Ein Gnadenort in Echtzeit
Pilgerreise nach Medjugorje
Von
der traumhaft schönen Adria-Küste im Süden Kroatiens schlängelt sich
eine Bergstraße mit Serpentinen zu einem kleinen Grenzübergang.
Das Wallfahrtszentrum von Medjugorje. Fotos: Delia Evers, Martin
Willing
Nach rund 1.700 Kilometern ist Bosnien-Herzegowina erreicht. Noch eine
halbe Stunde mit dem Auto, dann sieht man Medjugorje im Tal liegen.
Auf der Landkarte, die uns zu dem Marienwallfahrtsort führt, ist
nördlich von Medjugorje ein Ort eingezeichnet, zu dem Kevelaer eine
Beziehung hat: Banja-Luca, wo seit vielen Jahren bedürftige Menschen mit
Spenden aus der Wallfahrtsstadt Kevelaer unterstützt werden.
Medjugorje
ist erst seit 26 Jahren Wallfahrtsort und hat bereits eine Infrastruktur
wie manche Pilgerstätte erst nach Jahrhunderten. Pilgerhäuser,
Restaurants, Hotels und Devotionaliengeschäfte sind im Umfeld der
St.-Jakobus-Kirche angesiedelt. Trotz des Baubooms in der inzwischen
weltbekannten Wallfahrtsstadt ist dem heiligen Bezirk Freiraum gelassen
worden. Hinter dem Gotteshaus, wo eine zeltüberdachte Sommerkirche
angebaut ist, öffnet sich ein Platz für Tausende von Pilgern.
Die momumentale Figur des vom Kreuz auferstandenen Christus.
Im Verbund mit den Pilgern, die eine aus der Bronze sich absondernde
Flüssigkeit mit Tüchern aufnehmen und sich damit berühren, werden die
Ausmaße der rund acht Meter hohen Skulptur deutlich.
Das
Ursprungsmirakel von Medjugorje ist mit denen von Lourdes und Fatima
verwandt. Auch das soziale und politische Umfeld der Seherkinder - ob
Jugoslawien, Portugal oder Frankreich - ist vergleichbar: Lourdes war
1858 ein verarmtes Dorf in den französischen Pyrenäen, von Cholera und
Hungersnot heimgesucht. Den Katholiken wehte kirchenfeindlicher Wind der
Politik ins Gesicht, als ein Mädchen berichtete, ihm sei die
Gottesmutter erschienen.
Fatima hatte 1917 - im Ersten Weltkrieg - keine Zukunft; Portugal war
von Revolutionen geschüttelt, und Angst vor dem Kommunismus ging um. Da
berichteten drei Seherkinder von Marienerscheinungen. Medjugorje war
1981 ein Dorf im sozialistischen Vielvölkerstaat Jugoslawien. Die
Menschen lebten vom Wein- und Tabakanbau. Wer seinen katholischen
Glauben ausübte, stellte sich ins soziale Abseits, und nicht selten
musste die Kirche um Existenz und Duldung bangen. Am 24. Juni 1981
bezeugten sechs Kinder und Jugendliche aus der Umgebung von Medjugorje,
die Gottesmutter gesehen und mit ihr gesprochen zu haben.
Ein
wesentlicher Unterschied zu
Lourdes und
Fatima ist die Dauer der berichteten
Erscheinungen.
Das Gipfelkreuz auf dem Kreuzweg-Berg, das nach überaus
beschwerlichem Gang erreicht wird. Viele Pilger lassen auf den
Kreuzwegstationen Erinnerungen zurück - wie hier das kleine Holzkreuz
mit Rosenkranz.
Von den sechs Seherkindern in der Herzegowina - inzwischen 26 Jahre
älter und zum Teil verheiratet - sagen drei, dass sie bis heute täglich
Begegnungen mit der Gottesmutter hätten, während die drei anderen
erklären, Maria erscheine ihnen heute einmal im Jahr an einem von der
Gottesmutter bestimmten Tag.
Einen so langen und schier unbegrenzten Erscheinungszyklus hat es in der
Geschichte der Marienmirakel noch nie gegeben. Jeden Monat gibt die
Pfarre von Medjugorje eine neue Botschaft bekannt, die einer der Seher
empfangen habe, zum Beispiel die vom 25. Juli 2008:
*
Liebe Kinder!
Heute, am Tag des Schutzpatrons eurer Pfarrei, rufe ich euch
auf, das Leben der Heiligen nachzuahmen. Sie mögen für euch
Vorbild und Ermutigung zum Leben in Heiligkeit sein. Das Gebet
möge für euch wie die Luft zum Atmen und keine Last sein. Meine
lieben Kinder, Gott wird euch seine Liebe offenbaren und ihr
werdet die Freude erleben, dass ihr meine Geliebten seid. Gott
wird euch segnen und euch die Fülle der Gnade geben.
Auch diese Botschaft endete - wie alle anderen in den
vergangenen 26 Jahren - mit dem Satz: „Danke, dass ihr meinem
Ruf gefolgt seid!“ |
Die Königin des Friedens, so ihr Titel, war zunächst den bedrängten
Katholiken in der „Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien“
Beistand, und sie war die Zuflucht in den Jahren der kriegerischen
Umbrüche, aus der mehrere neue Kleinstaaten hervorgingen, darunter
Bosnien-Herzegowina. Zurück blieb ein Jugoslawien von nur noch einem
Viertel seiner ursprünglichen Fläche, das seit 2003 Serbien/Montenegro
heißt.
Die Menschen haben Verfolgung, Krieg und Gräuel erfahren müssen. Und das
liegt nicht lange zurück. Als die Marienmirakel von Medjugorje zum
ersten Mal berichtet wurden, war in Kevelaer das Hülsparkstadion im Bau.
Und als der Krieg im zerfallenden Jugoslawien wütete, wurden in Kevelaer
- das haben viele noch gut in Erinnerung - die ersten beiden
Kreisverkehre eingerichtet.
Seit 1981 zieht Medjugorje Menschen aus aller Welt wie ein Magnet an.
Die Frage nach der kirchlichen Anerkennung der Marienerscheinungen
stellt sich nicht, weil das Mirakel den Berichten nach andauert; es gibt
nichts Abgeschlossenes, was geprüft werden könnte. Aber längst wurde mit
Füßen und Herzen abgestimmt: Medjugorje ist zu einer Gebetsstätte
geworden, an der sich Bekehrungen und Festigungen im Glauben an
ungezählten Pilgern ereignen, die die Gnadenerweise an diesem Ort der
Gottesmutter und ihrem Sohn zuschreiben.
Die täglichen Rosenkranzgebete und Pilger-Gottesdienste werden am Abend
zelebriert. Diesmal sind es nur einige hundert Besucher, mit denen etwa
20 Priester in der Sommerkirche die heilige Messe feiern. Das Evangelium
wird in zehn Sprachen verkündet. An der langen Flucht von winzigen
Beichtzimmern neben der Kirche lesen wir auf Tafeln, welche Sprache der
Beichtvater spricht.
Im Marienwallfahrtsort Medjugorje steht Christus im Mittelpunkt. Das
wird auch in dem überaus beeindruckenden Monument des Auferstandenen
deutlich. Sein Kreuzweg, der auf einen 537 Meter hohen Berg führt, ist
der beschwerlichste, den man sich vorstellen kann: steil, knochenhart
mit spitzen Felssteinen und fordernd bis an die letzte Leistungskraft
des Pilgers. Mehr als einmal steht der aus Kevelaer Angereiste kurz vor
dem Abbruch. Diesen Berg, so berichten Gläubige, haben die Seherkinder
während mancher Erscheinung erklommen - so schnell und leicht, als
flögen sie.
Medjugorje ist ein Ort ohne den Abstand einer Jahrhunderte
langen Entwicklung, eine Stätte der unmittelbaren Erfahrungen. Viele
empfinden ihn als Gnadenort in Echtzeit.
Im Januar 2014 wurde durch das vatikanische Presseamt überraschend bekannt, dass
eine internationale Kommission das geistliche Leben und die
seelsorgliche Begleitung der Pilger überprüft und damit die
Untersuchungen zu Medjugorje abgeschlossen hatte. Das Ergebnis leitete
die Kommission zur weiteren Bearbeitung der
Glaubenskongregation zu, die die Überprüfung nun weiterführt.
Derweil berichten die
sechs inzwischen erwachsenen Seherkinder, die für Juni 1981 ihre ersten
Marienvisionen angeben, dass sie noch heute Marienerscheinungen in
Medjugorje erleben würden.