|
|
|
|
|
|
|
Ein
aufregendes Papier, 13 Seiten lang, knistert in den Köpfen
ausgesuchter Insider herum. Manchem CDU-Boss vor Ort wackelt seitdem die Birne.
Anderen Parteiverantwortlichen klingen die Ohren wie nach einer Überdosis Disco-Wumm-Wumm.
Wiederum andere sinken, vorwiegend symbolisch, vor Respekt in die Knie:
Nein, das hätten sie der guten alten Tante CDU nicht zugetraut!
Fürwahr, das Meiste, was Kreischef Dr. Günther Bergmann und sein
Geschäftsführer Manfred Lorenz zu Papier und vor wenigen Tagen in den
Zirkel der engsten Getreuen gebracht haben, ist eine bemerkenswerte
Analyse der Katastrophen-Landtagswahl vom 13. Mai. Auf Weichspüler und
Balsam wurde gänzlich verzichtet.
Dafür formulierten sie
knallharte Kritik am liebgewonnenen "Weiter so" und tapferen "Das haben
wir schon immer so gemacht". Die Partei müsse sich von Grund auf ändern.
"Katastrophenpapier"
verabschiedet (v.l.): CDU-Geschäftsführer Manfred Lorenz,
Kreisparteichef Dr. Günther Bergmann und Ehrenvorsitzender Ronald
Pofalla.
Die "Quantifizierung einer Katastrophe" von Bergmann & Lorenz gleicht
einem Gruselschocker, der erst ab 18 freigegeben ist, weil am laufenden
Band Köpfe weggeputzt werden: Fast jeder zweite Wähler im Land (45 %),
der 2005 die CDU angekreuzt hatte, war 2012 weg vom Fenster. Und auch im
Kreis Kleve, wo früher sogar ein Besenstiel die meisten Stimmen gewonnen
hätte,
sofern er nur mit einem CDU-Etikett beklebt gewesen wäre, sank die CDU
tief im Flugsand der verwüsteten Parteienlandschaft ein. Nicht überall und auch
nicht in Kevelaer, aber in Emmerich, Issum, Kerken, Kleve, Rees und
Rheurdt sahen die Sieger rot aus, während die schwarzen Verlierer vor
Erschütterung lediglich rote Bäckchen vorweisen konnten. Die CDU im
Kreis Kleve auf dem Weg zur Nr. 2 hinter der SPD? Viel fehlt nicht mehr.
Bei der Ursachenforschung ließen Bergmann & Lorenz den üblichen Schmus
beiseite und kamen gleich zur Sache: "Die langfristigen Veränderungen im
Wählerverhalten sind bis dato bei vielen Funktionsträgern der hiesigen
CDU nicht angekommen." Böser hätte ich es auch nicht ausdrücken können.
Die beiden Analysten warnten nachdrücklich vor der Extra-Gefahr, die in
der Kommunalwahl in zwei Jahren steckt: Weil die hauptamtlichen
Bürgermeister, wie allgemein erwartet wird, nicht mehr zeitgleich
gewählt werden, fehlen den CDU-Ortsparteien die Zugpferde, die populären
Schlachtrösser, die sogar müde Zossen unter den CDU-Ratskandidaten aufs
Siegertreppchen schleppen könnten. 2014 sind nach Lage der Dinge die
Freizeitpolitiker auf sich allein gestellt: Sie müssen es reißen und vor
allem: Sie müssen sich endlich zusammenreißen.
Stammwähler, auf die Verlass ist? "Nur noch rund ein Viertel der
CDU-Wähler sind als sichere Stammwähler einzuschätzen", heißt es in dem
"Katastrophen-Papier" der Parteiführung. Kopfgesteuerte Wahlkämpfe mit
Sachargumenten führten zu restlosem Verkimmeln, falls - wie im Mai bei
der Landtagswahl - die "emotionale Komponente" fehle und die Konkurrenz
auf "Wohlfühl-Wahlkampf" setze. Und auch das staatsmännische Gelabere
("Wir machen weniger Schulden") müsse aufhören. Die Wähler "wollen von
uns klar und verständlich wissen, was wir vorhaben und warum sie uns
wählen sollen."
Als gefährlichste CDU-Killer beschrieben Bergmann & Lorenz die "freien
Wähler und Piratenpartei". Deren Image als Alternative zu den
etablierten Parteien sei zwar ein Etiketten-Schwindel, weil die "freien"
Kandidaten in den Niederungen der Ratsarbeit vor Ort auch nur mit Wasser
kochen und ihr Charisma als Aufknacker verkrusteter Strukturen schnell
verbraucht ist. Aber sie müssten ernstgenommen werden, weil sie die
"diffuse Hoffnung vieler Menschen, eine andere Art von Politik zu
wählen", verkörperten. Das größte Gefahrenpotenzial, das der CDU von
"Freien" drohe, sei die niedrige Hemmschwelle der Wähler: Die wechselten
öfter und leichter zu den "Freien" als zur SPD.
Die ernste Krise treffe auf eine CDU, die sich auf immer weniger und
immer ältere Mitglieder stützen müsse. Von einst 7.000 eingeschriebenen
CDU-Leuten im Kreis sind 4.000 übriggeblieben. "Und mehr als 30 % der
Mitglieder der CDU im Kreis Kleve sind über 70 Jahre alt." Die neuen
Herausforderungen könnten bei schrumpfenden Ressourcen auf keinen Fall
im alten Stil gemeistert werden. "Die zentrale Wahrheit ist, dass sich
die Partei grundlegend ändern muss."
Aber wie?
Das Strategie-Papier empfiehlt Konzentration auf die Stärken. "Wir sind
die Niederrhein-Partei". CDU und Region müssten wieder
miteinander identifiziert werden. Stadträte, in denen niemand unter 40
sei, dürfe es künftig ebenso wenig geben wie Räte, in denen die eine
oder andere Alibi-Frau nur als schmückendes Beiwerk fungiere. In den
meisten Räten, auch im Kreistag, werde die Bandbreite der Bevölkerung von
CDU-Mandatsträgern nicht angemessen repräsentiert. Die Partei müsse raus
aus den geschlossenen Sitzungen und rein in die öffentlichen
Versammlungen und Diskussionen. Die Mandatsträger müssten sich in
Vereinen engagieren und in der offenen Gesellschaft zeigen, dass sie
sich mit denen, die ihre Wähler sind oder sein könnten, identifizieren.
Das helfe, ein Imageproblem zu beseitigen: "Vielfach werden die
etablierten Parteien als verknöchert, langweilig, zu wenig
diskussionsfreudig und zu wenig demokratisch wahrgenommen."
Ausführlich gingen die Gutachter auf moderne Kommunikationsformen und
neue Medien ein, die zu nutzen dringend angeraten wurde. Die
facebook-Verehrung der beiden Parteilenker freilich ist bedenklich
und fehlplatziert. Die Aussage "Den sozialen Netzwerken wie etwa
Facebook kommt in allen künftigen Wahlkämpfen eine zentrale Rolle zu"
geht völlig an der Lebenswirklichkeit der meisten Menschen im Kreis
vorbei. denn die nutzen facebook nicht und viele unter ihnen
lehnen diese Datenkrake rundweg ab, und zwar aus Gründen, um die sich
die CDU eigentlich kümmern müsste.
Die Strategiepapier-Autoren übersehen die Gefahr, dass informierte
Wähler die CDU gezielt für ihre distanzlose Beziehung zu den (a)sozialen
Netzwerken abstrafen und jeden, der zur Anmeldung bei dem Datenmonster
auch noch ermuntert, als unqualifiziert einstufen könnten, Verantwortung
für das Allgemeinwohl zu tragen.
Die Neue-Medien-Begeisterung der
beiden Parteiführer übertüncht in der Tat jeden Ansatz von Kritik an den
Kommunikationsformen und lässt den Hinweis darauf vermissen, dass hier
Segen und Fluch eng nebeneinander liegen. Die mangelnde Distanz zu
Technologien, die offenbar mit Heilsbringern verwechselt werden, könnte
letztlich den Aufbruch der Partei zu neuen Erfolgen verhageln. Denn wer
sich auf facebook & Co. konzentriert ("zentrale
Rolle") und dabei die Lebenswirklichkeit der meisten Menschen aus dem Blick
verliert, schießt sich am Ende ins eigene Knie.
Der für CDU-Leute ermutigendste Satz steht am Schluss auf Seite 13: "So
wie es möglich ist, in einer einzigen Wahl acht, zehn oder gar mehr
Prozent zu verlieren, so sind auch vergleichbare Gewinne grundsätzlich
möglich."
Donnerstag, 6. September 2012
© Martin Willing 2012