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Jahrelang
war Dr. Helmut Linssen Vorzeigepolitiker der CDU in Kreis, NRW und Bund.
Über seinen 70. Geburtstag 2012 hinaus war er ein gefragter Ratgeber. Im Februar 2014 holte ihn eine Affäre um Geldanlagen auf den
Bahamas ein. Linssen musste einräumen, dort, später in Panama, Vermögen
seiner Eltern geparkt zu haben. Linssen, schwer unter Druck geraten,
verzichtete auf seine Ämter als CDU-Bundesschatzmeister und
CDU-Kreisschatzmeister.
Der "Stern" hatte zuvor berichtet, dass der Politiker über 800.00 Mark
(umgerechnet rund 424.000 Euro) bei der Bank HSBC Trinkaus & Burkhardt
in Luxemburg eingezahlt hatte; die Beträge seien zunächst zu einer
Briefkastenfirma auf den Bahamas, später nach Panama, transferiert und
anonym verwaltet worden. Zwar wies Linssen den Vorwurf, er habe Steuern
hinterzogen, zurück (er habe lediglich versteuertes Geld angelegt), der
Image-Schaden war allerdings immens.
Linssen erklärte, er habe seiner Mutter mit der Geldanlage einen
Gefallen tun wollen. Nach dem Tod seiner Mutter 2004 hatte er das
Trinkaus-Konto aufgelöst.
Linssen war bereits 2011 ins Visier der Strafverfolgungsbehörden
geraten, weil er auf einer "Steuer-CD" genannt war, die NRW im Jahr 2010
gekauft hatte. Ein Verfahren gegen ihn war allerdings eingestellt
worden, da keine Steuerhinterziehung festgestellt worden war -
vielleicht weil die Vorgänge verjährt waren.
Über Jahre hatte Linssen in der CDU als Mann für alle Fälle gegolten.
Natürlich, so meinten viele, hätte er auch als Ministerpräsident in NRW
einen guten Job gemacht. Jedenfalls ließ sich das aus dem Respekt
ableiten, den er sich bei den Seinen und der Opposition auf dem
Feuerstuhl des NRW-Finanzministers erarbeitet hatte. Helmut Linssen registrierte als "elder statesman" mit Vergnügen, dass er als Ratgeber
und Ehrengast gefragter war denn je.
Ihm ist nichts geschenkt worden, nicht einmal eine sorgenfreie Zeit an
der Schwelle vom Jugendlichen zum Erwachsenen. Mit 19 stand er vor dem
Problem, zusammen mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Bernd den
plötzlich verstorbenen Vater als Chef eines beachtlichen
Agrargroßhandels in Geldern ersetzen zu müssen. Nicht nur die
wirtschaftliche Existenz von 70 Beschäftigten, sondern auch die der
Linssen-Familie stand auf dem Spiel. Bernd Linssen bildete sich zum
Mühlen-Ingenieur aus, Helmut Linssen studierte Groß- und
Außenhandelslehre, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften.
Mit 24 Jahren lernte Helmut Linssen während des Studiums in München
seine spätere Frau Cathrin kennen. Zu Hause in Geldern managte er mit
seinem Bruder das Familienunternehmen und entwickelte sich zu einem
Experten für Pflanzenernährung und Pflanzenschutz. Von einer
Parteimitgliedschaft wollte er damals nichts wissen.
1972, im Jahr des gescheiterten Misstrauensvotums gegen Bundeskanzler
Willy Brandt, bezog Helmut Linssen engagiert Gegenposition zu
Politikern, die die Wirtschaft immer stärker belasten wollten. Er trat
in Geldern der CDU bei und ließ sich 1975 zu einer Ratskandidatur
bewegen.
1986 in Kevelaer
(v.l.):
Vize-Landrat Gerd Jacobs, Landrat
Hans Pickers, Dr. Helmut
Linssen und
Karl Dingermann.
Fünf Jahre danach klapperte er mit seinen Mitbewerbern
Peter
Roosen (Kevelaer) und Helmut Neersen (Issum) Gaststätten im Südkreis
ab, wo die CDU-Mitglieder das Trio kennen lernen wollten, das sich um
die Nominierung für die Landtagswahl bewarb. Es waren große Schuhe, die
Dr.
Jochen van Aerssen hinterlassen hatte: Sie passten Dr. Helmut
Linssen.
Von da an ging's bergauf.
1987 in Kevelaer (v.l.):
Gregor Vos, Dr. Helmut Linssen,
Norbert Blüm und - r. -
Richard Schulte Staade.
1987 übernahm Linssen unter Norbert Blüm den Job des Generalsekretärs
der Landes-CDU, fusionierte mit Geschick die Landesverbände
Westfalen-Lippe und Rheinland, setzte sich 1990 an die Spitze der
CDU-Landtagsfraktion und erklomm als Mitglied des Bundesvorstands den
parteipolitischen Olymp.
Dr. Helmut Linssen
kämpfte
gegen Johannes Rau um das Amt des Ministerpräsidenten. Das Bild zeigt
den Herausforderer während einer Wahlkampfveranstaltung 1995 auf dem
Gelderner Marktplatz (v.r.): Bürgermeister
Paul Heßler, MdL Norbert
Giltjes, MdL Helmut Linssen und Kanzler Helmut Kohl. Links:
MdB Ronald Pofalla. Foto:
Delia Evers
1984 der nächste Höhepunkt: Helmut Linssen, durch Urwahl seiner Partei
beauftragt, trat gegen Johannes Rau an, um Ministerpräsident zu werden.
Der Griff zur Macht misslang 1995, und die Partei versuchte es später
(erfolgreich) mit Jürgen Rüttgers; für Linssen bedeutete das keinen
Karriereknick. Als 1. Vizepräsident des Landtags machte sich der
"Gelderner Mühlenbesitzer" (Helmut Kohl über Linssen) mit präsidialen
Umgangsformen vertraut und wäre nicht ungern in diesem schönen Amt
geblieben, wenn ihn Rüttgers nicht 2005 gerufen hätte.
1993 in Kevelaer auf einer
Tagung der CDU-Frauenunion: Dr. Helmut Linssen und Martin Willing.
Linssen musste
zurück in die Mühle politischer Schwerstarbeit, diesmal als
Finanzminister, auf den zu wenige Einnahmen, zu viele Ausgaben,
ausgedehnte Schulden und eine sterbende WestLB warteten. Er hatte also
jede Chance, grandios zu scheitern, und tat, was nicht wirklich
überraschte, genau das Gegenteil. Als Linssen im Sommer 2010 seine
Papiere als Finanzminister abholte, hinterließ er ein ordentlich
bestelltes Feld. Nahtlos übernahm er das Amt des
CDU-Bundesschatzmeisters.
Im Dezember 2012 wurde Linssen Vorstandsmitglied der RAG-Stiftung. Er sitzt im Aufsichtsrat der RAG Aktiengesellschaft und der RAG Deutsche Steinkohle AG.
Finanzminister Dr. Helmut Linssen
2007 beim Empfang zum 75. Geburtstag von Weihbischof
Heinrich Janssen im
Petrus-Canisius-Haus zu Kevelaer (v.l.): Generalvikar Norbert Kleyboldt,
Kevelaers Bürgermeister Dr. Axel Stibi und Dr. Helmut Linssen.
Nicht Legende, sondern leibhaftig sind Linssens Erfahrungen beim
Ausmisten eines Schafstalls, denn irgendwo in Issum, wo selbst Hase und
Igel sich einsam fühlen, blöken auf dem weitläufigen Refugium der
Linssens tatsächlich einige Schafe, bei denen der Ex-Minister zuweilen
seine pflegende Hand anlegt und dabei an liebe Zeitgenossen denkt, die
in einem früheren Leben eben solche gewesen sein müssen.
Im wirklichen Leben begegnet er Menschen mit ungeteilter Achtung. Das
wird sicher auch nach der "Anlagen-Affäre" so bleiben. Sein Herz schlägt
zwar nicht links, aber sozialpolitisch am richtigen Fleck. Verantwortung
für das eigene Schicksal zu übernehmen, war immer seine Forderung. Daher
war sein Rücktritt von den Schatzmeisterämtern für ihn eine
Zwangsläufigkeit - ein klarer Schritt nach einer überwiegend
beispielhaften Karriere.