Evers, Deli
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Mutter von
sieben Kindern, Mitarbeiterin des KB | * 1930 | † 2013
Als
sie einige Wochen vor Weihnachten 2012 ins Krankenhaus gebracht wurde,
war trotz ihrer Herzerkrankung und ihres fortgeschrittenen Alters
zunächst kein Denken daran, dass der Abschied begonnen hatte. Deli Evers
hatte sich wenige Jahre zuvor nach einer zweiten Herz-OP mit
Komplikationen - allen ärztlichen Diagnosen und Prognosen zum Trotz - so
gut erholt, dass sie in ihre Wohnung an der Schanzstraße in Kevelaer
zurückkehren konnte. Täglich sah man sie auf ihren Spaziergängen in
ihrem Wohnviertel. Auch diesmal war ihre große Familie voller
Zuversicht, dass sie es wieder schaffen würde. Sie selbst war es auch.
Sie glaubte an die kleinen und großen Wunder und vertraute sich den
Fügungen in ihrem Leben an, das so reich an außergewöhnlichen
Erfahrungen war.
Aufgewachsen in Hüthum als jüngstes Kind ihrer Eltern, verbrachte die
neunjährige Deli im August des Jahres 1939 ihre Ferien bei Verwandten in
Loosduinen bei Den Haag, als eines Tages ihr Vater vor der Tür stand, um
sie nach Hause zu holen: Der Zweite Weltkrieg war ausgebrochen. Das
Mädchen, dem nun die Kindheit genommen wurde, lebte im Elternhaus mit
einquartierten Soldaten und fand es ganz normal, dass ihre Mutter auch
mit den aus Holland nach Deutschland verschleppten "Schanzern" das Essen
teilte.
Deli überlebte den verheerenden Luftangriff auf Emmerich am 7. Oktober
1944, als alliierte Bomber die Stadt in Schutt und Asche legten. "In 32
Minuten wurde Emmerich dem Erdboden gleichgemacht", notierte sie viele
Jahre danach für ihre Kinder. "Der Tag wurde zur Nacht, es war so
dunkel. Immer mehr Obdachlose, total vom Rauch geschwärzt, fanden sich
bei uns ein. Mama legte ihre Kinder abends quer ins Bett, so passten
sechs auf ein Bett. Die Soldaten und alle anderen schliefen auf dem
Boden. Wir wohnten vorübergehend mit 40 Personen in unserem Haus. Mama
und Papa leisteten mit einer Selbstverständlichkeit in dieser schlimmen
Zeit und auch später in ihrer lieben Art unglaublich Gutes. Was mir
eigentlich erst jetzt bewusst wird, wo ich es aufschreibe: Ich bin froh,
eure Tochter zu sein."
Das Mädchen, dem die Jugend durch Krieg und Notzeit geraubt wurde,
reifte zur Frau und lernte Günther, ihre erste große Liebe, kennen.
Zwei glückliche Jahre lagen hinter ihr, als Günther aus beruflichen
Gründen ins Ausland ging. "Ich habe nie wieder von ihm gehört."
Dann begegnete ihr Hanns. Ihre Eltern waren nicht begeistert, denn
Hanns
Evers war arbeitslos und zudem krank. Deli setzte sich durch und
heiratete ihren Mann. "Nach etwa einem Jahr fanden wir eine Wohnung, und
die Kinder kamen wie die Orgelpfeifen", heißt es in ihren Erinnerungen.
Sieben Kinder waren es schließlich - Friedel, Sigrun, Delia, Hanns,
Bärbel, Stephan und Natalie -, und harte Zeiten brachen an, in denen die
Großfamilie mehr schlecht als recht ernährt werden konnte. Das Geld
reichte vorne und hinten nicht. Sich mit Wenigem zu bescheiden, das
mussten die Kinder nicht erst lernen - sie kannten nichts anderes. Aber
reichlich wurde ihnen etwas Besseres geschenkt: Ihre Mutter Deli
verströmte ihre Liebe über ihre Kinder und glich aus, was der Familie an
Dingen, die man kaufen kann, fehlte.
Die ständigen Nöte zehrten an Delis Gesundheit.
Aber als sie schließlich allein dastand, weil ihr Mann sich von der
Familie entfernt hatte, schaffte sie auch diesmal das schier Unmögliche,
für ihre Kinder eine liebende Kraftquelle zu sein. "Uns fehlte es an
allem, aber nie an der Liebe unserer Mutter", sagte ihre Tochter Delia einmal über ihre
Kindheit.
Deli Evers.
Die meisten ihrer Kinder waren schon erwachsen und hatten zum Teil
eigene Familien gegründet, als Mutter Deli endgültig ihren Mann durch
Scheidung verlor. Sie zog nach Kapellen in eine Wohnung, wo sie - vielleicht
zum ersten Mal in ihrem Leben - auf sich selbst konzentriert eine
glückliche Zeit genoss.
Das
setzte sich fort, als sie nach Kevelaer umzog. Ihre kleine Rente
besserte sie mit Arbeit für einen Gasthof mit Devotionaliengeschäft in
der Hauptstraße auf. Mit Vergnügen ließ sie sich auch vom Verlag des
Kävels Bläche, in dem ihre Tochter Delia als Herausgeberin und
Geschäftsführerin tätig war, anstellen.
Deli Evers an ihrem Arbeitsplatz im Verlag des Kävels
Bläche.
Deli Evers,
Elisabeth Spolders, Gerti van Rennings, Veronika van Endern und Claudia Gipmans bildeten ein
"Dreamteam" und regelten jede Woche den Vertrieb der Zeitung.
Und immer noch war die Mutter der Pol, um den die inzwischen weit
verstreute Großfamilie kreiste. Legendär sind die gemeinsamen
Osterfrühstücke, zu denen sich alle Familienmitglieder
jedes Jahr versammelten. Es verging kein Weihnachtsfest, an dem die
Mutter nicht ihre Liebsten um sich hatte.
Es war ein Schock für die Familie, als das ganze Ausmaß ihrer Erkrankung
begriffen wurde. Im Abstand weniger Jahre mussten ihr zwei neue
Herzklappen eingesetzt werden. Nach der zweiten Operation, bei der schlimme
Komplikationen eingetreten waren, wurde sie als Schwerstpflegefall
entlassen. Ihre Kinder akzeptierten den Zustand nicht und sorgten mit großem Einsatz dafür, dass ihre Mutter Schrittchen für Schrittchen
zurück in ein normales, selbstbestimmtes Leben zurückfand. Das war die
Zeit, als Deli Evers, die von den Ärzten aufgegebene Patientin, am
Rollator durch Kevelaer spazierte, einkaufte, mit Passanten plauderte
und in ihrer Wohnung weitgehend allein zurechtkam.
Nach wenigen, aber glücklichen Jahren begann die letzte Lebensphase,
eine sich über Monate hinstreckende Odyssee durch Krankenhäuser.
Schließlich wurde Deli Evers auf ihren Wunsch und gemäß ihrer
Patientenverfügung nach Hause entlassen, um hier in Frieden und
Würde zu sterben.
In diesen letzten Wochen waren rund um die Uhr
Familienmitglieder an ihrem Bett, auch als sich in der Nacht zum 22. März ihr
Leben vollendete.
Deli Evers mit einigen Kindern,
Schwiegerkindern und Enkeln sowie Hanns Evers in ihrer Wohnung.