Am Sonntag, 31. Juli 2022, wurde Heinz Janssen 83 Jahre alt – eine gute Gelegenheit, sich das Leben des Kevelaerer Galeristen näher anzusehen. Aber Moment mal: Ist er überhaupt noch Galerist oder längst i. R.?
Janssen im Ruhestand? Undenkbar. Mitunter muss er sich von besorgten Mitmenschen die Frage gefallen lassen: „Warum tust du dir das Arbeiten noch an?“
Die Antwort ist schnell gegeben. Janssen tut sich nichts an. Er tut sich was Gutes. Und dem Kunstmarkt auch. Es gibt nicht viele Menschen, die sich durch Kenntnisreichtum, Entdeckerfreude und kriminalistischen Spürsinn für Kunst- und Marktwert so sehr auszeichnen wie er.
Das ist eine Sache der Erfahrung und der Arbeitsfreude. Janssen bleibt dran, „weil ich noch immer sprühe.“ Der Kunstmarkt verändert sich, wartet mit Neuem auf und bietet zugleich das Alte, Antiquarische: Gemälde, Graphiken, teils aus Nachlässen, die er als Sachverständiger begutachtet. Er ist froh, wenn er einen „Pauels“ in die Hand bekommt. Oder einen „van Betteraey“. Der Galerist erzählt: „Ich kannte viele Stummel-Mitarbeiter persönlich. Da staunen die Leute.“
Ursprung und Mittelpunkt seiner Arbeit ist die Bilderrahmenwerkstatt am Hoogeweg. Dort untersucht er Werke aller Art, säubert auch schon mal vermeintlich „alte Schinken“, die sich unter seinen Händen als etwas Besonderes entpuppen, restauriert und birgt sie sicher in professioneller Rahmung. Ein bisschen gelitten wird in der Werkstatt auch, vor allem, wenn Janssen Werke in die Hand bekommt, die in – andernorts falsch verpassten – Rahmen und Passepartouts feucht geworden oder vergilbt und dadurch schleichend im Wert verblichen sind. „Das tut mir in der Seele weh.“
Heinz Janssen bleibt im Bilde. Dafür reist er gern, vor allem zu Auktionen. „Da erlebst du Leute auch mal privat. Das öffnet Türen.“ Janssen ist ein Netzwerker. Schon als Junge suchte er in Kevelaer Künstler wie Josef Pauels heim, den alle Opa Pauels nannten. Heinz besah sich dessen Schaffen und hörte sich Opas Ehegeständnisse an. „Heineken“, sagte Stummel-Mitarbeiter Pauels eines Tages zum jungen Heinz, er wolle weg von Stummel und Eigenes schaffen. Aber seine Frau Agnes bremse ihn aus. Die Analyse von Heinz: Bei Stummel gab es nur einen überschaubaren Lohn; aber der war sicher. Das wusste Agnes. Sie befand, der „Spatz in der Hand“ sei besser…
Wie war Heinz Janssen schon als Kind in solche Kreise geraten?
Er war kurz vor dem Krieg zur Welt gekommen. Bald war Vater Heinrich, ein Goldschnittmachermeister, Buchbinder und ab 1935 Inhaber einer Bilderrahmenwerkstatt am Hoogeweg, zur Front eingezogen worden. Selten kam er auf ein paar Tage heim. Die drei Janssen-Schwestern, Töne und die Zwillinge Maria und Gustel, wurden 1940 und 1943 geboren, Hans-Josef kam 1949 auf die Welt. Heinz Janssen denkt bis heute mit Dankbarkeit an seine Mutter Antonia, geborene Tewes, die nur Toni gerufen wurde. Sie gab ihren Kindern auch während des Kriegs alles, was sie brauchten, um aufrichtig und vertrauensvoll in die Welt zu starten.
Nach dem Krieg nahm Vater Heinrich Janssen seine angestammte Arbeit auf. Sohn Heinz war zart und mickrig, wie er heute sagt, und spielte dennoch Fußball. Er wurde Spielführer beim TuS, kickte im Mittelfeld und eroberte mit der Mannschaft die Spitze der Bezirksliga. Nach den Spielen feierten sie im Prinzenhof. „Ein Bier habe ich allerdings nie angefasst.“ Heinz Janssen kickte und rannte – nicht mehr ganz so graziös wie einst, aber gut gelaunt – noch bis ins Jahr 2021 über den Platz. Nach wie vor spielt er bei Grün-Weiß Schravelen Tennis.
Der junge Heinz stand auch als Ministrant parat. Besonders gern versah er Dienst in der Krankenhauskapelle. “Da gab es anschließend immer ein schönes Frühstück von den Schwestern.”
Heinz Janssen machte nach der Schulzeit eine kaufmännische Ausbildung bei seinem Onkel Jakob Janssen. Dessen Spielwarenhandlung lag damals an der Neustraße. So genoss der Lehrling in den Kaffeepausen einen Vorzug. Ein paar Häuser weiter wohnte der Stummelschüler und Maler Franz van Betteraey. Den besuchte er gern „auf ein Butterbrot“. Der alte Mann und das Atelier mit den Pinseln und Pasten und dem tranigen Duft der Ölfarben zogen Heinz Janssen an, ohne dass er die Kunst schon erkannt hätte. Er sah, wie unter den Händen von Franz van Betteraey vor allem Landstriche entstanden. Der junge Heinz erlebte die Wirkung des Goldenen Schnitts, begriff Räumlichkeit und Dynamik, Perspektive und Plastizität und die Bedeutung von Licht und Schatten.
Onkel Jakob Janssen hatte sich übrigens selbst um den Firmennachfolger gebracht, als er 1946 seinen murrenden Sohn, ebenfalls Heinz geheißen, auf das Bischöfliche Internat Collegium Augustinianum Gaesdonck schickte. Dort sollte der Filius das Einjährige machen und dann in den Betrieb kommen, um ihn später weiterzuführen. Doch als Jakob Janssen seinen Sohn von der Schule nehmen wollte, weigerte der sich mit Folgen für Gott und die Welt. Er wurde lieber Bischof. - Heinz, der spätere Bischof, war sieben Jahre älter als Vetter Heinz, der spätere Galerist. Das Foto zeigt die beiden bei einer Veranstaltung im Museum.
Auch bei Maler Josef Pauels, siehe oben, hielt Heinz Janssen sich gerne auf. Dort sah er zum ersten Mal einen Totenschädel – als Malvorlage. Pauels hatte „am Original“ geübt. “Das machten damals viele Künstler. Einige malten in Schlachthöfen, um die Anatomie zu studieren.”
Andere studierten Anatomie am schönen Geschlecht. Einmal hatten Kunden wegen der Rahmung ein „Frauenzimmer in Öl“ zu den Janssens in die Werkstatt am Hoogeweg gebracht. Josef Pauels, gefühlt steinalt, kam, um etwas zu kaufen, sah das verhüllte Bild, lupfte mit seinem Stock den Überwurf, der die freizügige Kunst bedeckte, und sagte: “Gott, Gott, wat’n lecker Dingelche.”
Theo Kauertz war ein weiteres Phänomen für Heinz Janssen. Er mochte den Querkopf, der sich mit seinen Bildern kaum über Wasser halten konnte und den Laien verlachten. Karl Wenzel förderte ihn, und Karl Neuy durfte ihn seinen Freund nennen. Manches Mal sah Heinz Janssen Theo Kauertz am Wochenende im Boxring im Garten von Grevers-Sürgers. Kauertz heuerte als Sparringpartner an. Mitunter schaffte er es bis in die zweite Runde. Er hatte eine blutige Nase – und das Startgeld.
1958 fragte Vater Heinrich seinen Sohn Heinz, ob er sich vorstellen könne, das Geschäft zu übernehmen. “Machst du weiter?” “Das will ich wohl“, sagte der Sohn, „aber auf eine andere Art.”
Der Vater, der Devotionalien und manchmal bis zu 80.000 gerahmte Hummel-Bildchen auf einen Schlag ausgeliefert hatte, war einverstanden.
Der Sohn sah voraus, dass der Markt keine Massenware mehr wollte. Heinz Janssen spezialisierte sich auf wertvollere Einzelrahmen und Vergoldungen.
Er liefert zu den Rahmen auch Objekte, vor allem alte Originalgraphik. Heinz Janssens Gespür für den Wert eines Blatts ist ausgeprägt: durch Wahrnehmen, Begreifen, Wissen und Intuition. Oder wie Janssen bescheidener sagt: „Durch Sehen, Sehen, Sehen.“ Er hat immer wieder hingesehen, hat alte und neue Kunstkataloge wie einen Hitchcock gelesen, ist zu Auktionen gefahren, zu Ausstellungen und zu Künstlern. Er hat für Kunst einen Riecher entwickelt. “Irgendwann war er auf einmal da.”
So habe er gelernt, was Qualität ist. Das macht Gespräche mit Kunden nicht unbedingt leichter. Wer in einem geerbten Barockrahmen ein Goldstück in Öl vermutet und nur Talmi eingefasst hat, will nicht hören, dass der Rahmen kostbarer ist als das Bild. Eine Gratwanderung sind auch Gespräche mit Kunden, die fordern, den Rahmen eher der Küchentapete als dem innewohnenden Kunstwerk zu widmen. Das fordert Diplomatie. Heinz Janssen beherrscht sie wie seine Frau Christel, die in der Bilderrahmenwerkstatt meisterlich berät, gerade auch zur „Kunst im Raum“.
Im Lauf der Jahre gedieh Janssens Profession so überzeugend, dass er – gut aufgestellt durch Lehrgänge und Studien – als vereidigter Sachverständiger arbeitete. Er bewertet Nachlässe und erstellt Expertisen zu Kunstgegenständen. Seit mehr als 15 Jahren begutachtet er im Reeser Museum Werke aus Privatbesitz, die Kunst sind oder als Kunst daherkommen, nutzt Datenbanken, recherchiert realisierbare Umsätze in Handel und Auktionshäusern und bezieht, wenn eben möglich, die Künstler ein.
Janssen hat viel Billiges unter der Lupe gehabt – ebenso wie echte Raritäten von hohem Wert. “Gewicht bekommt das Ganze, wenn man mit seiner Einordnung anderen die Stirn bietet und am Ende richtig liegt.” Er hat erlebt, dass Kollegen Kunst unterbewertet, eher aber überbewertet haben, vielleicht weil sich ihre Arbeit über die Prozente besser rechnet.
Mehrfach ist er im Kundenauftrag zu internationalen Veranstaltungen geflogen, zum Beispiel für einen Mann, der anrief, er habe Interesse an einer Auktion in Wien; ob Janssen ihn begleiten könne. „Und wann?“, fragte Janssen. Am folgenden Tag. Der Flieger sei gebucht und ein Tisch im Hotel Sacher bestellt. Janssen konnte nicht anders. Er sagte: „Ja.“ Er mag solche Attentate.
Sie halten ihn auf dem Laufenden. Dann heißt es wieder: “Sehen, sehen, sehen.“ Vor seinen kritischen Augen vergrößert sich noch der feinste Haarriss in Papier, Leinwand und Farbe (den er, der Restaurator, mit Sorgfalt, Stilsicherheit und Kunstgefühl meist beseitigen könnte).
Vor 44 Jahren ist aus dem Kaufmann, dem Sachverständigen, dem Restaurator und dem Inhaber einer zertifizierten Fachwerkstatt für Bildereinrahmungen, in der Oliver – neben Karin und Joachim eines seiner drei Kinder – hochqualifiziert mitarbeitet, auch ein Galerist geworden.
Längst hat der Marketing-Preisträger, der schon mal gern offen Missstände in der Kunstwerkstadt benennt, in seinen Räumen am Kapellenplatz Theo Kauertz mit einer Ausstellung geehrt, hat kunstsinnig und weitsichtig Werke jüngerer Talente präsentiert, die prompt auf dem Markt bestanden, hat Bilder und Plastiken bekannter Künstler gezeigt und sich – trotz guter Gelegenheiten – geweigert, anderen Galerien Künstler abspenstig zu machen. Mancher Kollege gebärdete sich weniger fromm.
Janssen zeigt Werke von Stummel, Pauels, van Betteraey und Kauertz, auch um dieses marienstädtische Erbe zu pflegen, hat Original-Lithographien von Chagall ebenso im Angebot wie Arbeiten zeitgenössischer Künstler, darunter Jürgen Görg, Leslie Hunt, Francoise Deberdt, Madame Osanne, Barbara Schroeder, Otmar Alt, Joachim Klos, die kürzlich verstorbene Ulla Mross – und Bert Gerresheim.
Bert Gerresheim, Francisco Cez Hernandez und Heinz Janssen hatten sich beim Wiederaufbau der Pfarrkirche entdeckt. Janssen war fasziniert von dem Bildhauer und seinem Weggefährten, der den Boden schützt und kreativ bereitet, aus dem der Künstler Skulpturen wachsen lässt. Janssen: „Bei Bert war alles so gründlich recherchiert, so authentisch bis ins kleinste Detail, so versiert und korrekt und nie auf ‘Schau’ aus.” Bert Gerresheim spiegelt ihm, was seine eigene Arbeit wertvoll macht.
Das Gästebuch in Janssens Galerie enthält ein kostbares Blatt. Gerresheim hat 2002 zur Einweihung der „Apokalypse“ mit Bleistift freihand einen Kuttenträger hingezeichnet; aus der Kapuze lugt ein Totenschädel. Neben den Kuttenträger schrieb Gerresheim: “Du, es heißt, wir sollen alle verwandelt werden.” Hätte der Schädel Augen im Kopf gehabt, hätten sie womöglich gezwinkert: „Sorry, war nur ein visueller Scherz.“ Doch Scherz darf man bei Gerresheim getrost für schieren Ernst nehmen. Die Worte, zitiert aus dem ersten Korintherbrief, sind die Weiterung der „Apokalypse“, und sie passen zu Janssen, den Gerresheim mit dem „Du“ im Gästebuch so intensiv anspricht. Wandlungen und Weiterungen erfährt Janssen schon sein ganzes Leben lang. Er hört einfach nicht auf damit.
Fotos auf dieser Seite – Delia Evers/Blattus-Archiv: 4; Privatarchiv Galerie Janssen: 2
Wer gern eine Zeitung zur Hand nimmt, liest das Kävels Bläche. In Ausgabe 30 vom 28. Juli 2022 sind der Text und einige Fotos ebenfalls veröffentlicht. Das KB zu lesen ist übrigens immer eine gute Idee.