DELIA EVERS
Mamis kleine Krasselstrippe
Wie ich zur schreibenden Zunft kamMeine erste Berührung mit dem Journalismus
ereignete sich, als ich drei Jahre alt war. Mein
Vater, Bildberichter
bei der NRZ in Wesel, schickte sich an, ein Frühlingsfoto zu schießen.
Sein Motiv: Der Weselaner Bahnhof, davor eine mit violetten und gelben
Krokussen übersäte Wiese (die es noch heute gibt), darauf meine
Schwester Sigrun und ich in der blühenden Pracht.
Ich habe die Worte meines
Vaters noch im Ohr: „Ihr hockt euch hin und tut so, als ob ihr die
Blumen pflückt.“ Mein Vater entfernte sich, drehte sich mit seiner
Kamera um und tat einen Schrei. In rasanter Eile hatte ich alle Krokusse
in meiner Umgebung geköpft. Kurz darauf erschloss mir mein Vater die
Bedeutung des Wortes „so tun als ob“. Wir wurden kurzerhand auf ein
ungerupftes Stück Wiese gesetzt und fotografiert. Das Foto erschien.
Delia Evers
(l., mit Schwester Sigrun) zum
ersten Mal in einer Zeitung: Frühlingsbild ihres Vaters Hanns Evers für
die NRZ.
Bei anderer Gelegenheit lernte ich gern neue
Wörter hinzu, und längst hatte ich mit meinen drei Jahren einen
beträchtlichen Wortschatz beieinander. Ich sammelte Wörter, nervte meine
Umgebung mit immer neuen Fragen („wie heißt das?“) und wiederholte
unablässig die Vokabeln, verpackt in kleine Geschichten, so dass meine
Mutter mich beinahe täglich neckend vor den geflügelten Spiegel im
Schlafzimmer stellte und fragte: „Was ist Delia von Mami?“ Dann parierte
ich piepsend: „Mamis kleine Krasselstrippe.“ Das „Qu“ kam mir nicht über
die Lippen, dafür war der Genitiv perfekt gebildet.
Mit fünf, sechs Jahren wurde ich erneut für die
NRZ tätig, diesmal regelmäßig: Ich transportierte zusammen mit meiner
Schwester Sigrun Satzmanuskripte durch die Stadt, von wo nach wo - das
habe ich vergessen. Viel wichtiger war, dass wir einmal eine gewaltige
Belohnung erhielten. Wir durften uns in einem Geschäft selbst
Tragekörbchen aussuchen, wie sie für kleine Mädchen unverzichtbar waren.
In die Schule wollte ich unbedingt: weitere
Wörter lernen und vor allem Lesen und Schreiben.
Allerdings gab es ein
Problem. Ich war viel zu klein für mein Alter (meine Mutter behauptet
bis heute, und es spricht einiges dafür, dass ich noch mit drei Jahren
meine Strampelhosen getragen habe). Dennoch schaffte ich die
Voruntersuchung mit Bravour und lernte bei dieser Gelegenheit weitere
Feinheiten der Sprache kennen, diesmal - etwas spät - von meiner Mutter.
„Wenn man eine Frage nicht verstanden hat, sagt man ‚bitte?‘ und nicht
‚hää?‘.“ Später habe ich mich meistens daran gehalten.
In der Volksschule am Hansaring war ich - ab
Ostern 1964 - unauffällig und schüchtern, weil ich wegen meines kleinen
Wuchses und meines Tornisters gehänselt wurde (er hatte zwei Schlösser
und war deshalb ein ‚Jungentornister‘), aber eine fleißige Schülerin.
Meine Zeugnisse wiesen gute Noten aus. Einmal kam ich allerdings klagend
nach Hause: „Ich habe nur Einsen und Zweien, aber einmal ‚regelmäßig‘.“
Bald kannte ich auch die Bedeutung dieses Wortes.
Von der Arbeit meines Vaters bekam ich nicht
viel mit. Er war 1964 mit unserem Wohnungswechsel nach Geldern nicht
mehr Fotograf, sondern Redakteur bei der
Rheinischen Post.
Manchmal
besuchten Sigrun und ich ihn in der Redaktion an der Hartstraße. Mich
faszinierten die Klappertöne der Schreibmaschinen und das „Ting“ am Ende
jeder Zeile, wenn der Wagen mit leichtem Ratschen zurückgeschoben werden
musste, der Geruch nach Farbbändern und Papier, die Manuskriptrollen und
die dicken Buntstifte, für die man einen besonderen Anspitzer brauchte.
Manchmal bekamen wir einen Stift geschenkt. Und noch seltener drückte
uns Vater drei Groschen in die Hand. Dann durften wir uns an der ersten
und einzigen Pommesbude am Markt holländische Fritten kaufen.
In der Schule lief ich zur Hochform auf, sehr
zum Ärger einiger Lehrpersonen. In einem Aufsatz ließ ich einen Husar
über den Gelderner Grüngürtel reiten und dort aberwitzige Abenteuer
bestehen. Das Wort Husar hatte ich gerade gelernt. Seine Anwendung und
die Einbettung in meine fantastische Geschichte wurde mit roter Tinte
als „Unsinn“ entlarvt. Ein anderes Mal, ich mag acht Jahre alt gewesen
sein, hatte ich in einem Diktat das Wort ‚behende‘ mit ‚ä‘ geschrieben.
Auch dieser Versuch ungewöhnlichen Denkens wurde mit dem Füller der
Lehrkraft beendet.
Ich war mir meiner Sache allerdings sicher: Die
Lehrerin irrte; so ging ich, die Schüchterne, nach der Stunde nach vorn
und erklärte der verdutzten Frau, dass ‚behende‘ sich von der Hand
ableite und daher mit ‚ä‘ geschrieben werden müsse. Sie kam nicht auf
den Gnadenakt, mir den Fehler zu erlassen. Ungefähr 30 Jahre später
rehabilitierte mich die Rechtschreibreform.In all den Jahren schulte ich Fantasie,
Gedächtnis und Wortfindungsreichtum mit Sigrun. Kaum waren wir von der
Schule zu Hause, lebten wir stundenlang in spontan erdachten,
dialog-lastigen Fortsetzungsromanen, reisten also schauspielernd durch
unsere Kinderjahre und die Welt und gerieten u.a. in den Wilden Westen.
Der Aufenthalt bescherte mir eine Fülle neuer, schwieriger Wörter, die
ich umgehend zu schreiben lernte: Sheriff, Cowboy, Ranch und Ponderosa.
1968 zogen wir von der Bahnhofstraße in Geldern
aus unserem geliebten ‚Haus Gisela‘ mit dem riesigen Garten nach Weeze
an den Freitag. Ich wechselte von der St.-Adelheid-Schule in Geldern zum
Neusprachlichen Mädchengymnasium in Geldern und wurde Fahrschülerin. Ich
freute mich an erstklassigen Lehrerinnen und Lehrern: Ruth Fruhner zum
Beispiel, die jahrelang meine Klassenlehrerin blieb, eine
lebenserfahrene, ruhige und zugleich strenge Person, die oft mit einem
„was ist sechs mal acht“ in die Klasse geschossen kam und mit dem Finger
auf die Schülerin zeigte, die spontan die richtige Lösung zu wissen
hatte.Peter Nieting zählte zu den Guten, Klaus Weeber,
später Dr. Brigitte Hintze und Peter Heinke. Peter Nieting würde für
mich Jahre danach noch einmal eine besondere Bedeutung gewinnen: Er war
1980 der Hauptinitiator für die Gründung einer
„Leserinitiative
Rheinische Post", die nach dem Streik für die Wiedereinsetzung des
beurlaubten Lokalchefs Martin Willing in Geldern demonstrierte.
Zu Hause verfasste ich Gedichte auf meine
Geschwister, beschrieb die unbestimmten Zustände, in die Jugendliche
geraten können, füllte mein Tagebuch und rutschte wie selbstverständlich
in die Redaktion der ersten gemeinsamen Schülerzeitung von Mädchen- und
Jungengymnasium, die, wie hübsch, angelehnt an den Bach, der übers
Schulgelände lief und Päddegräfken hieß, Pennegräfken genannt wurde.
Ich verfasste Artikel, die über den Schulalltag
hinausgingen und manche Mitarbeiter verwirrte. Einmal formulierte ich,
dass die Ranzen die Rücken der Schüler zu Fragezeichen gebogen hätten.
Das stieß in der Redaktionssitzung auf Unverständnis. Vertrauenslehrer
Klaus Weeber versachlichte die Diskussion mit dem Hinweis, er finde die
Betrachtung klasse. Die Kameradinnen wählten mich zur Pressesprecherin
der Schülermitverwaltung.
Das große Glück unserer Klasse war, dass wir ab
der Quarta (wir alle hatten Latein als zweite Fremdsprache gewählt,
Französisch war die dritte) bis zum Abitur in einer Stärke von zuletzt
nur 13 Mädchen zusammenblieben und noch nach alter Ordnung unsere
Reifeprüfung ablegten. Die Parallelklasse belegte uns mit dem Attribut
elitär.
Wir nahmen‘s ehrenvoll an. Irgendwie war in
unserer Klasse alles anders als in anderen Klassen. Bei einem Schulfest
erregten wir Aufsehen, weil wir als einzige den Erlös unseres Beitrags,
u.a. eine Fotoshooting-Aktion mit einer Poloroid-Kamera, nicht für die
eigene Klassenkasse nutzten. Wir hatten zuvor das Haus Karin, eine
sozio-therapeutischen Einrichtung für psychisch Kranke am Westwall,
besucht und beschlossen, ihnen mit einer Spende eine Freude zu machen.
Da stand uns die eigentliche Bewährungsprobe für
unsere Kameradschaft noch bevor. Sie ist berichtenswert, weil sie zeigt,
wie stark der Mut in meiner Klasse dazu beigetragen hat, auch bei mir
Couragiertheit und Einsatz zu fördern. Unsere geschätzte Klassenlehrerin
Dr. Brigitte Hintze, die uns zum Abitur hatte führen sollen, wechselte
im zweiten Halbjahr der Unterprima als Leiterin an eine andere Schule.
Wir bekamen eine neue Lehrerin für Deutsch und Geschichte. Sie schaffte
es in kürzester Zeit, den Notenspiegel der Klasse auf den Kopf zu
stellen. Wir mussten aus eigener Kraft unseren Widerspruchsgeist
schulen. Von Arbeit zu Arbeit beschwerten sich einige von uns über die
Noten. Ein neutrales Lehrergremium musste dann nacharbeiten,
gegengelesen und bewerten. Immerhin schaffte ich es mehrfach, von einer
fünf auf eine drei oder von einer vier auf eine zwei zu kommen. Mehr war
nicht drin.
Nach einigen Monaten war die Sorge über die
Notenpolitik der Pädagogin, die zugleich unsere Klassenlehrerin war, so
groß, dass wir bei der allseits mit großer Ehrfurcht betrachteten
Schuldirektorin Dr. Marianne Hartmanns den Antrag auf Abwahl unserer
Klassenlehrerin stellen wollten, ein ebenso einmaliger wie ungeheurer
Vorgang.
Wir baten um ein Gespräch mit der Direx, bekamen erneut Hinweise, dass
es Ärger geben werde, wenn wir auf einem Wechsel bestünden. Eine Abwahl
sei ohnehin nicht möglich. Wir sollten es nicht wagen.
Wir wagten es. Andrea Verkühlen und ich, beide
Klassensprecherinnen, bekamen den Termin bei Dr. Hartmanns und
erläuterten ihr unsere Gründe. Sie strafte uns mit dem Gefühl, einen
verwerflichen Schritt zu tun, den sie nicht gutheißen könne. Allerdings
dürfe keinem daran gelegen sei, die Sache eskalieren zu lassen. Man
werde sehen, was sich machen lasse.
Die Entscheidung, mit der wir bald darauf
konfrontiert wurden, war denkbar schlecht durchdacht: Zwar bekamen wir,
inzwischen Oberprimanerinnen, einen neuen Klassenlehrer, Peter Heinke,
mit dem wir uns bestens verstanden, doch wir behielten - was für eine
krasse Lösung - die Lehrerin im Fach Deutsch. Das Klima war vergiftet.Einige von uns haben darunter noch in den
Abiturprüfungen im Mai 1977 gelitten.
Ich war ehrgeizig, was den guten Notendurchschnitt anbetraf, allerdings
entspannt. Zudem hatte ich meine künftige Arbeitsstelle bereits
sicher...
Weniger sicher war bis dahin lange Zeit mein
Wunschberuf gewesen. Ich schwankte zwischen drei ziemlich unvereinbaren
Zielen - Journalistin, Psychotherapeutin und Schauspielerin. Geschrieben
und formuliert hatte ich immer gern. Der Journalismus lag also nahe.
Dabei wollte ich keinesfalls in die Fußstapfen meines Vaters treten, ich
bestand darauf, meine eigenen zu legen, musste insgeheim aber zugeben,
dass mein Vater durchaus Wegbereiter gewesen war, übrigens auch dessen
Vater: Bei den Großeltern hatte ich mehrfach als Kind meine Ferien
verbracht und war vom Opa mit Sprachkunststückchen beglückt worden. Wir
wetteiferten im Verdrehen von Buchstaben und erbaten, schittebön, de
Miefstütterkes oder aus dem Batterfuss den Strotaufbrich.
Erst später erfuhr ich, dass auch
meine Mutter
bestens schrieb. Sie frappierte uns Kinder, da waren wir längst
erwachsen, mit ihren Lebensaufzeichnungen in einer intensiven,
geschliffenen und bildreichen Sprache.
Zur Psychotherapie fühlte ich mich hingezogen,
da ich schon immer gern und oft gut Gespräche geführt und mich in die
Lage anderer Menschen versetzt hatte.
Die Schauspielerei war mir aus meiner Kindheit
im Wilden Westen vertraut, und ich vermute bis heute, dass ich eine gute
Darstellerin geworden wäre.
Doch ich wurde Journalistin.
Anfang 1977 bewarb ich mich bei der Rheinischen
Post um einen Ausbildungsplatz. Mein Vater hatte mich zuvor häufiger mit
in die Druckerei Schaffrath zum Umbruch genommen. Ich kannte die
Abläufe, hatte bei der NRZ und bei der RP in Kleve, wo mein Vater
inzwischen als Bezirkssportredakteur recherchierte und schrieb, als
freie Mitarbeiterin gearbeitet, keine großen Sachen, aber ich kannte den
Geruch und die Abläufe der Redaktionen.
Martin Willing, Lokalchef in Geldern, tat ganz
gegen seine Gewohnheit, nur Selbstrecherchiertes zu behaupten, seinem
Kollegen Hanns Evers einen Gefallen. Er schrieb für dessen Tochter ein
Empfehlungsschreiben, in dem er erklärte, dass „Fräulein Evers
journalistisches Talent hat. Dies zeigt sich besonders beim Schreiben
von Glossen“.
Tatsache war, dass Martin Willing mich weder
kannte, noch je eine Zeile von mir gelesen hatte. Immerhin holte ich mir
das Empfehlungsschreiben persönlich in der Redaktion ab und fühlte mich
mit dem Papier in der Tasche sicherer, als ich am 1. März 1977 beim
stellvertretenden Chefredakteur Walter Vitten in der Blumenstraße 16 im
riesigen RP-Haus an die Tür klopfte, um mich vorzustellen. Vitten war
die Freundlichkeit in Person, und er blieb es für mich während meiner
gesamten Ausbildung, väterlich, offen, hilfreich und nie destruktiv. Zum Bewerbungsgespräch kamen Chefredakteur Dr.
Joachim Sobotta und Personalchef Weber hinzu. Ich wunderte mich über den
hohen Aufwand, antwortete gut und schon bald ohne Lampenfieber, war
allerdings auf die Frage von Sobotta nicht gefasst, wie meine politische
Einstellung sei. Nach einer Schrecksekunde, in der ich abwog, welche
Antwort wohl günstig wäre, von der SPD angesichts des allgemeinen
RP-Rufs vorsichtshalber Abstand nahm, die CDU hingegen nicht vertreten
wollte, nannte ich die FDP.
Das war der einzige politische
Opportunismus, den ich mir während meiner Zeit als Journalistin je
geleistet habe.
Bereits
drei Tage später erhielt ich meinen Einstellungsbescheid zum 1. Juli
1977. Ich war Volontärin, durchlief - so ist es bei vielen Verlagen
Praxis - mehrere Redaktionen (Mettmann, Kempen, Viersen, Geldern und
Düsseldorf) mit unterschiedlichen Erfahrungen. In Mettmann kam ich mit
einem Kollegen nicht klar, der mich, die 20-Jährige, mehrfach mit dem
Hinweis bedachte, er habe nicht vor, in einem Kindergarten zu arbeiten.
Dass es sich in der Tat nicht um einen Kindergarten handelte, war
unschwer daran zu erkennen, dass allmorgens um 11 Uhr, wenn die Ausgabe
des nächsten Tages durchgesprochen wurde, eine Flasche Schnaps zu
kreisen begann
.
Delia Evers
als 20-Jährige.
Eher als erwartet saß ich wieder in Düsseldorf
und bat Walter Vitten, mich so schnell wie möglich zu versetzen. Von
jemandem, der mich ablehne, könne ich nichts lernen. - Walter Vitten beruhigte mich, ich müsse mir
keine Gedanken machen (er könne mir versichern, dass ich nicht die
einzige sei, die mit einigen Personen nicht klarkomme) und versetzte
mich zum 1. Oktober 1977 in eine Art Paradies - nach Kempen in die
Redaktion von Jörg Basfeld.
Basfeld ließ mir und meiner Kollegin Dorothee
Boeken, die als Pauschalistin angestellt war, fast völlig freie Hand,
wurde allerdings deutlich, wenn wir eine Sache verbockt hatten, was
selten vorkam. Basfeld ließ uns an alles ran, schickte uns immer mal
wieder über Land ohne konkrete Aufträge, nur mit dem Hinweis: „Und kommt
ja nicht ohne Geschichte zurück!“
Nie werde ich die schrecklichen Stunden
vergessen, als in Oedt bei Grefrath ein Mord geschehen, ein Mann in
Verdacht, aber nicht gefangen war, Dorothee Boeken und ich, gerade 20
Jahre alt, unseren allerersten Wochenenddienst in eigener Verantwortung
hatten, und wir am Sonntagmittag zu fürchten begannen, der Täter könne
noch an diesem Tag gefasst werden.
Wir hätten unseren ganzen kunstvollen,
inzwischen fertigen Umbruch über den Haufen werfen und ganz auf die
Schnelle bis zur Drucklegung in Mönchen-Gladbach die ganz große
Geschichte recherchieren und schreiben müssen. Vermutlich ist nie einem
Mörder so dringend ein weiterer Tag Freiheit gewünscht worden wie damals
von uns.
Nach einer kurzen Zeit in Viersen (20. März bis
2. Mai 1978) kam ich nach Geldern zu jenem Lokalchef, der mir seinerzeit
das Empfehlungsschreiben gegeben hatte, zu Martin Willing. Von Anfang an
behandelte er mich als vollwertige Kraft. Ich bekam einen eigenständigen
Arbeitsbereich mit den drei Südkreisgemeinden Issum, Kerken und
Wachtendonk und erlebte Willing als „Redakteur mit Substanz und Mut“,
wie ich später in Zusammenhang mit meinem Ausscheiden bei der RP
schreiben sollte, „der das Wesen des Journalismus mit Wahrhaftigkeit,
Moral, Verantwortungsbewusstsein und Feingefühl verknüpft.“ Ich lernte
in großen Schritten neben den journalistischen Techniken journalistische
Werte.
Immer mal wieder wurden sämtliche Volontäre der
RP zu Veranstaltungen nach Düsseldorf eingeladen. Anschließend war es
mitunter wie nach einem Klassenausflug: Wir hatten eine Arbeit zu
schreiben. An eine erinnere ich mich besonders gern. Wir hatten am 17.
August 1978 mit wohl 20 Volontären in der Düsseldorfer Altstadt die
Hausbrauerei „Zum Uerige“ besucht, schrieben unsere Reportagen und gaben
sie zur Bewertung ab. Ein paar Tage später erzählte mir Walter Vitten,
dass ich eine außerordentliche Belobigung von Jürgen Diebäcker, Träger
des Theodor-Wolff-Preises und einer der angesehensten Redakteure der
Rheinischen Post, bekommen habe. Er habe unter meine Reportage
geschrieben: „Für mich die beste Arbeit, die dabei ist.“
Ein anderes Mal führte uns Cheflayouter Houben
in die Geheimnisse des guten Umbruchs ein, „mitzubringen“, so hieß es in
der Einladung, „sind bitte Rechenscheibe und Typometer, da auch
praktische Übungen vorgesehen sind.“
Computer gab‘s nicht. Layouten war in jeder
Hinsicht Handarbeit.
Einmal fuhr ich mit großem Lampenfieber nach
Düsseldorf. Bei der RP war es Brauch, dass regelmäßig Journalisten aus
den Lokalredaktionen die Mantel-Ausgabe vom Tag besprachen - vor der
geballt versammelten Kollegenschaft der Hauptredaktion. Die Gelderner
hatte mich ausersehen, die Düsseldorfer mit klugen Beiträgen zu
beeindrucken. Schon am frühen Morgen traf ich mich mit der Gelderner
Mannschaft, um die Sitzung vorzubereiten. Wir studierten den Hauptteil,
diskutierten, was würdig war, besprochen zu werden, und mit
erstklassigen Hinweisen im Kopf haute ich bald darauf den Düsseldorfern
Kritik und Lob gleichermaßen um die Ohren. Mit dem Satz „Dann versuchen
Sie mal Ihr Glück“ war ich, die immer noch aussah wie ein sehr junges
Mädchen, in Düsseldorf begrüßt worden.
Mit dem verblüfften Ausruf „Sie haben sich gut
geschlagen!“ wurde ich entlassen.
Kurz darauf wechselte ich nach Düsseldorf ins
‚Feuilleton‘, schrieb vor allem Filmbesprechungen und erfuhr bald
darauf, dass meine Ausbildungszeit verkürzt werden sollte. Walter Vitten
sagte als Begründung: „Sie sind fertig.“
Horst Morgenbrod, der Chef vom Dienst, fragte
mich, in welcher Redaktion ich künftig arbeiten wolle. „Düsseldorf“,
sagte er, „war ein Sprungbrett für Sie. Sie haben die freie Wahl.“
Ich wählte Geldern. Ich war sicher, dass ich von
Martin Willing noch viel lernen konnte. Am 1. April 1979 begann ich
meine Arbeit in Geldern als jüngste Redakteurin der
Rheinischen Post.