Oberin des Elisabeth-Konvents in Aurich | * 1939 | † 2021
Schwester Maria Magdalena, die bis zum 31. Juli 2018 den kleinen Konvent der Schwestern von der Heiligen Elisabeth am Georgswall in Aurich geleitet hat, kam am 30. Juli 1939 im DDR-Kreis Eisenach zur Welt. Ab 2006 arbeitete sie als Nachfolgerin von Schwester Agatha in Aurich.
Dabei war M. Magdalena zunächst nicht sonderlich begeistert von der nordwestdeutschen Kreisstadt.
Als seinerzeit die Stelle der Oberin neu besetzt werden musste, wurde M. Magdalena gefragt, ob sie sich einen Wechsel von Ützdorf am wunderschönen Liepnitzsee nördlich von Berlin nach Ostfriesland vorstellen könne.
Sie mochte das Ferienhaus dort, in dem sie als Oberin in herrlicher Natur Kinder, Jugendliche und Erwachsene beherbergte.
“Das Dorf hatte 35 Einwohner: drei Förster, ein paar Rentner und uns drei Schwestern”, erzählte Sr. M. Magdalena in einem Interview lächelnd. Alles war beschaulich. Sie hätte bleiben können. “Aber ich habe einmal ‘Ja’ gesagt”, berichtete sie und nahm wie schon in den Jahrzehnten zuvor die Aufgaben an, die sich ihr stellten.
“Ich habe erst einmal in einem Atlas nachgeguckt, wo Aurich liegt”, gestand sie. Dann war sie plötzlich Opfer dieses Ohrwurms: “An der Nordseeküste, am plattdeutschen Strand, da sind die Fische im Wasser und selten an Land.” Der geistsprühende Liedtext entfaltete nicht gerade Sogwirkung auf die Schwester, die im thüringischen Kreis Eisenach zu Hause war. Und dann las sie, die von Aurich zuvor nie gehört hatte, gleich zweimal hintereinander in der Zeitung von Unglücksfällen in der Kreisstadt. “Das fing ja gut an!”
Als sie hier war, fand sie die Häuser zum Verwechseln ähnlich, nichts Helles und Buntes wie in Ützdorf: nur rote Klinker und rote Dächer, grüne Türen und weiße Fensterrahmen. “Einmal musste ich zum Moorweg und fuhr los.” Sie hatte keine Ahnung, dass hier jede größere Häuseransammlung einen eigenen Moorweg hat und landete im falschen Dorf. Doch bald gewöhnte sie sich ein, freute sich an der lebendigen St.-Ludgerus-Gemeinde und der ebenso lebendigen Pfarreiengemeinschaft, hatte irgendwann heraus, dass alle den Pfarrer duzten, und tat ihre Arbeit, wie sie sie seit langem kannte.
Dabei hatte in den 1950er-Jahren bei dem jungen Mädchen, das damals noch Elisabeth Döring hieß und im DDR-Kreis Eisenach unmittelbar an der Grenze zum westdeutschen Hessen lebte, nichts auf einen Klostereintritt hingedeutet. Wohl war sie in einem katholischen Elternhaus aufgewachsen. Vater Edmund, ein Schuhmacher, Mutter Christina, eine Schuhverkäuferin, und die acht Kinder gingen sonntags zur Kirche, obwohl dieser Gang in der DDR alles andere als selbstverständlich war. Wer sich zu seinem Glauben bekannte, brauchte ein dickes Fell und machte sich keine Hoffnung auf Karriere. Weiter kam nur, wer in der Partei war und an der Jugendweihe teilgenommen hatte.
Doch zunächst hatte die Familie ganz andere Sorgen. Wenige Monate nach Elisabeths Geburt war der Vater zum Kriegsdienst eingezogen worden. Während dieser Jahre musste die Mutter allein für das Töchterchen und drei ältere Geschwisterkinder sorgen.
Mutter Christina hielt zudem die Schusterwerkstatt mit Hilfe eines russischen Zwangsarbeiters aufrecht (der sich später für die faire Aufnahme in der Familie sehr bedankte).
Nach ihrer achtjährigen Grundschulzeit wurde die junge Elisabeth im “Konsum” zur Drogistin ausgebildet, arbeitete in Mühlhausen und Eisenach und wechselte später, da im Drogistenberuf keine Planstelle frei war, in die Konsum-Verwaltung in Treffurt, lernte Buchführung und erledigte die Lohnabrechnungen für die Kellner, die in der genossenschaftseigenen Gastronomie arbeiteten.
Mit Achtung sprach sie Jahrzehnte später über ihren Bruder Hermann, der als Jugendlicher in einer lebensgefährlichen Aktion über die Grenze in den Westen geflohen war und sich dem Orden der Redemptoristen angeschlossen hatte.
Ein tiefes Erlebnis gab ihrem Leben eine andere Ausrichtung. Sie besuchte in Erfurt Feierlichkeiten zu Ehren der Elisabeth von Thüringen. Die junge Frau war mit den Geschichten rund um die Heilige der Nächstenliebe aufgewachsen und hörte während einer Aufführung einen Gesang. “Der war so schön!” Den Text behielt sie im Herzen: “Komm’, du meine Freundin.” Später sagte sie: “Es war, als wenn es gefunkt hätte.”
Bald darauf hatte Elisabeth Döring eine Woche Urlaub. Zu Hause sagte sie: “Mutter, ich fahr’ jetzt mal weg.” Sie wollte Klöster besuchen, um Klarheit über ihre Zukunft zu gewinnen. Im Hospital des Klosters der Schwestern von der Heiligen Elisabeth in Halle bot ihr jemand an: “Wir können jemanden im Labor gebrauchen.” Elisabeth kündigte beim Konsum mit der klugen Begründung: “Ich kann mich in meinem früheren Beruf als Drogistin weiterbilden.” Weiterbildung zog in der DDR immer. “Nach 14 Tagen war ich weg.”
Niemand hatte von den Plänen wissen dürfen. “Wir haben das ganz geheim gehalten.” Sonst wäre Elisabeths Klostereintritt gefährdet gewesen.
Im Mai 1962 begann sie ihr Noviziat in Halle.
Als die Parteisekretärin in Elisabeths Heimatstadt herausfand, dass die “Weiterbildung” einem Kloster zugute kommen würde, stellte sie Elisabeths Eltern empört zur Rede. Mutter Christina sagte ruhig: “Ob Elisabeth nun in einem langen oder in einem kurzen Kleid den Menschen dient, ist doch egal.” Dabei blieb es.
Bei ihrer Einkleidung am 24. April 1963 erhielt die junge Frau aus Treffurt den Namen Maria Magdalena; am 17. Oktober 1969 war die Feier ihrer Ewigprofess.
Die junge Schwester begann ihre zweijährige Ausbildung zur medizinisch-technischen Assistentin im klinisch-chemischen Labor einer staatlichen Fachschule in Halle. Ihr Spezialgebiet: Hämatologie. Im Oktober 1967 war sie fertig. Sie trug ihr Ordenskleid ohne jede Anfeindung durch Mitschüler.
Über Jahre arbeitete sie, unterbrochen von “Springer”-Einsätzen in anderen Kliniken, am St.-Elisabeth-Krankenhaus, das ihrem Orden ebenso angegliedert war wie das St.-Barbara-Krankenhaus, in dem sie ab März 1973 als Laborantin tätig war.
Bald wurde sie zur Leiterin des Labors ernannt und trug nun auch Veranwortung für das Personal. Sie meisterte alle Aufgaben. Ihr Führungsstil war nicht auf Macht aus, sondern auf Miteinander und Nächstendienst.
Das qualifizierte sie für höhere Aufgaben. Am 12. Juni 1978 trat sie das neu geschaffene Amt einer Krankenhausoberin an. Trotz der zusätzlichen Verpflichtungen stand sie weiterhin im Labor und tat nachts und an Wochenenden Bereitschaftsdienste.
Sie selbst sah sich als “Mädchen für alles”.
Im Elisabeth-Konvent unterstützte sie die Oberin. Die Mitschwestern vertrauten ihr. Immer wieder wurde sie zur Ratsschwester gewählt.
20 Jahre lang leistete sie ihre Dienste als Krankenhausoberin.
In diese Zeit fiel die Wende. Weihnachten 1989 fuhren alle Döring-Geschwister unabgesprochen zum Elternhaus nahe der inner-deutschen Grenze. Sie gingen zu den Befestigungsstreifen. “Wir nahmen uns alle ein Stück Zaun und machten einen Kaninchenstall oder sonstwas daraus.”
1998 bekam sie ihre Berufung nach Ützdorf. Dort wurde eine Oberin gebraucht. Sie fühlte sich wohl in der Gegend, überall war Wasser: “Das war so klar. Wir hatten ein Boot und konnten schippern”; es gab eine Feuchtwiese mit wilden Orchideen, dazu Seggen und Moorgehölze. Die Kinder- und Jugendgruppen, die zu religiösen Wochen kamen, hatten viel zu erleben – in der Natur, bei Spielen und Wanderungen. Sie war gern für die Kinder und Jugendlichen da. Auch Ältere kamen und fanden bei Schwester M. Magdalena ein offenes Ohr. Sie hörte vor allem zu.
Neun Jahre blieb sie, bis der Ruf nach Aurich kam. Hier stand sie dem kleinen “Drei-Schwestern-Konvent” am Georgswall vor. Tat der Wechsel ihr Leid? “Ich war überall gern”, sagte sie einmal – und knüpfte nahtlos an, besuchte mit ihrem stadtbekannten, blauen Uralt-Polo ohne Servolenkung ältere Menschen und schenkte ihnen wieder Ohr und Herz.
Ihre Lebensauffassung war einfach und schön: “Was anliegt, das mache ich.”
Egal, wo sie wirkte: Sie ließ sich vom Schicksal anderer Menschen berühren, sie saß neben ihnen, hörte zu, war nie ungeduldig, nie wissbegierig und nie auf eigene Statements aus. Ihr Trost lag für viele allein darin, dass sie sich ruhig und hingewendet auf Menschen einließ, so ruhig und hingewendet und still, dass der Trost mitunter ohne Worte auskam.
Am Sonntag, 4. Mai 2014, feierte sie in Aurich unter großer Beteiligung ihr Goldenes Ordensjubiläum.
Am Mittwoch, 30. Juli 2014, gratulierten ihr zahlreiche Gemeindemitglieder zu ihrem 75. Geburtstag im Garten des Schwesternhauses. Anwesend war aus ihrer Familie Bruder Hermann, der in der Ordensgemeinschaft der Redemptoristen in Bottrop lebt.
Im Frühjahr 2018 stürzte Schwester Magdalena und brach sich eine Schulter. Die Ordensleitung in Berlin nahm den Unfall zum Anlass, den Konvent aus Fürsorgegründen zu schließen. Am 29. Juli 2018 verabschiedete die Pfarreiengemeinschaft die drei Schwestern Magdalena, Claudia und Franziska mit einer großen Feier. Am 31. Juli 2018 war der Konvent Geschichte.
Schwester Magdalena wurde nach Dresden in eine Ordenseinrichtung versetzt. Dort stürzte sie erneut. Ein Oberschenkelhals brach. Fortan verbrachte sie ihre Zeit weitgehend im Bett der Pflegestation des Schwesternhauses.
Mitte November 2021 litt sie zunehmend an Fieberschüben. Am 25. November ließ die Konventleitung sie in das nahe Krankenhaus verlegen. Nach wenigen Tagen war sie nicht mehr ansprechbar.
Am 7. Dezember wollte die Ordensleitung M. Magdalena daher zurück in den Kreis der Schwestern holen. Dazu kam es nicht mehr.
Am Morgen dieses Tages starb Schwester M. Magdalena im Alter von 82 Jahren im St.-Joseph-Stift in Dresden. Sie wurde am 16. Dezember im Kreis ihrer Mitschwestern, ihrer Familie und ehemaliger Kollegen aus Halle sowie zweier Privatpersonen aus Aurich beerdigt. Die Pfarreiengemeinschaft aus Ostfriesland, die M. Magdalena so viel zu verdanken hat, war nicht vertreten. Sie feierte am Bestattungstag in St. Ludgerus eine Heilige Messe für die Schwester.
Links zu Schwester M. Magdalena
07 | 2014 Der 75. Geburtstag
07 | 2018 Abschied Konvent aus Aurich
11 | 2019 Erster Besuch aus Aurich
10 | 2021 Zweiter Besuch aus Aurich
12 | 2021 Nachricht von M. Magdalenas Tod
12 | 2021 M. Magdalenas Beerdigung
12 | 2021 Erinnerungen von Weggefährten
12 | 2021 Persönliche Nachlese