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Die
Gefahr ist nicht groß, dass der Kevelaerer Rat das städtische Jugendamt
an den Kreis zurückgibt, um Geld zu sparen. Denn erstens arbeitet auch
der Kreis nicht für Gotteslohn und zweitens will kein vernünftiger
Politiker, dass Kevelaer in die 1980er-Jahre zurückfällt und ein Stück
gewonnene Eigenständigkeit aufgibt. Der erneute Vorstoß der
"Unabhängigen Wählerunion" (UWU) aus Kervenheim wird also ins Leere
laufen. Wie war das denn eigentlich 1989, als die Stadt Kevelaer
erstmals ein Jugendamt einrichten durfte?
Kevelaer spielte schon vor Jahrzehnten unter den Augen der strengen
Landesregierung eine besondere Rolle. Die Stadt durfte, obwohl sie mit
weniger als 25.000 Einwohnern dafür zu klein war, ein eigenes Bauamt
vorhalten. Die Ausnahmegenehmigung wurde immer wieder verlängert.
Damit war 1989/1990 Schluss: Halbe Sachen duldete die Landesregierung
nicht mehr. Sie verlangte: Wenn Kevelaer sein Bauamt behalten will, dann
muss es auch andere Aufgaben einer "mittleren kreisangehörigen Stadt"
(über 25.000 Einwohner) übernehmen, darunter die der Jugendhilfe. Das
war die Geburtsstunde des städtischen Jugendamts.
Bislang trug der Kreis für die Stadt die Jugendhilfe und bekam
dafür über die differenzierte Kreisumlage die Kosten von der Stadt
erstattet. Das waren damals 1,6 Millionen Mark. In Eigenregie, das
wusste jedes Ratsmitglied, als Mitte 1990 die Entscheidung fiel, würde
die Sache etwas teurer. Man rechnete mit insgesamt rund zwei Millionen
Mark im Jahr. "Was wir selbst erledigen können, sollten wir im Interesse
der Bürger auch selbst tun", sagte seinerzeit
Hannes Selders
(CDU), der auch an die zusätzlichen Arbeitsplätze dachte.
1991
wurde der Chef des Jugendheims Kompaß, Matthias Jansen, zum Leiter des
künftigen Jugendamts benannt. Anfang 1992 begann er mit seiner neuen
Aufgabe.
Jugendamtsleiter Matthias Jansen (1992).
Obwohl die Arbeit des Jugendamts als städtische Erfolgsgeschichte
wahrgenommen wurde, kam der Kostenvergleich (wer kann es billiger: Stadt
oder Kreis?) immer mal wieder hoch. So gerieten sich beispielsweise 1998 Stadtdirektor
Heinz Paal und
SPD-Ratsherr Norbert Killewald in die Haare, weil Killewald monierte,
die Kosten lägen heute höher als früher, als noch der Kreis für Kevelaer
tätig war (was noch nie jemand bestritten hatte).
Natürlich lagen die Aufwendungen höher, aber wegen der zusätzlichen Vorteile für die Stadt
und ihre Bürger wurden die Mehrkosten akzeptiert. Um das Kostenargument
endlich vom Tisch zu bekommen, versuchte Paal, Jugendamt und Sozialamt
zusammenzulegen, was Einsparungen bei den Personalkosten bringen sollte. Dafür kassierte er
Anfang 1999 eine krachende Ablehnung der Landesregierung. Paal war
empört - vor allem wegen der dürftigen Begründung in wenigen Zeilen.
"Unser Bemühen, die Verwaltung schlanker zu gestalten, ist
fehlgeschlagen", klagte der Verwaltungschef.
Als 2002 das Jugendamt sein zehnjähriges Bestehen beging, wurde die gute
Zusammenarbeit zwischen dem Jugendamt und dem Jugendhilfeausschuss mit
seinen 24 gewählten Vertretern aus Parteien, Kirchen, Behörden und
ortsansässigen Jugendorganisationen gelobt. Die Arbeitsteilung sieht so
aus:
Während der Jugendhilfeausschuss Perspektiven entwickelt und die Weichen
für die Zukunft stellt, werden im eigentlichen Jugendamt die
Alltagsgeschäfte abgewickelt. Da geht es dann zum Beispiel um Kindergarten- und
Pflegestellenplätze, um Sorgerechtsregelungen,
Vormundschaftsangelegenheiten, Zuschusszuteilungen und
Kinderspielplätze. Niemand im Stadtrat zweifelte daran, dass Menschen,
die hier leben und arbeiten, solche Aufgaben besser erledigen können als
anreisende Außendienstmitarbeiter der Kreisverwaltung.
Dass der Kreis das anders sieht, liegt auf der Hand. 2003 forderte
Landrat Rudolf Kersting die Kreistagsfraktionen auf, darüber
nachzudenken, ob ein Jugendamt im Kreis nicht genauso effizient und
fachkundig die Aufgaben erledigen könnte, "aber sicherlich
kostengünstiger als sechs Jugendämter das vermögen."
Die fünf Kommunen im Kreis, die ein eigenes Jugendamt unterhielten,
reagierten auf Kerstings Vorstoß so: Kleve und Goch fanden die Anregung
"interessant", Emmerich war "nicht begeistert", Geldern wollte "prüfen".
Nur Kevelaer gab zu bedenken: Man solle nicht nur die Kosten sehen.
Vielmehr müsse ins Kalkül gezogen werden, ob die Jugendamtsaufgaben
nicht besser in der jeweiligen Stadt erledigt werden könnten.
Vorgetragen wurden diese Bedenken vom damaligen stellvertretenden
Hauptamtsleiter Ralf Püplichuisen, dem heutigen Stadtkämmerer.
Die Debatte verlief im Sande, es blieb alles beim Alten. Aber ausgerechnet in
Kevelaer wurde die Kostengeschichte erneut aufgewärmt - Anfang 2012
durch die UWU, die sich mit der Vorgeschichte und den Begründungen
offenbar nicht auskennt. Sie beantragte, die Trägerschaft des Kevelaerer
Jugendamts zu überprüfen. Nach umfassender Information durch die
Verwaltung, was das städtische Jugendamt eigentlich leiste, blieb es bei
dem Versuchsballon. „Hier in Kevelaer kennen wir die
Familien und können am besten beurteilen, wer welche Hilfe braucht",
argumentierte Jugendamtsleiter Matthias Jansen.
Im November 2012 ließ die UWU ihren Ballon zum zweiten Mal steigen. Ernst Umbach
und Rainer Kürvers brachten ihren Sparvorschlag erneut ein und setzten
sich in der Tagespresse in Szene als Sparkommissare des Stadtrats.
Das wird nicht verfangen. Jeder sachkundige Politiker weiß, dass immer mehr Familien
Hilfe brauchen. In dieser Situation eine bewährte Organisation - Jugendamt und Jugendhilfeausschuss
- aufzumischen und deren Aufgaben dem
Kreis zu überlassen, wäre Flucht vor der Verantwortung und zum großen
Nachteil für die Bürger der Stadt Kevelaer. Selbst wenn die Stadt einige
Euro einsparen würde - das käme anschließend teuer zu stehen.
Donnerstag, 29. November 2012
© Martin Willing 2012