Neulich wollte mich jemand abholen. Nein, nein, nicht zum Tanzen. Einfach so. Das hat mich gewundert. Es war Bundespolitiker Meier.
In der Woche davor hatte sich Bischof Hinz ähnlich geäußert und in der Woche vor jener Woche Staatssekretärin Kunz. War ich denen so wichtig?
Alle wollten mich abholen. Meier sagte im Radio: „Wir müssen die Menschen da abholen, wo sie stehen. Sonst erreichen wir nichts.“
Jetzt warte ich seit Tagen auf Meier. Vergeblich. Hinz und Kunz sind auch nicht gekommen, um mich abzuholen. Allesamt überfällig! Was ist los bei denen?
Aber würde ich überhaupt mitgehen, wenn Meier morgen mit einladender Geste vor meiner Tür stünde? „Tach, Frau Evers. Ich möchte Sie abholen.“ ‚Von wegen!‘ , würde ich denken, ‘der Meier ist ja wohl nicht ganz dicht’. Ich lass mich doch nicht von Hinz und Kunz an der Hand abführen. Ich kenne den Menschen nicht, und er kennt mich nicht. Trotzdem soll ich ihn begleiten, denn, Zitat: „Sonst erreichen wir nichts.“
Weiß ich denn, was Meier und die Seinen erreichen wollen? Und will ich das auch? Ein höheres Ziel hat er nicht angegeben.
Dafür hat sein Satz einen kühnen, eventuell leicht flegelhaften Unterton. Ich soll da abgeholt werden, wo ich stehe. Bin ich denn ahnungslos zurückgeblieben und überhaupt ein bisschen zurückgeblieben, während die Hinzens und Kunzens dieser Welt fortgeschritten und vorbeigeschritten sind an mir, der irgendwie Stehengebliebenen? Jetzt soll ich wie ein Koffer, der am Bahnsteig vergessen worden ist, am Griff, pardon, in den Griff genommen und nachgeholt werden.
Ehe es zum Äußersten kommt, rate ich dringend: „Lieber Herr Meier, lieber Herr Hinz und liebe Frau Kunz, bleiben Sie, wo Sie sind! Sollten Sie schon unterwegs sein zu mir, ‚gehen Sie zurück auf Los‘. Denken Sie neu nach! Und rechnen Sie mit Menschen, die selbst laufen können.“
Gerade schalte ich das Radio ein. Eine Frau Schulte sagt: „Wir müssen die Menschen mitnehmen.“
Ich ahne Schlimmes. Auch sie hält mich für einen Koffer.
Das befürchtet herzlich
Eure Blattflüsterin