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Es
begann in Fatima und reifte in Altötting
Von Martin Willing
Zu den elenden Begleiterscheinungen des Journalistenberufs zählt die fast vollkommene Abwesenheit von Privatsphäre. Wo immer der Journalist auftaucht - er scheint ständig im Dienst zu sein. Selbst wenn er einer heiligen Messe beiwohnt, dann offenbar deswegen, weil es einen Anlass für eine Berichterstattung gibt. Um diese unangenehme Seite meines Berufs besser zu ertragen, wurde es mir im Laufe der Jahre zur Gewohnheit, in den Städten, in denen ich als Journalist bekannt „wie ein bunter Hund„ war, nicht als Privatmann aufzutreten. Das bedeutete auch, dass ich sogar an meinem Wohnort, dem Stadtteil Winnekendonk, am kirchlichen Leben nicht teilnahm.
Es war wie eine Rückkehr zu meinen religiösen Wurzeln, als ich 1997 damit begann, in Marienwallfahrtsorte zu reisen und darüber in einer großen Serie („Spurensuche Maria Kevelaer„) im Kävels Bläche zu berichten. Es waren Ein-Mann-Pilgerfahrten - nach Fatima und Altötting im Jahr 1997, Marpingen, Mettenbuch, Wigratzbad und Heroldsbach 1998, Marienfried und Heede 1999, Tschenstochau, Maria Einsiedeln, Telgte und Scherpenheuvel im Jahr 2000, erneut Marpingen, Luxemburg, Mariazell und ein zweites Mal Fatima 2001, Dietrichswalde in Polen 2002 und Medjugorge in Bosnien-Herzegowina im Jahr 2007.
Dem sachkundigen Leser fällt in der Liste der besuchten Wallfahrtsorte sicherlich auf, dass einige unter ihnen kirchlich nicht anerkannt sind, jedenfalls nicht was die berichteten Marienerscheinungen betrifft. Mich interessierten auch diese Wallfahrtsstätten, weil ich glaubte und bestätigt fand, dass man von ihnen am besten lernen konnte, worauf es in einem Marienwallfahrtsort ankommt.
Wichtige Erkenntnisse gewann ich in Fatima (Portugal) und Altötting (Bayern). Auf der Fahrt im Reisemobil ins über 2.650 Kilometer entfernte Fatima hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Es war Februar 1997, als ich wie verloren auf dem riesigen Platz vor der Fatima-Basilika stand. Erst fünf Jahre danach erlebte ich an der selben Stelle, wie dieser Platz lebt, wenn hier Hunderttausende Pilger beten und ihre brennenden Kerzen während der Lichterprozession zum Himmel heben. Jetzt aber war ich fast allein an der Gnadenstätte.
„Auf der Rückreise kam mir in den Sinn, dass solche Wallfahrtsorte ein Gnadengeschenk sind, das wir schützen müssen, wenn es für uns und unsere Nachfahren erhalten bleiben soll„, schrieb ich in meinem Buch über die Bewegung Maria Kevelaer 2000. „Mitten in einem solchen 'Geschenk' wohnen wir Kevelaerer - was für ein Vorzug und was für eine Aufgabe! Aber bis dieser Gedanke zu einer Idee für eine Bewegung heranreift, wird es Herbst. Der Tag, an dem Maria Kevelaer 2000 klar vor Augen steht, ist der 7. November 1997, ein Freitag, an dem ich wieder einmal einen Abend auf einem Parkplatz im Reisemobil verbringe: In Altötting„.
Zuvor hatte ich noch Marpingen besucht, jenen Wallfahrtsort im Saarland, der von dem britischen Historiker David Blackbourn durch sein im selben Jahr in Deutschland erschienenes Buch „Wenn ihr sie wieder seht, fragt wer sie sei„ ins Rampenlicht geholt worden war. Die Feuilletons aller großen Zeitungen befassten sich 1997 mit dem Buch über das verhinderte „deutsche Lourdes„.
Die ausgeschlafenen Stadtväter von Marpingen organisierten eine Pressekonferenz mit dem gefeierten Buchautor. Ich nutzte die Gelegenheit und fragte Blackbourn, was er von den von ihm so vorzüglich beschriebenen Marienerscheinungen während des Kulturkampfs in Preußen halte. Blackbourn ließ in seiner Antwort keinen Zweifel daran offen, dass sein Interesse nur den kulturpolitischen Entwicklungen gelte und er an Marienerscheinungen nicht glaube. Damit befand er sich in guter Gesellschaft: Das für eine Bewertung der Vorgänge im Saarland zuständige Bistum hatte die berichteten Marienerscheinungen als unglaubwürdig eingestuft. Eine Anerkennung ist Marpingen bis heute versagt geblieben.
Ich reiste wiederholt nach Marpingen und war auch im Herbst 1999 vor Ort, nachdem erwachsene Seher den Tag und die Uhrzeit angekündigt hatten, an dem die Gottesmutter zu ihnen im Härtelwald an der dortigen Gnadenkapelle sprechen würde. Tatsächlich ereignete sich an jenem Tag etwas Spektakuläres: Tausende Menschen standen oder knieten im aufgeweichten Waldboden, beteten den Rosenkranz, sangen fromme Lieder und erlebten wie an vielen Gnadenstätten der Welt eine besondere Nähe zum Himmel. Ich stellte mir die dürftig besuchten Gotteshäuser vor und fragte mich, warum die Menschen ausgerechnet hier am verschlammten Bergabhang jene Wärme suchten, die sie in den geheizten Kirchen kaum fanden.
Als ich 1997 Altötting besuchte und am Abend des 7. November in meinem Reisemobil noch etwas arbeitete, war die Idee von „Maria Kevelaer 2000„ auf einmal da. Der Weg lag klar vor Augen, in Kevelaer eine Laien-Bewegung ins Leben zu rufen, die sich - wie ich in Fatima formuliert hatte - des Gnadengeschenks bewusst ist und Konsequenzen daraus zieht. Das Ziel dieser Bewegung sollte sein, zur Jahrtausendwende die Stadt Kevelaer der Gottesmutter zu weihen. Obschon seit 1642 Wallfahrtsort, war in Kevelaer Maria nicht zur Patronin ausgerufen worden, so wie es zum Beispiel die Luxemburger bereits 1666 getan hatten.
Für Marienweihen gibt es viele Vorbilder, aber für das, was wir beabsichtigten, lieferte die Geschichte kein Beispiel. Früher vollzogen Landesfürsten, Bischöfe oder Pfarrer Marienweihen, sicherlich von vielen Gläubigen gewollt, aber nicht von ihnen verantwortet. Es sollte die erste Marienweihe einer Stadt werden, die von aufgeklärten Laien vorbereitet und von ihnen bewusst vollzogen wurde.
© Martin Willing 2012, 2013