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INHALTSVERZEICHNIS |
Die etwas andere Pilgerreise zum Gnadenbild in Kevelaer
Es gehörte schon eine gewisse Risikobereitschaft dazu, sich auf eine solche völlig andere Wallfahrt einzulassen. Als ich dem Rektor der Kirchen am Kapellenplatz, > Richard Schulte Staade, zur Jahreswende 1984/1985 meine Idee einer Motorradfahrerwallfahrt für Kevelaer vortrug, überraschte mich allerdings seine Reaktion nicht wirklich. Der Geistliche, ein Macher vor dem Herrn, zögerte mit seiner Zustimmung keinen Augenblick. Indes, es war Neuland für uns, denn für eine große Motorradfahrerwallfahrt, so wie sie mir vorschwebte, gab es kein Vorbild. Ich kannte die Szene und ihre Leute, die in ihren Lederklamotten nicht dem allgemeinen Bild von frommen Pilgern entsprechen. Würden sie für eine Wallfahrt, die anders ablaufen musste als ein profanes Motorradfahrertreffen, ansprechbar sein? Und wie würden die Kevelaerer auf die Krachledernen auf PS-starken Krädern im Schatten des stillen Heiligtums reagieren?
Seit meinem 18. Lebensjahr fuhr ich schwere Maschinen. In meiner Garage stand 1985 eine Honda Goldwing - die 1200er mit vier Zylindern. Wann immer mir die Arbeit Zeit dafür ließ, jagte ich über die Autobahn. Mit meinen gut 40 Jahren besaß ich noch nicht die Weisheit, es langsamer angehen zu lassen. Der Bolide war trotz seiner hohen Windschutzscheibe gut für Tempo 190, und natürlich lagen die 190 auch an, wenn auf der Autobahn niemand im Weg stand. Schnelles Fahren und Vorsicht müssen sich nicht widersprechen. Noch nie hatte ich einen Unfall gehabt, und auch ernste Gefährdungen waren mir erspart geblieben. Dafür war ich dankbar.
Ich konnte mir vorstellen, dass auch andere Motorradfahrer sich bei der Gottesmutter für den Schutz vor Gefahren bedanken wollten, und arbeitete zunächst ein Konzept für eine zweitägige Wallfahrt aus.
Heinz-Peter Angenendt. Rechts: Gerd Nijstad (ca. 1985).
Entscheidende Hilfe fand ich in Heinz-Peter Angenendt, der von der ersten Stunde an als Cheforganisator der Motorradfahrerwallfahrt wirkte und viele Jahre unersetzlich war. Während sich Heinz-Peter Angenendt um Zeltplatz, Genehmigungen, Ausarbeitung der Routen für Konvoifahrten und vieles mehr kümmerte, sorgte ich mit Flugblättern und Pressemitteilungen dafür, dass die für Ende Juli 1985 terminierte Premiere der Motorradfahrerwallfahrt in den einschlägigen Kreisen bekannt wurde.
Wir hatten keine Ahnung, auf welche Resonanz die Einladung stoßen würde. Im Gegensatz zu Wallfahrten aus einzelnen Pfarreien gab und gibt es bei dieser Motorradfahrerwallfahrt keine natürliche Beschränkung: Jeder ist willkommen, egal woher er kommt. Ob 30 Motorradfahrer erscheinen würden oder 300 - wir wussten es nicht.
Dann war er da, der Tag der Premiere. Sammelpunkt war der Schulhof - später der neue Marktplatz - im Kevelaerer Vorort Winnekendonk: Eintreffen am Samstag, 20. Juli 1985, 15 Uhr - so hieß es in der Einladung. Die ersten Maschinen trudelten ein.
Premiere der Motorradfahrerwallfahrt
im
Jahr 1985: Delia Evers und Martin Willing - Gründer der Wallfahrt -
sowie der spätere Vizebürgermeister Winfried Janssen (l.) warten
auf die
Motorradpilger. Im Vordergrund Willings erste Honda. Delia Evers zog
später ihre eigene Maschine vor - eine Kawasaki.
Nach einer halben Stunde war die Zahl dreistellig. Auch wenn wir uns nicht einmal im Traum die sieben- bis achttausend Maschinen vorstellen konnten, die Jahre später auf den Kapellenplatz rollen würden, wussten wir: Der Anfang war geschafft. Und so sah es auch der Wallfahrtsrektor: „Im nächsten Jahr wird es wieder eine geben.“
Zur dritten Wallfahrt im Juli 1987 wurde der Sammelpunkt vom Neuen Markt in Winnekendonk zum Scholten-Gelände verlegt, dort wo viele der Wallfahrer in Zelten übernachteten. Ein besonders anrührendes Erlebnis war die Taufe des Kindes eines Pilgerpaares. Kaplan Otto Rüter aus Osnabrück, der etliche Motorradfahrer mitgebracht hatte, spendete dem Säugling das Sakrament. Mit dabei waren auch die katholischen Pfarrer Erich Fuchs und Dr. Michael Franke, die natürlich auf ihren Maschinen angereist waren.
1988 - es regnete permanent - wuchs die Wallfahrt auf 500 Teilnehmer mit 350 Motorrädern, 1989 wurden schon 700 Kräder gezählt. Es war das Jahr, in dem Christina und Alissa Myriam, zwei Kinder von zwei Ehepaaren, während der Wallfahrt getauft wurden.
Lichterprozession der Motorrad-Pilger vor dem Gnadenbild in Kevelaer.
Die von Jahr zu Jahr größer werdende Teilnehmerzahl ließ auch die Probleme wachsen. Im Vorfeld der 12. Wallfahrt im Jahr 1996 brachten die Hauptorganisatoren, Gerd Nijstad, Heinz-Peter Angenendt und Hans Hülse, ihre Sorgen zu Papier. Sie waren für alles zuständig und zugleich für nichts weisungsberechtigt. Sie trugen die Verantwortung und hatten sie am Ende doch nicht. Und sie fragten, ob diese Großwallfahrt bei solchen Voraussetzungen noch durchführbar sei?
Ich schaltete mich ein: „Nicht die enorm gewachsene Teilnehmerzahl ist das Hauptproblem, sondern ein Strukturfehler, den wir jetzt reparieren sollten.“ Fast alle Wallfahrergruppen haben einen Pilgerleiter, der selbst oder für die Gruppe als verantwortlicher Veranstalter auftritt und gestalterisch eingreifen kann. Ich schlug vor, das Organisationskomitee als „Pilgerleiter“ zu definieren und ihm die Kompetenz für Gestalt und Inhalt der Motorradfahrerwallfahrt zuzuordnen. Diesem „Pilgerleitergremium“ sollte, so regte ich ferner an, die Rechtsform eines Vereins gegeben werden, „um die Kontinuität sicherzustellen.“
Der Vorschlag fiel auf fruchtbaren Boden. Nach einigen Vorbesprechungen mit dem Priesterhaus kam es Anfang 1996 zur ersten von insgesamt drei vorbereitenden Versammlungen, an denen einige Dutzend Motorradfahrer teilnahmen. Gegründet wurde schließlich der Verein Motorradfahrer-Wallfahrt Kevelaer e.V., dessen einzige Aufgabe es ist, diese Wallfahrt auszurichten. Aktives Mitglied, so wurde in den Statuten festgelegt, kann nur werden, wer im Organisationskomitee konkrete Aufgaben übernimmt; passives Mitglied kann jeder Freund dieser Wallfahrt werden.
Der Verein wurde auf meine Anregung hin als kirchlicher Verein verfasst, dem als geistlicher Beirat und Vorstandsmitglied der Wallfahrtsrektor angehört. Die enge Anbindung an die Kirche war für alle Teilnehmer der Gründungsversammlung selbstverständlich. Der neue Verein bekam mit Gerd Nijstad (Vorsitzender), Hans Hülse und Heinz-Peter Angenendt (Stellvertreter) seinen ersten Vorstand.
Die kirchliche Feier der Vereinsgründung war am Sonntag, 9. Juni 1996. In einem Wortgottesdienst in der St.-Hubertus-Kapelle auf Keylaer baten die Mitglieder des neuen Vereins Motorradfahrerwallfahrt Kevelaer e.V. mit ihrem Präses Richard Schulte Staade um Gottes Segen für diese Wallfahrt. Anschließend wurde mit den Ehrengästen, darunter Bürgermeister Dr. Friedrich Börgers und Stadtdirektor > Heinz Paal, zünftig gefeiert. In meinem Bericht für das Kevelaerer Blatt findet sich auch ein Hinweis auf ihre Fahrzeuge: Der Bürgermeister sei im schnöden Auto, der Stadtdirektor auf seiner Harley Davidson angereist.
Die 12. Motorradfahrerwallfahrt - 1996 - bleibt mir besonders in Erinnerung. Am Samstag Abend, zur Lichterprozession, erlebten wir die Gemeinschaft von zehntausend Menschen auf dem Kapellenplatz. Ich stand irgendwo unter ihnen und dankte dafür, was aus kleinen Anfängen geworden war. Als am Sonntag Hunderte von Motorradfahrern auf dem Kapellenplatz den Schlusssegen empfingen, waren fast alle ganz bei der Sache, sprachen das Gebet mit, freuten sich, wenn ein paar Tropfen Weihwasser auch ihre Maschine berührten. Mitten im Gewühl bat eine junge Frau einen der Geistlichen, ihr ein Andenken zu segnen, der Geistliche tat es, schloss seine Hände um die Hände der Frau, drückte sie sanft. Mitten im Gewühl standen Paare zusammen, umarmten sich, fühlten sich auf unbeschreibliche Weise beschenkt.
Das waren die frohen Botschaften dieser etwas anderen Wallfahrt. Und es gab noch sehr viele mehr. Wohl Hunderte der Teilnehmer nahmen ihre ganz persönliche frohe Erfahrung mit nach Hause - einen Moment der Gottesnähe, ein schönes Gespräch, einen freundschaftlichen Blickkontakt oder ein geselliges Wochenende. Die meisten der Motorradpilger machten keinen Hehl daraus, dass sie selten eine Kirche von innen sehen. Und trotzdem kamen sie in Scharen zum Gnadenbild. Dort fühlten sie sich aufgenommen - ganz so wie sie sind. Es war zu spüren, dass darin Ehrlichkeit lag, die sonntägliche Frömmigkeit nicht vorspielte.
Vor Beginn der dreizehnten Motorradfahrer- Wallfahrt (1997) fuhr ich mit meinem Goldwing- Gespann - inzwischen war es die 1500er mit sechs Zylindern - nach Xanten zum Bischöflichen Büro.
Weihbischof > Heinrich Janssen im Beiwagen des Gespanns von Martin Willing.
Ich verpasste Weihbischof Heinrich Janssen einen Jet-Helm. Ohne Probleme
kletterte der Geistliche in den Beiwagen, schnallte sich wie im Auto an
- und ab ging die Post nach Kevelaer.
Der Bischof, wetterfest und schwarz gewandet wie es bei Bikern und
Geistlichen Sitte ist, brauste mit mir an sonnenbeschienenen Feldern
vorbei. Janssens entspanntes Gesicht signalisierte heftige Freude an
dieser ungewöhnlichen Pilgerfahrt. Wenig später bildeten wir gemeinsam
mit den fleißigsten Helfern und Freunden der Motorradfahrerwallfahrt die
Spitze des Biker-Zugs, der über Lüllingen auf den Kapellenplatz
zurollte. Immer wieder erkannten winkende Bürger am Straßenrand den
gebürtigen Kevelaerer im Motorrad-Beiwagen.
Heinrich Janssen rollte bis in den Windschatten der Gnadenkapelle und war gerade ausgestiegen, als das Regenwasser kübelweise aus dem Himmel kippte. Das Gros der Biker wurde nass bis auf die Knochen. Der Rektor der Wallfahrt, Richard Schulte Staade (traditionell in weißer Allwetterjacke), und Weihbischof Heinrich Janssen begrüßten die Motorradfahrer, beteten und sangen mit ihnen.
Motorradfahrerwallfahrt 1989:
Da war Martin Willings Goldwing noch eine
Solomaschine.
Aber noch jemand sah bei dieser Wallfahrt etwas anders aus als gewohnt. Mit ihrer schwarzen Lederschnürhose, der fetzigen Weste und dem Stirnband war die Nonne auf Anhieb nicht wiederzuerkennen. Schwester Angelika, die in der Zeltstadt auf der Hüls den Workshop „Exodus - Wege in die Freiheit“ leiten sollte, war von einem Biker, der sie als Sozia auf der Begrüßungsfahrt zum Kapellenplatz mitgenommen hatte, angemessen eingekleidet worden. Alle, die an ihrem Workshop teilnahmen, waren begeistert von der jungen Frau, die in Moosbach als Streetworkerin und im Knast mit gestrauchelten Menschen zusammenarbeitet.
Und ein dritter besonderer Gast war 1997 dabei: Zur abendlichen Lichterprozession holte ich meine Mutter Christel Willing, 81 Jahre alt, aus Moers ab. Sie war wohl die älteste Teilnehmerin der Motorradfahrer-Wallfahrt und hatte einen riesigen Spaß. Sie fuhr im Beiwagen die gesamte letzte Ausfahrt des Tages mit - 47 Kilometer. Ungezählte Menschen winkten ihr liebevoll und aufmunternd zu. Eine junge Mutter riss am Straßenrand das Kind, das auf ihrem Arm eingeschlummert war, aus dem Schlaf und zeigte begeistert auf die alte Dame, die da angebraust kam. Später vor der Gnadenkapelle war meine Mutter gerührt von den unglaublich vielen Kevelaerern, die diese Wallfahrt wohlwollend und winkend begleiteten, von der besonderen Atmosphäre auf dem Kapellenplatz und der wunderschönen Musik.
Unvergesslich wurde diese Wallfahrt auch für Petra (28) und Gerd Neukämper (34) aus Bochum, die sich am Sonntag, 20. Juli 1997, während der Motorradfahrerwallfahrt vor der Gnadenkapelle das „Ja“-Wort gaben. Das Paar war von der überwältigenden Atmosphäre sichtbar gerührt. Glockenläuten, das Röhren der heißen Maschinen und ihr Hupkonzert, wildfremde Menschen in unmittelbarer Nähe mit lachenden, aufmunternden Augen, vor der Gnadenkapelle ihre knallrote BMW mit einem kunterbunten Hochzeitsschwanz aus Plastikdosen, Pastor Richard Schulte Staade mit der einfühlsamen Aufforderung, vor allem im Leid zusammenzustehen und auch dabei zu zeigen, dass sie sich „gut leiden“ können. Die jungen Leute mussten heftig schlucken, um die Fassung zu wahren, als sie bekannten, dass sie Freude und Leid teilen wollen. Sie versprachen sich: „Wir werden zusammen alt“. Als die beiden sich küssten, klatschten 20.000 Hände Applaus.
Zur 14. Auflage (1998) kamen siebentausend - trotz Kälte und Regen. Bei dieser Motorradfahrerwallfahrt konzentrierte ich mich auf den Feldgottesdienst am Sonntag Vormittag in der Zeltstadt auf der Hüls. Ein paar Hundert Biker und hinzugekommene Kevelaerer Bürger standen im Matsch. Pastor Michael Wolf aus Rees, Kawasaki-Pilot, probierte das Mikro aus („eins, zwei, drei“) und begann den Feldgottesdienst inmitten der schwarzbunten Schar. Sie wirkte nicht gerade wie die klassische Sonntagsgemeinde. Hinten links saßen auf mitgebrachten Klappstühlen ältere Eheleute in dunkler Kluft. Ein Hund turnte um ihre Füße und fraß Brekkies aus der Hand; ein Baby mit Schnupperwindel krabbelte neben den Bankreihen; etwas weiter vorn verschwand vor dem ersten Lied ein Apfelgehäuse in einer Hosentasche.
Kirche ist nicht alle Tage Sonntag. Hier war Kirche Alltag und ohne festlichen Anstrich für das Äußere. Die Gläubigen saßen und standen, wie sie sich auf den Weg gemacht hatten: In geringelten T-Shirts, in Lederkleidung, mit Hosenträgern und schweren Schuhen. Über diesen Weg, auf den sich jeder einzelne macht, sprach Pfarrer Wolf. Er zitierte einen Satz von Kardinal Ratzinger, der gefragt worden sei, wie viele Wege es zu Gott gebe. Er habe gesagt („... und ich staune darüber, daß er das gesagt hat“): „So viele Menschen es gibt, so viele Wege gibt es.“
„Nur auf den Weg machen muss sich jeder selbst", sagte Wolf, so wie sich die Motorradfahrer zu ihren Ausfahrten auf den Weg machten. Nicht durch das Ziel seien Ausflüge erlebenswert; die Wege zum Ziel - die Reiserouten der Menschen durch ihre Lebenszeit - machten den Wert aus. „Macht Euch auf die Suche!“ sagte der Geistliche: „Gott lässt sich finden“. Eine Weile lang blieb es still auf der Hüls. Dann fingen einige zu klatschen an, alle fielen ein.
Wolf lud die Besucher des Feldgottesdienstes ein, eigene Fürbitten zu sprechen. Es dauerte eine ganze Zeit, bis sich die ersten von vielleicht 15 jungen Leuten nach vorne trauten. Eine Frau bat um eine gesunde Rückkehr von ihren Ausfahrten: „Denn wenn ich in den Morgen fahre, weiß ich nicht, ob ich den Abend sehe“.
Ein Mann wünschte sich, dass die verunglückte Corinna gesund wird. Eine zweite Frau bedankte sich, dass sie mit ihrem Mann nach drei Jahren wieder an der Kevelaer-Wallfahrt teilnehmen könne, weil ihre Mutter auf die Kinder aufpasse. Eine dritte Frau bat für alle, „die in diesem Jahr gekommen sind, weil sie einen netten Ausflug unternehmen wollten - dass sie sich für das kommende Jahr bewusst auf eine Wallfahrt nach Kevelaer freuen“.
Und wieder verlief die Wallfahrt ohne Unfall, ohne Randale, wieder waren die Straßen mit winkenden Kevelaerern gesäumt. Zum ersten Mal führte die abendliche Lichterprozession durch Holland. Den Konvoi leiteten niederländische und deutsche Krad-Polizisten. Zum Schluss dieser Ausfahrt hatte sich der Kapellenplatz eine Dreiviertelstunde lang schon fast vollständig mit Menschen und Maschinen gefüllt, als Richard Schulte Staade bekannt gab: „Das Ende der Schlange passiert jetzt gerade die niederländische Grenze“.
In seiner Begrüßung hatte der Rektor der Kevelaer-Wallfahrt das Gnadenbild in den Mittelpunkt gestellt. Er betonte seine Winzigkeit und Unscheinbarkeit. „Aber nichts ist so klein“, sagte er, „dass Gott nicht etwas Großes daraus machen kann“.
Etwas Großes im Herzen war auch das, was ich am Vortag der Wallfahrt in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung las. Es war das Gedicht von Angelika Haucke (65) aus Rheinhausen, das „Mutter vom Niederrhein“ hieß:
Siehst du von fern den
Kirchturm steh´n
Im flachen Land am Niederrhein,
Siehst du die Menschen zur Wallfahrt geh´n,
In Kevelaer kehren sie ein.
Sie kommen wieder jedes Jahr,
Der Papst aus Rom war auch schon da,
Sie gehen in die Kapelle hinein,
Grüßen Maria, die Mutter vom Niederrhein.
Einmal im Jahr kommen dunkle Gestalten,
Die in der Hand ein Motorrad halten.
Motorradfahrer haben sich auf den Weg gemacht
Und Maria ihren Dank gebracht!
Sie bitten sie um ihren Schutz,
Sie mög´ sie bewahren vor jedem Sturz.
Den Helm in der Hand, gehen sie in die Kirche hinein,
Und ehren Maria, die Mutter vom Niederrhein.
Viele kommen voll Gottvertrauen,
Manche wollen auch nur den Ort anschauen.
Der Mutter Maria sind alle gleich,
Sie mag uns alle, ob arm oder reich.
Das fühlt so mancher im Herzen drinnen,
In der Kerzenkapelle sieht man, ach, Tränen rinnen.
Bei der Lichterprozession im Kerzenschein,
Danken alle Maria, der Mutter vom Niederrhein.
Diesmal war auch das ZDF dabei. Der halbstündige Beitrag („Rallye zu Maria“) spürte feinfühlig den vielfältigen Beweggründen nach, warum so viele Motorradfahrer nach Kevelaer pilgern. Der „dramaturgische“ Trick, sich auf wenige Teilnehmer zu beschränken und diese vom Start zu Hause bis zur Rückfahrt zu begleiten, wies die Journalistin als erfahrenen Profi aus. Der Kameramann, der weite Sentenzen des Films vom fahrenden Motorrad aus drehte und die Dynamik, aber auch den besonderen Reiz dieser Wallfahrt wiederzugeben verstand, leistete ebenfalls hervorragende Arbeit. Das zuschauende Millionen-Publikum bekam auch Einblicke in die über 350-jährige Kevelaer-Wallfahrt.
Hans Hülse löste 1998 den Vorsitzenden des Trägervereins der Wallfahrt, Gerd Nijstad, ab, der wegen beruflicher Belastung ins zweite Glied zurücktreten wollte. 1999 wurde die Zeltstadt erneut verlegt - von der Hüls zu einem Gelände zwischen Wemb und Twisteden. Auf der Hüls war es nach einer Schulerweiterung zu eng geworden.
In der Zeltstadt boten Delia Evers und ich am Nachmittag einen Workshop > Maria Kevelaer 2000 an. Wir wollten die Pilger auf das Ziel der von uns ins Leben gerufenen Laienbewegung aufmerksam machen, am 31. Mai 2000 die Gottesmutter als Schutzpatronin der Stadt Kevelaer auszurufen.
Das Honda-Gespann von Martin Willing mit dem Banner der Bewegung Maria Kevelaer 2000 - fahrtwindtauglich hergestellt aus reißfester Folie.
Der nun größere Zeltplatz war dringend nötig: Weit über viertausend Maschinen wurden zur 15. Motorradfahrerwallfahrt gezählt. Sie bildeten einen Konvoi von 30 Kilometern Länge. Zur Lichterprozession traf gegen 21 Uhr die Spitze des Konvois ein, dann dauerte es noch anderthalb Stunden, bis das polizeiliche Blaulicht auftauchte und das Ende der Kolonne anzeigte. Das kraftvoll begrüßende Glockenläuten aus dem Basilikaturm verstummte, die letzten Maschinen wurden abgestellt. Fast lag Stille über dem Platz. Die Abendandacht vor der Gnadenkapelle mit Pastor Eisenmenger zog die Menschen in ihren Bann. Kaum jemand konnte sich erinnern, dass es im Heiligen Bezirk bei der Motorradfahrerwallfahrt je so viele andächtige Menschen gegeben hatte. Sie hörten die Geschichte von Jesus mit den wahren Brüdern und Schwestern.
Es ging schon auf Mitternacht zu, als die Biker zum Übernachtungsplatz am „Lieven Heer“ aufbrachen, wo sie ihre zweitausend Zelte aufgeschlagen hatten.
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© Martin Willing 2012, 2013