|
|
|
Eröffnungsfeiern im Wandel der Zeit
Der Schrein mit den
Reliquien wird von Brudermeistern der
Consolatrix
Afflictorum in die
Pax-Christi-Kapelle
getragen.
1959 erschien kurz vor Beginn der neuen Wallfahrtszeit eine mit dicken
schwarzen Balken umrandete Anzeige auf der ersten Seite des Kävels
Bläche, aufgegeben von den Vorständen der katholischen Vereine und
Bruderschaften Kevelaers:
Kevelaer ist der größte
deutsche Wallfahrtsort. In der Mitverantwortung und der Mitsorge um den
guten Ruf und die Erhaltung der jahrhundertealten katholischen Tradition
unserer Marienstadt bitten wir unsere Mitglieder und alle Kevelaerer
Bürger, persönlich mitzuwirken, daß folgenden Grundsätzen in der
Oeffentlichkeit Geltung verschafft wird:
1. In der Wallfahrtszeit haben wir
Kevelaerer den Pilgern zu dienen! Ihnen zuvorkommend und hilfsbereit zu
begegnen, ist unsere vornehmste Pflicht.
2. Kapellenplatz und Kreuzweg sind
Stätten des Gebetes. Das verlangt von uns Ehrfurcht und Rücksichtnahme.
3. Der Aufenthalt in diesen Bezirken
setzt anständige Kleidung und ordentliches Benehmen voraus.
4. Ruhestörender Lärm und
Veranstaltungen, die dem Charakter Kevelaers als Wallfahrtsort
widersprechen, müssen unterbleiben.
5. Rücksichtnahme und taktvolles
Verhalten gegenüber Prozessionen und betenden Pilgern ist oberstes Gebot
für jeden Verkehrsteilnehmer.
6. Auch im Geschäftsleben dienen wir
zunächst den Pilgern. Darum dürfen unser Angebot und unsere
Schaufensterauslagen dem christlichen Gewissen und einem gesunden
Geschmack nicht widersprechen.
Diese
Anzeige aus dem Jahr 1959, die man vielleicht in Erwartung antiquierter
Ermahnungen mit einem Lächeln zu lesen begonnen hat, bringt auf den
Punkt, was auch heute gilt: Die Wallfahrt und ihre Pilger müssen
geschützt werden! Heute drohen zwar keine Verbote wie unter der
französischen Besatzung, keine massiven Behinderungen wie im preußischen
Kulturkampf, keine Vernichtung wie in der Nazi-Zeit, aber dafür
abstoßende Gleichgültigkeit: Betende Menschen, die auf zugestellten
Pilgerwegen zwischen Café-Tischen und Klamotten-Ständern Spießruten
laufen müssen, nehmen ein gestörtes Verhältnis zu Kevelaer mit nach
Hause.
Einwohner und ihre pilgernden Gäste schätzten sich glücklich, als sie
1815 mit dem Abzug der Franzosen und der Rückkehr unter preußische
Staatsverwaltung wieder in einem freien Wallfahrtsort leben durften, wo
„die alten Zeiten, Gebräuche und Gewohnheiten zurückkehren“ (Pastor
Krickelberg):
Jeder dankt Gott, Jeder sucht nun die getahenen Gelübde zu lösen; man strebt die Himmels-Königin, die Trösterin der Betrübten, öffentlich zu verehren, ihr Lob, wie früher, feierlich zu verkündigen; man beeilt sich, seine Noth und sein Anliegen ihr vorzutragen und zu empfehlen; und so strömen in diesem Jahre die Prozessionen, von den Geistlichen begleitet, aus der Nähe und aus der Ferne, namentlich aus dem kölnisch-jülischen Lande, aus Westphalen und Holland nach Kevelaer herbei.*
Bis 1958
begann die Wallfahrtszeit immer an Peter und Paul (29. Juni). Die
Eröffnung im Jahr 1924 war die bedeutendste der Neuzeit, denn „an diesem
Tage wurde unserem Mariendom der Ehrentitel ‚Basilika‘ verliehen!“ (KB
vom 2.7.1924).
[Die Erhebung zur Basilika war allerdings bereits 1923; gefeiert wurde
sie erst 1924:
Marienbasilika Kevelaer.]
Noch in den 1930er-Jahren konnte jeder die nahende Wallfahrtszeit daran
ablesen, dass auf dem Kapellenplatz Verkaufsbuden aufgebaut wurden.
Während des Winters gab es hier diese mobilen Devotionalienstände nicht.
In der Nazi-Zeit wurden sie aus durchsichtigen Gründen verdrängt. Nach
dem Krieg blieben die Buden verschwunden. Inzwischen hatten sich entlang
der Pilgerwege leistungsfähige Fachgeschäfte eingerichtet, die seitdem
die Versorgung der Pilger mit Andenken übernehmen.
1958 begann die Wallfahrt erstmals am 1. Juni (eröffnet durch den
Erzbischof von Peking, den Chinesen Thomas Tien). Die Vorverlegung wurde
mit dem Stiftungstag der Wallfahrt (Einsetzung des Gnadenbildes,
1.6.1642) begründet. Etwas bemüht klang die zweite Begründung: Am 1.
Juni 1858 sei der erste Spatenstich für die heutige Basilika erfolgt.
Wallfahrtseröffnung 2007:
Erzbischof em. Ludwig Averkamp, Pfarrer Stefan Zekorn und Jan Klucken,
heute Diakon.
Nach dieser grundlegenden Terminverschiebung griff 1972 eine
Rathausentscheidung in die Gewohnheiten der Kevelaerer massiv ein: Zur
Wallfahrtszeit wurden die wichtigsten innerstädtischen Straßen zu
Einbahnstraßen erklärt: Die Hauptstraße (heute fußläufig) durfte nur
noch in Richtung Basilika befahren werden, die
Amsterdamer Straße
ebenso, die Maasstraße in Richtung Wember Straße, die Busmannstraße in
Richtung Rathaus, die Willibrordstraße in Richtung Annastraße, die
Annastraße in Richtung Venloer Straße, die Venloer Straße ab
Johannesstraße in Richtung Maasstraße. Die Einbahnstraßenregelungen
gelten, im Wesentlichen, auch heute noch.
1975 wurde die Wallfahrtszeit durch Rektor
Richard Schulte
Staade noch einmal ausgedehnt. Sie erstreckt sich seitdem vom 1. Mai
bis zum 1. November (Allerheiligen). Die Entscheidung war weitsichtig,
denn der nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil zunächst eingetretene
„Rückschlag“ für Formen der Volksfrömmigkeit - die Pilgerzahlen sanken
in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre dramatisch ab - wirkte sich nicht
lange aus. Die Pilgerströme schwollen wieder an und erreichten zur
Wallfahrtseröffnung im Jahr 1987 mit dem Papstbesuch ihr Allzeithoch.
Wallfahrtseröffnung 2008 mit
Kardinal Joachim Meisner.
Ohne die zeitliche Streckung auf volle sechs Monate hätte die schon
immer ausgebuchte Kernzeit (September/Oktober) den Aufschwung des
Pilgeraufkommens nicht verkraften können. Die Pilgerpastoral wäre ebenso
überfordert gewesen wie das Dienstleistungsgewerbe. Durch geschickte
Terminierung konnten neue Wallfahrten (
Motorradfahrer,
Tamilen) in
die ansonsten ereignisärmere Sommerzeit gelegt werden - mit Erfolg:
Beide „Neulinge“ sind heute die größten Einzelwallfahrten.