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Wallfahrtseröffnung in Kevelaer

Eröffnungsfeiern im Wandel der Zeit

Wallfahrtseröffnung 1983
Der Schrein mit den Reliquien wird von Brudermeistern der Consolatrix Afflictorum in die Pax-Christi-Kapelle getragen.

1959 erschien kurz vor Beginn der neuen Wallfahrtszeit eine mit dicken schwarzen Balken umrandete Anzeige auf der ersten Seite des Kävels Bläche, aufgegeben von den Vorständen der katholischen Vereine und Bruderschaften Kevelaers:

Kevelaer ist der größte deutsche Wallfahrtsort. In der Mitverantwortung und der Mitsorge um den guten Ruf und die Erhaltung der jahrhundertealten katholischen Tradition unserer Marienstadt bitten wir unsere Mitglieder und alle Kevelaerer Bürger, persönlich mitzuwirken, daß folgenden Grundsätzen in der Oeffentlichkeit Geltung verschafft wird:

1. In der Wallfahrtszeit haben wir Kevelaerer den Pilgern zu dienen! Ihnen zuvorkommend und hilfsbereit zu begegnen, ist unsere vornehmste Pflicht.

2. Kapellenplatz und Kreuzweg sind Stätten des Gebetes. Das verlangt von uns Ehrfurcht und Rücksichtnahme.

3. Der Aufenthalt in diesen Bezirken setzt anständige Kleidung und ordentliches Benehmen voraus.

4. Ruhestörender Lärm und Veranstaltungen, die dem Charakter Kevelaers als Wallfahrtsort widersprechen, müssen unterbleiben.

5. Rücksichtnahme und taktvolles Verhalten gegenüber Prozessionen und betenden Pilgern ist oberstes Gebot für jeden Verkehrsteilnehmer.

6. Auch im Geschäftsleben dienen wir zunächst den Pilgern. Darum dürfen unser Angebot und unsere Schaufensterauslagen dem christlichen Gewissen und einem gesunden Geschmack nicht widersprechen.

Diese Anzeige aus dem Jahr 1959, die man vielleicht in Erwartung antiquierter Ermahnungen mit einem Lächeln zu lesen begonnen hat, bringt auf den Punkt, was auch heute gilt: Die Wallfahrt und ihre Pilger müssen geschützt werden! Heute drohen zwar keine Verbote wie unter der französischen Besatzung, keine massiven Behinderungen wie im preußischen Kulturkampf, keine Vernichtung wie in der Nazi-Zeit, aber dafür abstoßende Gleichgültigkeit: Betende Menschen, die auf zugestellten Pilgerwegen zwischen Café-Tischen und Klamotten-Ständern Spießruten laufen müssen, nehmen ein gestörtes Verhältnis zu Kevelaer mit nach Hause.

Einwohner und ihre pilgernden Gäste schätzten sich glücklich, als sie 1815 mit dem Abzug der Franzosen und der Rückkehr unter preußische Staatsverwaltung wieder in einem freien Wallfahrtsort leben durften, wo „die alten Zeiten, Gebräuche und Gewohnheiten zurückkehren“ (Pastor Krickelberg):

Jeder dankt Gott, Jeder sucht nun die getahenen Gelübde zu lösen; man strebt die Himmels-Königin, die Trösterin der Betrübten, öffentlich zu verehren, ihr Lob, wie früher, feierlich zu verkündigen; man beeilt sich, seine Noth und sein Anliegen ihr vorzutragen und zu empfehlen; und so strömen in diesem Jahre die Prozessionen, von den Geistlichen begleitet, aus der Nähe und aus der Ferne, namentlich aus dem kölnisch-jülischen Lande, aus Westphalen und Holland nach Kevelaer herbei.*

Bis 1958 begann die Wallfahrtszeit immer an Peter und Paul (29. Juni). Die Eröffnung im Jahr 1924 war die bedeutendste der Neuzeit, denn „an diesem Tage wurde unserem Mariendom der Ehrentitel ‚Basilika‘ verliehen!“ (KB vom 2.7.1924).

[Die Erhebung zur Basilika war allerdings bereits 1923; gefeiert wurde sie erst 1924:
Marienbasilika Kevelaer.]

Noch in den 1930er-Jahren konnte jeder die nahende Wallfahrtszeit daran ablesen, dass auf dem Kapellenplatz Verkaufsbuden aufgebaut wurden. Während des Winters gab es hier diese mobilen Devotionalienstände nicht. In der Nazi-Zeit wurden sie aus durchsichtigen Gründen verdrängt. Nach dem Krieg blieben die Buden verschwunden. Inzwischen hatten sich entlang der Pilgerwege leistungsfähige Fachgeschäfte eingerichtet, die seitdem die Versorgung der Pilger mit Andenken übernehmen.

1958 begann die Wallfahrt erstmals am 1. Juni (eröffnet durch den Erzbischof von Peking, den Chinesen Thomas Tien). Die Vorverlegung wurde mit dem Stiftungstag der Wallfahrt (Einsetzung des Gnadenbildes, 1.6.1642) begründet. Etwas bemüht klang die zweite Begründung: Am 1. Juni 1858 sei der erste Spatenstich für die heutige Basilika erfolgt.

Wallfahrtseröffnung 2007
Wallfahrtseröffnung 2007: Erzbischof em. Ludwig Averkamp, Pfarrer Stefan Zekorn und Jan Klucken, heute Diakon.

Nach dieser grundlegenden Terminverschiebung griff 1972 eine Rathausentscheidung in die Gewohnheiten der Kevelaerer massiv ein: Zur Wallfahrtszeit wurden die wichtigsten innerstädtischen Straßen zu Einbahnstraßen erklärt: Die Hauptstraße (heute fußläufig) durfte nur noch in Richtung Basilika befahren werden, die Amsterdamer Straße ebenso, die Maasstraße in Richtung Wember Straße, die Busmannstraße in Richtung Rathaus, die Willibrordstraße in Richtung Annastraße, die Annastraße in Richtung Venloer Straße, die Venloer Straße ab Johannesstraße in Richtung Maasstraße. Die Einbahnstraßenregelungen gelten, im Wesentlichen, auch heute noch.

1975 wurde die Wallfahrtszeit durch Rektor Richard Schulte Staade noch einmal ausgedehnt. Sie erstreckt sich seitdem vom 1. Mai bis zum 1. November (Allerheiligen). Die Entscheidung war weitsichtig, denn der nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil zunächst eingetretene „Rückschlag“ für Formen der Volksfrömmigkeit - die Pilgerzahlen sanken in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre dramatisch ab - wirkte sich nicht lange aus. Die Pilgerströme schwollen wieder an und erreichten zur Wallfahrtseröffnung im Jahr 1987 mit dem Papstbesuch ihr Allzeithoch.

Wallfahrtseröffnung 2008
Wallfahrtseröffnung 2008 mit Kardinal Joachim Meisner.

Ohne die zeitliche Streckung auf volle sechs Monate hätte die schon immer ausgebuchte Kernzeit (September/Oktober) den Aufschwung des Pilgeraufkommens nicht verkraften können. Die Pilgerpastoral wäre ebenso überfordert gewesen wie das Dienstleistungsgewerbe. Durch geschickte Terminierung konnten neue Wallfahrten ( Motorradfahrer, Tamilen) in die ansonsten ereignisärmere Sommerzeit gelegt werden - mit Erfolg: Beide „Neulinge“ sind heute die größten Einzelwallfahrten.

© Martin Willing 2012, 2013