|
|
Von
Martin Willing
Anfang Juli wollte der Kevelaerer Pfarrer
Richard Schulte Staade
die KB-Rubrik "Bedenkliches" dafür benutzen, um die
Gerichtsberichterstattung des KB über den Fall des Dr. F. zu
diskreditieren:
"Für eine gute Berichterstattung sind wir allemal und um
es nicht nur bei Gerüchten und vagen Vermutungen zu lassen, geht es auch
oft nicht ohne Details", schrieb Schulte Staade. "Dennoch sollten
'nackte' Tatsachen doch des Schutzes der Intimsphäre unterliegen. Man
kann auch nicht, um der Wahrheit und der berechtigten Entrüstung zu
dienen, etwa aus einem Gerichtssaal, mag die Verhandlung noch so
öffentlich sein wie sie will, fast an Pornographie grenzende Dinge
mitteilen. Auch wenn sie wahr und 'nackte' Tatsachen sein sollten. (…)
Denn, wenn es da Behandlungsweisen sehr eigener Art gegeben hat, könnte
ganz schnell auch anderen ambulanten Patienten etwas unterstellt werden.
Ich wurde von einer Betroffenen und auch anderen aus oben besagtem
Klientel angesprochen. 'Meine Frau hat das Gefühl, ihr werde unterstellt
- weil sie wegen eines Exems zwischen den Fingern mehrfach die Praxis
aufsuchen mußte - als gäbe es auch andere Interessen.' So fühlen sich
Menschen in ihrem Intimbereich in ein 'bestimmtes Licht' gestellt und da
ist es für mich bedenklich, ob so etwas so detailliert gebracht werden
muß (…)"
Delia antwortete dem Pfarrer:
"Die betroffenen Frauen im Fall des
Dr. F. haben ausdrücklich Öffentlichkeit - auch und gerade über die
Praktiken - gewünscht. Sie wollten anderen Frauen deutlich machen, wie
subtil Übergriffe sich bis zum vollzogenen sexuellen Missbrauch
entwickeln und wovor sie sich folglich schützen können. Sie wollten
zudem verdeutlicht haben, worin das Vergehen des Arztes nach Meinung des
Gerichts konkret besteht, um ihr Leid verständlich zu machen. Sie, Herr
Pastor, kehren das Anliegen der Frauen ins Gegenteil um; Ihre Wortwahl
'an Pornographie grenzend' ist vor diesem Hintergrund unsäglich
deplatziert. Der Arzt ist wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt worden.
Es nützt niemandem, ein Mäntelchen um die schlimme Wahrheit zu legen, am
allerwenigsten den Patientinnen. Dass ihre Not und die Not wendende
Aufgabe, andere Frauen vor Übergriffen zu schützen, nicht öffentlich
beschrieben werden können, ohne dass diese Beschreibung sich das Etikett
'an Pornographie grenzend' gefallen lassen muss, verletzt die Frauen zum
zweiten Mal. Das lassen wir nicht zu. Ihren Text lehnen wir ab."
Nach dem Prozess gab sich der Verfasser des Flugblatts, mit dem alles
begonnen hatte, dem KB gegenüber zu erkennen. Der Schutz seiner
Identität bleibt bis heute gewahrt. Delia Evers schrieb dem Mann: „Sie sagen, dass
Sie keine Genugtuung empfinden. Das ehrt Sie, und so habe ich Sie
eingeschätzt. Aber vielleicht ist es Ihnen möglich zu erspüren, wie viel
Leid Sie gelindert und wie viel Leid Sie verhindert haben. Darüber,
nicht über das Urteil, dürfen Sie sich gewiss freuen.“
Im November 2002 meldete das Klever/Gocher Wochenblatt unter der
Überschrift „Diese Frau hat Zivilcourage gezeigt“: „Mit dem ‚Inge v.
Bönninghausen-Preis‘ wurde jetzt Delia Evers, Chefredakteurin des
‚Kevelaerer Blatt‘ ausgezeichnet. Der Preis, 1998 von Kölner Frauen und
Frauenprojekten ins Leben gerufen, ist eine Auszeichnung für Frauen,
‚die Zivilcourage, Unbestechlichkeit und besonderes feministisches
Engagement gezeigt haben‘.“
Der Preis wurde alle zwei Jahre an eine einzelne Frau, eine Gruppe oder
ein Frauenprojekt verliehen. Erste Preisträgerin war Dr. Inge von
Bönninghausen, Journalistin, Redakteurin und Moderatorin der Sendung
frau tv im WDR, danach Vorsitzende des Deutschen Frauenrates. Zweite
Trägerin des Preises wurde die Prinzipalin des Kölner Piccolo-Theaters,
des einzigen Frauentheaters in NRW: Ingund Mewes (†).
Delia, die dritte Preisträgerin, bekam den Preis im Rahmen einer
Feierstunde in der Begegnungsstätte des
Museums in Kevelaer überreicht.
In der Einladung zu dem Fest hieß es unter anderem: „Delia Evers hat
[in ihrer Berichterstattung] außerordentlichen Mut bewiesen.“
Anfang Februar 2003 bestätigte der Bundesgerichtshof das Klever Urteil.
In der Pressestelle des Bundesgerichtshofs hieß es: „Nach den
Feststellungen hat der Angeklagte die Gelegenheit der ärztlichen
Behandlung zu besonders erniedrigenden sexuellen Übergriffen genutzt.“
Und weiter: „Seine Revision blieb im wesentlichen ohne Erfolg; das
Urteil des Landgerichts ist damit rechtskräftig.“
Im April 2003 entzog die Bezirksregierung in Düsseldorf dem Arzt die
Approbation auf unbefristete Zeit.
© Martin Willing 2012, 2013