Am 13. März 2022 jährte sich der Geburtstag von Gerd Blombach zum 75. Mal. Der Banker und Vorstandssprecher der Verbandssparkasse Goch-Kevelaer-Weeze war einer der erfolgreichsten niederrheinischen Unternehmer gewesen und am Silvestertag 2009 aus dem Dienst geschieden. Wenige Wochen zuvor hatte er den Grund genannt. Er war an Knochenkrebs erkrankt.
„Das hat die Prioritäten meiner Lebensplanung verschoben“, sagte er damals. Er war im 25. Jahr als Direktor der Sparkasse eine Art Gegenentwurf zu den Mächtigen der Finanzwelt, die durch Gier und Überheblichkeit die größte Wirtschaftskrise der Zeitrechnung verschuldet hatten. Blombach hatte nie verdrängt, dass er mit Geld wirtschaftete, das andere ihm anvertraut hatten.
Begonnen hatte sein eigenes Leben im Bergischen. Früh lernte der junge Gerd Selbstständigkeit kennen. Sein Großvater arbeitete als freier Bandwirkmeister. So hießen im Bergischen die Weber. Später übernahm Vater Paul die Werkstatt. Gerd, angetan mit blauer Kittelschürze, sah Schiffchen flitzen und legte Spulen ein. „Das habe ich nie als Arbeit empfunden. Hilfe war selbstverständlich.“ Als Stoffe verstärkt aus dem Ausland eingeführt wurden, suchte sich der Vater einen weiteren Erwerbszweig und eröffnete eine Nordstern-Agentur mit Tabaklädchen. Er verkaufte Versicherungen, Mutter Klara Zigaretten und Zeitschriften.
Gerd und sein acht Jahre älterer Bruder Jürgen bekamen früh ein kleines Taschengeld und lernten, mit ihren Groschen zu haushalten. Einmal im Monat radelte Gerd die Kundschaft ab, um bar die Versicherungsbeiträge einzuheimsen. Einen Bruchteil durfte er behalten. Als er 16 war, nahm ihn Jürgen mit zu seiner Arbeitsstelle bei der Sparkasse Remscheid. Staunend sah Gerd den Bruder am eigenen Schreibtisch mit Anzug und Schlips. „Das fand ich toll. Das wollte ich auch!“ Bald war die Bewerbung geschrieben, und Gerd bekam seinen Ausbildungsvertrag zum Bankkaufmann.
Blombach befasste sich fortan mit allem, was anfiel, hatte nicht nur Geld in den Händen, sondern auch Berge von Briefen, die mit dem Frankomat freigemacht werden mussten, bekam lange Arme von Münzrollen, die er zum Tresor schleppte, und erlebte die einzig herbe Schlappe seiner Karriere, als er, blutjunger Hilfskassierer, zum Monatsende am Schalter stand, im Akkord Löhne auszahlte und abends 400 Mark zu wenig hatte; seine größte Sorge: „Hoffentlich denkt niemand, ich hätte das Geld unterschlagen.“
Wenn es neue Chancen gab, meldete sich der Junge immer, bildete sich fort, ertrug gern einen strengen Chef, weil er sah, dass er von ihm analytisches und vernetztes Denken lernte, schaffte 1971 die Fachprüfung für den gehobenen Sparkassendienst, besuchte Seminare, kam – hohe Auszeichnung – 1974 mit 27 Jahren in die Prüfungsstelle des rheinischen Sparkassen- und Giroverbands in Düsseldorf, machte 1976 sein Verbandsprüferexamen, schaute Instituten in die tiefsten Eingeweide, sezierte sie, geriet für die letzte Prüfung vor der Fusion der Sparkassen Kevelaer, Goch und Weeze an den Niederrhein, übernachtete monatelang in der Martinsschenke in Nierswalde und kannte, als er 1985 einstimmig zum Vorstandsvorsitzenden gewählt wurde, seine neue Kasse in- und auswendig. Er war 38 Jahre alt.
Eigentlich war ein anderer gewählt worden, doch der hatte das Vertragsergebnis nachverhandeln wollen und gepoltert, ohne das erwartete Zugeständnis stehe er nicht zur Verfügung. Bürgermeister Karl Dingermann bat ihn, genau dies zu tun; er rief Gerd Blombach an, der sich ebenfalls beworben hatte, bald darauf in Kevelaer einfand und seine künftigen Bezüge genannt bekam. Er hatte sich vorher ausgemalt, was er fordern würde, stellte mit roten Ohren fest, dass er weit mehr bekommen sollte, und sagte später: „Mühsam musste ich den Impuls unterdrücken, meinen Gesprächspartner zu umarmen.“
Schnell fühlte sich der Mann aus dem Bergischen am Niederrhein wohl und entwickelte eine verlässliche Loyalität zu dem Lebensraum, für den er arbeitete und in dem er wohnte. Was die Sparkasse erwirtschaftete, reinvestierte er in unsere Heimat – sei es als Arbeitgeber mit stets ungewöhnlich hoher Ausbildungsrate, als Auftraggeber auch großer Bauprojekte oder als sozial-kultureller Förderer mit 300.000 Euro pro Jahr für die Gemeinden des Verbandsgebiets.
Verantwortung übernahm Blombach mit einer ungewöhnlichen Mischung an Veranlagungen, die er offenkundig selbst gut aushielt. Er war dickschädelig ohne Starrsinn, ein bodenständiger Praktiker mit dem Hang zu innovativer Entdeckerfreude, ein Mann, der die Sparkasse mit leidenschaftlichem Engagement führte, so als sei sie sein eigener Laden, obwohl ihm nicht einmal die Lüster an der Decke gehörten.
Gern erzählte er von der Zeit bis zu seiner einstimmigen Wiederwahl 1999 und von Männern wie Karl Dingermann, Hans Broeckmann, Hannes Selders oder Dr. Klaus Hölzle, die „man von einer Sache überzeugen konnte“, weil sie nicht parteipolitische Ziele im Auge gehabt hätten.
Die Zeiten mit der Politik blieben nicht immer gut. Einschüchterungsversuche mehrten sich. Politiker versuchten Blombach, den Chef des öffentlich-rechtlichen Instituts, für parteiliche Ziele in die Zange zu nehmen. Blombach sperrte sich. Sie machten ihm die Wiederwahl streitig – kein leichtes Unterfangen, denn Blombachs Unternehmenserfolg war längst so unumstritten und durch den Verband preisgekrönt, dass ihn keiner als Deppen hinstellen konnte. Andere Anwürfe mussten her.
Mal attackierten Politiker Blombachs Kreditpolitik (kurz darauf bescheinigte ihm der Verband, sie sei erstklassig), ein andermal war er ihnen als Chef zu harsch (die Mitarbeitervertretung stellte sich sofort öffentlich hinter ihn). Schelte bekam Blombach, als er die teure Mitgliedschaft seines Instituts in der WfG “wegen erwiesener Nicht-Wirkung”, so Blombach, kündigte oder der politisch gewollten Sparkassen-Fusion nicht freudig zustimmte.
„Wenn es mir zu bunt wurde, habe ich mir meinen Vertrag durchgelesen und gesehen, dass ich abgesichert bin“, sagte Blombach 2009. Dann wappnete er sich mit seiner Zivilcourage und beschritt ungewohntes Terrain. Einmal schaltete er den Deutschen Presserat ein, als eine Tageszeitung ihn mit einem gefälschten Zitat verhöhnte; ein andermal klagte er bei Gericht, als er gegen persönliche Interessen gezwungen werden sollte, empfindliche Daten zu veröffentlichen. Hier wie dort – und im Nachgang vor allem mit seiner umsichtigen Geschäftspolitik – bekam er Recht. Blombach ging entschieden seinen Weg.
Es war kein einsamer Weg. „Ich bin stolz auf die Leistung meiner Mitarbeiter“, sagte er und freute sich an „unseren sehr zuverlässigen Führungskräften“, die meisten „Gewächse“ aus dem eigenen Haus.
Blombach hat sich immer gern von Andersdenkenden inspirieren lassen, wenn ihre Ideen mit Sachverstand unterfüttert waren. Er sah sie mit Freude als Herausforderung. Ein Vierteljahrhundert lang holte sich der Chef immer wieder externen Sachverstand ins Haus.
Früher als die meisten anderen Institute führte er im Innenverhältnis betriebswirtschaftliches Denken ein. So war die Sparkasse bestens aufgestellt, als noch niemand ahnte, wie sehr sich die Landschaft durch neue Banktypen, die rund um die Uhr über Telefonleitungen „geöffnet“ hatten, verändern würde. Noch 2009 ließ Blombach von Externen das Kostenmanagement durchleuchten. Er hinterließ Nachfolger Thomas Müller in jeder Beziehung eine bestens aufgestellte Sparkasse.
Das bescheinigte ihm der Präsident des Rheinischen Sparkassen- und Giroverbandes Michael Breuer in einem ungewöhnlich persönlichen Abschiedsbrief. Er dankte Blombach für seine Arbeit, geführt mit „großem Engagement und Leidenschaft“ und Mut.
Nie hat Gerd Blombach seine Berufswahl bereut, gern wäre der „1947er“ bis zu seinem 65. Lebensjahr Sparkassendirektor geblieben und 2010 wiedergewählt worden. Doch im September 2009 wusste er, dass es anders kommen würde. Die Krankheit ließ ihm keine Wahl. Er gab seine Arbeit auf.
Von der folgenden Zeit erzählte er vertrauten Menschen bei Anrufen oder in Mails. Manchmal berichtete er von den Laborwerten seiner onkologischen Untersuchungen und sprach sachlich von kleineren und größeren Schwankungen, so wie er zu Sparkassen-Zeiten von kleineren und größeren Bilanzzahlen gesprochen hätte.
Erst wenn er gefragt wurde, wie er sich fühle, konnte er schildern, dass er ab und an „ein paar Tränen verdrücke“. Dann erzählte er oft übergangslos von seiner Familie; aus jedem seiner Worte sprachen Wertschätzung und Liebe für seine Frau Dagmar und eine innige Bindung an Tochter Andrea, deren Weg zur Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie er mit Hochachtung begleitete. Er war väterlich stolz auf seine Tochter, die ihm mit medizinischem Rat zur Seite stand (heute, Stand 2022, arbeitet die Fachärztin für Kinder– und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie als Ambulanzleitung in der LVR-Klinik Bedburg-Hau).
Vielleicht lernte Gerd Blombach in den Jahren nach der Sparkassenzeit seine familiäre Seite neu kennen, besonders als sein Enkeltöchterchen Martha auf die Welt kam und ihn warmherzig über die Stunden mit dem Kind erzählen ließ.
Die Krankheit brach voll aus und wurde mit Chemo-Therapien behandelt. Dennoch ahnte niemand, dass sein Tod sehr nah war. Er stürzte zu Hause, kam ins Marienhospital und starb am Nikolaustag 2012 mit 65 Jahren.