim Betrachten der neuen Busmann-Figur auf der Busmannstraße.
„Ich habe immer positiv gedacht“, sagt er in einem Gespräch zwei Jahre
vor seinem Tod. Er ist sicher, „dass mich der Herrgott schon richtig
führt“. Im Jahr 2000 ist er 82 Jahre alt geworden und sagt: „Wie es auch
kommt. Ich vertraue darauf, dass der Herrgott auch in meiner letzten
Stunde bei mir ist“.
Seine Frau Adele (* 1919, † 2013) überlebt ihn um zehn Jahre.
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