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Die
14 Monate als Vorsitzender der
CDU-Mittelstandsvereinigung
Von
Martin Willing
„Kritisiere oder lobe, aber mache dich nie gemein mit einer Sache!“
Diese berufsethische Maxime steckte mir auch 1989, als ich in die CDU eintrat, in Fleisch und Blut. Ich wusste, dass meine Glaubwürdigkeit als politisch unabhängiger Journalist Schaden nehmen könnte, denn normalerweise tritt jemand einer Partei deswegen bei, um sie zu unterstützen. Das aber steht nach allgemeinem Verständnis im Widerspruch zu den Aufgaben eines Journalisten, der für sich und sein Blatt Unabhängigkeit reklamiert.
Trotzdem wurde ich Mitglied - aus einem einzigen Grund: Die Mittelstandspolitik in Kevelaer war in meinen Augen aufregend falsch oder verschlafen und zudem von wenig Sachkenntnis getrübt. Man hatte mich gebeten, die CDU-Mittelstandsvereinigung, die seit Jahren dem Siechtum anheim gefallen war, zu aktivieren. Ich verschloss mich der Bitte nicht, weil ich mich verpflichtet fühlte, mein Wissen um die Strukturprobleme und aktuellen Schwierigkeiten der heimischen Unternehmungen, mit denen ich als Journalist und Unternehmensberater ständig befasst war, in die politische Arbeit für den Mittelstand einzubringen. Eine aktivierte, einflussreiche CDU-Mittelstandsvereinigung würde, so glaubte ich, den Kaufleuten, Handwerkern und Dienstleistern in Kevelaer helfen.
Das war ehrenwert gedacht, widersprach aber, wie ich bald feststellte, den Vorstellungen mancher „Parteifreunde„, die in Sorge, ich könnte über meine Zeitungsarbeit hinaus nun auch direkten Einfluss auf die CDU nehmen, jede Unterstützung versagten.
Zwar konnte ich Mitglied der Mittelstandsvereinigung werden, ohne zugleich der CDU beizutreten, aber dann hätte ich nicht Vorsitzender werden können, denn laut Satzung war für dieses Amt Parteimitgliedschaft zwingend. So fand ich mich Anfang 1989 „zwangsläufig“ in der CDU wieder.
Im März 1989 war meine „Premiere„ als Parteimitglied: Der CDU-Stadtverband legte bei Scholten die programmatischen Leitlinien für die im Oktober beginnende Ratsperiode fest. Um das „C“ im Parteinamen in seiner Wichtigkeit für Kevelaer zu unterstreichen, beschloss die Parteibasis auf meinen Antrag hin, „dass der Schutz des geistigen und äußeren Wallfahrtsgeschehens Vorrang haben muß vor allen profanen Interessen.“ Zur Begründung erläuterte ich, es reiche nicht aus, nur die städtischen Rahmenbedingungen zu fördern, in denen sich Wallfahrt entwickele. Die CDU müsse Prioritäten setzen und Flagge zeigen: „Was das geistige Geschehen auf dem Kapellenplatz beeinträchtigt, kann von der CDU nicht mitgetragen werden.“
Darin sah Mitglied Harald Wolfgarten, Augenarzt in Kevelaer, einen Meilenstein. Wolfgarten ging spontan ans Mikrofon und sagte: „Das ist ein ganz neues Niveau. Damit packen wir‘s„. Die rund 180 Mitglieder segneten - bei vier Enthaltungen - auch diesen Passus in den Leitlinien einmütig ab.
Im November 1989 wurde ich zum Vorsitzenden der CDU-Mittelstandsvereinigung gewählt. Der bisherige Vorsitzende Heinz Koppers übernahm die Stellvertretung. Die Fraktionsmitglieder ließen mich zunächst in Ruhe arbeiten, nachdem sich die Sorge einiger Mandatsträger, hinter meinem Interesse für den Vorsitz der CDU-Mittelstandsvereinigung steckte womöglich das Streben nach einen Sitz im Stadtrat, als völlig unbegründet herausgestellt hatte. Die Kommunalwahl war gelaufen, die Ratssitze verteilt, und ich hatte einen einflusslosen Posten und eine Gastrolle ohne Stimmrecht in den Machtzentren der Kevelaerer CDU - im Parteivorstand und in der Fraktion.
Ich stellte zunächst einmal Kommunikation zwischen den Mitgliedern der Mittelstandsvereinigung her. Hinderlich war dabei, dass jedes Schreiben über die Parteizentrale in Kleve laufen musste, weil die örtliche Mittelstandsvereinigung über keine eigene Kasse verfügte.
Zwei Monate nach Amtsantritt fühlte ich mich als Mediator herausgefordert, nachdem unter einigen Kaufleuten ein handfester Krach entstanden war. Einer hatte einen anderen angeschwärzt, weil er das Verkaufsverbot an Sonntagen überaus großzügig ausgelegt hatte. Das zog weitere Anzeigen nach sich, bis schließlich mehrere Gerichtsverfahren anhängig waren.
Still ruhte - bisher - der See, aber jetzt, da Gerichte messerscharf darüber urteilen mussten, wer an Sonntagen was verkaufen durfte, war ein Ende der gewohnheitsmäßigen Öffnung vieler Geschäfte in Kevelaer abzusehen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf urteilte erwartungsgemäß, dass vom Sonntagsverkaufsverbot Waren nur dann befreit sind, wenn diese so gestaltet sind, dass „das Kevelaer-Motiv oder zeichenmäßige oder schriftliche Hinweise auf Kevelaer untrennbar mit dem jeweiligen Gegenstand verbunden sind.“ Mit anderen Worten: Nur Devotionaliengeschäfte durften geöffnet haben und nur „Andenken“ verkaufen, die als solche eindeutig gekennzeichnet waren. Neun von zehn Geschäften, die bisher geöffnet hatten, mussten demnach geschlossen bleiben.
Als Vermittler zwischen den Hauptkontrahenten erreichte ich immerhin, dass bei einer internen Aussprache Kevelaerer Kaufleute sich gegenseitig versprachen, vor irgendwelchen juristischen Schritten zusammen zu kommen und erst einmal miteinander zu sprechen. Nicht wenige Entscheidungen, ob die Läden geöffnet gehalten werden konnten oder nicht, wurden im Laufe der folgenden Monate zwischen Ladeninhabern und mir telefonisch beratschlagt.
Auch wenn sich dadurch nichts an den rechtlichen Grundlagen änderte, vermieden die Konkurrenten künftig die Dummheit, sich Abmahnungen um die Ohren zu hauen und die Justiz herauszufordern, aus ziemlich klaren Bestimmungen, die einen gewissen Ermessensspielraum bieten, sonnenklare Verbote zu formulieren.
Die schwerfällige Mittelstandsvereinigung, die weder regelmäßige Zusammenkünfte, noch schnelle Reaktionen auf aktuelle Entwicklungen kannte, lernte unter meiner Regie mehrmals so genannte „Blitztreffs“ kennen. Ich rief die „Truppe“, wenn es notwendig erschien, sehr kurzfristig zusammen, so auch Ende Februar 1990:
Im Konferenzraum der Sparkasse trug ich den Mitgliedern vor, dass die Stadt nur unzureichend über das Großprojekt eines Bau- und Hobbymarktes an der Ladestraße die Öffentlichkeit informiere. Die ursprüngliche Fläche von 1.500 Quadratmetern sei insgeheim verdoppelt worden, und nach Genehmigung durch die Stadtverwaltung sei mit dem Bau bereits begonnen worden.
Ich informierte die Mittelstandsvereinigung über diesen politischen Klops noch vor den Lesern des Kevelaerer Blatts und erreichte immerhin, dass sich die Ortspartei CDU-Mitte für ein peripheres Problem, die drohende Verkehrsballung am Knotenpunkt Lade-/Bahnstraße, interessierte. Sie rief einige Tage danach zu einer Bürgerversammlung ein.
Um für die Zukunft zu verhindern, dass von der Stadtverwaltung Entscheidungen dieses Kalibers am Stadtrat vorbei gefällt würden, schlug ich in Briefen an die vier Fraktionschefs und den Bürgermeister die Bildung eines interfraktionellen Gremiums vor: In ihm sollten besonders sachkundige Politiker mitwirken, die dann Kraft ihrer Kompetenz und mit Hilfe gegenseitiger Information einen Riegel vor einsame Verwaltungsentscheidungen schieben sollten.
Was ich im Interesse für die heimische Wirtschaft vorgeschlagen hatte, löste nichts als Kritik aus: FDP-Fraktionschef Klaus Sadowski fürchtete eine Reklameveranstaltung der CDU-Mittelstandsvereinigung und lehnte ab. SPD-Fraktionschef Dr. Klaus Hölzle fand in dem Ansinnen seine Auffassung bestätigt, dass die Mittelstandsvereinigung nur an sich und nicht an die arme Bevölkerung denke und lehnte vehement ab. Grünen-Fraktionschef Karl-Heinz Kandolf fand die Idee nicht übel, aber nur unter der Bedingung, dass nirgendwo ein CDU-Etikett klebe. CDU-Fraktionschef Hannes Selders antwortete nicht selbst, sondern beauftragte seinen Parteichef Hans Broeckmann, mit dem Mittelstandsvorsitzenden das Thema zu besprechen, was aber unterblieb. Auch Bürgermeister Dr. Friedrich Börgers fand für meinen Vorstoß keine Worte und schwieg.
Unterdessen rüselten sich die Bagger an der Ladestraße voran.
In diesem Klima allseitigen Desinteresses für die Belange der heimischen Wirtschaft konnte Stadtdirektor Heinz Paal gefahrlos einräumen, dass die Verwaltung die Verdopplung auf 3.000 Quadratmeter nicht ohne Rücksprache mit dem Stadtrat hätte genehmigen dürfen. Im übrigen sei es der inzwischen pensionierte Bauamtschef gewesen, der die Genehmigung - ohne Paals Wissen - erteilt habe.
Als ich nach einem Jahr Bilanz zog und prüfte, was ich mit meinem erheblichen Einsatz für die CDU-Mittelstandsvereinigung erreicht hatte, wurde mir die Wirkungslosigkeit klar.
Auf dem Papier standen Erfolge: Zum ersten Mal seit Jahren waren die Mitglieder zu Veranstaltungen eingeladen worden; einmal ging es um den Baumarkt Ladestraße mit dem geschilderten Null-Ergebnis, einmal ging es um die Wirtschaftsförderung im Zusammenhang mit Ostdeutschland. Als Referent sprach Dr. Helmut Linssen, heute Finanzminister in NRW - vor zwei Mitgliedern, die zum Glück unter den Gästen nicht weiter auffielen.
Eine wirkliche Belebung der Mittelstandsvereinigung hätte anders ausgesehen. Ein Misserfolg war auch mein Engagement für den Museumspark als mobiles Geschäftszentrum: Angesichts des Sonntagsverkaufsverbots hatte ich im Werbebeirat des Verkehrsvereins die von mir entwickelte und mit der Stadt vorbesprochene Idee eingebracht, im Museumshof eine Ansammlung variabel nutzbarer Kleinläden im Wintergartenstil zu bauen, an Interessenten zu verpachten und ganzjährig zu nutzen. Für die auch rechtlich interessante Konstruktion wurden Kevelaerer Architekten gebeten, Entwürfe zu kreieren. Aber das Projekt versandete irgendwo.
Zudem hatte ich meinen Versuch, über die Parteigliederung Einfluss auf die von mir kritisierte Mittelstandspolitik in Kevelaer zu nehmen, längst als Fehler erkannt. Als unabhängiger Journalist hatte ich Einfluss, als Parteimitglied hatte ich Bremsklötze am Bein.
„In dem Jahr meines Vorsitzes hat die CDU-Fraktion mit Ausnahme des B&B-Problems, bei dem meine Möglichkeiten, zum Investor zu vermitteln, offenbar als nützlich eingeschätzt wurden, kein einziges mittelstandsrelevantes Thema mit mir im vorhinein besprochen“, sagte ich auf meiner letzten Versammlung als Vorsitzender der Vereinigung. „Für die Rolle eines Veranstaltungskaspers fehlt mir das notwendige Maß an Leidensbereitschaft.“
Ich trat vom Amt zurück und lieferte fürsorglich die offizielle Begründung „berufliche Belastung“ gleich mit. Damit wurde auch meine CDU-Mitgliedschaft entbehrlich, die ich bald darauf beendete.
Auf der Versammlung, aus der Heinrich Hiep als mein Nachfolger hervorging, dankte mir Parteichef Hans Broeckmann für die Arbeit in der 14-monatigen Amtszeit. Fraktionsvorsitzender Hannes Selders räumte ein, dass die Zusammenarbeit der Fraktion mit dem Mittelstandsvorsitzenden enger hätte gestaltet werden müssen.
An die kurze Episode meiner Parteizugehörigkeit erinnerte ich mich im August 1992, als ich einen Brief las, den mir Gelderns Bürgermeister Paul Heßler geschrieben hatte.
Gelderns Bürgermeister Paul Heßler
mit Frau Henny, geb. Niels, und Stadtdirektor Norbert Becker.
Heßler, mit dem ich mich seit meiner Zeit bei der „Rheinischen Post" in Geldern duzte, las jede Woche das Kävels Bläche und hatte nun auf einen Kommentar im Kevelaerer Blatt reagiert:
„Lieber Martin (...) Deiner Analyse des ‚Glaubwürdigkeitsverlustes der Politiker‘ kann ich nur zustimmen. Doch in meiner persönlichen Auseinandersetzung mit den ‚Parteifreunden‘ aus dem Norden sind die wirklichen Drahtzieher eigentlich Menschen, an dessen Glaubwürdigkeit ich - mit einer Ausnahme - bisher wenig gezweifelt habe. Manchmal habe ich das Gefühl, daß die Einsicht, nicht vernunftgemäß gehandelt zu haben, mit der Höhe des politischen Amtes bei vielen Menschen abhanden gekommen ist. Bismarck hat am 19. Dezember 1859 ‚meine Situation‘ in einem Schreiben an den Minister v. Schleinitz treffend beschrieben: ‚Wenn man täglich contre vent et marée, sozusagen am kurzen Ende des Hebels arbeitet, dabei den schlimmsten Widerspruch aus dem eigenen Lager und von den früheren Freunden erfährt, den Gegner stetig Terrain gewinnen sieht, so muß man nach Jahren hoffnungslosen Ringens entweder zu einer hochdiplomatischen Gleichgültigkeit gegen die zukünftigen Geschicke des eigenen Landes, oder zum Bankrott seiner privaten Nerven gelangen.‘ Der Kenner weiß, daß Bismarck nach seiner Kaltstellung 1858 dennoch nicht aufgegeben hat, politischen Einfluß zu gewinnen. Vielleicht ist es falsch, den Verursachern des Ärgers einen Gefallen zu tun und den Stuhl zu räumen. Bismarck ist mir da - Verzeihung - eine unverhoffte Hilfe. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß eines Tages die Menschen sich weniger wichtig nehmen und die Sache wieder mehr in den Vordergrund stellen. (...)“
Ich antwortete Paul Heßler:
„Lieber Paul (...) der RP-Bericht vom 10.7. (‚Bürgermeister denkt an Rücktritt und Parteibuchrückgabe‘) hatte in mir das zwiespältige Gefühl von ‚Täte ich auch!‘ und ‚Bloß nicht denen das Feld ganz überlassen!‘ ausgelöst. Mach‘ es wie der von Dir zitierte Bismarck: gewinne und nutze Einfluß! Und laß uns, die wir wie Du an einflußreichen CDU-Größen schier verzweifeln, nicht im Stich!“
Paul
Heßler, erster hauptamtlicher Bürgermeister von Geldern, blieb an Bord,
wirkte segensreich für Geldern und wurde 2004 als hoch geschätzter
Politiker aus dem Amt verabschiedet. Die Ratsmitglieder ehrten ihn mit
der Verleihung des Goldenen Ehrenrings der Stadt Geldern.
Es war mir ein tiefes Bedürfnis, diesem guten Freund nahe zu sein, als
für ihn im März 2008 das Requiem gefeiert wurde.
© Martin Willing 2012, 2013