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INHALTSVERZEICHNIS

DELIA EVERS

Der Streik (1)

Die Ruhe vor dem Sturm

Wir ahnten Ende der 1970er-Jahre nicht, dass der Journalismus im Umbruch war, aber eines wussten wir: So konnte es mit der Arbeitsbelastung der Redakteure nicht weiter gehen. Martin Willing hatte bereits 1972 in einem ausführlichen Dossier seinen Vorgesetzten in Düsseldorf die Sorge vorgetragen, dass der maßlose Zeit- und Arbeitseinsatz, den Vollblutjournalisten in den Lokalredaktionen sich abverlangen, zur geistigen Aushöhlung führe, was am Ende dem Niveau der Zeitung schade.

Ihm ging es nicht um Stundenreduzierung - niemandem in der Gruppe von Lokalchefs ging es um die Wochenarbeitszeit, als sie Mitte der 70er begannen, sich regelmäßig privat zu treffen, um berufsständische und verlagsspezifische Probleme zu erörtern. Es kamen nicht alle, aber etliche Redaktionsleiter aus dem Verbreitungsgebiet der „Rheinischen Post", und es waren ausgerechnet die, in deren Personalakten sich die anerkennenden Schreiben der Vorgesetzten stapelten.

Die Kernfrage, um die die Fachgespräche rankten, zielte auf Weiterbildung ab. Die Lokalchefs loteten aus, wie es bei der kaum veränderbaren Tagesbelastung gelingen könne, den geistigen Horizont über den Tellerrand hinaus zu dehnen, den Geist aufzufrischen und zu erweitern. Denn sie wollten sich fortbilden und waren bereit, dafür die letzten Reste von Freizeit einzusetzen.

Als Düsseldorf von den „konspirativen Sitzungen" der Gruppe von Lokalchefs Wind bekam, hörte man es bis Geldern rumoren. In Einzelgesprächen versuchten die Düsseldorfer herauszufinden, was denn da im Busche sei. Zur Beruhigung trug bei, als die Gruppe eines Tages einen der Verlagsverantwortlichen zu einer Sitzung einlud und jeder Teilnehmer sehen und hören konnte, was die Beschäftigten des Verlages trieben: Fortbildung in der Freizeit zum Nutzen des Unternehmens.

An einen Manteltarifvertrag, der die Arbeitszeit von Journalisten an Tageszeitungen stundenweise regeln und begrenzen würde, dachte niemand.

Genau darum aber ging es Anfang 1980, als die Zeitungsverleger und die Journalisten-Gewerkschaften in Bonn verhandelten. Die Zeitungsverleger fürchteten die Einführung der 40-Stunden-Woche wie der Teufel das Weihwasser und ließen sich, so das Ergebnis der zweiten Verhandlungsrunde am 20. März 1980, nicht einmal auf eine Beschränkung der Arbeitszeit ein. Eine neue Freizeitregelung - die wurde als verhandelbar angesehen.

Die Forderung des Deutschen Journalistenverbands nach 40 Stunden regelmäßiger Arbeitszeit pro Woche an fünf Tagen bezeichneten die Verleger nicht als Arbeitszeitregelung, sondern als Arbeitszeitreglementierung. Die Verleger, die die 195-Stunden-Regelung retten wollten - mit diesem Monatspensum wurde jedem Tageszeitungsredakteur ein Wocheneinsatz von über 45 Stunden im Durchschnitt zugemutet -, boten Freizeitausgleich an.

Auch nach der siebten Verhandlungsrunde Anfang Oktober war keine Lösung des Tarifstreits in Sicht. Der Rheinisch-Westfälische Journalistenverband (RWJV) rief seine Mitglieder auf:

Foto zeigt die Preisverleihung.„Nicht müde werden, standhaft bleiben, einen langen Atem behalten und die Bereitschaft zu Aktionen wachhalten, vergrößern und verbreitern. Wenn die Tarifkommission Hilfe braucht, darf es kein Zögern geben."

Die Preisträger bei der Preisverleihung in Bonn (v.l.): Frau Mentzel (Stuttgarter Nachrichten), H. von der Lippe (Lübecker Nachrichten) sowie Martin Willing und Delia Evers (Rheinische Post). Ferner auf dem Bild (v.r.): Jury-Mitglied Lilo Berger (dpa), Karl-Heinz Bilke (Konrad-Adenauer-Stiftung) und Oberbürgermeister Manfred Rommel, der die Preise überreicht hatte. Foto: dpa

In diesem Klima harter Verhandlungen gehörte die Aufmerksamkeit von Verlagsleitung und Chefredaktion der „Rheinischen Post" wohl eher dem drohenden Arbeitskampf als der erfreulichen Nachricht, die der Gelderner Lokalchef per Telefon an Düsseldorf weitergab: Martin Willing teilte dem Chef vom Dienst mit, dass seiner Gelderner Redaktion der zweite Lokaljournalistenpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung zugesprochen worden sei.

Merkwürdige, irritierende Fragen, was das denn für ein Preis sei, versetzten der Freude an der Auszeichnung einen Dämpfer. Und auch der Umstand, dass sich jemand aus der Verlagsspitze einschalten musste, damit der Redaktionsleiter und ich, seine junge Kollegin, bei der Preisverleihung in Bonn nicht die einzigen Vertreter ihrer Zeitung waren, wirkte befremdlich.

Am 9. Oktober erschien im Hauptteil der RP folgende Meldung:

OB Rommel ehrte RP-Lokalredaktion

Bonn - Für eine „bürgernahe Redaktionskonzeption„ hat der Stuttgarter Oberbürgermeister Rommel (CDU) gestern in Bonn im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung einen Preis an die Lokalredaktion der Rheinischen Post in Geldern überreicht. Rommel hob die Bedeutung des Lokaljournalismus hervor und bedauerte, daß die Landes- und Bundespolitik in den Medien oft Vorrang vor dem Lokalen hätten. Der Kongreß „Standortpresse„ äußerte seine Besorgnis darüber, daß die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in den publizistischen Bereich und in die Werbemärkte der lokalen Zeitungen eindringen könnten. Die Landesregierungen wurden aufgerufen, gegen eine Verschiebung des „bestehenden Gleichgewichts„ zwischen Rundfunk und Presse einzutreten.

Kurz darauf musste Martin Willing die mit den Tarifverhandlungen offenbar stark beschäftigte Chefetage in Düsseldorf noch einmal stören. Auf der Frankfurter Buchmesse hatte der Verlagsdirektor von > Butzon & Bercker (Kevelaer), > Josef Heckens, dem neuen Buchautor des Hauses, Martin Willing, sein Erstlingswerk überreicht - den Roman „Das Bild der Frau M.".

Das Werk, das in seiner Rahmenhandlung die historischen Geschehnisse um das im Zweiten Weltkrieg vergrabene Gnadenbild der „Trösterin der Betrübten" in Kevelaer zum ersten Mal öffentlich machte (unter Journalisten nennt man so etwas einen Knüller) und sich mit der „Echtheit des Glaubens" auseinander setzt (das kennt man unter Journalisten freilich kaum), fasste die Feuilletonredaktion der „Rheinischen Post" nur mit der Kneifzange an. Verächtliche Äußerungen wurden bis nach Geldern überliefert - nach dem Motto, dass Autor Martin Willing dankbar für die Nichtbesprechung in der RP sein müsse.

Buchtitel von Martin WillingBesprochen wurde 1981 nur Willings zweite Buchveröffentlichung, der rororo-thriller „Die Blinden in Platons Höhle", der wenige Monate nach „Das Bild der Frau M." erschien.

Die beiden Romane von Martin Willing,
die 1980 und 1981 erschienen.

Als wollte der Rezensent dem zu diesem Zeitpunkt schon in Ungnade gefallenen und aus der großen RP-Familie entfernten Willing noch eine verpassen, gab er am Schluss seiner (nicht üblen) Besprechung in einer RP-Beilage preis, wer der Mörder in dem Krimi ist - was so ungefähr dem Unanständigsten entspricht, was sich ein Rezensent zu schulden kommen lassen kann. Oder doch nur ein Fauxpas ohne böse Absicht? Daran mag ich kaum glauben, denn der Rezensent war ein erfahrener Journalist und Buchbesprecher: > Dr. Wilhelm Cuypers.

Der erste Roman „Das Bild der Frau M." löste im Oktober 1980 bei den Kollegen der Zeitung, die in ihrem Untertitel den Zusatz „... und für christliche Kultur" führt, nicht nur Nächstenliebe aus, die einen Verlagsangehörigen davor bewahrte, im eigenen Blatt als Buchautor verrissen zu werden. Der religiöse Tiefgang des Buchs lieferte auch Abwehrfeuer gegen den Gelderner Lokalchef, der im November 1980 mit der Streikaktion seiner Redaktion - zumindest in den Vorstellungen besorgter Verlagschefs - eine Solidaritätswelle hätte auslösen können. Willing, so äußerte sich zwei Tage nach der Zwangsbeurlaubung des Lokalchefs ein Vorgesetzter auf einer Konferenz von RP-Redakteuren, sei „sowieso reif für's Kloster".

Das sollte nicht das einzige Armutszeugnis bleiben, das sich Verlagsangehörige im heißen Herbst des Jahres 1980 leisteten. 

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