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Die
überzogene Konzentration der öffentlichen Aufmerksamkeit auf wenige
Großthemen wie das der Rathaussanierung geht am Alltag in Kevelaer
vorbei, denn der sieht völlig anders aus. In allen Generationen stehen,
verständlicherweise, das eigene Leben und seine Gestaltung im
Vordergrund des Interesses. Nichts berührt so sehr wie das eigene Wohl
und Wehe. Das war nie anders, das wird nie anders sein.
Das Rathaus-Theater, für das der entscheidende Premierenvorhang nun
geöffnet ist, rauscht wie im Film an uns Zuschauern vorüber. Wir erregen
uns köstlich über die Millionen, die das Ding kosten wird, und wissen,
wenn wir Gewissenserforschung treiben, doch nicht wirklich, ob die
Rathausverantwortlichen das Geld zum Fenster hinauswerfen oder überaus
sorgsam mit unseren Steuern umgehen.
Ich jedenfalls kann das nicht mit letzter Sicherheit beurteilen und
vertraue auf unser eingebautes Kontrollsystem, das Handeln und
Kontrolle, Mehrheit und Opposition, gelernte Profis und Politiker mit
gesundem Menschenverstand gegenüberstellt. Es gehört zum (guten) System,
dass sie miteinander ringen müssen und erst nach Abwägung aller
Argumente endgültig entscheiden können. Dafür haben wir Stellvertreter
gewählt - die Inhaber der Ratsmandate.
Die ständige Kritik an der nun hoffentlich endenden Ratshausgeschichte
verkleistert den Blick darauf, dass sich die Politiker viel stärker auf
die Mitgestaltung des Kevelaerer Alltags, aus dem sich kein Bürger
ausklinken kann, konzentrieren müssten. Unser Gemeinwesen, das uns von
der Wiege bis zur Bahre umgibt, darf weder dem Zufall, noch "denen da
oben", noch der immer größer werdenden Bürgerfraktion aus Menschen, die
nur noch sich selbst kennen, überlassen werden.
Ich bin am Wochenende in Kevelaer an einem Geschäft vorbeigekommen, das
Mode-Textilien anbietet und dessen Preisauszeichnungen mir ins Auge
stachen: Da wurde ein Jäckchen für sage und schreibe 300 Euro
angepriesen. In meiner Nachbarschaft wohnt ein Mensch, der mit diesem
Geld etwa vier Wochen lang seinen Lebensunterhalt bestreiten muss - ein
Hartz IV-Empfänger. Ich habe nichts gegen superteure Klamotten. Ich habe
nur etwas dagegen, dass Menschen nicht wissen, wie sie klarkommen
sollen.
Die Unterschiede unter den Bürgern und ihren Lebensführungen
auszugleichen, so dass sie von allen ertragen werden können, ist
wichtiger als eine Rathaussanierung. Wir sollten stärker darauf achten,
was diejenigen, die Einfluss nehmen können, für die Zukunft des inneren
Friedens in der Bürgerschaft leisten.
Donnerstag, 4. Oktober 2012
© Martin Willing 2012