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INHALTSVERZEICHNIS |
Der Weg Kevelaers in eine neue Wirtschaftsförderungspolitik
Mit einer ganzseitigen Würdigung verabschiedeten wir den bisherigen Stadtdirektor von Kevelaer, > Dr. Karl-Heinz Röser, der 22 Jahre lang die Stadtverwaltung geleitet hatte. Oberkreisdirektor > Dr. Hans-Wilhelm Schneider nannte Röser einen der letzten Hauptgemeindebeamten, die sich von dem heute eher gefragten Managertyp darin unterscheiden, dass sie ein auf das Ganze gerichtetes Interesse haben. Der OKD hat, wie er später in einem internen Gespräch andeutete, Röser als einen Glücksfall für die Stadt Kevelaer mit ihrem Besonderheiten eingeschätzt. Karl-Heinz Rösers letzter Satz als Stadtdirektor von Kevelaer bezog sich nicht auf Infrastrukturelles oder anderes, was wichtig sein mag. Er wünschte den Kevelaerern „ein langes Leben, Friede und Freude. Und Gesundheit allen“.
Die Ära seines Nachfolgers > Paal begann im Jahr der Kommunalwahl 1984, die wesentliche Kräfteverschiebungen bringen sollte. Die CDU konnte im September 1984 zwar immer noch über 60 Prozent der Stimmen auf sich vereinen, aber mit knapp 27 Prozent schloss die SPD auf, und die Grünen kamen auf beachtliche 7,6 Prozent. Eine kleine Sensation lieferte die FDP: Sie übersprang diesmal die Fünf-Prozent-Hürde und durfte wieder in den Stadtrat einziehen. Die Partei, die von Klaus Sadowski, Mathias Jackowski und Franz Gerhards repräsentiert wurde, war ihm Wahlkampf von Staatsminister Jürgen Möllemann, dem Landesvorsitzenden der FDP, unterstützt worden.
Für Bürgermeister > Karl Dingermann begann seine letzte Legislaturperiode. Schon vor seiner Wiederwahl hatte er, auf einer nichtöffentlichen CDU-Mitgliederversammlung im April, unmissverständlich erklärt, dass „man sich rechtzeitig Gedanken für die Zukunft machen“ solle. Er deutete an, dass er auch zu einem vorzeitigen Ausscheiden bereit sei, wenn das seinem Amtsnachfolger und der Stadt dienlich sei. „Ich bin für alle Gespräche offen, auch für eventuelle Veränderungen innerhalb der nächsten fünf Jahre, nur nicht über diese Zeit hinaus“.
Die eigentliche Sensation der Kommunalwahl fand in Kervenheim statt. Im Schusterdorf, wo die Schuhfabrik Otterbeck und damit der größte Arbeitgeber am Ort unmittelbar vor dem Konkurs stand, gewann die SPD-Kandidatin > Marianne Janssen ein Direktmandat. Es war das erste Mal in der Geschichte der neuen Stadt Kevelaer, dass die CDU nicht sämtliche Wahlbezirke erobern konnte.
Der neue Stadtrat wählte am 19. Oktober 1984 im brechend vollen Ratssaal die politische Spitze. Die CDU-Liste mit Karl Dingermann als Bürgermeister und den beiden Stellvertretern > Hans Broeckmann und Dr. Edmund Bercker wurde nur von den 24 CDU-Mitgliedern unterstützt, während die SPD-Liste mit Marianne Janssen und Wolfgang Funke 15 Stimmen (10 SPD, 3 Grüne, 2 FDP) bekam, was wegen des d’Hondt’schen Höchstzahlverfahrens bedeutete, dass der erste nach dem Bürgermeisterposten zu vergebende Vize an die SPD fiel.
Damit war die zweite Sensation perfekt: Als erste stellvertretende Bürgermeisterin wurde Marianne Janssen, die Direktgewinnerin aus Kervenheim, gewählt - eine Premiere, denn noch nie hatte die SPD Anteil an der politischen Repräsentanz der Stadt Kevelaer gehabt. Hans Broeckmann wurde zweiter stellvertretender Bürgermeister. Dr. Bercker ging, wie auch von der CDU nicht anders erwartet, leer aus.
Der neue Stadtrat hatte vom alten eine schwere Hypothek geerbt, die im Wahljahr 1984 eine beherrschende Rolle spielte. Seitdem die CDU 1979 gegen die Stimmen der SPD einen großen Verbrauchermarkt auf dem Gelände am Schenken verhindert hatte, stand das Großprojekt eines innerstädtischen Einkaufszentrums im Raum. Und seit der Auslagerung des > grafischen Unternehmens Butzon & Bercker ins Gewerbegebiet im April 1981 war die bisher unlösbar erscheinende Grundstücksfrage geklärt: In unmittelbarer Nachbarschaft zum Kapellenplatz bot sich nun ein Großareal an - das B&B-Gelände. Es sollte die Stadtpolitik länger als ein Jahrzehnt beschäftigen.
Die Stadt hatte das Braunschweiger Team Terra/Moos beauftragt, für das B&B-Gelände ein Einkaufszentrum zu konzipieren. Gleichzeitig siedelte sich auf dem riesigen Willems-Gelände am Stadtrand (Feldstraße) der Discounter famka an, der hier einen großen Verbrauchermarkt eröffnete. Wir KB-Journalisten begnügten uns nicht mit den offiziellen Verlautbarungen von Verwaltung und Politik, sondern führten ständig intensive Recherchegespräche mit allen Beteiligten - auch in den beteiligten Unternehmen. Und überdeutlich wurde uns bewusst, dass die Politik der Wirtschaftsförderung in Kevelaer einen unprofessionellen, unklaren Kurs fuhr, bei dem es mehr Verlierer als Gewinner geben würde.
Diese Erkenntnisse sollten schon bald einen schwer wiegenden Entschluss auslösen und zur Gründung einer eigenständigen Firma führen - der WEP Unternehmensberatung Willing, Evers + Partner, die schließlich für die Stadt Kevelaer ein Konzept für moderne Wirtschaftsförderung entwickelte.
Aber zunächst einmal stand das B&B-Projekt des Teams Terra/Moos auf des Messers Schneider. Anders als es im Rathaus geheißen hatte, war Planer Moos wegen des famka-Verbrauchermarkts erschreckt und erzürnt. Er sprach gegenüber dem KB von einer „wettbewerbsverzerrenden Situation“, weil im zugemutet würde, sich auf 800 Quadratmeter für einen Supermarkt im projektierten B&B-Center zu beschränken, während der neue Konkurrent bis zu 1.500 Quadratmeter einrichten dürfe. Das Unternehmen Co-op, mit dem Moos einen entsprechenden Vorvertrag abgeschlossen hatte, würde voraussichtlich auf Neuverhandlung mit der Stadt drängen. Im übrigen laufe in wenigen Monaten der bereits einmal verlängerte Optionsvertrag für Moos aus.
Der unverhüllte Abgesang blieb nicht ohne Wirkung auf die
Ratsmitglieder. Sie ließen im März 1984 Bereitschaft erkennen, das von
ihnen erlassene Limit von 800 Quadratmetern für einen Supermarkt im
projektierten B&B-Center auf 1.500 Quadratmeter anzuheben. Tatsächlich
kam es Ende März 1984 zu dieser Ausweitung.
Damit veränderte der Stadtrat die Voraussetzungen für das B&B-Center gravierend: Zusammen mit den nunmehr 1500 Quadratmetern für einen Lebensmittelmarkt und rund 2000 Quadratmetern für den Non-food-Bereich konnte auf dem B&B-Gelände ein für Kevelaerer Verhältnisse gewaltiges Einkaufszentrum errichtet werden - eine „Dampfwalze“, die die gewachsene Struktur der eher kleinen Inhaber-Geschäfte in der Innenstadt überrollen würde. Sarkastisch fiel mein Kommentar im KB aus: „Endlich wird Kevelaer ein richtiger, großer Supermarkt. Und ich Trottel glaubte bis zuletzt daran, Kevelaer wäre deswegen so schön, weil es noch keiner war“.
Aber Projektentwickler Terra/Moos scheiterte. Im Mai 1984 lief der Optionsvertrag mit der Stadt ergebnislos aus. Kevelaer stand wieder am Anfang - und mit leeren Händen da. Während im Rathaus fieberhaft nach auswärtigen Projektentwicklern und Investoren gefahndet wurde, schrieb ich im KB: „Hier sollten die in Kevelaer schlummernden Kräfte ansetzen: Kevelaerer Investoren, und das können Dutzende von Einzelinvestoren sein, die sich zusammenschließen, und Kevelaerer Architekten, die eine Arbeitsgemeinschaft bilden könnten, haben jetzt eine Chance.“ Aber die wurde ihnen nicht gegeben. Was vorauszusehen war: „Es wird Zeit, daß wir auf die Kevelaerer Krankheit hinweisen, denn sie hat Schaden genug angerichtet. Kevelaerer halten nichts von Kevelaerern - das ist die Seuche.“ Meine Einschätzung sollte sich leider als richtig erweisen.
Im Sommer 1984 gab es für das B&B-Gelände vier Bewerber, drei Auswärtige und einen Kevelaerer, den Architekten und SPD-Ratsherrn > Werner Helmus. In der Politik wurde so getan, als würde Helmus favorisiert. Er hätte die besseren Chancen, weil er durchsetzungsfähig sei und als Kenner der Kevelaerer Wirtschaft ein optimal auf die Stadt zugeschnittenes Projekt entwickeln könne. Helmus, der an die Unterstützung der Stadtverwaltung und seiner Ratskollegen glaubte, unterschrieb einen Optionsvertrag mit der Stadt und sagte zu, bis November zu prüfen, ob er ausreichend viele Mieter für die Ladenlokale finden und die Finanzierung wasserdicht bekommen würde. Dann werde er endgültig entscheiden.
Wichtiger Bestandteil des von Helmus konzipierten B&B-Centers war eine Altenresidenz. Für 23 Altenwohnungen hatte der Investor die Zusage von zwei Millionen Mark an Landesmitteln in der Tasche - eine wichtige Säule in der gesamten Mischfinanzierung des Großprojekts. Die Sache hatte nur einen Haken: Helmus stand unter erheblichem Zeitdruck und musste die Altenresidenz vorab errichten, wenn er die Landesmittel in Anspruch nehmen wollte. Er bat die Stadt um Vorab-Baugenehmigung. Jedes Ratsmitglied war über die Problematik informiert: Helmus musste bis zum 20. November die Pläne fix und fertig in Düsseldorf eingereicht haben, um in den Genuss der Landeszuschüsse zu kommen. Aber die meisten Ratsmitglieder trauten ihm nicht über den Weg und meinten, wenn Helmus per Dringlichkeitsentscheid die Vorab-Genehmigung erhalte, könne er auf die Idee kommen, es bei den Altenwohnungen zu belassen und sich von dem eigentlichen Projekt, dem B&B-Center, verabschieden.
Der Kevelaerer reagierte auf dieses verweigerte Vertrauen seiner Ratskollegen so, wie ich in einem Kommentar schrieb: „Werner Helmus kam sich wohl vor wie ein Monopoly-Püppchen, mit dem Klein-Erna die große deutsche Wirtschaft übt, und beendete das Spiel.“
Die Landesmittel für die 23 Altenwohnungen verfielen, ein Auftragsvolumen von sieben Millionen Mark platzte. Dabei hätte der von Helmus erbetene Vertrauensvorschuss nichts gekostet: Am Rande des B&B-Geländes, in einer Ecke sozusagen, wo nach Ansicht von Fachleuten ohnehin nichts anderes gebaut werden konnte als Wohnhäuser, hatte der Architekt die 23 Altenwohnungen errichten wollen. Die CDU-Mehrheit begründete ihre Ablehnung damit, dass das Großjekt nicht abschnittsweise, sondern „in einem Guss“ verwirklicht werden sollte. Insider sahen das anders: Dem Sozialdemokraten Helmus, der als Investor ein beachtliches Vermögen erwirtschaftet hatte, versperrte die CDU-Mehrheit nur zu gerne den Erfolg in Kevelaer.
Auch dieser Reinfall machte überaus deutlich, dass die Wirtschaftsförderung in der Stadt Kevelaer die Ebene der Dilettanten nicht verlassen hatte. Es gab für die drängende Aufgabe, gezielte Wirtschaftsförderung zu betreiben, niemanden in der Verwaltung und kein Gremium innerhalb der Politik. Und auch der Versuch des SPD-Ratsherrn Heinz Lamers im März 1984, einen Wirtschaftsförderungsausschuss zu bilden, wurde erst einmal belächelt. CDU-Fraktionsvorsitzender Hans Broeckmann meinte, Kevelaer brauche „nicht schon wieder einen Ausschuss“, und eine qualifizierte Beratungsstelle innerhalb der Stadtverwaltung sei ohne erhebliche zusätzliche Personalkosten nicht zu haben.
Unterdessen brannte es in Kervenheim lichterloh. 258 Mitarbeiter der Schuhfabrik Otterbeck in Kervenheim verloren ihren Arbeitsplatz, nachdem Ende November 1984 das Unternehmen in Konkurs gegangen war. Bis Ende des Jahres wurden auch die letzten 125 Beschäftigten im Betrieb Kervenheim und 75 Mitarbeiter in Dinslaken entlassen.
Der Otterbeck-Schock öffnete den Ratsmitgliedern die Augen. Kevelaer konnte so nicht weiterwursteln. Die Stadt brauchte ein Instrument, um die heimische Wirtschaft wirksam unterstützen zu können.
An die später gegründete Wirtschaftsförderungsgesellschaft dachte zu diesem Zeitpunkt allerdings noch niemand.
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© Martin Willing 2012, 2013